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N7 Staatliche Digitalkompetenz: Der Weg zu ‚Public Money, Public Code‘

10.12.2021

Heutzutage gibt es für (fast) alles eine App. Wir als Jusos begrüßen, dass die zunehmende digitale Entwicklung es begünstigt, dass öffentliche Verwaltungen, Schulen und Anstalten öffentlichen Rechts immer mehr Software verwenden und digitale Dienste und Services anbieten. Das Neuland Internet soll schließlich erobert werden und für uns alle dazu beitragen, dass Verwaltungsakte einfacher, schneller und barrierefreier werden, dass in Schulen digitale Medien richtig beigebracht und genutzt werden können und dass  die staatlichen Medien auch für junge Menschen interessant und modern präsentiert werden. Digitale staatliche Dienstleistungen sollen endlich als tatsächlicher Mehrwert wahrgenommen werden, indem sie attraktive und niederschwellige Angebote für digital souveräne Bürger*innen darstellen. Für uns ist dabei von entscheidender Bedeutung, wie diese Dienstleistungen umgesetzt werden. Unser Anspruch an die Entwicklung von Lösungen der öffentlichen Hand ist, dass diese genauso offen und zugänglich ist, wie unser demokratischer Prozess.

Deshalb ist für uns der Grundsatz, dass diese Softwareanwendungen unter eine freie- und open-source-Lizenz gestellt werden, selbstverständlich und seit 2019 beschlossene Sache, Public Money, Public Code eben.

Die Entwicklung der Corona-Warn-App hat allerdings gezeigt, dass die alte Bundesregierung mit der Umsetzung dieser Standards überfordert war. Dass der von kommerziellen Unternehmen neu entwickelte Teil der App unter die open-source-Lizenz gestellt wurde, haben digitale Aktivist*innen unter anderem von der SPD erwirkt. Dass die App vollständig und ohne proprietäre Komponenten von großen Digitalkonzernen, welche die Grundrechte der Menschen auf informationelle Selbstbestimmung regelmäßig missachten, zur Verfügung gestellt werden kann, hat dann aber erst ein Entwickler*innenteam um den Informatiker Marvin Wißfeld in ihrer Freizeit realisiert.

Dieses Beispiel zeigt vor allem, dass es bei der Softwareentwicklung für öffentliche Zwecke weniger daran hapert, dass die zu lösenden Probleme so kompliziert sind, sondern vielmehr, dass den Entscheider*innen das Wissen über solcher Prozesse fehlt und sie so auch nicht dazu in der Lage sind, unter Umständen sogar sozialdemokratische Werte auf die Entwicklung zu übertragen. Darüber hinaus fehlt es an Kompetenz, um die Auswirkungen, welche die Einführungen dieser Systeme auslösen, abzuschätzen und zu adressieren. 

Deswegen fordern wir die Reformierung des „Informations Technik Zentrum Bund“, welches die Kompetenzen in der Entwicklung von Software und anderen informationstechnischen Systeme vereinigt, um so staatliche Institutionen auf allen Ebenen bei der Umsetzung der „Public Money, Public Code“-Maxime zu unterstützen. Die Beschränkung, dass dieses hauptsächlich Bundesbehörden bedient, führt zu einem Flickenteppich von Insellösungen. Eine Zentralisierung dieser Prozesse hat den Vorteil, dass so grundlegende Systeme nicht mehrfach entwickelt werden müssen. Außerdem bietet sich die Möglichkeit ein umfassendes Ökosystem für die digitalen Dienste der öffentlichen Verwaltung aufzubauen. Zudem kann es Behörden bei der Umsetzung und Erstellung von IT-Systemen beratend zur Seite stehen. Darüber hinaus fordern wir eine Erhöhung der Mittel der Anstalt, um diesem Anspruch gerecht zu werden. Behörden sollen ebenfalls dazu angehalten werden einen kooperativen Ansatz bei der Entwicklung zu verfolgen, zum Beispiel über eine Zweckgemeinschaft auf Bundesebene, die Anforderungen in gemeinschaftlichen Projekten beauftragt oder umsetzt.

Das hat den Vorteil, dass so grundlegende Software nicht doppelt und dreifach entwickelt werden muss. Zudem kann diese Institution Behörden bei der Umsetzung und Erstellung von Software beratend zur Seite stehen und eng mit den kommunalen Rechenzentren zusammenarbeiten. Essentiell für eine solche Institution ist, dass sie in ihrem Aufbau und ihrer Infrastruktur zu dem Arbeitsumfeld von Softwareentwickler*innen passen muss, welches sich stark vom klassischen Arbeitsumfeld in Behörden unterscheidet. Das ist insbesondere notwendig, um mit der hohen Nachfrage nach Informatiker*innen aus der Privatwirtschaft konkurrieren zu können. Neben den festangestellten Entwickler*innen sollte außerdem eine Einbindung bestehender Zusammenschlüsse in der Open-Source-Community angestrebt werden, um den Ideen der Community Raum zu geben und diese zu fördern. Diese Einbindung könnte vom Verfahren ähnlich ablaufen, wie es bei freien Künstler*innen und Journalist*innen im Content-Netzwerk „funk“ geschieht – staatliche Einrichtungen sollen einen Rahmen bieten, die Kreativität der Entwickler*innen aber nicht zu sehr einschränken. Darüber hinaus befürworten wir eine enge Anbindung der Institution an Universitäten, um Informatik-Studierende frühzeitig mit ihr in Kontakt zu bringen. Nur so kann sichergestellt werden, dass es auch möglich ist, Kompetenzen im Bereich der Programmierung anzusiedeln. 

Das Problem an nicht unter open-source-Lizenz entwickelten Apps ist, dass die Bereitstellung der Apps in einem kommerziellen Store erfolgt. Das entspricht zwar der Gewohnheit der Mehrheit der Nutzer*innen, erzeugt aber eine fast schon ironisch anmutende Abhängigkeit von großen Digitalkonzernen. Der Staat ist also gar nicht in der Lage, seinen Bürger*innen die Dienstleistung einer so wichtigen App wie der Corona-Warn-App zu bieten, ohne auf die Mithilfe von großen Digitalkonzernen zu hoffen. Damit übernehmen große multinationale Konzerne teilweise die Bereitstellung einer Infrastruktur, die zur öffentlichen Daseinsvorsorge und deshalb in staatliche Hand gehört. Um unabhängig zu sein, ist es im allgemeinen Interesse, auf nicht kapitalistisch getriebene Alternativen zurückgreifen zu können.

