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W3 Stärker zurückkommen: Die neue Normalität muss eine bessere sein! - Ansätze für eine progressive Politik nach Corona

2.10.2020

Gut ein halbes Jahr nach Ausbruch der Corona-Pandemie müssen wir festhalten, dass es sich bei der aktuellen Krise trotz vieler zuvor um die einschneidendste Krise seit dem zweiten Weltkrieg handelt. Die Pandemie hat zeitweise zu einem vollständigen Erliegen des wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Lebens geführt, sie hat weltweit hunderttausende Menschen das Leben gekostet und nach wie vor haben wir nicht das erreicht, was öffentlich als „die neue Normalität“ diskutiert wird. Nun, einige Monate nach dem Corona-Schock, ist die Debatte über die Lehren aus und die Folgen von dieser Krise in vollem Gange und für uns als Jusos ist klar: Die neue Normalität nach Corona darf nicht die alte Normalität vor Corona sein. Wir müssen stärker aus der Krise zurückkommen: Die neue Normalität muss eine bessere sein!

Aus politischer Sicht beispielsweise muss die Lehre aus dieser Zäsur sein, dass wir endgültig Abschied nehmen von den zwei maßgeblich dominierenden Politiken der letzten Jahrzehnte.

Dabei handelt es sich zum einen um die Ideologie des Neoliberalismus, die in den letzten Jahrzehnten so prägend war wie keine andere und die zugleich nun so offensichtlich am Ende ist wie keine andere. Die Idee, dass das zentrale Ordnungssystem unserer Gesellschaft der Markt ist, auf dem sich eigenverantwortliche Individuen zur Profitmaximierung versammeln, und dass dieser Markt, einmal aus dem Gleichgewicht geraten, sich durch magische Selbstreinigungskräfte wieder selbst besser ins Gleichgewicht bringt als durch politische Steuerung; diese Idee ist krachend gescheitert. Das neoliberale Mantra „Privat vor Staat“ und das zusammengefasste Glaubensbekenntnis „Das regelt der Markt.“ wirkt angesichts der aktuellen Lage wie Hohn und vermag nur noch Delegierte eines FDP-Parteitags zu überzeugen. Die große Mehrheit der Menschen hingegen musste in den letzten Jahren und nun spätestens durch die Corona-Krise erfahren, was der Markt alles nicht regelt. Der Markt hat weder für 5G an jeder Milchkanne, noch für flächendeckende Mobilität in der Breite der Bundesrepublik, weder für eine angemessene Gesundheitsversorgung, noch für bezahlbaren Wohnraum oder die angemessene Entlohnung systemrelevanter Berufe gesorgt. Und wie schlecht es um die vermeintlichen Selbstreinigungskräfte des Marktes bestellt ist, kann daran gesehen werden, dass selbst diejenigen, die sich Eingriffe des Staates immer verbeten haben, nun die Lautesten sind, die nach staatlichen Hilfen rufen.

Die zweite dominante Politik der letzten Jahrzehnte, die nun an ihr Ende kommen muss, ist das TINA-Prinzip (There is no alternative), mit dem politische Entscheidungen nicht mit Sach-Argumenten, sondern mit dem Verweis auf ihre vermeintliche Alternativlosigkeit gerechtfertigt wurden. Denn während zu Beginn der Pandemie und auf der Ebene des unmittelbaren Krisenmanagements bestimmte Entscheidungen in der Tat zwingend und richtig waren, bestehen nun in der Frage, welche Konsequenzen aus der aktuellen Krise gezogen werden müssen, so klare Alternativen wie lange nicht mehr. Die Chancen für progressive Politik für die Zeit nach Corona stehen gut, aber das Ende des Neoliberalismus wird kein Selbstläufer, weil uns auf der anderen Seite eine Koalition aus Konservativen und Neoliberalen gegenübersteht, die nach der Krise mit den alten, gescheiterten Rezepten weitermachen wollen. Dagegen müssen wir eine progressive, gesellschaftliche Allianz für ein besseres Morgen bilden, mit der wir stärker als vorher aus der Krise herauskommen. Der Kampf um die Deutungshoheit rund um die Corona-Krise ist also in vollem Gange und wir werden ihn nur dann für uns entscheiden können, wenn wir klar sagen können, wie die neue Normalität eine bessere sein kann. Dazu macht dieser Antrag einen Aufschlag.

Ein neues Staatsverständnis

Die bessere Normalität braucht vor allem ein neues Verständnis über die Rolle des Staates in unserer Gesellschaft. Wir sind der Überzeugung, dass nicht der Markt, sondern eben der Staat als demokratische Verfasstheit aller Bürger*innen das zentrale Ordnungssystem unserer Gesellschaft darstellt. Und wie kaum zuvor hat die Corona-Krise zum einen die Handlungsfähigkeit des Staates unter Beweis gestellt und zum anderen auch den Primat der Politik über die Wirtschaft. Während in der Vergangenheit der marktkonformen Demokratie der Mund geredet wurde, steht es für uns nicht zur Debatte, dass wir einen demokratiekonformen Markt brauchen, dem der Staat zu diesem Zweck klare Vorgaben gibt. Unser Staat für ein besseres Morgen ist aber auch ein aktiver und handlungsfähiger Staat, der dem Markt nicht nur einen klaren Handlungsrahmen gibt, sondern auch selbst durch Investitionen für wirtschaftlichen Erfolg und gesellschaftlichen Fortschritt sorgt. Den staatlichen Investitionen müssen dabei zwei entscheidende Aufgaben zukommen. Zum einen stellen sie die Grundlage für den wirtschaftlichen Erfolg der Bundesrepublik dar. Denn damit Unternehmen erfolgreich sein können, braucht es eine gute öffentliche Infrastruktur – und zwar sowohl physisch in Form von intakten Straßen und Brücken, einem umfassenden Mobilitätsangebot und einer guten digitalen Infrastruktur, als auch sozial in Form von bester Bildung und Forschung, einer guten Gesundheitsversorgung und der Garantie von sozialer Sicherheit. In den vergangenen Jahrzehnten wurden immer mehr dieser öffentlichen Aufgaben privatisiert und damit dem Diktat der Profitmaximierung unterworfen, mit den bereits beschriebenen Folgen. Wir sind der Auffassung: Öffentliche Aufgaben gehören in öffentliche Hand! Es gibt einfach bestimmte Bereiche des Zusammenlebens, die keiner Marktlogik unterworfen werden dürfen.

Die zweite Aufgabe von öffentlichen Investitionen ist die einer Steuerungsfunktion. Der Staat sollte also nicht blind investieren und so quasi für Herdenliquidität sorgen, sondern durch gezielte Investitionen jene Art des Wirtschaftens und auch jene Innovationen fördern, die dem Gemeinwohl dienen. Konkret bedeutet das, dass Unternehmen nur dann Gelder der Allgemeinheit bekommen sollten, wenn sie sich auch zu Zielen der Allgemeinheit verpflichten.

Staatsschulden

Mit einem neuen Staatsverständnis in der besseren Normalität muss auch ein neues Verständnis von Staatsschulden einhergehen. Im Verlauf der Corona-Krise hat die Bundesregierung mit zwei Konjunkturprogrammen in bemerkenswertem Umfang reagiert und so den wirtschaftlichen und sozialen Totalabsturz verhindert. Im März wurde das Corona-Schutzschild „Bazooka“ über 350 Milliarden Euro für Zuschüsse und Hilfen sowie zusätzlichen 820 Milliarden Euro für Beteiligungen, Kredite und Bürgschaften aufgelegt. Im Juni folgte das Konjunkturprogramm „Wumms“ mit einem Umfang von 160 Milliarden Euro. Angesichts dieser Summen, die die Staatsschuldenquote der Bundesrepublik in die Höhe getrieben haben, ist die Debatte darüber, wie diese Schulden wieder zurückgezahlt werden können in vollem Gange und es wird auf uns ankommen dafür zu sorgen, dass nicht dieselben Fehler wie nach der Finanzkrise 2008 gemacht werden.

Damals hat man als Reaktion auf eine verbreitetere Staatsskepsis und aufgrund der Verunsicherung in der Bevölkerung 2009 die Einführung einer Schuldenbremse beschlossen – mit verheerenden Folgen. Die Schuldenbremse ist die ins Grundgesetz geschriebene neoliberale Ideologie, die die Handlungsfähigkeit des Staates massiv eingeschränkt hat. Und während es in den Jahren nach der Finanzkrise öffentliche Anerkennung für ausgeglichene Haushalte gegeben hat, sieht eine große Mehrheit der Menschen heute die enorme Diskrepanz zwischen dem fetischisierten ausgeglichenen Haushalt und den realen Verhältnissen im Land. Aufgrund mangelnder Investitionen durch die Schuldenbremse hinkt die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft peinlich weit hinterher. Die Bildungsausgaben stagnieren seit zehn Jahren im Verhältnis zur Wirtschaftskraft. Die sozial-ökologische Transformation ist zum Erliegen gekommen, was man unter anderem daran sieht, dass die Bundesrepublik ihre Vorreiterinnenrolle bei den Erneuerbaren Energien schon längst wieder verloren und die Automobilbranche als Schlüsselindustrie den Strukturwandel verschlafen hat. Und die öffentliche Infrastruktur ist aufgrund des massiven Investitionsstaus marode und damit eine zunehmende Gefahr für die Wettbewerbsfähigkeit. So sieht die Bilanz von 10 Jahren Schuldenbremse in Deutschland aus. Noch schlimmer hat es die Länder im Süden Europas getroffen, denen wir im Zuge der Eurokrise dieselbe bittere Medizin der Austerität aufgezwungen haben – nur in noch stärkerem Maße. Diese hat während der Corona-Krise tödliche Folgen gehabt, weil die dortigen kaputtgesparten Gesundheitssysteme nicht in der Lage waren, die Pandemie angemessen zu bewältigen.

Diesen Kardinalfehler, nämlich den Versuch, sich gesund zu sparen, dürfen wir nun nicht wiederholen. Der Weg der Konsolidierung durch Austerität ist ein Irrweg. Damit bekennen wir uns zum Weg des Herauswachsens aus der Krise, der es ermöglicht, die Staatsschulden solange zu überwälzen, bis die Schuldenquote durch ein gestiegenes BIP wieder sinkt. Wozu die Alternative des Heraussparens der Konservativen und Neoliberalen führt, konnte eindrücklich in den letzten Jahren beobachtet werden. In Wahrheit hat diese status quo-Koalition der Bewahrer*innen schlicht keinen Plan mehr für die Zukunft.