Als eine konsequente Umsetzung der ‚Public Money, Public Code‘-Maxime fordern wir deshalb außerdem, dass eine rechtliche Grundlage dafür geschaffen werden soll, dass der Quellcode, die Baupläne und die Dokumentation von öffentlich finanzierten Anwendungen unter freie und Open-Source Lizenzen gestellt und veröffentlicht werden, außer wenn strategische Interessen dem entgegenstehen. Zusätzlich soll die Veröffentlichung von digitalen Angeboten nicht auf Plattformen kommerzieller Anbieter beschränkt sein. Um den Grundsatz des Gemeineigentums zu wahren, muss der Zugang oder Bezug der Angebote auch über nicht-kommerzielle Alternativen möglich sein, zum Beispiel der F-Droid Store für Android Apps.

LA3 Keine Behinderung der sexuellen Selbstbestimmung!

6.12.2021

Die reproduktive und sexuelle Selbstbestimmung der Frauen* ist ein erklärtes Ziel des Feminismus und von uns Jusos als feministischer Verband. Es sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, dass Frauen* selbst über ihren Körper entscheiden, selbst entscheiden ob sie Kinder möchten, selbst entscheiden wie sie ihre Sexualität ausleben. Im Patriarchat muss dies leider jeden Tag hart erkämpft werden und wir sind noch lange nicht am Ziel. Wir kämpfen dabei für die Selbstbestimmung von allen Frauen*. Und mit allen Frauen* meinen wir wirklich alle Frauen*, denn alle haben ausnahmslos das Recht auf reproduktive und sexuelle Selbstbestimmung. Das heißt auch, dass wir in unserem feministischen Kampf Frauen* mit Behinderungen, chronischen Krankheiten, geistigen und körperlichen Einschränkungen inkludieren. Diese Frauen* sind intersektional im Patriarchat diskriminiert. Um einen wichtigen und großen Schritt in Richtung Selbstbestimmung für diese Frauen* zu gehen, müssen wir das Problem der Zwangssterilisation und den Umgang mit Verhütung angehen. Darum geht es in diesem Antrag.

Zwangssterilisationen und riskante Verhütungsmethoden 

In Wohn- und Pflegeeinrichtungen für Menschen mit Behinderungen kommt es deutlich häufiger zu Sterilisationen von Frauen*, als im Rest der Bevölkerung. In ihrem Bericht von 2017 zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention geht die zuständige Kommission davon aus, dass in Deutschland auch Zwangssterilisationen nicht ausgeschlossen werden können. Grundlage dafür ist §1905 BGB. Dieser Artikel ermöglicht die Sterilisation gesetzlich betreuter Personen ohne deren Zustimmung. Das widerspricht nicht nur unserem Verständnis von Consent, sondern stellt auch eine Menschenrechtsverletzung dar. Diese Ausnahme vom Recht über die reproduktive Selbstbestimmung gibt es ausschließlich für Menschen mit Behinderung. Dass das so ist, liegt begründet in rechtlichen Grundlagen und normativen Werten, die unsere Gesellschaft vom NS-Regime übernommen hat. Die eben bereits erwähnte Kommission empfiehlt daher auch die ersatzlose Streichung des §1905. Dem möchten wir uns an dieser Stelle anschließen. Damit eine Sterilisation aber wirklich einvernehmlich ist, muss auch hier eine gute, ergebnisoffene Beratung stattfinden. Bei einer Studie des Familienministeriums gaben nur etwa die Hälfte der befragten Frauen* mit Behinderung an, dass sie sich wirklich selbst für die Sterilisation entschieden haben. Eltern, Ärzt*innen und Pflegepersonal nehmen erheblichen Einfluss auf die Entscheidung zur Sterilisation. Auch die Perspektivlosigkeit für ein Leben mit Kind und die mangelhafte Aufklärung über Verhütungsmittel spielen hier eine wichtige Rolle. Dass hier dringend Verbesserungsbedarf besteht, zeigt sich auch darin, dass etwa 40% der Frauen*, die in Wohneinrichtungen für Behinderte leben die s.g. 3-Monats-Spritze oder Depot-Spritze bekommen. Durch die hohe hormonelle Dosierung hat diese Verhütungsmethode gravierende Nebenwirkungen, wie ein erhöhtes Osteoporose-Risiko und das Ausbleiben der Menstruationsblutung. Viele der Frauen* mit Behinderung, die die 3-Monatsspritze bekommen, geben allerdings an nicht sexuell aktiv zu sein. Profiteure dieser riskanten Verhütungsmethode sind vor allem die Träger der Pflegeeinrichtungen, deren Personal weniger oder keine Arbeitszeit für die Hygiene während der Menstruationsblutung aufwenden muss. Die Gesundheit von Menschen wird hier also finanziellen Interessen untergeordnet. Das dürfen wir nicht akzeptieren. Frauen* mit Behinderung müssen ohne Druck und in angemessener Sprache über ihre Möglichkeiten aufgeklärt werden. Gesetzliche Betreuer*innen und Gynäkolog*innen sollen daher dazu verpflichtet werden, Menschen mit Behinderung ergebnisoffen und in Einfacher bzw. Leichter Sprache zu Verhütungsmethoden und Eingriffen, die ihre Fortpflanzung betreffen zu beraten. Broschüren zu diesen Themen in Leichter Sprache sollen in jeder Wohneinrichtung und in jeder gynäkologischen Praxis ausliegen. Pflegepersonal und anderes medizinisches Personal müssen beispielsweise durch verpflichtende Fortbildungen für dieses Thema sensibilisiert werden.

Schwangerschaft und Kindererziehung

Auch Menschen mit Behinderung haben das Recht Kinder zu bekommen, wenn sie sich Kinder wünschen. Dass es medizinische, gesellschaftliche und eventuell auch rechtliche Hürden geben kann, darf kein Grund sein dieses Recht zu verweigern. Eine Schwangerschaft aus rein eugenischen Gründen gegen den Willen der Person mit Behinderung verhindern zu wollen, lehnen wir entschieden ab. Wenn es zu einer Schwangerschaft kommt, dann liegt die Entscheidung über die Fortsetzung der Schwangerschaft bei der Schwangeren selbst. Dazu muss es Beratungsangebote geben, welche in leichter Sprache sind und in angemessener Atmosphäre stattfinden. Diese Beratungsangebote müssen flächendeckend ausgebaut werden. Auch die medizinische Begleitung der Schwangerschaft, der Geburt und der Nachsorge muss in leichter Sprache verfügbar sein und auf die Bedürfnisse der Schwangeren und des Kindes ausgerichtet sein. Zusätzlich müssen Beratungsangebote für Kindererziehung auch auf Eltern mit Behinderung eingehen können. Diese Beratungsangebote sollen vor allem die Eltern unterstützen, aber auch den pflegenden Angehörigen beim Umgang mit den Eltern und Kindern helfen. Doch Beratung alleine reicht nicht. Es braucht auch aktive Unterstützung für die Eltern. Das beinhaltet auch die Kinderbetreuung in Werkstätten für Menschen mit Behinderung, damit diese ihrer Tätigkeit nachgehen können und die Kinder ein soziales Umfeld außerhalb der Eltern haben. Dabei darf die frühkindliche Bildung nicht die Bedürfnisse der Kinder vernachlässigen. Außerdem benötigen Wohneinrichtungen für Menschen mit Behinderung eine Kinderbetreuung. Dabei soll ein Zusammenleben von Eltern und Kindern in der Einrichtung unterstützt werden, aber auch für die Eltern und Pflegekräfte eine Entlastung vorhanden sein. Zwar müssen Erzieher*innen und Pflegekräfte hierbei auch zusammenarbeiten können, doch eine Aufgabenteilung ist dem Wohl der Kinder und auch der Eltern zuträglich. Nicht zu vergessen ist hierbei der Punkt, dass Familien in denen die Eltern eine Behinderung haben nicht von Familien in denen die Eltern keine Behinderung haben, abgegrenzt werden dürfen. Die Möglichkeit die Kinder in eine Kinderbetreuung außerhalb der Wohneinrichtungen betreuen zu lassen, muss dennoch gegeben sein.

Außerdem müssen Wege gefunden werden die Eltern mit Behinderung in die Elterngemeinschaft von Schulen zu inkludieren. Zusätzlich müssen öffentliche Begegnungsorte wie Spielplätze oder Parks barrierefrei gestaltet werden, damit Eltern mit Behinderung und ihre Kinder nicht an die Wohneinrichtungen gefesselt sind. Zur Begleitung außerhalb der Wohneinrichtungen sind deshalb auch zusätzliche Stellen für Pflegekräfte und Erzieher*innen einzuplanen, da nicht davon ausgegangen werden kann, dass diese Aufgabe ausschließlich von Angehörigen übernommen wird.

Um die sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung auch für Menschen mit Behinderung zu sichern, fordern wir:

  • die ersatzlose Streichung von §1905 BGB.
  • Beratungsangebote in Wohneinrichtungen und gynäkologischen Praxen in Leichter Sprache, diese Beratungen sollen ergebnisoffen und ohne Druck sein.
  • verpflichtende Fortbildungen zu reproduktiver Selbstbestimmung für gesetzliche Betreuer*innen und medizinisches Personal.
  • die Schaffung von Kinderbetreuungsangeboten in Wohn- und Arbeitsstätten für Menschen mit Behinderungen.

LA2 Die psychische Gesundheit muss politisch werden

6.12.2021

Mentale Gesundheit war schon immer ein wichtiges Thema, das in den letzten Jahren verstärkt an gesellschaftlicher Bedeutung gewann. Vor allem seit dem letzten Jahr taucht das Thema vermehrt in Debatten und dem öffentlichen Diskurs auf. Dies lässt sich besonders auf die Corona Krise und ihre Auswirkungen zurückführen. Durch die Corona-Pandemie leiden vermehrt und vor allem (junge) Erwachsene an Angst, Depressionen oder Stress, so eine Studie der NAKO [1]. Auch starke depressive Symptome sind mit der Pandemie um über 2% angestiegen. Isolation, Einsamkeit und sozialer Rückzug gelten als Risikofaktoren für diverse psychische Erkrankungen und sind für viele derzeit Alltag.
Die Wichtigkeit Psychische Gesundheit auf die Agenda zu setzen war auch schon vor und ist nun gerade durch die Pandemie enorm und es wird Zeit zu handeln und an den bestehenden Verhältnissen zu rütteln.

End the Stigma – Aufklärungsarbeit leisten

Auch trotz der sich zuspitzenden Situation wird das Thema psychische Gesundheit nach wie vor gerne verschwiegen. Menschen mit psychischen Störungen sind auf vielen Ebenen und in vielen Bereichen von Stigmatisierung betroffen. Stigmatisierung kann sich auf viele unterschiedlichen Weise äußern und bezeichnet die Repräsentation von gesellschaftlich großflächig akzeptierten Überzeugungen über bestimmte Personengruppen als „normabweichend“. Unterschieden werden kann hierbei zwischen interpersoneller Stigmatisierung, öffentlicher Stigmatisierung, struktureller Diskriminierung und Selbststigmatisierung. Studien zeigen, dass sich die Haltung gegenüber Menschen mit stark stigmabehafteten psychischen Erkrankungen (Schizophrenie, Alkoholismus) von 1990 bis heute deutlich verschlechterte: Abwertende emotionale Reaktionen und der Wunsch nach sozialer Distanzierung waren Entwicklungen in der Haltung gegenüber Menschen mit psychischen Erkrankungen. Konsequenzen aus dieser Haltung drücken sich auch konkret in Ansichten über mögliche Ressourcenverteilungen aus. Studienteilnehmer*innen in Deutschland gaben hierbei an, hohe Kosten in der Krankheitsversorgung vor allem bei den Diagnosen Alkoholismus, Depression und Schizophrenie einsparen zu wollen. Aus einer langen Liste von Diagnosen und Krankheitsbildern entschieden sich viele Menschen mehrheitlich für die Einsparung im Bereich der psychischen Krankheiten.

Folgen der Stigmatisierung sind dramatisch. Auf der individuellen Ebene resultieren aus Scham und sozialem Rückzug der betroffenen Personen eine deutliche Erhöhung des Leidensdrucks. Eine erfolgreiche Teilhabe der Betroffenen an der Gesellschaft wird verhindert, Stigmen wirken wie „soziale Barrieren“, die für viele unüberwindbar scheinen. Und Folgen von Stigmatisierung gehen auch über die betroffenen Personen hinaus: Angehörige erleben sich selbst genauso am Rande der Gesellschaft und sind in ebenso relevanten Bereichen mit struktureller und gesellschaftlicher Diskriminierung konfrontiert. Anti-Stigma Interventionen sind und bleiben zentral und wichtig und ein Stigma-Abbau bleibt gesellschaftliche Aufgabe. Jedoch ist es besonders im Kontext von struktureller Diskriminierung unabdingbar auf eine Veränderung eben jener Strukturen hinzuwirken, die strukturelle Diskriminierung mittragen und akzeptieren. Die Entstigmatisierung muss sowohl Aufgabe von Gesellschaft als auch Politik sein!