Stärker aus der Krise zurückkommen heißt für uns konkret:

  • Wir bekräftigen angesichts der Corona-Krise unsere Forderung nach einer Abschaffung der Schuldenbremse und nach einer Abkehr der Politik der schwarzen Null.
  • Statt einmaligen Konjunkturprogrammen fordern wir ein mehrjähriges, massives Investitionsprogramm. Die Investitionen sollten sowohl über unkomplizierte Wege den Kommunen zur Verfügung gestellt werden als auch direkt über Bund und Länder laufen. Folgende sieben Schwerpunkte gilt es dabei zu setzen:
    • Ausbau und Modernisierung des Schienennetzes.
    • Instandsetzung, Neubau und Anschaffung digitaler Hardware in Bildungseinrichtungen wie Schulen, Kindertagesstätten und Universitäten.
    • Programme zum öffentlichen Wohnungsbau.
    • Ausbau erneuerbarer Energien beispielsweise über Programme wie Windbürger*innengelder und kommunal subventionierter Ausbau von Solardächern.
    • Aufbau massiver Kapazitäten zur Wasserstoff-Produktion.
    • Flächendeckender Ausbau digitaler Netze.

Finanzierung

Die bessere Normalität braucht aber auch endlich einen angemessenen Beitrag der Wohlhabenden in unserer Gesellschaft zur Finanzierung der Kosten der Krise sowie eine gerechte Verteilung der Vermögen insgesamt. Mitten in der Corona-Krise hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) im Juli noch einmal eindrückliche Zahlen zur Vermögenskonzentration in Deutschland vorgelegt. Demnach besitzen die reichsten zehn Prozent der Menschen in Deutschland gut zwei Drittel des Gesamtvermögens, während die Hälfte der Bevölkerung nahezu gar kein Vermögen besitzt. Mit diesem Zustand können wir uns als Jusos und mit diesem Zustand kann sich auch die Sozialdemokratie nicht abfinden. Die bessere Normalität braucht daher ein klares Bekenntnis zur Umverteilung und zu einer gerechten Steuerpolitik, die dafür sorgt, dass die Lasten der Krise nicht wieder nur von Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen geschultert werden.

Stärker aus der Krise zurückkommen heißt für uns hier konkret:

  • eine einmalige, krisenbedingte Vermögensabgabe für sehr hohe Vermögen.
  • Die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, wie von den NRW Jusos gefordert, muss schnell umgesetzt werden.
  • Ebenso bekräftigen wir unsere Forderungen zur Einführung der Vermögenssteuer und einer Reform der Erbschaftssteuer, wie sie vom SPD-Bundesparteitag zuletzt beschlossen wurde.

Wirtschaft und Arbeit

In keinem anderen Bereich ist es so notwendig, dass die neue Normalität eine bessere wird, wie im Bereich von Wirtschaft und Arbeit. Schonungslos hat die Corona-Krise die Widersprüche und Schwächen eines Wirtschaftssystems offen gelegt, dessen oberste und manchmal auch einzige Maxime die der Profitmaximierung ist.

In beispiellosem Ausmaß haben wir auf der einen Seite einen Angebotsschock erlebt, weil die hyperglobalisierte Wertschöpfung mit ihren krisenanfälligen just-in-time-Lieferketten teilweise vollständig zum Erliegen gekommen ist. Die Unternehmen waren schlicht nicht mehr in der Lage zu produzieren. Und zum anderen haben wir in gleicher Weise einen Nachfrageschock erlebt, weil die Verbraucher*innen durch Einkommens- oder gar Jobverlust und Kontaktbeschränkungen kaum noch in der Lage waren zu konsumieren. Um die Krise zu bewältigen, wird es nun darauf ankommen, sowohl die Wertschöpfung wieder zu stabilisieren als auch die Nachfrage wieder zu stimulieren. Dies darf aber eben nicht durch ein Zurück zum Vor-Corona-Zustand passieren, sondern wir müssen die richtigen Schlüsse aus diesem doppelten Schock ziehen und die Chance für eine bessere Normalität nutzen.

Wirtschaftspolitisch heißt das vor allem, dass wir ganz aktiv jene Form des Wirtschaftens fördern, die dem Gemeinwohl dient. Diese zeichnet sich durch gute, tarifgebundene Beschäftigung, durch eine Demokratisierung der Unternehmen, durch qualitatives Wachstum im Sinne der sozial-ökologischen Transformation sowie durch echte Gleichstellung in den Betrieben aus. Auch global muss die Corona-Krise dazu führen, dass zum Beispiel die internationalen Lieferketten nicht länger nur nach dem Maßstab der Profitmaximierung, sondern vor allem unter dem Gesichtspunkt der Resilienz zu organisieren sind. Durch ein entsprechendes Lieferkettengesetz gilt es dabei, faire Arbeitsbedingungen auch über den nationalen Rahmen hinaus zu garantieren. Und um das einmal klarzustellen: Die vollkommen berechtigte Kritik an einer bestimmten Form der Globalisierung („Hyper-Globalisierung“) und die ebenfalls berechtigte Forderung, ausgewählte Lieferketten ein Stück weit weniger global zu organisieren, darf nicht dazu führen, dass wir uns gemein machen mit denjenigen, die der vermeintlichen Re-Nationalisierung das Wort reden. Wir müssen im Gegenteil zwar klar die negativen Auswirkungen der entfesselten Globalisierung thematisieren, um sie dann aber aktiv zu gestalten, ohne zu einfachen Ressentiments nachzugeben. Eine sozialdemokratisch gestaltete Globalisierung kann so zu mehr qualitativem Wachstum, zu besseren Arbeitsbedingungen und zu besseren Löhnen im globalen Kontext führen.

Stärker aus der Krise zurückkommen heißt für uns wirtschaftspolitisch konkret:

  • Weitere Stimulierungen privater Investitionen. Gerade in einer möglichen Rezession werden private Investitionen dringend benötigt. Auch hier gilt es, schwerpunktmäßig die Transformationen in den Bereichen Sozialstaat, Digitalisierung und Klimaschutz voranzutreiben.
  • Durch einen bei der KfW aufgesetzten oder staatlichen Fonds kann Kapital für innovative Neugründungen zur Verfügung gestellt werden.
  • Die stattfindenden und zu erwartenden Transformationsprozesse erzeugen erheblichen Weiterbildungsbedarf, um Beschäftigung zu sichern. Beschäftigte müssen qualifiziert werden, um in geänderten oder neuen Berufsfeldern gute Arbeit zu finden. Neben einem Ausbau der Kapazitäten der Berufskollegs ist auch dringend in betriebliche und überbetriebliche Weiterbildungsangebote zu investieren. Auch hierfür könnte ein bei der KfW aufgesetzter oder staatlicher Bildungsfonds die notwendigen Mittel aufbringen, um das lebenslange und immer wiederkehrende Lernen im Job zu ermöglichen.
  • Um Unternehmensinsolvenzen zu verhindern, wird der Staat sich mit Eigenkapital an vielen Unternehmen beteiligen müssen oder hat dies schon getan. Dabei sollen klare Kriterien gesetzt werden, dass die Beteiligung des Staates nur stattfindet, wenn die künftigen Geschäftsfelder der Unternehmen für sozialen und ökologischen Fortschritt und nicht für Rückschritt und Stillstand stehen, dass Vorstandsgehälter und -boni gedeckelt sind, Steuern in der Bundesrepublik gezahlt werden müssen und dass in den Unternehmen nach Tarif bezahlt wird. Wer Geld von der Allgemeinheit bekommt, muss sich auch zu Zielen der Allgemeinheit verpflichten.
  • Durch steuerpolitische Maßnahmen können Abschreibungsmöglichkeiten für Investitionen in Digitalisierung und Klimaschutz verbessert werden.
  • Der Aufbau einer Pharmaindustrie, die die Abhängigkeit von bisherigen Lieferketten löst, muss ein strategisches Ziel der Gesundheitspolitik werden. Dabei muss vor allem in den Blick genommen werden, wie staatliches Kapital für pharmazeutische Innovationen und Neugründungen zur Verfügung gestellt werden kann.
  • Durch ein wirksames Lieferkettengesetz für weiterhin notwendige Lieferketten werden wir auch global für bessere Arbeitsbedingungen und Löhne kämpfen und das Klima schützen.

Arbeitsmarktpolitisch haben wir in Deutschland gerade in den letzten Wochen gesehen, dass der Abschied vom Neoliberalismus kein zwingender ist, sondern von uns aktiv betrieben werden muss. Am Anfang der Pandemie wurden einzelne Dienstleistungsberufe vor allem im Gesundheits-, Einzelhandels- und Logistikbereich noch als systemrelevant und heldenhaft gefeiert und beklatscht. Jetzt hingegen, da diese Arbeitnehmer*innen zurecht für bessere Arbeitsbedingungen und bessere Bezahlung kämpfen, schlägt ihnen teilweise von denselben Leuten Unverständnis dafür entgegen, dass sie für ihre Rechte streiken. Dabei wissen wir schon heute, dass diese meist prekär Beschäftigten innerhalb ihres Arbeitsverhältnisses wenig eigenen Schutz vor der Pandemie erfahren haben und auch am längsten mit ihren Auswirkungen in Form von Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit zu kämpfen haben werden. Wir sind der klaren Auffassung: Klatschen reicht nicht! Wer den Laden hier am Laufen hält, muss auch anständig bezahlt werden und unter fairen Bedingungen ihren*seinen Job machen können. Kämpfer*innen dafür sind in allererster Linie unsere Kolleg*innen in den Gewerkschaften.

Und die bessere Normalität braucht wieder stärkere Gewerkschaften in der Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit angesichts der massiven Transformation der Arbeitswelt. Wir erleben zum einen, dass die Organisationsbedingungen der Belegschaften sich massiv verändern. Während manche im Homeoffice für sich allein arbeiten, befinden sich andere in Kurzarbeit und wieder andere arbeiten ganz normal weiter in den Betrieben. Diese Fragmentierung der Belegschaft stellt die gewerkschaftliche Organisation vor erhebliche Herausforderungen. Zum anderen erleben wir, dass die Kapitalseite versucht, das Modell der Sozialpartnerschaft als nicht mehr zeitgemäß darzustellen. So ließ kürzlich ein Banken-Start-up keine Anstrengung unversucht, die Gründung eines Betriebsrats zu vermeiden, weil dieser gegen alle Werte verstoße, an die das Unternehmen glaube. Wer aber glaubt, dass der Wandel der Arbeitswelt weniger Mitbestimmung bedeuten müsste, hat in uns und unseren gewerkschaftlichen Kolleg*innen die entschiedensten Gegner*innen. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Der Wandel in der Arbeitswelt muss zu mehr statt zu weniger Mitbestimmung führen!

Stärker aus der Krise zurückkommen heißt für uns arbeitsmarktpolitisch konkret:

  • Für die in der Krise zurecht als systemrelevant gefeierten Berufe braucht es endlich auch eine finanzielle Aufwertung. Dazu wäre ein allgemeinverbindlicher Tarifvertrag Pflege beispielweise ein wichtiger Schritt. Ansonsten wäre über Branchenmindestlöhne für Care-Berufe oder solche im Einzelhandel
  • Vor allem müssen wir die Rahmenbedingungen aber auch so gestalten, dass sich abhängig Beschäftigte aus diesen Bereichen verstärkt in Gewerkschaften organisieren, um effektiv und demokratisch für bessere Arbeitsbedingungen wie z.B. veränderte Personalschlüssel etc. einstehen zu können. Hier erneuern wir unsere Forderung nach einer Stärkung der Gewerkschaften durch:
    • die Aufhebung des Arbeitgeber*innen-Vetos bei der Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen
    • ein hartes strafrechtliches Vorgehen gegen die Behinderung von Gewerkschaftsaktivitäten, dem sogenannten Union Busting.
    • vollständige Arbeitnehmer*innenrechte für Beschäftigte im Bereich der digitalen Plattformökonomie und entsprechende Stärkung der Betriebsräte auf digitalem Wege.

Sozialstaat

Auch eine andere Errungenschaft, die von Sozialdemokrat*innen und Gewerkschafter*innen erkämpft wurde, ist in den vergangenen Jahren immer wieder von konservativer und neoliberaler Seite als Auslaufmodell dargestellt worden. Aber auch hier hat Corona gezeigt: Die bessere Normalität braucht einen starken, vorsorgenden Sozialstaat, der alle gegen die individuellen Lebensrisiken solidarisch absichert und präventiv für gute Beschäftigung sorgt!

Man stelle sich nur mal vor, die SPD hätte nicht für ein Kurzarbeiter*innengeld, für einen vereinfachten Zugang zur Grundsicherung erstmal ohne Vermögensüberprüfung und für eine Übernahme der tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung gesorgt. Das sind aus jungsozialistischer Perspektive nur Notmaßnahmen, aber sie unterstreichen die Bedeutung des Sozialstaats besonders aber nicht nur in der Krise. Das Kurzarbeiter*innengeld sollte dabei nicht nur als reines Notfallinstrument zur Verhinderung von Arbeitslosigkeit genutzt werden, sondern sollte auf die Finanzierung von Weiterbildungsmöglichkeiten während der Zeit der Kurzarbeit ausgeweitet werden.

Das Corona-Virus trifft eben nicht alle gleich, sondern wirkt sozial-selektiv. Menschen mit niedrigem Einkommen oder ohne Arbeit werden wirtschaftlich härter von der Krise getroffen, Kinderarmut verschärft sich und ganze soziale Schichten werden noch stärker von der gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen. Für eine bessere Normalität nach der Krise erneuern wir unsere zahlreichen Forderungen für einen aktiven und solidarischen Sozialstaat.

Stärker aus der Krise zurückkommen heißt für uns hier konkret:

  • eine deutlich längere Bezugsdauer des ALG I (Arbeitslosengeld) gerade bei langen Beitragsjahren
  • die Einführung eines ALG Q, mit dem Zeiten der Weiterbildung oder Umschulung finanziert werden, um Beschäftigte in der Transformation nicht allein zu lassen
  • die überfällige Abschaffung von Hartz IV durch ein sanktionsfreies und bedarfsgerechtes Bürger*innengeld
  • eine eigenständige Kindergrundsicherung
  • Schließlich bekräftigen wir unsere Forderung nach einem Recht auf Weiterbildung und Qualifizierung sowie nach einem Recht auf Arbeit, zu dem für uns auch das Konzept einer Jobgarantie gehört.

Feminismus

Die neue Normalität muss schließlich auch dahingehend eine bessere werden, als sie feministisch sein muss. Denn das Corona-Virus hat nicht nur sozial-selektiv gewirkt, sondern auch nochmal die enorm ungleich verteilte Belastung von Frauen in unserer Gesellschaft sichtbar gemacht, und zwar in mehreren Hinsichten. Zum einen werden die als systemrelevant erkannten Berufe, ob in der Pflege oder an der Supermarktkasse, überwiegend von Frauen ausgeübt und trotz Systemrelevanz viel zu schlecht bezahlt. Und zum anderen wurde einmal mehr deutlich, wie viel zuvor ‚unsichtbare‘ und unentgeltliche Carearbeit von Frauen im privaten Bereich geleistet wird. Durch den Wegfall von Betreuungsmöglichkeiten im Zuge der Pandemie hat sich dieses massive Ungleichgewicht noch weiter verstärkt und es ist nicht hinnehmbar, dass nach wie vor feministische Belange bei der Bewältigung der Krise überhaupt keine Rolle spielen. Die Pandemie sorgt zusätzlich dafür, dass die Lebensrealitäten und Personen, die schon vorher wenig sichtbar waren, nun noch weiter aus dem öffentlichen Leben verdrängt werden. Queeren Personen fehlen sowohl Schutz- als auch Begegnungsräume und die Deutungshoheit über die Pandemie in Wissenschaft und Medien haben Männer, deren homogene Lebensrealität sich dann auch in der nicht Berücksichtigung von Frauen in Hilfefonds wiederspiegelt. Dass es um die körperliche Selbstbestimmung von Frauen prekär bestellt war, sieht mensch unter anderem auch daran, dass die Pandemie kurzerhand dafür genutzt werden soll, ein “Sexkaufverbot” zu erwirken und der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen noch schwerer ist als ohnehin schon. Die bessere Normalität muss also eine feministische sein! Wir müssen die Diskursfenster, die sich während der Krise eröffnet haben, dafür nutzen, unsere feministischen Forderungen zu radikalisieren.

Stärker aus der Krise zurückkommen heißt für uns aus feministischer Perspektive konrekt:

  • Endlich eine angemessene Entlohnung von Berufen, die mehrheitlich von Frauen ausgeübt werden und entsprechende Arbeitsbedingungen.
  • Die schwierigen Arbeitsbedingungen in vielen Care-Berufen hängen häufig auch mit einer nicht ausreichenden Personalausstattung zusammen beziehungsweise ließe sich auch sagen, dass beide Probleme sich gegenseitig bedingen. Um diese Zustände aktiv anzugehen, soll es ein staatlich subventioniertes Umschulungsprogramm für Care-Berufe geben, das Perspektiven für Arbeitnehmer*innen, aber auch für die Gesellschaft, die elementar auf diese Branchen angewiesen ist, schafft.
  • Außerdem sind Bund, Länder und Kommunen in der Pflicht für eine bedarfsgerechte und kostenlose Betreuungsstruktur zu sorgen, die auch in Krisenzeiten oberste Priorität hat.
  • Und schließlich braucht es endlich eine konsequent feministische Sozialstaatspolitik, die Frauen unabhängig von einem möglichen Partner gegen Lebensrisiken absichert.

Perspektiven für die junge Generation

Die bessere Normalität braucht auf jeden Fall ein Zukunftsversprechen an die junge Generation. Die Pandemie hat viele junge Menschen in unterschiedlichster Art und Weise betroffen und wir wollen auch hier unsere Lehren für die Zukunft ziehen sowie bereits bestehende Forderungen nochmals bekräftigen.

Zum einen hat sich die Landesregierung dilettantisch verhalten, wenn es um die Unterstützung der Schulen und Aufrechterhaltung der Bildung ging. Unzureichende und sich ständig ändernde Anweisungen waren an der Tagesordnung. Schulen wurden häufig allein gelassen und es gab kaum ein Konzept, wie der Ablauf weiterhin garantiert werden kann. Es zeigte sich, dass gerade Kinder und Jugendliche aus finanziell schwachen Haushalten mal wieder die Leidtragenden waren. Wer kein digitales Endgerät und eigenes Zimmer besitzt, litt besonders unter den Umständen. Wieder einmal wurde klar, dass der Zugang zur Bildung vom Geldbeutel abhängig ist. Wir brauchen endlich gleichberechtigte Konzepte, um gute Bildung für alle zu ermöglichen sowie eine gute, digitale Ausstattung, die gleichberechtigten Zugang auch von zu Hause ermöglicht.

Zum anderen hat auch die Bundesbildungsministerin bewiesen, wie egal ihr Studierende sind. Die existenziellen Ängste wurden über Monate hinweg ignoriert und mit der schlecht organisierten Soforthilfe kam viel zu spät ein Angebot, was durch hohe bürokratische Hürden und mit viel zu wenig Geld keine echte Hilfe war und junge Menschen im Studium allein gelassen hat. Anstatt das BAföG für notleidende Studierende zugänglich zu machen, wurden viele nun in die Schuldenfalle geschickt. Es hat sich wieder gezeigt, dass ein elternunabhängiges BAföG für ein gleichberechtigtes Studium wichtig und existenzsichernd ist.

Auch in Hinblick auf die Ausbildungen muss gehandelt werden, diese dürfen nicht unter der Pandemie leiden – weder in der Qualität noch in der Quantität. Wir stellen uns dabei hinter die Forderungen der DGB Jugend. Entlassungen von Auszubildenden müssen verhindert werden, die Verbundausbildung muss gestärkt werden, die Lohnfortzahlung muss gewährleistet sein, Abschlussprüfungen müssen stattfinden und Übernahmen müssen abgesichert werden. Außerdem muss eine Corona-Delle beim Ausbildungsstart verhindert werden, es braucht daher ein Sonderprogramm zur Ausbildungssicherung zum Beispiel in Form eines Solidarfonds Ausbildung.

Weiterhin sind auch junge Beschäftigte besonders von der Krise betroffen. Kettenbefristungen dürfen nach der Krise nicht die Norm werden, unsere Forderung, sachgrundlose Befristungen abzuschaffen, bleibt bestehen. Es darf nicht wieder zu einer Jugendarbeitslosigkeitswelle kommen, daher muss auch die europäische Jugendgarantie besser ausgestattet werden, um wirklich sinnvoll zu wirken.

Kommunen

Die bessere Normalität braucht starke, handlungsfähige Kommunen. In den Kommunen wird derzeit eine wahnsinnig intensive Arbeit geleistet. Im deutschen Föderalismus sind es die Kommunen, die die Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung umsetzen müssen. In den kommunalen Krisenstäben, den Ordnungsbehörden und erst recht in den kommunalen Krankenhäusern wird ein großer Anteil zur Bewältigung der Krise geschafft.

Dabei kommen finanziell schwierige Zeiten auf die Kommunen zu: Für viele Verwaltungen sind zum Beispiel Ausgaben notwendig, um in der Corona-Zeit digital arbeitsfähig zu sein. Die Digitalisierung der Verwaltungen kann dabei als Chance für die Zukunft gesehen werden. Gleichzeitig droht aber durch die bevorstehende Rezession ein Einbruch der Gewerbesteuern.

Dabei sind es gerade die Kommunen, auf die es in der Nach-Corona-Zeit ankommen wird. Nicht nur, weil ein Großteil der Investitionen in den Kommunen getätigt wird. Wenn das öffentliche Leben Stück für Stück wieder hochgefahren wird, wird in den Kommunen ein neues gutes Zusammenleben organisiert werden müssen. Vorstellbar sind etwa Mikrohilfspakete, die den Fortbestand von lokalen, durch den Corona-bedingten Ausfall von Festveranstaltungen oder ähnlichem in finanzielle Schwierigkeiten geratenen Vereinen ermöglichen. Das schließt auch die lokale Kunst- & Kulturszene ein. Um ein Club-Sterben und die reihenweise Schließung von Kulturorten zu verhindern, braucht es auch hier finanzielle Unterstützung und Fördertöpfe für Kleinkunst, damit in unserer besseren Normalität auch ein vielfältiges kulturelles Angebot bestehen bleibt. Dafür muss die finanzielle Handlungsfähigkeit der Kommunen schnell hergestellt werden.