Daher ist für uns klar: Wir müssen psychische Erkrankungen und die mentale Gesundheit thematisieren. Es muss öffentlich darüber gesprochen werden und es muss Aufklärungs- und Bildungsarbeit geleistet werden. Nur so lassen sich Stigmen brechen, nur so wird Betroffenen ein Weg geschaffen sich durch die ohnehin schon schwierige, krankheitsbedingte Situation nicht auch noch einer Doppelbelastung durch gesellschaftliche Stigmen ausgesetzt zu sehen.
Als Jungsozialist*innen stehen wir in der Verantwortung dieses Stigma zu brechen, wir stehen in der Verantwortung öffentlich über eine Verbesserung der Therapieversorgungen zu debattieren, wir stehen in der Verantwortung, dass die Möglichkeit eines Therapieplatzes garantiert sein muss, unabhängig des Geldbeutels oder des sozialen Umfelds. Auch sind wir in der Verantwortung, psychische Krankheiten in gesellschaftlichen, politischen Kontexten zu erfassen. Die kapitalistischen Verhältnisse, ergo der Leistungsdruck und das „Funktionieren“,
muss in Zusammenhang mit der psychischen Gesundheit gebracht werden. Wir stehen in der Pflicht den Zusammenhang zwischen Diskriminierungen und der psychischen Gesundheit zu erkennen.
Daher fordern wir:

  • Aufklärungsarbeit über psychische Krankheiten in sämtlichen Institutionen wie beispielsweise der Schule
  • Anti-Stigma Interventionen staatlich zu unterstützen und zu verstärken

Der Kapitalismus macht krank

Häufig entstehen psychische Krankheiten aus dem Gefühl nicht gut genug zu sein. Nicht genug zu erreichen. Nicht die geforderten Noten zu erbringen. Dieser Druck Leistungen zu erbringen, welcher durch die kapitalistische Ausrichtung unserer Gesellschaft, vielen Menschen vom Kindesalter an mitgegeben wird, führt oftmals zu viel Stress und einer starken psychischen Belastung. Diese zieht sich häufig durch die Schule, ein mögliches Studium oder eine Ausbildung und durch das gesamte Arbeitsleben. Es soll immer mehr und immer länger gearbeitet werden, hauptsache das Geld fließt (aber natürlich nicht in die Taschen der Arbeiter*innen). Es geht so weit, dass alles, das auf der To-Do-Liste steht, seien es Überstunden oder der Kindergeburtstag, als Belastung wahrgenommen wird. Alle Termine und Aufgaben nehmen somit die gleiche Form eines psychischen Drucks an. Hinzu kommt eine ständige Erreichbarkeit von allen Seiten per E-Mail und Smartphone. Druck kommt somit nicht nur aus der Arbeit heraus, sondern aus der kapitalistischen Gesellschaft als Ganzes. Das Problem dieser kapitalistischen Gesellschaft ist, wie der Soziologe Hartmut Rosa es beschreibt, dass „Menschen heute das Gefühl haben, dass sie immer schneller laufen müssen, nur um stehen zu bleiben“[2]. Menschen haben das Gefühl, egal wie effizient sie heute sind, morgen muss noch effizienter gearbeitet werden. Burnout und Depression sind häufige Folgen eines solchen jahrelangen Stresses. Dies führt in einen Kreislauf, denn leiden Eltern unter psychischen Krankheiten, haben auch die Kinder eine erhöhte Wahrscheinlichkeit ebenfalls psychisch zu erkranken [3]. Doch anstatt anzuerkennen, dass das eigene System Menschen an die Grenzen der psychischen Belastbarkeit (und teils weit darüber hinaus) bringt, gibt es örtlich begrenzte Anzahlen an Psychotherapeut*innen, die Verträge mit den gesetzlichen Krankenkassen haben und somit bei diesen abrechnen können. Der klägliche Versuch einer Verbesserung durch die Reform des Psychotherapiegesetzes von 2017 scheiterte. Patient*innen bekommen nun zwar schnell die Möglichkeit eines Erstgesprächs, müssen nach diesem aber meist mehrere Monate, teilweise sogar bis zu einem Jahr auf einen Therapieplatz warten. Dies führt häufig zu einem Resignationseffekt und somit dazu, dass Menschen trotz akuter psychischer Belastungen das Warten auf einen Therapieplatz aufgeben [4]. Deswegen fordern wir:

  • Eine Neuberechnung der Verhältniszahlen von Psychotherapeut*innen pro Einwohner*in
  • Anlaufstellen für Schüler*innen und Studierende an Schulen und Universitäten mit ausgebildeten Psychotherapeut*innen
  • ein Aufbrechen von kapitalistischen Strukturen und eine Entlastung von Arbeitnehmer*innen

Das deutsche Gesundheitssystem als Problem

Das deutsche Gesundheitssystem wurde, ganz im Sinne der „sozialen“ Marktwirtschaft, in den letzten Jahrzehnten durchökonomisiert. Dies geht einher mit einem großen Interesse an der Ausdehnung seiner Dienstleistungen. Dazu gehört zum Beispiel die Verschreibung von Medikamenten nach der Diagnose einer psychischen Krankheit. Eines der bekanntesten Beispiele stellt die Verordnung von Antidepressiva dar. Das Verordnungsvolumen von Antidepressiva steigt seit Jahren massiv [5, 6]. Hierfür können verschiedene Gründe angeführt werden: Zum einen kann durch die Verschreibung eine schnelle Reaktion auf die Diagnose erfolgen. Auf der anderen Seite soll durch eine Verschreibung von Medikamenten, die nicht immer therapeutisch notwendig sind, auf die Dauer der eigentlichen Psychotherapie, die natürlich in vielen Fällen richtigerweise medikamentös begleitet wird, eingewirkt und diese somit verkürzt werden. Lange Therapien sind teuer und kosten die Krankenkassen viel Geld. Die Annahme, dass neben Patient*innen wohl kapitalistische Interessen Berücksichtigung finden, ist naheliegend. Es soll durch eine Kombination aus Medikamenten und Therapie somit Geld eingespart und gleichzeitig durch die Ausgabe der Medikamente verdient werden.
Wir fordern deshalb:

  • Eine Überwindung der Zwei-Klassen-Medizin durch die Abschaffung privater Krankenversicherung und die Einführung einer Bürger*innenversicherung.
  • eine Finanzierung von Therapieplätzen mit ausreichender Dauer durch den Staat
  • Eine kostenlose Ausgabe von verschriebenen Medikamenten ohne Eigenbeteiligung der Patient*innen

Einbeziehung der Angehörigen

Die Angehörigen von Menschen mit psychischen Erkrankungen müssen in der Schaffung von Therapieplätzen mitgedacht werden. Zum Beispiel bei Menschen mit einer Alkoholabhängigkeit oder einer Depression, aber auch bei vielen anderen psychischen Erkrankungen, leiden die Familien und Angehörigen stark, brauchen somit eigens für sie geschaffene Therapiemöglichkeiten. Gerade Kinder psychisch kranker Eltern entwickeln häufig sogenannte Entwicklungstraumata, also Traumata, die nicht von einem bestimmten Ereignis, sondern durch eine länger andauernde traumatische Erfahrung ausgelöst werden. Hier muss angesetzt werden und es müssen die Kapazitäten und die Awareness geschaffen werden, die Kinder, aber auch Angehörige im Allgemeinen, brauchen, um zu lernen und zu unterstützen. Es müssen Möglichkeiten geschaffen werden, um zunächst über diese Belastungen für Angehörige aufzuklären und somit eine Entstigmatisierung (zB durch Aufklärung in Bildungsinstitutionen) voranzutreiben. Es ist wichtig, dass Menschen wissen, wie sie Anzeichen einer psychischen Erkrankung eines nahestehenden Menschen erkennen, besser damit umgehen und Erkrankte unterstützen können. Auch sollten zum Beispiel Alarmzeichen von suizidgefährdeten Menschen bekannt sein. Zudem müssen Beratungs- und Unterstützungsangebote für Angehörige ausgebaut werden.