Stärker aus der Krise zurückkommen heißt für uns mit Blick auf die Kommunen:

  • Die Corona-Krise zeigt erneut: Die Gesundheitsversorgung gehört in öffentliche Hand. Der Bund sollte einen Topf auflegen, der es Kommunen ermöglicht, private Krankenhäuser zu kommunalisieren.
  • Viele Kommunen leiden unter der erdrückenden Last der Altschulden. Für diese Kommunen braucht es eine schnelle Übernahme der Altschulden durch Bund und Länder in Form eines Altschuldentilgungsfonds.
  • Eine schnelle grundsätzliche Reform der Kommunalfinanzierung muss die Kommunen aus ihrer Abhängigkeit von der Gewerbesteuer lösen. Mögliche konkrete Maßnahmen dazu wären:

o           Eine Heraufsetzung des kommunalen Anteils bei noch zu bestimmenden Gemeinschaftssteuern zur Stärkung der Investivkraft der Kommunen ist zu prüfen.

o           Unser Ziel ist eine Harmonisierung der Gewerbesteuer-Hebesätze. Zur Erreichung dessen ist ein Mindesthebesatz geeignet. Dieser muss so gesetzt werden, dass er den Landes- und Bundesschnitt effektiv anhebt. Zur Realisierung dessen sollte eine angemessene Karenzzeit gewählt werden. Die Kommunen, welche auf einen absehbaren Zeitraum von den Änderungen betroffen sein werden, benötigen eine Übergangszeit, in welcher sie ihren Haushalt umstellen können. Denkbar wäre auch eine stufenweise Anhebung eines Mindesthebesatzes. Da es sich um ein bundesweites Problem handelt, wäre ein bundesweit koordiniertes Vorgehen am sinnvollsten. Aufgrund der Erfahrungen mit dem Föderalismus und angesichts der aktuellen politischen Konstellationen in den einzelnen Bundesländern, kann dies jedoch keine Bedingung sein.

o           Die Finanzierung der Landschaftsverbände in Nordrhein-Westfalen ist zu reformieren. Nordrhein-westfälische Kommunen haben im Ländervergleich darunter zu leiden, dass sie in erheblichem Maße die Kosten für die Landschaftsverbände tragen, während sie in anderen Bundesländern durch den Landeshaushalt finanziert werden. Im Landschaftsverband Westfalen-Lippe wird der Haushalt zu zwei Dritteln aus Beiträgen (Landschaftsumlage) der Landkreise und kreisfreien Städte finanziert. Künftig sollte der kommunale Anteil nicht über 50 Prozent liegen.

o           Die kommunale Selbstverwaltung ist als zentrales Prinzip unseres Staatsverständnisses zu wahren und zu fördern. Der Tendenz zu auf Landes- und Bundesebene entwickelten „Projektrastern“, denen sich die Kommunen für Zuschusszahlungen zwangsläufig unterordnen, muss entgegengewirkt werden. Insbesondere muss die Zuweisung von Landes- und Bundesmitteln um auch kommunalen Prioritäten gerecht zu werden verstärkt über Schlüssel und Grundzuweisungen erfolgen. Trotzdem stellen solche „Projektraster“ von Bund und Land einen wichtigen Gegenpol zu kommunal bedingten Unterschieden bei der Erreichung von, auch in diesem Antrag dargestellten Zielen, wie die Förderung von Aus- und Weiterbildung dar. Bei ihrer Erarbeitung müssen die Kommunen jedoch viel mehr einbezogen werden. Es muss eine Kommunikationsstelle zwischen Bund, Land und Kommunen gefunden werden, die die Kommunen gleichwertig an der Erarbeitung solcher Raster beteiligt.

Europa reformieren – Renationalisierung verhindern

Die bessere Normalität braucht schließlich auch ein besseres Europa. Die Europäische Union spielt bei der Bekämpfung der Corona-Krise nur eine untergeordnete Rolle. Die nationalen Alleingänge bei den Grenzschließungen und die fehlende Garantie, dass der Schengen-Raum nach Corona wieder geöffnet werden, zeigen, in was für einer Gefahr sich die europäische Idee befindet.

Als Konsequenz aus der Krise muss die Europäische Union ihre Integration vorantreiben, auch, um eine Renationalisierung zu verhindern. Eine weitergehende Integration darf aber nicht ziellos alle Bereiche des politischen Lebens betreffen, sondern muss sich auf die Bereiche konzentrieren, in denen jetzt ein gemeinsames europäisches Vorgehen benötigt wird. Neben der Außenpolitik (auf die hier nicht näher eingegangen werden soll) sind das die Entwicklung einer gemeinsamen Wirtschafts- und Finanzpolitik, die soziale Absicherung, Migrationspolitik und der Kampf gegen den Klimawandel.

Stärker aus der Krise zurückkommen heißt für uns europäisch konkret:

  • Euro-Bonds können verhindern, dass die Corona-Krise die besonders schwer betroffenen Staaten in die finanzielle Handlungsunfähigkeit treibt. Das aktuell diskutierte Wiederaufbauprogramm, das durch eine Kreditaufnahme über die EU-Kommission und damit durch die regulären Beiträge der Mitgliedsländer finanziert wird, ist dabei ein Schritt in die richtige Richtung.
  • Eine weitere schnelle Reform der Eurozone muss gezielte Investitionen ermöglichen, um wirtschaftliche Ungleichgewichte ausgleichen zu können.
  • Maßnahmen gegen das massive Ungleichgewicht der Außenhandelsbilanzen sind gerade in der Krise notwendig. Das heißt in erster Linie eine Stimulierung der Binnennachfrage in Staaten mit hohen Exportüberschüssen wie Deutschland.
  • Die EU braucht dringend einen Regionalentwicklungsplan für Süd- und Osteuropa. Die noch immer unter der Eurokrise leidenden südeuropäischen und viele osteuropäischen Staaten haben eine deutlich geringere ökonomische Komplexität als etwa Deutschland. Dieser strukturellen Ungleichheit der Produktionsbedingungen muss gegengesteuert werden.
  • Die EU sollte eine eigene Gesellschaft zur Produktion von Wasserstoff
  • Die EU muss als Konsequenz aus den Lehren der Corona-Krise gemeinsame gesundheitspolitische Ansätze entwickeln. Mehr Unabhängigkeit von Lieferketten bei Medikamenten wäre etwa ein Thema, das sich gut gemeinsam europäisch angehen lässt.
  • Auch nach Corona wird die globale Migration nicht nachlassen. Es braucht schnell ein unkompliziertes über die Kommunen laufendes Verfahren zur Verteilung von vor Krieg, Verfolgung und Elend fliehenden Menschen. Gerade die Verbesserung der katastrophalen Zustände in Moria sollte dabei oberste Priorität genießen. Das kürzlich vorgestellte Prinzip der „verpflichtenden Solidarität“, das vor allem mehr Abschottung bedeutet, lehnen wir vor diesem Hintergrund ab.

Fazit

Die Corona-Krise hat uns in den verschiedensten Bereichen – politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich – gezeigt, dass wir nicht einfach weitermachen können wie bisher. Sie hat aber nach Jahren des Stillstands auch die enorme Handlungsfähigkeit von Politik unter Beweis gestellt. Wir können und wir als Jusos werden unser Zusammenleben neu gestalten. Letztlich geht es um die Frage, wie wir eigentlich leben wollen. Und für uns ist dabei klar, dass die neue Normalität nicht die alte sein darf. Sorgen wir durch einen progressiven Politikentwurf dafür, dass sie eine bessere sein wird!

U2 H2-Energie – saubere Technologien in den Alltag bringen

9.09.2020

Die Energiewende bis zum Jahr 2050 ist gesetzt und die Zeit läuft. Um eine Wende auch im Straßenverkehr erreichen zu können, reicht es allerdings nicht auf elektrische Batterietechnologie zu setzten. E-Autos haben nur eine begrenzte Reichweite, brauchen immer noch lange zum Laden, die Herstellung und vor allem der Abbau von Lithium verursacht starke Umwelt- und Sozialprobleme, ebenso die Entsorgung der Batterien. Aufgrund dessen müssen wir auf andere, saubere Technologien zur Mobilität setzten.

Eine dieser sauberen Technologien ist die Wasserstofftechnologie. Bei dieser wird Wasserstoff in einem katalytischen Prozess in einer Brennstoffzelle gemeinsam mit Sauerstoff zu Strom umgewandelt. Durch diese Technologie kann ökologischer Strom hergestellt werden. Allerdings ist es wichtig, dass der Wasserstoff, der zu Energie wird, grüner Wasserstoff ist, also durch erneuerbare Energien produziert wird.

In der aktuellen Situation der stockenden Energiewende und der schnellen Voranschreitung des Klimawandels müssen wir auf neue, ökologische Technologien setzten. Die Wasserstofftechnologie ist in vielen Bereichen anwendbar. Sie kann sowohl als Antrieb für Autos genutzt werden, die in nur 4 Minuten vollgetankt sind und schon heute Reichweiten von über 550km besitzen, als auch für die Industrie oder für neue Heizsysteme im Wohnbereich.

Auch die Bundesregierung hat das Potenzial dieser neuen Form der Energiegewinnung bereits entdeckt und eine H2-Strategie auf den Weg gebracht. Diese H2-Strategie hat das Ziel die Wasserstofftechnologie in Deutschland voran zu bringen. Dies erfolgt sowohl anhand von äußerst großzügigen Fördertöpfen, die bereit gestellt werden, als auch durch einen neu eingerichteten Rat, der die Ausbreitung der Technologie zusätzlich weiterentwickeln soll.

Allerdings reicht uns das noch nicht! Daher fordern wir konkretere Maßnahmen, um diesen Energieträger der Zukunft zu fördern.

Wir fordern,

  • dass Städte, Gemeinden, Kreise und Körperschaften des öffentlichen Rechts ihre Fuhrparks bis 2030 auf Wasserstofffahrzeuge umrüsten,
  • eine entsprechende Wasserstofftankstelle in der Umgebung schaffen, sodass die Anschaffung eines H2-Fahrzeugs für die Bürger*innen attraktiver wird und
  • dass das Tankstellennetz der H2-Tankstellen auch außerhalb der Innenstädte ausgebaut wird.

All diese Forderungen sind durch die neue H2-Strategie der Bundesregierung finanziell tragbar und bedeuten einen wichtigen Schritt hin zu emissionsfreien Straßenverkehr.

D4 Den 9. Mai zum Europatag erklären

9.09.2020

Europa ist ein großer – aber vor allem außerhalb der Europawahlen – leider zu unbeachteter Teil unseres Lebens. Die Privilegien, die wir durch die Europäische Union erhalten haben, aber auch die Probleme, die es innerhalb und um die EU gibt, werden viel zu oft entweder einfach so hingenommen oder aufgrund zu geringen Wissens nicht beachtet. Deswegen fordern wir, den 9. Mai als Europatag zum gesetzlichen Feiertag in NRW zu erklären, um damit der “Schuman-Erklärung”, eine Rede des ehemaligen französischen Außenministers Robert Schuman (am 9. Mai 1950 in Paris), aus der die sogenannte Montanunion hervorging, zu achten.

Durch die Einführung eines Europatages soll daran erinnert und das Gefühl gestärkt werden, dass wir alle auch Europäer*Innen sind, und damit entschieden für eine humanistische Wertvorstellung und den europäischen Zusammenhalt einstehen. So können wir auch ein Signal gegen populistische und nationalistische Bewegungen setzen, die zu heutigen Zeiten leider immer häufiger auftreten.

S9 Deklarationspflicht der Inhaltsstoffe von Menstruationsartikeln

9.09.2020

Jede menstruierende Person hat durchschnittlich 2000 Tage im Leben ihre Menstruation. Trotzdem fehlt es an Transparenz über Gesundheits- und Umweltverträglichkeit von Menstruationsartikeln: Die Inhaltsstoffe von Tampons, Binden, Menstruationstassen und Co. müssen auf der Verpackung nicht angegeben werden. Ein Grund dafür könnte in der immer noch vorherrschenden Tabuisierung der Menstruation liegen.

Die fehlende Deklarationspflicht der Inhaltsstoffe kann zu schweren allergischen Reaktionen führen. Ausschläge, Pilze und Entzündungen können auftreten. Dies kann umgangen werden, wenn sie vorab wissen, welche Inhaltsstoffe und Zwischenprodukte im gewählten Menstruationsartikel enthalten sind.

Daher fordern wir eine Deklarationspflicht der Inhaltsstoffe und Zwischenprodukte auf allen Menstruationsartikeln, äquivalent zu den Inhaltsangaben bei Lebensmitteln. Potentiell allergene und schädliche Stoffe sollen dabei gesondert hervorgehoben werden.

D3 Rassismus gehört nicht auf die Straße! Im wahrsten Sinne des Wortes

9.09.2020

Nach dem grausamen und rassistisch motivierten Mord mehrerer Polizisten an dem US-Amerikaner Georg Floyd wurden weltweit antirassistische Proteste laut. Im Zentrum steht dabei die Black-Lives-Matter-Bewegung, welche die Stimmen der von Rassismus betroffenen Menschen sichtbar macht und sich stark gegen Rassismus engagiert. Im Rahmen dieser Proteste kam es auch dazu, dass Statuen, welche mit Rassismus in Zusammenhang gebracht werden, gestürzt wurden. So zum Beispiel die Statue eines Sklavenhändlers in Bristol, welche im Hafenbecken landete. Aber auch hier in Deutschland finden antirassistische Proteste statt und besonders um Straßennamen wurde die Diskussion wieder neu belebt. Wir Jusos sind ein antirassistischer Verband, darum solidarisieren wir uns mit der Black-lives-matter-Bewegung!

Auch Deutschland hat eine Kolonialgeschichte. Das Deutsche Kaiserreich hat sich ab 1884 Kolonien in Ostafrika, Ozeanien und Ostasien angeeignet. Diese Kolonialzeit war geprägt von Menschenrechtsverletzungen und Ausbeutung. Der durch das deutsche Kaiserreich verbrochene Genozid an den Herero und Nama stellt heute wie damals eine Zäsur dar. Weiterhin wurden viele grausame Kriege gegen die indigene Bevölkerung der Kolonien geführt. Diese grausame Kolonialgeschichte ist den meisten Menschen in Deutschland nur vage bekannt. Allein deshalb muss eine ausführliche und breite Aufarbeitung der Kolonialgeschichte Deutschlands stattfinden. Diese Aufarbeitung muss sich maßgeblich mit den deutschen Verbrechen und Grausamkeiten und den bis heute währenden Folgen wie der Ausbeutung ehemaliger Kolonialgebiete und Rassismus auseinandersetzen und unsere historische Verantwortung deutlich machen.

Ein besonders großes Problem diesbezüglich ist die Reproduktion vom kolonialistischen Denken und von Rassismus durch Straßennamen und anderen Benennungen. Viele Straßen sind nach Menschen, die maßgeblich an den Kolonialverbrechen beteiligt oder federführend waren, benannt und lassen ihnen dadurch eine unreflektierte Ehrung zukommen. Damit werden die Verbrechen der Kolonialzeit in Deutschland weiterhin geehrt. In Münster z.B. der Lüderitzweg. Aber auch explizit rassistische Begriffe finden ihren Platz. Da Rassismus ein omnipräsentes Problem ist, muss eine kritische Auseinandersetzung mit dem Problem stattfinden. Dazu gehört auch die Umbenennung aller Straßen, Plätze, Geschäfte etc., die nach Kolonialverbrecher*innen, NS-Verbrecher*innen oder explizit rassistischen Begriffen benannt sind.

Besonders wichtig ist hierbei die Berücksichtigung und Anerkennung der Perspektiven Betroffener. In der Diskussion werden Stimmen von BPoC laut, welche sich klar für eine Umbenennung aussprechen. Wenn von Rassismus betroffene Menschen sich durch Begriffe und Straßennamen diskriminiert und verletzt fühlen, dann obliegt der weißen Mehrheitsgesellschaft nicht die Deutungshoheit über diese Wörter. Stattdessen muss eine Auseinandersetzung mit Ursprung, Hintergrund und Verwendung dieser Wörter stattfinden. Dazu gehört ggf. auch diese Wörter nicht mehr zu verwenden. Dies hat nichts damit zu tun, dass die Geschichte unsichtbar gemacht werden soll. Im Gegenteil: die Geschichte soll durch die Anerkennung der Betroffenenperspektiven und der Diskussion um Umbenennungen endlich sichtbar gemacht werden. Dabei müssen Betroffene in der Diskussion besonders gehört und supportet werden. Es gibt zahlreiche Verbände und Organisationen für von Rassismus betroffene Menschen, wie z.B. die Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland. Wenn diese sich zur Debatte äußern, dürfen sie nicht ignoriert werden. Einhergehend mit der Umbenennung sollen auch Gedenk- und Informationstafeln aufgestellt werden, welche die Umbenennung erläutern. So wird die Geschichte nicht versteckt, aber auch der Rassismus nicht weiter reproduziert. Die Umbenennung soll entweder in neutrale Straßennamen erfolgen oder die Namen von Opfern und Betroffenen von Rassismus tragen oder von bekannten BPoC wie z.B. Anton Wilhelm Amo, der erste deutsche Gelehrte mit afrikanischer Herkunft. In Münster wird deshalb die Umbenennung der “Danziger Freiheit” in “May-Ayim-Platz” gefordert. Dadurch sollen die empowert werden, die jahrhundertelang diskriminiert wurden und leider immer noch werden.

Sowohl die Aufarbeitung der Kolonialgeschichte, als auch die Auseinandersetzung mit Rassismus wird nicht leicht. Dazu gehört unabdinglich auch die Reflexion und Auseinandersetzung von weiß gelesenen Personen mit ihren eigenen Privilegien. Das wird wehtun und ein harter Prozess, dennoch gibt es dazu keine Alternative. Der antirassistische Kampf ist ein Kernanliegen von uns als Jusos, deshalb werden wir immer für eine diskriminierungsfreie Welt und gegen Rassismus kämpfen!

Darum fordern wir:

  • eine kritische Auseinandersetzung und Aufarbeitung der Kolonialgeschichte Deutschlands.
  • die Umbenennung aller Straßen, Plätze, Geschäfte und Orte, welche explizit rassistische Begriffe beinhalten oder nach Menschen benannt sind, die an den deutschen Kolonialverbrechen, NS-Verbrechen und anderen Menschenrechtsverletzungen beteiligt waren.
  • die Benennung dieser Straßen, Plätze, Geschäfte und Orte nach Opfern und Betroffenen von Rassismus und rechter Gewalt.
  • Gedenktafeln, welche die Umbenennungen erläutern und das Problem des Rassismus und den historischen Hintergründen aufarbeiten.
  • die Beteiligung anti-rassistischer Akteur*innen aus Zivilgesellschaft und Wissenschaft bei der Umsetzung dieser Maßnahmen
  • innerhalb der Umbenennungsdebatte eine klare Positionierung auf Seite der von Rassismus betroffenen Menschen.
  • unbedingte Solidarität mit allen von Rassismus betroffenen Menschen.

I3 Radikalisierung durch Dark Social ernstnehmen und angehen

9.09.2020

Corona hat auf viele Probleme, die wir in der Gesellschaft und Deutschland haben, das Brennglas geworfen. Mittlerweile sind die Namen von besonders lauten Verschwörungserzählern (nein, hier muss nicht gegendert werden) deutschlandweit bekannt und sie scheinen gerade im Netz immer mehr Menschen von ihren kruden Ideen und ihrer rechten sowie menschenverachtenden Ideologie zu begeistern. Doch dies ist natürlich kein neues Problem, so war das Internet sehr schnell ein Ort, der rechte Menschen aus ganz Deutschland mühelos zusammenbringt – und vor allem eben radikalisiert. Unsere Aufgabe als antifaschistischer Verband ist es, diese Entwicklungen im Blick zu haben und politisch darauf zu reagieren.

Was ist Dark Social? 

Eine besondere Rolle bekommt immer mehr das „Dark Social“. Dabei handelt es sich um den Teil vom Internet, den wir alle täglich nutzen – Messengerdienste, Mails, bspw. geschlossene Facebook-Gruppen. Jene Teile, die nicht öffentlich oder nur teilöffentlich sind. Gerade Telegram hat in den letzten beiden Jahren eine enorme Bedeutung für die rechte Szene bekommen. Hier können ungefiltert und unmoderiert rechte Gedanken ausgetauscht werden. Durch die fehlende Einordnung, wie es etwa bei Facebook, Instagram oder YouTube allein durch die Anwesenheit von anderen Nutzer*innen teilweise geschieht, befeuern Telegram-Gruppe eine schnelle Radikalisierung. Ein hohes Identitätsgefühl durch die Gruppe, eine schnelle gefühlte persönliche Bindung zu den Hauptakteur*innen sowie den Anschein von Privatheit, stoßen Menschen immer mehr in ein rechtes Denken, wo rechte Behauptungen, Erzählungen etc. nicht mehr hinterfragt werden. Zudem kommt es zu Aufrufen, die verbale Gewalt im digitalen Bereich auch zu realer Gewalt auf der Straße umschlagen lassen. Dies alles gilt es dringend zu verhindern und zu bekämpfen.