Das bedeutet:

  • Schaffung und Erweiterung von Beratungsangeboten für Angehörige
  • Staatliche Unterstützung von Institutionen wie der Deutschen
    Depressionshilfe oder der Deutschen DepressionsLiga
  • Aufklärung in Schulen über psychische Krankheiten und den Umgang mit
    dieser Krankheit bei Angehörigen

Psychotherapeut*innen in Ausbeutung

5 Jahre Studium, 3-7 Jahre Psychotherapieausbildung. Kostenpunkt: 25.000- 30.000 Euro, Zulassungsvoraussetzungen für das Studium erfordern einen NC von 1.0-1.2. Wieso wird ein Studiengang, dessen häufig gewähltes Abschlussziel der Psychotherapie dringend benötigte Kapazitäten auffüllen soll, dermaßen exklusiv und schwierig gestaltet? Die circa zehn Jahre bis zum Berufseinstieg gehen für viele Studierende mit hoher Verschuldung einher. Das durchschnittliche Gehalt von Psychotherapeut*innen in Ausbildung liegt weit unter Mindestlohn – arbeiten müssen sie jedoch wie eine vollwertige Arbeitskraft. In vielen Ausbildungsinstituten sind sie sogar unabdingbar, um den Tagesbetrieb aufrecht zu erhalten. Nicht umsonst wurden die Stimmen rund um eine Reform des Studiengangs „Psychologie“ in den letzten Jahren immer lauter. 2020 kam diese Reform dann und enttäuschte Erwartungen auf allen Ebenen. Anstatt die Struktur und Bezahlung der Ausbildung zu verbessern präsentierte die Bundesregierung ihre Universallösung: „Psychotherapie“ als eigenständiger Studiengang. Doch das alte Ausbildungssystem bleibt bestehen und alle, die in diesem studieren, mit all seinen Ungerechtigkeiten und Ausbeutungen konfrontiert. Aus Psychotherapeut*innen in Ausbildung werden Psychotherapeut*innen in Ausbeutung – Und die Bundesregierung bedenkt genau diese in ihrer Reform nicht mit.
Die Reform ist ein Paradebeispiel für eine Umsetzung der Bundesregierung, die ungeklärte Finanzfragen mehr gewichtet als dem Bedarf an Psychotherapeut*innen adäquat entgegenzukommen und in ihrem Doppelauftrag kläglich versagte. Die 2020 vorgestellte Reform der Bundesregierung muss in jedem Fall nachgebessert werden und auf die Perspektive des „alten“ Ausbildungssystem ausgeweitet werden. Deswegen fordern wir:

  • eine Stärkung des alten Ausbildungssystems, welche mit einer angemessenen Bezahlung, klaren sozialrechtlichen Regelungen und angemessenen Zugangsvoraussetzungen einhergeht, damit das Abschlussziel Psychotherapie nicht nur privilegierten Studierende vorbehalten ist
  • transparentere Regelungen in Bezug auf Veränderungen für Studierende im „alten Ausbildungssystem“
  • Maßnahmen zur Verhinderung von Engpässen bei der Bereitstellung von Ausbildungsplätzen für Psychotherapeut*innen, damit auch Studierende mit Kindern oder Angehörigen, die gepflegt werden, Migrant*innen, chronisch Kranke oder Studierende, die auf die eigene Erwerbstätigkeit angewiesen sind, ihr Abschlussziel erreichen können
  • eine Anpassung der Übergangsregelungen für Studierende des „alten Systems“ auch im Hinblick auf veränderte Studiumsbedingungen durch die Corona-Pandemie
  • einen einfachen Wechsel für Studierende des „alten Systems“ in den neuen einschlägigen Psychotherapie-Studiengang

Eine Umsetzung dieser Forderungen ist unabdingbar, wenn dem steigenden Bedarf an Psychotherapeut*innen nachgekommen werden soll. Anti-Stigma Interventionen und Aufklärungsarbeit bezüglich psychischer Krankheiten können nicht umgesetzt werden, so lange nicht die Kapazitäten der Psychotherapie erhöht werden. Diese Kapazitäten können nur realisiert werden, indem der Studiums-/Bildungsweg für angehende Psychotherapeut*innen realistisch und umsetzbar gestaltet wird. Durchschnittliche 20 Wochen Wartezeit auf einen Therapieplatz sind deutlich zu viel und gerade für Menschen in akuten Phasen kaum aushaltbar.

Jetzt oder nie! Ein System unter Druck

Seit März 2020 bestimmt die Corona Pandemie den Alltag (fast) aller Menschen. Man kann von einer Krise auf allen Ebenen sprechen, für viele Menschen auch eine psychische Krise. Daten rund um Depressionen und Angststörungen zeigen eine Verdoppelung teilweise sogar Verdreifachung der dazugehörigen Symptomatiken. Mehr Druck im psychotherapeutischen Versorgungssystem kann es nicht mehr geben, doch der Druck liegt in einem System, welches durch fehlende Kapazitäten gekennzeichnet ist. Dieser Druck muss jetzt genutzt werden, damit auf allen politische Ebenen Wege bereitet werden, damit Menschen endlich ausreichend Zugang zu psychotherapeutischer Versorgung erhalten.

Grund zum ausRASTEN: Kassenplätze müssen her/ Nein zu Rastern, Ja zu Kassenplätzen

Auch wenn der absurde Antrag der Rasterpsychotherapie bereits erfolgreich verhindert werden konnte, gilt es deutlich festzustellen: statt Verwaltungsvorgänge umzustrukturieren, müssen dringend benötigte Kapazitäten in der psychotherapeutischen Versorgung freigemacht werden. Bisherige Reformen brachten keine wirkliche Verbesserung der Situation. Denn was bringt es Menschen in akuten Krisen nur Ersttermine zu bekommen, ohne jedoch Aussicht auf einen zeitnahen festen Therapieplatz zu haben. Deswegen fordern wir:

  • Übernahme einer Psychotherapie bei privaten Praxen durch die
    gesetzlichen Krankenversicherungen, ohne bürokratischen Aufwand
  • eine aktualisierte Bedarfsplanung, die Ereignisse wie die Corona Pandemie mitberücksichtigt und auffängt
  • Dauerhaftes Monitoring von Bedarfsplanungen