Verantwortung von Sicherheitsbehörden

Um diese Entwicklungen im Blick zu haben, müssen die Sicherheitsbehörden diese auch endlich ernstnehmen. Rechte Strukturen ändern sich permanent und diese Veränderungen müssen auch von Sicherheitsbehörden begleitet werden, wenn Deutschland es ernstmeint mit dem Kampf gegen Rassismus und rechtes Gedankengut. Unser Bekenntnis als Jusos ist dabei ganz klar, dass dies aber niemals mit einer Einschränkung der allgemeinen Freiheitsrechte einhergehen darf. Sicherheitsbehörden dürfen nicht noch mehr und eigentlich keine Befugnisse auf Privatnachrichten erhalten, indem sie zum Bespiele Ende-zu-Ende-Verschlüsselungen problemlos übergehen und knacken dürfen. Dies ist unter anderem auch gerade bei Telegram nicht notwendig, da die meisten Kanäle öffentlich zugänglich sind. Allerdings sind trotzdem Schritte von Seiten der Sicherheitsbehörden dringend notwendig. Zuerst muss das Problem erkannt und ernstgenommen werden. Es braucht mehr Investitionen in Ausbildung und Personal, um solche Entwicklungen im Blick zu haben und um eine Überwachung dieser Gruppen personell stemmen zu können. Zusätzlich braucht es auch mehr finanzielle Mittel für Forschung, um eine wissenschaftlich fundierte Arbeit zu ermöglichen. Und nicht zuletzt müssen Bedrohungen, die von Rechten aus dem Netz an Privatpersonen und für die Allgemeinheit ausgehen, von der Polizei konsequent verfolgt und nicht von jenen bagatellisiert werden. Nur wenn die Polizei ihre Verantwortung wahrnimmt, können die Täter*innen endlich auch Konsequenzen spüren für ihr menschenverachtendes und bedrohendes Verhalten online.

Verantwortung von Social-Media-Konzernen und Messengerdiensten

Doch die Verantwortung geht nicht allein von Sicherheitsbehörden aus. Auch die Social-Media-Konzerne und Messengerdienste müssen sich ihrem Beitrag bewusstwerden und sich zuallererst vor allem an geltende Gesetze halten. Dafür ist es von wichtiger Bedeutung, dass es auf europäischer Ebene endlich einheitliche Regelungen gibt, die Konzerne, vor allem aus Nicht-EU-Ländern, in die Schranken weisen. Vor allem Telegram, ein russischer Anbieter, steht stark in der Kritik, da es hier kaum Schritte zur Bekämpfung von den beschriebenen Problemen gibt. Dass die Anbieter nicht machtlos sind, zeigen die ersten Maßnahmen von beispielsweise WhatsApp, YouTube und Instagram. So beschränkt beispielsweise WhatsApp die Weiterleitungsfunktion und markiert diese Nachrichten auch, um Falschmeldungen zu bändigen, außerdem wurden Gruppengrößen beschränkt. Für viele Rechte ist Telegram eine Ausweichplattform geworden, wenn sie von anderen Kanälen gelöscht wurden, zum Beispiel im Fall der Identitäten Bewegung. Es braucht allerdings bei allen Plattformbetreiber*innen mehr Transparenz und Konsequenz, wenn es um die Sperrung von Accounts geht, die gegen die Richtlinien verstoßen, um rechte Accounts auch langfristig zu bekämpfen. Denkbare wäre ebenfalls Falschinformationen zu markieren, z.B. durch eine Einblendung bei YouTube und die Richtlinien zu erweitern, so dass bspw. auch Videos mit antisemitischen Inhalten oder Verschwörungserzählungen gelöscht werden können. Ein weiterer wichtiger Schritt wäre ebenfalls die Demonetisierung, damit solche Inhalte nicht sogar Geld für ihre Falschinformationen bekommen. Dies ist nur ein Teil von möglichen Maßnahmen. Es bedarf jedoch dringend eines Handelns, vor allem von staatlicher Seite, um die Konzerne zu Maßnahmen zu bewegen.

Weitere Informationen und Quellennachweis: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/podcast-11dark-social-59757/

S7 Verhütung ist Frauensache?! - Ein Aufschlag für gerechte Verhütung

9.09.2020

Die Pille feiert 2020 ihren 60. Geburtstag. Sie war damals ein historischer Gewinn der Frauenbewegung, sie ermöglichte damals eine sexuelle Revolution. Weibliche Sexualität wurde offener diskutiert, Familienplanung konnte selbstbestimmt stattfinden. Inzwischen ist die Pille eines der weit verbreitetsten Verhütungsmittel; insbesondere bei jungen Frauen. Seit ihrer Erfindung hat sich zwar gesellschaftlich vieles geändert, aber die Pille ist nicht die feministischste aller Errungenschaften.

Kondom und Pille sind heutzutage die am meisten genutzte Verhütungsmethode. Dabei gibt es inzwischen verschiedene Arten der Verhütung. Zu diesen gehören hormonelle, mechanische, chemische, natürliche und die operative Methode. Viele dieser Optionen werden von Frauen wahrgenommen. Männer haben die Möglichkeit Kondome zu nutzen oder eine Vasektomie durchführen zu lassen. Ein riesiges Ungleichgewicht ist hier zu finden.  In Anbetracht dessen, dass Nebenwirkungen, anfallende Kosten und Verantwortung (meist) von der Person getragen wird, die das Verhütungsmittel benutzt, sind besonders Frauen davon betroffen, nehmen doch gerade sie mehrheitlich hormonelle Verhütungsmittel.

Nebenwirkungen

Die Pille als hormonelles Verhütungsmittel birgt erhebliche Nebenwirkungen. Dabei geht es von noch relativ harmlosen Kopfschmerzen, Stimmungsschwankungen oder Aggressivität bis hin zu Depressionen oder sogar Suizidalität. Oft werden diese verharmlost und für reinen Profit in Kauf genommen. Dies ist nur ein kleiner Teil der Nebenwirkunge, die Liste könnte noch lange weitergeführt werden.

Wer steckt hinter der Forschung

Ein Vorzeigebeispiel der Strukturen in der Forschung ist Bayer. Laut Webseite sind zwei von 20 Forscher*innen weiblich. [1] Jenapharm, welche Teil des Bayer- Konzerns sind, stellen den Großteil der Pillen und Kondome in Deutschland her. Hier sieht es beim Frauenanteil geringfügig besser aus, im  achtköpfigen Management sitzen zwei Frauen. Die Pille wurde in der Vergangenheit von Männern entwickelt und auch ihre etwaige Fortentwicklung wird hauptsächlich von Männern verantwortet – sofern diese denn stattfinden würde. Somit ergibt sich für die Verteilung von Geldern als auch für die Forschung eine vom Mann dominierte Sichtweise. [2] Um diesen Missstand zu korrigieren ist eine Frauenquote ein geeignetes Mittel.

Dies zeigt sich vor allem problematisch, da die Forschung über Verhütungsmittel sich auf Frauen bezieht. Gleichzeitig werden oftmals Forschungen an männlichen Verhütungsmitteln eingestellt, bei denen sich die Nebenwirkungen für Männer und Frauen gleichen. Es lässt sich vermuten, dass die männerdominierte Forschung mehr Verständnis gegenüber Beschwerden von Männern als von Frauen zeigt.

Trotzdem gibt es einzelne Forschungsprojekte, die versuchen neue Verhütungsmethoden für den Mann zu etablieren. Diese werden jedoch zumeist beendet, weil sie sich als nicht rentabel erweisen.

Ein Bespiel hier ist wie Bayer die Schering AG eingekauft hat und eine laufende Forschung die „in der klinischen Studie als […] wirksam und mit tolerierbaren Nebenwirkungsprofil“ beschrieben wurde aufgrund eines „unangenehmen Anwendungsschemas“ nicht auf den Markt brachte, da man davon ausging, dass sie nicht angenommen werden würde. [3] Die Nebenwirkungen sind Männern nicht zuzumuten. In der Tat, etliche – zum Teil sehr unangenehme und gefährliche – Nebenwirkungen sind Grund genug, ein Medikament nicht auf den Markt zu bringen. Doch genau dies war doch auch bei der Pille der Fall.

Unser Anspruch an die Forschung ist aber ein anderer. Patriarchale Forschungskreise müssen durchbrochen werden. Forschung kann nie frei sein von einem subjektiven Blickwinkel. Es muss allerdings dafür gesorgt werden, dass durch Diversität der Forschenden ein so objektiver Blickwinkel wie möglich garantiert ist. Solange Frauen die Hauptverantwortung über funktionierende Verhütung tragen, sollte garantiert sein, dass diese als Betroffene gehört werden. Nebenwirkungen von ihnen müssen genauso gewertet werden wie die von Männern. Dabei ist uns auch bewusst, dass das Ziel ist Verhütungsmittel zu entwickeln, die so wenig Nebenwirkungen wie möglich haben. Zudem muss auch die Forschung in Richtung männlicher Verhütungsmittel vermehrt werden, sodass diese benutzt werden können.

Profitgeilheit und Kapitalismus

Durch die Privatisierung von Pharmakonzernen liegt der Profit bei diesen im Vordergrund. Für die Pharmaindustrie zeigt sich kein Grund neue Verhütungsmittel auf den Markt zu bringen, solange die bisherigen genug Profit hervorbringen. D.h., dass Projekte, Forschungen, etc. sobald der Verdacht besteht, dieser Logik nicht zu folgen, eingestellt werden. Oftmals wird fehlendes Interesse von Männern als Grund angegeben.

Wir verstehen Verhütungsmittel als Bestandteil medizinischer Produkte. Sie funktionieren als Vorsorge gegenüber STIs Bei bestimmten Krankheiten ist die Pille ein Medikament unabhängig von der Verhütung. Gesundheitsvorsorge gehört für uns nicht in die private Hand. Die Forschung nach verträglichen Verhütungsmitteln darf nicht an der Finanzierung scheitern. Als Jungsozialist*innen fordern wir eine Forschung, die, nicht der Logik des Profits folgen darf. Bis eine Entprivatisierung der Pharmakonzerne gelingt, sehen wir uns aber auch dazu verpflichtet, die Pharmaindustrie zu verpflichten mehr Mittel in die Forschung nach alternativen Verhütungsmitteln einzusetzen. Diese liegen bei ca. 20% des gesamten Budgets. Bei Verhütungsmitteln ist dies deutlich geringer, dies soll angeglichen werden, damit mehr Ressourcen dafür genutzt werden, dass es für alle Geschlechter Verhütungsmethoden gibt, die mit möglichst geringen Nebenwirkungen anwendbar sind. Das Geld ist definitiv bei den Konzernen vorhanden, es muss nur richtig verteilt werden, um unseren feministischen Ansprüchen zu gerecht werden.

Gleichzeitig sehen wir auch die Notwendigkeit, dass innovative Ansätze staatlich gefördert werden müssen. Wo Geld fehlt, kann der Staat Abhilfe schaffen. Hierbei muss garantiert sein, dass der daraus entstandene Profit nicht nur dem Unternehmen ausgezahlt wird. Auch der Staat muss von seiner Beteiligung profitieren.

Wie und wo Aufklärung betrieben werden soll

Aufklärung sollte nach professionellem Standard betrieben werden. Geschultes Personal ist dabei eine Prämisse. Doch auch in gynäkologischen Praxen herrscht Zeitdruck. In Beratungsstellen ist dies nicht in dem Ausmaß der Fall. Dort können die Mitarbeiter*innen ausführlich jede*n Patient*in beraten. Durch das geschulte Personal entfällt das Risiko Falschinformationen zu bekommen. Gleichzeitig kann der alleinigen Fokussierung der Pille als Verhütungsmittel entgegengewirkt werden. Durch das Vermitteln an Informationen kann es deutlich leichter fallen, eine andere Verhütungsmethode zu entdecken. Hierbei soll im Fokus stehen, dass diese Methode der eigenen Gesundheit so wenig wie möglich schadet.

Gleichzeitig steht für uns im Vordergrund, dass durch Aufklärung auch das sexuelle Selbstbild immens geprägt wird. Sexualaufklärung muss diskriminierungsfrei sein. Sie ist mehr als Wissensvermittlung, denn Sexualität verstehen wir auch als einen zentralen Baustein der eigenen Identität. Jegliche Aufklärung muss daher frei von Vorurteilen sein.

Wie kommt man an Verhütungsmittel, Wer bezahlt diese?

Das Modellprojekt Biko [4] zeigt wie die finanzielle Übernahme aussehen kann und somit Verhütungsmittel kostenlos bereitgestellt werden. Hierbei wurden Frauen unterstützt, die einkommensschwach waren oder staatliche finanzielle Unterstützung bekamen. Bei dem Projekt konnten Frauen mit dem Rezept für das Verhütungsmittel nach einem Beratungsgespräch bei ProFamilia in der Apotheke das Verhütungsmittel kostenlos erhalten. Bei z.B. einer Spirale wurde diese in der Praxis nach dem Beratungsgespräch eingesetzt. Es zeigte sich, dass eine heterogene Gruppe an Frauen das Projekt in Anspruch nahm. Der Bedarf an einer Kostenübernahme ist also in der breiten Gesellschaft vorhanden. Gleichzeitig gaben diese an, dass sie ohne Kostenübernahme weniger sichere Verhütungsmittel nutzen würden. Hiermit würde die sexuelle Selbstbestimmung deutlich zurückgehen.

Uns Jusos geht dieses Projekt noch nicht weit genug. Verhütung ist eine subjektive, persönliche Entscheidung. Jede*r sollte frei wählen können. Hierzu muss Verhütung kostenfrei sein. Nur so ist eine wahre Entscheidungsfreiheit garantiert, wie die Ergebnisse aus dem Modellprojekt zeigen. Diese Entscheidungsfreiheit ist erforderlich, da jede Person andere Nebenwirkungen, Vorerkrankungen, etc. haben kann, die die Entscheidung beeinträchtigen. Die Überprüfung der finanziellen Situation, wie bei Biko vorgenommen, kann oftmals eine Stigmatisierung hervorrufen. Das Angebot von Verhütungsmitteln und die Beratung sollen so niederschwellig wie möglich konzeptioniert sein. Eine Finanzüberprüfung widerspricht dem. Die Kostenübernahme soll hierbei bundesweit einheitlich geregelt werden. Eine Finanzierung durch das Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ist zu begrüßen. Gleichzeitig sind wir davon überzeugt, dass jede*r selbst einschätzen kann, ob sie*er noch einen weiteren Informationsbedarf hat. Beratungsgespräche sollen freiwillig geschehen und nicht durch den Druck von außen.

 

[1] https://www.bayer.de/de/eine-auswahl-unserer-forscher.aspx (Zugriff: 16.08. 2020 16:30 Uhr)

[2] https://www.jenapharm.de/unternehmen/management-board (Zugriff. 16.08.2020 16: 30 Uhr)

[3] https://www.youtube.com/watch?v=4GtZd4wCX8k&t=760s (Zugriff: 16.08.2020, 16: 30 Uhr)

[4] https://www.biko-verhuetung.de/ (Zugriff: 16.08.2020 18:30 Uhr)

E1 China, die Uigur*innen, Hongkong und Taiwan – progressive Außenpolitik gegen Unterdrückung und Zensur!

9.09.2020

Die Bedeutung Chinas in der internationalen Politik und im Welthandel nimmt immer weiter zu. Oft angekündigt, aber bis heute wohl noch immer nicht Realität geworden, heißt es, dass die Volksrepublik sogar den USA in Zukunft den Rang als dominierende Weltmacht ablaufen könnte. Wo die USA allerdings auch unter einem rechtspopulistischen Präsidenten weiter eine funktionierende Demokratie darstellen, handelt es sich bei China um ein autoritäres Regime unter der Dominanz der kommunistischen Partei. Im Jahr 2019 ist deren autoritärer Charakter gerade am Umgang mit den Uigur*innen in der Provinz Xinjiang und der Politik gegen die Demokratie-Bewegung in Hongkong deutlich geworden. Diese Ereignisse bedürfen einer Einordnung durch uns Jungsozialist*innen, um auf dieser Grundlage auch eine progressive außenpolitische Reaktion gerade von sozialdemokratischen Politiker*innen einzufordern!

Repression und Zensur – eine kurze Einordnung

Die Volksrepublik China entsprach noch nie den marxistischen Idealen, denen sie sich auf dem Papier bis heute verschrieben hat. Beispielhaft hierfür sind die im „Westen“ weithin bekannte jahrzehntelange Unterdrückung der Tibeter*innen und die Niederschlagung der zunächst studentischen Proteste rund um den Tian´anmen-Platz in Peking im Jahr 1989. Gerade jene auf die demokratischen Proteste folgenden Repressionsmaßnahmen gegen Dissident*innen zeigen dabei die Totalität mit der die chinesische Regierung seit Jahrzehnten versucht die Zivilgesellschaft unter Kontrolle zu halten. So wurde die Revolte auf dem Tian´anmen-Platz erst mit militärischer Gewalt niedergeschlagen, dann mit Gefängnis- und Todesstrafen gegen Beteiligte vorgegangen und auch heute noch wird jede Diskussion über die Ereignisse, gerade auch in den sozialen Netzwerken, aufs Schärfste zensiert.

Diese Formen von Zensur und Repression haben unter Staatspräsident Xi Jinping kein Ende gefunden, sondern sich vielmehr den Konflikten und technischen Möglichkeiten des Jahres 2019 angepasst. Das chinesische Internet gleicht nun mehr und mehr einem Intranet aus dem unliebsame Informationen entfernt oder durch Narrative der chinesischen Regierung ersetzt werden. Der Zugriff auf internationale Plattformen wie Google, Twitter oder Wikipedia ist nicht oder nur stark eingeschränkt möglich. Viele Bürger*innen machen einen Screenshot von allem, was auch nur annähernd systemkritisch sein könnte, aus Angst es Minuten später bereits nicht mehr aufrufen zu können. Diese pedantische Informationskontrolle trägt dabei manchmal sogar nahezu komödiantische Blüten, wenn z.B. Winnie Pooh aus dem chinesischen Internet verschwinden muss, da die Ähnlichkeit zu Staatspräsident Xi einfach zu groß sei. Allerdings mögen wir zwar über eine solche Reaktion schmunzeln, für Chines*innen ist es leider täglich bittere Realität.

Die Unterdrückung und Internierung der Uigur*innen

Im Gegensatz zum Umgang der chinesischen Regierung mit den Autonomiebestrebungen in Tibet ist die Politik gegen die ethnische Minderheit der Uigur*innen erst dieses Jahr so richtig in den Fokus der Weltöffentlichkeit gerückt. Dabei hat die Unterdrückung des kulturellen und religiösen Lebens dieses mehrheitlich muslimischen Turk-Volkes nicht erst im Jahre 2019 begonnen. Denn in der Provinz Xinjiang betreibt die kommunistische Partei seit längerem, wie in anderen Landesteilen auch, eine Homogenisierung der Bevölkerung nach Vorbild der Han-Chines*innen, die in der Gänze Chinas die klare Bevölkerungsmehrheit stellen. Diese Politik führte immer wieder zu Unruhen in denen Uigur*innen zum Teil mit Gewalt gegen in die Provinz migrierte Han-Chines*innen vorgingen. Auch  eine Radikalisierung und Fundamentalisierung von einigen Uigur*innen hat in der Vergangenheit zu terroristischen Angriffen unter anderem in Peking geführt. Diese Anschläge nutzte die chinesische Regierung daraufhin immer wieder um ihr Vorgehen in der Provinz Xinjiang zu rechtfertigen.

Dass die chinesische Regierung allerdings mehr tut, als nur gegen fundamentalistische Terrorist*innen vorzugehen, ist spätestens seit dem Leak der „Xinjiang-Papers“ durch die New York Times offenbar. Diese internen Dokumente des chinesischen Regimes lassen Schlüsse auf die Motivation der Staatsführung und das Ausmaß der Repression in der Provinz zu.

Denn das Handeln richtet sich eindeutig gegen weite Teile der Zivilbevölkerung, die freie Ausübung der muslimischen Religion und das Leben nach kulturellen Traditionen der Uigur*innen, aber auch anderer Minderheiten in dieser Region des eurasischen Kontinentes. Dieses Vorgehen kulminiert dabei in der Internierung von wohl mindestens 100.000 bis zu höchsten Schätzungen von einer Millionen Zvilist*innen in Lagern. Letztendlich dienen auch die dazu das Han-Chines*innentum und die Herrschaft der kommunistischen Partei in dieser Außenprovinz der Volksrepublik zu stärken. Eine solche autoritäre Umerziehungspolitik müssen wir Jungsozialist*innen aufs Schärfste verurteilen und den Narrativen widersprechen, die die Lager in ein freiwilliges Angebot oder in ein Vorgehen gegen organisierten Terrorismus umdeuten wollen.

Die Belagerung der Demokrat*innen in Hongkong

Die Uigur*innen spielten auch unlängst bei den Protesten in der chinesischen Sonderverwaltungszone Hongkong eine Rolle. Dort hatten Aktivist*innen die größeren Freiheiten in der ehemaligen britischen Kolonie genutzt, um sich auf einer Protestveranstaltung mit der unterdrückten Minderheit zu solidarisieren.

Dass im Gegensatz zum Rest der Volksrepublik überhaupt gewisse demokratische Freiheiten in Hongkong existieren, liegt in der Geschichte der Metropolregion begründet. Diese wurde erst 1997 Teil Chinas und die Übergabevereinbarung mit den Brit*innen garantiert den Bürger*innen Hongkongs die Beibehaltung von demokratischer Selbstverwaltung und freier Marktwirtschaft auf 50 Jahre. Der bestehende Autonomiestatus ist der autoritären chinesischen Staatsregierung dabei zunehmend ein Dorn im Auge, wird aber auch von progressiven Kräften aufgrund eines in Teilen antiquierten Wahlrechtes und fehlenden sozialen Rechten kritisiert.

Die Ablehnung durch die kommunistische Partei manifestierte sich in der jüngeren Vergangenheit in immer stärkeren Einmischungsversuchen aus Peking. Diese wiederrum riefen vermehrt Gegenproteste aus der demokratisch gesinnten Zivilbevölkerung hervor. Den aktuellen Höhepunkt bilden dabei die diesjährigen Proteste gegen die china-treue Administration von Carrie Lam und ihr Vorhaben eines Auslieferungsabkommens mit der chinesischen Zentralregierung. Für viele Aktivist*innen stellte dies die juristische Unabhängigkeit Hongkongs in Frage und ein Einfallstor für das illiberale Strafsystem des chinesischen Regimes dar.