Psychische Gesundheit und die LGBTQIA+ Community

Auch innerhalb der LGBTQIA+ Community spielen psychische Erkrankungen eine große Rolle. Diese sind meist Auswirkungen von Mobbing, Ausgrenzung und Diskriminierung. Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung wurden diese Probleme noch durch die Isolation und Einsamkeit im Lockdown verstärkt. 1/4 der queeren Befragten gab an im Leben schon eine depressive Erkrankung gehabt zu haben, bei heterosexuellen cis-Personen sind es hingegen „nur“ 10%.
Besonders trans Personen leiden unter der gesellschaftlichen Ablehnung und ihren Folgen. 39% der befragten trans Personen gaben an unter Angststörungen zu leiden. Hilfe war in den vergangenen Monaten der Pandemie für viele der Betroffenen nicht greifbar. Beratungsangebote fanden nur online statt, oder fielen gänzlich aus. Psychotherapien sind vollkommen überlaufen und können demnach keine akute Hilfe bieten. Das Gesundheitssystem ändern, heißt auch den vulnerabelsten Gruppen in unserer Gesellschaft Schutz und Hilfe zu bieten. Das heißt konkret:

  • Mehr gruppenspezifische Therapieplätze
  • ausreichende Therapiedauer
  • ein hürdenfreierer Zugang zu therapeutischen Maßnahmen.

Quellen

[1] https://www.gesundheitsforschung-bmbf.de/de/nako-gesundheitsstudie- starkere-psychische-belastung-durch-corona-pandemie-12564.php

[2] https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/streitgespraech-macht- der-kapitalismus-uns-krank-14308832.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2

[3] https://www.aerzteblatt.de/archiv/60391/Kinder-psychisch-kranker-Eltern

[4] https://www.swr.de/wissen/langes-warten-auf-psychotherapieplatz/- /id=253126/did=21162748/nid=253126/15r1s33/index.html

[5] https://www.tk.de/resource/blob/2083022/f7a4d70c6e98e6c4a5a474917944fe57/ge sundheitsreport-arzneimittelverordnungen-2020-data.pdf

[6]
https://www.tk.de/resource/bl ob/2034314/6b82bfb5c474032a37979d751121797c/g esundheitsreport-2011-data.pdf

[7] https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/124048/Corona-und-Psyche-Experten- mahnen-junge-Menschen-besonders-zu-unterstuetzen

LA1 Eine Frage der Notwendigkeit - Für eine feministische Außenpolitik!

6.12.2021

Schon lange sind wir Jusos uns sicher: Der feministische Kampf ist ein Themenübergreifender! Jede politische Forderung muss demnach auch feministische Aspekte mitbedenken. Ob bei der Aufstellung von kommunalen Budgets, der Entwicklung von Infrastruktur oder auch bundesweiten Initiativen, die die Carearbeit betreffen; als feministischer Verband zeigen wir überall auf, dass die Situation von Frauen* und im Patriarchat marginalisierten Personen besonderer Beachtung bedarf.

Und trotzdem: Ein Politikbereich scheint relativ unberührt von dieser Erkenntnis. Die Außenpolitik. Der vorliegende Antrag versucht diese Leerstelle zu füllen und Perspektiven einer feministischen Außenpolitik zu prägen. Unsere Analyse geht unseren Forderungen für eben diese feministische Außenpolitik voraus.

It’s a Man’s World!

Leider sind Frauen* in vielen Bereichen der Politik stark unterrepräsentiert. Obwohl etwas mehr als 50% der Bevölkerung, findet man sie in den Parlamenten Deutschlands, Europas und der Welt weniger häufig vor als Männer. Ob Landtag, Kommunalrat, Bundestag oder Europaparlament: Überall sind Frauen* in der Minderheit. Warum? Einerseits stellen die Parteien einfach mehr Männer zur Wahl, andererseits haben diese auch häufiger aussichtsreiche Wahlkreise. Auch innerhalb der Parteien, sind Männer einfach Überrepräsentiert und verfügen über erfolgreiche Klüngelrunden. Egal welcher Grund: Die Folge ist, dass Frauen* das Nachsehen haben.

Da sich die wenigeren Frauen* schließlich nicht zerreissen können, bedeutet auch, dass bei der Vergabe von Ausschüssen et cetera in manchen Bereichen besonders wenige Frauen* zu finden sind. Während das Thema Gleichstellung immer noch eines ist, das von Männern sträflich als nicht ihres verstanden wird und wo sich dem zu Folge überdurchschnittlich viele Frauen* finden, sind es Felder wie die Finanzpolitik oder auch die Außenpolitik in denen auffällt, dass Frauen* und nicht-männliche Personen besonders marginalisiert sind. Außenpolitik ist vor allem eins: weiß und männlich.

Doch warum ist das so? Klar wehren wir uns gegen die Auffassung, dass sich Frauen* und andere (vom Patriarchat) marginalisierte Personen einfach nicht für diese Bereiche interessieren würden. Auch die Einschätzung es gäbe nicht genügend solcher Menschen, die in diesen Bereichen als Expert*in gelten, ist absoluter Quatsch. Viel mehr scheint ein Problem, dass Frauen* erstens eine Doppelbelastung erfahren, wenn sie bemerken, dass sich die Mehrheit der Abgeordneten/Zuständigen (also Männer) nicht für feministische Themen engagiert. Dann wird die Gleichstellungsarbeit zum Mehraufwand, den genau die leisten, die unter der patriarchalen Unterdrückung zu leiden haben. Zweitens sind es Felder wie die Außenpolitik, die so weiß und männlich geprägt sind, dass sie noch immer eine abschreckende Wirkung auf Frauen* und andere (vom Patriarchat) marginalisierte und anders diskriminierte Personen (wie BiPoC oder LGBTQIA+ Personen) haben können. Die einzige Person am Tisch zu sein, die kein weißer Mann ist, ist eben noch immer eine Realität, denen sich politisch engagierte Frauen* und andere (vom Patriarchat) marginalisierte Personen wie auch BiPoC ausgesetzt sehen. In eng verklebte männliche Klüngelrunden vorzustoßen scheint eine Aufgabe der Unmöglichkeit; Vernetzung mit anderen marginalisierten schwer, wenn (fast) keine anderen da sind.

Und selbst wenn intersektional diskriminierte Personen mit am Tisch sitzen: Selten haben sie die mächtigeren Positionen inne. Bei der Vergabe von Sprecher*innenämtern und Vorsitzen, sind sie meist nicht in der engeren Auswahl und noch seltener schaffen sie es in solche Ämter zu gelangen.

Wenn wir die Auffassung vertreten, dass es eben einen Unterschied macht, ob nur weiße alte Männer eine Diskussion führen, bedeutet diese Erkenntnis, dass Stand jetzt in vielen Punkten Felder wie die Außenpolitik noch immer die von eben diesen alten weißen Männern sind. Keine Gesellschaft wird dabei wahrheitsgemäß abgebildet und mitgedacht.

Mehr als eine Frage von Repräsentation

Studien zeigen, dass sich sexualisierte Gewalt, Armut und etwa ungewollte Schwangerschaften dezimieren, wenn alle Geschlechter gleichgestellt sind. Auch bei der Entscheidungsfindung über politische Lösungen. Auch konnte belegt werden, dass (bewaffnete) Konflikte in einem Zusammenhang mit Ungleichheiten innerhalb einer Gesellschaft stehen. Das berücksichtigt auch die patriarchale Ungleichheit. Und Valeria Hudson konnte beweisen, dass Geschlechtergerechtigkeit „der wichtigste Faktor zur Bestimmung von Frieden und Stabilität eines Landes“[1] ist.

Bereits vor über 20 Jahren, beschloss der UN-Sicherheitsrat deshalb die Resolution 1325, die sicherstellen sollte, dass Frauen an allen „internationalen, nationalen und regionalen Entscheidungsgremien und Mechanismen zur Vermeidung, Behandlung und Lösung von Konflikten stärker repräsentiert sein müssen.“[2] Eine Reihe von Nachfolgeresolutionen wurden erfolgreich in den Sicherheitsrat eingebracht und beschlossen; das Thema ist also kein neues. Doch was passierte? Leider herzlich wenig. Die zuletzt von Deutschland zum 20-jährigen Jubiläum der Resolution 1325, initiierte Resolution 2467, wies auf die noch immer gigantischen Leerstellen hin. So ist die Verbindung zwischen (bewaffneten) Konflikten und der Gefahr von sexualisierter Gewalt für Frauen* und Mädchen noch immer evident, genauso wie sich nachweisen lässt, dass der ökonomische Status von Frauen* und andere (im Patriarchat) marginalisierte Personen diese in besonders prekäre Lagen versetzt in denen sie sich Gewalt und Unterdrückung gegenüber gestellt sehen.

Und auch in Fragen der Klimakrise müssen feministische Perspektiven eine besondere Bedeutung erlangen, denn klar ist: Es sind vor allem Frauen* und BiPoC, die besonders vom menschengemachten Klimawandel betroffen sind. Es ist eben (wie eigentlich immer) keine Krise, die uns alle gleich hart trifft! Frauen* sind zum Beispiel überdurchschnittlich oft nicht-Schwimmerinnen und kümmern sich in den meisten Fällen um Kinder, Senior*innen und erkrankte Verwandte. Bei Umweltkatastrophen, die durch den menschengemachten Klimawandel immer häufiger auftreten, wie etwa Überschwemmungen, Erdrutschen oder -beben, wie auch bei Waldbränden, sind es also Frauen*, die besonders vulnerabel sind. Und selbst wenn sie überleben: Ihre ökonomische Schlechterstellung, die sie beispielsweise mit BiPoC teilen, bedeutet auch, dass sie das Nachsehen haben, wenn sie versuchen wollen aus eigener Kraft ihre Lage zu verbessern. Nötige Bildung und Teilhabe bleibt ihnen verwehrt. Studien zeigen zudem, dass „in vielen Ländern vor allem Frauen in jenen Sektoren [arbeiten], die von Hitzewellen, Dürren, Stürmen oder Überschwemmungen besonders stark betroffen sind“[3]. Während Männer in diesen Gebieten eher die Möglichkeit haben in Städte auszuweichen oder gar in andere Länder zu flüchten, bleibt vielen Frauen* nichts anderes übrig, als vor Ort zu bleiben. Wenn aber vor Ort die Ressourcen durch Umweltkatastrophen geschwächt und zerstört sind, dann müssen Frauen* immer weitere und gefährlichere Strecken auf sich nehmen um die meistens von ihnen verübte Carearbeit leisten zu können. Auch das beschaffen von Wasser und Nahrung als weibliche Aufgabe wird durch die Klimakrise erschwert.

Nicht zuletzt die globale Coronapandemie zeigt weitere feministische Handlungsnotwendigkeiten  auf internationaler Ebene auf: Die bereits zuvor zu beobachtende Ungleichverteilung von Carearbeit, verschlechterte sich durch die Pandemie zunehmend zu Ungunsten der Frauen*. Auch warnten viele Interessenverbände und Hilfseinrichtungen früh vor der anzunehmenden steigenden geschlechtsbezogenen Gewalt während des Lockdowns. Flucht wurde zunehmend erschwert und gerade für Frauen* noch gefährlicher. Diese und weitere Ungleichheiten müssen auch intersektional betrachtet werden. Nicht nur das Geschlecht spielt eine Rolle, sondern auch die Hautfarbe und der ökonomische Status. So gehörten etwa schwarze Frauen* überdurchschnittlich oft zu jenen Covid-Erkrankten, die starben und die Schere zwischen Arm und Reich klafft immer weiter auseinander.

Auf all diese Probleme müssen international Lösungen gefunden werden. Ein nationaler Alleingang bei der Bekämpfung des Patriarchats und anderer struktureller Diskriminierung ist wirkungslos, sind wir uns doch schon so lange sicher, dass sich das Patriarchat, wie bspw. Auch rassistische Strukturen nicht an Landesgrenzen halten. Überall auf der Welt leiden Frauen*, Mädchen und weitere (vom Patriarchat) marginalisierte Personen unter geschlechtsspezifischer Gewalt. Überall auf der Welt wirkt Rassismus, Antisemitismus, Ableismus und viele weitere Diskriminierungsformen. Marginalisierte Menschen erkranken häufiger an HIV, verlieren Anschluss an sauberes Trinkwasser und ihre existenzielle Grundlage durch Umweltkatastrophen. Kommen (bewaffnete) Konflikte hinzu, steigt zusätzlich auch noch die Gefahr sexualisierter Gewalt. Ein feministisches Umdenken in der Außenpolitik ist also schon lange überfällig.

Guten Beispielen folgen

Noch kein*e Feminist*in ist vom Himmel gefallen und auch ein feministischer Umschwung innerhalb der Außenpolitik scheint erstmal eine große Aufgabe zu sein. Doch machen wir es uns nicht zu schwer, denn es gibt bereits genügend Initiativen, die gute Ideen entwickelt haben, wie der international und intersektional angelegte Kampf gegen das Patriarchat glücken kann.

Unter der Prämisse, dass globale Gerechtigkeit und Frieden Teil des feministischen Kampfes sind, geht Schweden seit 2014 mit gutem Beispiel voran. Frieden und Gerechtigkeit wird dabei nicht als nationaler Begriff verstanden; gemeint ist die Gerechtigkeit und der Frieden der einzelnen Person. Ziel ist also, dass niemandes Unversehrtheit durch Krankheit, Umwelteinflüsse, das eigene Geschlecht oder bewaffnete Konflikte beschnitten wird. Und das bedeutet, dass die Alleinige Lösung eines Konfliktes nicht nur an ruhenden Waffen gemessen werden darf. Ist ein Konflikt zwar nicht andauernd durch Waffengewalt aktiv, übt jedoch (wie zum Beispiel zur Zeit in Afghanistan oder im Iran) etwa patriarchale Gewalt auf Frauen* und andere (vom Patriarchat) marginalisierte Personen aus, muss die internationale Gemeinschaft sich weiterhin einmischen.