Auf die zunächst friedlichen Proteste, die weite Teile der Zivilbevölkerung mobilisieren konnten, und ihre Forderung nach freien, allgemeinen und gleichen Wahlen in Hongkong reagierte die china-treue Verwaltung mit außerordentlicher Härte und Offizielle aus Peking drohten mehr oder weniger direkt mit einer militärischen Intervention.

Wir Jungsozialist*innen verurteilen diese autoritäre Repression aufs Schärfste und solidarisieren uns mit den Forderungen der demokratischen Aktivist*innen. Die erfolgreichen Kommunalwahlen sollten ihnen ein Ansporn sein auch im kommenden Jahr weiter für ein demokratisches Hongkong zu kämpfen!

Wie wir unsere Solidarität leben und was wir von progressiver Außenpolitik erwarten

Auf Grundlage dieser Analyse der autoritären Politik der chinesischen Volksrepublik nach innen, wobei auch die Machtprojektion nach außen in Zukunft einer genaueren Betrachtung bedarf, stellen sich gewisse Anforderungen an uns als Verband, eine progressive deutsche und europäische Außenpolitik sowie sozialdemokratische Funktionär*innen:

  • Jungsozialist*innen müssen im Verband über die prekäre Situation der Uigur*innen, der Bürger*innen Hongkongs, aber auch der chinesischen Zivilbevölkerung im allgemeinen aufklären und sich solidarisch an die Seite der Unterdrückten stellen.
  • Dies bedeutet für uns gerade angesichts des bisherigen Desinteresses gegenüber vielen internen Konflikten der Volksrepublik unsere Solidarität auch nach außen zu kommunizieren und in der öffentlichen Debatte für die Sache der Uigur*innen und der demokratischen Aktivist*innen zu werben.
  • Eine deutsche und europäische Außenpolitik nach jungsozialistischen Idealen muss über die eigenen Handelsinteressen hinwegsehen können, um die Menschenrechtsverletzungen durch die chinesische Regierung klar zu verurteilen.
  • Daraus folgt auch, dass es nicht beim Anmahnen der Einhaltung von demokratischen Grundrechten bleiben darf, sondern auch gegenüber China härtere diplomatische Maßnahmen wie die Einrichtung von Sanktionen nicht von vorneherein ausgeschlossen sein dürfen.
  • Schlussendlich ist es gerade an sozialdemokratischen (Außen-) Politiker*innen für ihre Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität weltweit laut einzustehen. Dies muss uneingeschränkt auch für Ereignisse in der chinesischen Volksrepublik gelten.

Lasst uns Jungsozialist*innen mit diesem Antrag ein Zeichen der Solidarität mit den Unterdrückten des Regimes der kommunistischen Partei in China setzen und uns an die Seite der Demokratisierungs- und Pluralisierungsbewegungen in der chinesischen Gesellschaft stellen. Denn unser marxistisches Ideal einer Gesellschaft der Freien und Gleichen lebt von Pluralität und Mitbestimmung!

Ein Hoch auf die internationale Solidarität!

I7 Eine menschliche und rationale Drogenpolitik!

9.09.2020

Eine menschliche und rationale Drogenpolitik!

Die Jusos stehen für ein grundsätzliches Umdenken in der Drogenpolitik und Suchtprävention ein – weg von Kriminalisierung und Prohibition, hin zu einer regulierten Abgabe, die mündigen Konsum ermöglicht, die gesellschaftliche Teilhabe konsumierender Menschen sicherstellt und zum Ziel hat gesundheitliche Risiken zu reduzieren. Wir wollen eine Drogenpolitik, die sich wie die portugiesische Drogenpolitik an dem Satz orientiert: Wer Drogen nimmt, ist nicht kriminell! Und wer nicht kriminell ist, sollte auch nicht wie ein*e Kriminelle*r behandelt werden. Dieses Umdenken betrifft verschiedene politische Bereiche und die konkrete Umsetzung besteht aus mehreren Bausteinen:

Ausgehend vom portugiesischen Modell: Konsum entkriminalisieren

Wir fordern, Drogenbesitz in Eigenbedarfshöhe nicht länger mit Gefängnisstrafen zu belegen. Die Maßnahmen, die Portugal bei Drogenbesitz oder –konsum durchsetzt, reichen von einer Verwarnung über Sozialstunden bis hin zu Bußgeldern. Sanktionen können ausgesetzt werden, wenn keine Abhängigkeit besteht oder der*die Konsument*in im Falle einer Abhängigkeit in eine Therapie einwilligt. Lediglich der Drogenhandel ist in Portugal weiterhin strafbar. Dies zeigt Wirkung: Das portugiesische Modell zeigt, dass die Zahl der Drogengebraucher*innen – insbesondere der jüngeren – abgenommen hat und es weniger Drogentote gibt. Während in Portugal 2015 drei Drogentote auf eine Million Einwohner*innen kamen, waren es in Deutschland 17.

Für Deutschland wünschen wir uns ein rationaleres Modell: Es ergibt für uns keinen Sinn, eine Zwangstherapie durchzuführen, um einem Gefängnisaufenthalt zu entgehen. Eine Therapie kann nur durch Freiwilligkeit zum Erfolg führen. Auch Geldstrafen sind nicht sinnvoll, da viele Betroffene nicht über die notwendigen Summen verfügen und so noch stärker in Richtung Kriminalität gedrängt werden. Wir wollen stattdessen ein System, in dem der Besitz geringer Mengen Drogen zum Eigengebrauch nicht nur – wie in Portugal – für Personen mit dem notwendigen Kleingeld straffrei bleibt, sondern ein System, das Drogenkonsument*innen Entzugsmöglichkeiten anbietet, ohne sie unter Zugzwang zu setzen. Als Konsequenz lehnen wir die juristische Verfolgung von Drogenbesitz – nicht von Drogenhandel – ab.

Mehr Prävention, Aufklärung und besserer Zugang zu Substitution

Flächendeckend muss besser über Suchtgefahren – stoffgebundene wie auch stoffungebundene – aufgeklärt werden. Wir fordern einen Ausbau von und eine Personalaufstockung für Beratungsstellen, die sich an Drogengebraucher*innen bzw. –abhängige und ihre Angehörigen richten. Insbesondere im ländlichen Bereich haben Drogengebraucher*innen und Substituierte keine Anlaufstellen. Dies muss sich ändern. Auch Angebote wie Spritzentausch, Drug Checking und Konsumräume sind grundsätzlich zu verstärken – im ländlichen Raum wie in den Städten! In ihrem Grundsatz müssen die Angebote konsumakzeptierenden Charakter haben, also keine Abstinenz der Besucher*innen einfordern. Nur unter diesen Umständen haben die Maßnahmen das Potenzial, alle Drogengebrauchenden zu erreichen.

Auch über Ausstiegsmöglichkeiten und Substitutionsmöglichkeiten muss allerdings niedrigschwellig informiert werden können: Heroin kann beispielsweise mit anderen Opioiden wie Methadon, Diamorphin oder Codein substituiert, also ersetzt, werden und während eines Entzugs die Entzugserscheinungen mindern, ohne einen Rausch hervorzurufen. Pharmakonzerne besitzen das Wissen und die Befugnis, für einige Drogen Substitute herzustellen, und nutzen diese bereits zur Produktion – Substitute sind also potenziell verfügbar. Über diese und weitere Möglichkeiten gilt es, verstärkt aufzuklären. Die Entscheidung zur Substitution und zur Therapie muss jedoch weiterhin von den Konsument*innen selbst getroffen werden.

Mündigen Konsum ermöglichen, Erwerbsmöglichkeiten regulieren, Beschaffungskriminalität verhindern

Solange Substanzen nur illegal zu erwerben sind, ergeben sich für Konsument*innen gleich mehrere negative Folgen. Erstens werden sie durch die Kriminalisierung ihrer Sucht stigmatisiert und gesellschaftlich ausgegrenzt, nicht zuletzt durch Inhaftierungen aufgrund des Besitzes. Gefängnisaufenthalte sind oft die Folge: Etwa die Hälfte aller Inhaftierten sitzen im Zusammenhang mit Drogenkriminalität ein. Zweitens führt die Illegalisierung der Stoffe dazu, dass Substanzen nur auf dem Schwarzmarkt erworben werden können. Das geht mit gesundheitlichen Risiken einher, denn durch gestreckte Substanzen und unhygienische Konsumbedingungen kommt es leicht zu gesundheitlichen Schädigungen. Diese wären mit einer Wende in der Drogenpolitik absolut vermeidbar.

Wir fordern daher einen regulierten Verkauf bisher illegaler Substanzen. Jugend- und Verbraucherschutz sind hierbei selbstverständlich zu beachten, ein Verkauf an Personen unter 21 Jahren darf nicht stattfinden. Der Verkauf von Drogen darf nur in darauf spezialisierten Geschäften (Drug Stores) erfolgen. Diese können bei staatlicher Regulierung und Kontrolle auch privat betrieben werden. Der Verkauf muss mit einer verpflichtenden Beratung einhergehen, um Konsuminteressierte über die Wirkung und die Risiken von Substanzen zu informieren. Prävention ist insgesamt eine Gemeinschaftsaufgabe aller. Dazu gehört auch, dass nicht nur kurzfristig, sondern auch langfristig durch Aufklärungsmaßnahmen – beispielsweise in der Schule – ein Bewusstsein für die Risiken (sog. Risikokompetenz) zu schaffen, die durch den Drogenkonsum entstehen können. Nur so kann Konsum flächendeckend mündig geschehen. Ein staatlich regulierter Verkauf holt Konsument*innen aus der Illegalität und ermöglicht durch die Abgabe kontrollierter Substanzen einen sicheren Konsum. Gleichzeitig wird der organisierten Kriminalität eine wichtige Einnahmequelle entzogen.

Durch die vorgeschlagenen Maßnahmen werden sich im Bereich der juristischen Verfolgung Einsparungen ergeben. Gleichzeitig kann der Staat aus der Besteuerung in der regulierten Abgabe Einnahmen erheben.

Position von Drogengebraucher*innen bei Entscheidungen berücksichtigen

Bei Entscheidungen bezüglich drogenpolitischer Fragestellungen sind neben wissenschaftlichen Positionen auch die Erfahrungswerte von Streetworker*innen und konsumierenden Personen einzubeziehen. Insbesondere die Positionen der Selbsthilfezusammenschlüsse bieten Einblicke in die Lebensrealität Konsumierender, die in wissenschaftlichen Erhebungen wie z.B. Befragungen nicht oder nur unzureichend erfasst werden können. Auch hierfür ist die Kriminalisierung des Konsums mitverantwortlich. Organisierte Selbsthilfegruppen hingegen besitzen durch ihre oft jahrzehntelange Arbeit ein fundiertes Wissen über die Drogenszene(n) vor Ort, aber auch über Substanzen und Konsum im Allgemeinen.

F6 Kostenlose Periodenprodukte

1.09.2020

Die Landeskonferenz der NRW Jusos möge bitte eine kostenlose Bereitstellung von Periodenprodukten für alle menstruierenden Menschen beschließen und diesen Vorschlag innerhalb der SPD vorantreiben. Diese Produkte sollen zukünftig in Apotheken kostenlos erhältlich sein.