Beispiele wie Schweden zeigen: Es geht eben nicht um plumpen Pazifismus, wenn wir von feministischer Außenpolitik reden; es geht viel mehr darum Normen und Werte, die zu patriarchalen Unterdrückung führen zu überwinden, indem sie auf dem internationalen Parkett angesprochen werden. Dazu gehört auch Initiativen (finanziell) zu fördern, die feministische Kämpfe überall auf der Welt voran treiben.

Wenn etwa im Iran Frauen* dafür kämpfen, dass ihnen niemand (auch keine Regierung) vorschreiben darf, ob sie sich verschleiern müssen oder nicht, dann folgt aus der feministischen Außenpolitik, dass wir uns mit diesen Frauen* und ihrem feministischem Kampf solidarisieren. Wenn Mädchen bereits als Kleinkinder überall auf der Welt bei (teils illegalen) Beschneidungen für ihr Leben verstümmelt werden, dann verlangt die feministische Außenpolitik, dass wir diesen Zustand skandalisieren und die hinter der Praktik der weiblichen Beschneidung stehende Norm kritisieren. Und wenn während einer globalen Pandemie schwarze Frauen* überdurchschnittlich oft am Coronavirus versterben, dann verlangt die feministische Außenpolitik, dass internationale Forschungen zum Thema Rassismus innerhalb der medizinischen Forschung und Praxis, wie auch die überdurchschnittlich prekäre ökonomische Lage schwarzer Frauen* vorangetrieben werden, um intersektionalen Diskriminierungsformen gerecht zu werden.

Unsere Forderungen:

  • Unsere feministische Außenpolitik versteht Gewalt und Diskriminierung gegen Frauen* und andere (vom Patriarchat) marginalisierte Personen Personen nicht als zufällig, sondern als Symptom des Patriarchats. Deshalb stehen wir ein für eine feministische Außenpolitik, die bei all ihren Maßnahmen die Zerschlagung patriarchaler Machtverhältnisse berücksichtigt. Grundlage dieser feministischen Außenpolitik ist die Annahme struktureller Ungleichheit (vor allem aber nicht nur) in Bezug auf das Geschlecht. Auch intersektionale Diskriminierungen wie Rassismus oder Ableismus müssen dabei berücksichtigt werden.
  • Unsere feministische Außenpolitik verlangt nach Abrüstung. Wenn wir davon ausgehen, dass Ungleichheits- und Unterdrückungsverhältnisse Frieden im Weg stehen, dann müssen wir der Annahme, dass zusätzliche Bewaffnung immer Sicherheit bedeutet, eine Absage erteilen. Das bedeutet keinesfalls einen pazifistischen Ansatz (den sich schlichtweg nicht jede*r leisten kann) sondern vielmehr die Erkenntnis, dass neben (bewaffneter) Verteidigung der Kampf um diskriminierungsfreie Normen gleichbedeutend zu führen ist.
  • Unsere feministische Außenpolitik versteht das Individuum als Fokus ihrer Arbeit und nicht den einzelnen Staat. Denn, wie das Centre for feminist foreign policy zusammenfasst, muss feministische Außenpolitik sich „gegen die im realpolitischen Diskurs vorherrschende Annahme [stellen], dass sichere Staaten automatisch zu Sicherheit der Menschen führen und [anerkennen], dass auch – und vor allem – Staaten und staatliche Strukturen Unsicherheiten für Menschen schaffen.“[4] Das kann im konkreten Fall heißen:
    • Dass wir uns neben unseren Bemühungen für Paritätsgesetze innerhalb Deutschlands, für internationale Vorstöße in diese Richtung einsetzen. (Politische) Teilhabe und die Hälfte der Macht ist für Frauen* überall auf der Welt grundlegende Notwendigkeit. Auch das Stärken von (internationalen) Frauen*netzwerken ist uns ein Anliegen. Gerade wenn Männer ihren vom Patriarchat angewärmten Platz nicht räumen wollen, brauchen wir Girl Gangs, die für ihr Recht auf mindestens die Hälfte der Stühle am Tisch einstehen.
    • Wir kämpfen den Kampf gegen sexualisierte und geschlechtsbezogene Gewalt international. Das kann etwa bedeutet, dass wir uns für Schutzräume für Frauen* auf der Flucht einsetzen, und uns auf internationaler Ebene für den Einsatz von humanitären Einsatzkräften, die auf den Umgang mit Opfern sexualisierter Gewalt spezialisiert sind, stark machen. Intersektionale Perspektiven sollen uns zusätzlich dabei helfen, internationale Menschenrechtsverstöße etwa gegen LSBTQIA+ Personen zu skandalisieren und zu bekämpfen.
    • Der Klimakrise begegnen wir auch mit dem Kampf gegen jede patriarchale Struktur. Bildung und Teilhabe für Mädchen und Frauen*, wie auch Projekte, die die Gleichverteilung von Carearbeit auch außerhalb der deutschen Grenze stärken, sind etwa Aspekte, die diesem Anspruch gerecht werden.

[1] https://centreforfeministforeignpolicy.org/journal/2019/7/7/eine-feministische-auenpolitik-imperativ-fr-eine-gerechte-und-sichere-welt.

[2] https://www.unwomen.de/informieren/frauen-und-ihre-rolle-in-friedensprozessen/die-resolution-1325-mit-der-agenda-frauen-frieden-und-sicherheit.html.

[3] https://www.oxfam.de/blog/klimakrise-trifft-frauen-deutlich-haerter.

[4] https://centreforfeministforeignpolicy.org/journal/2019/7/7/eine-feministische-auenpolitik-imperativ-fr-eine-gerechte-und-sichere-welt.

W13 Antrag zu einer sozial gerechten und umweltfreundlichen Ernährungsreform

8.10.2021

Der menschengemachte Klimawandel ist die neue Lebensrealität des 21. Jahrhunderts und mit seinen nahezu alle Bereiche unseres Lebens betreffenden Facetten ist er zudem die wahrscheinlich drängendste soziale Frage unserer Zeit. Einer der wichtigsten sozialen Aspekte des Klimawandels ist die Frage nach unserer eigenen Ernährung, mit der wir uns im Kampf gegen den Klimawandel zwangsläufig beschäftigen müssen. In Zahlen: 83% der weltweiten Agrarflächen werden für die Nutztierhaltung selbst oder zur Ernährung der Tiere gebraucht, dadurch trägt jene massiv zur Abholzung von Wäldern bei. Ein großer Anteil aller menschengemachten Treibhausgase stammen aus der Fleischindustrie. Dabei verschlingt die industrielle Viehzucht mehr Wasser und Nahrungsmittel, als die Menschheit selbst konsumiert. Daraus resultiert, dass die Viehzucht deutlich mehr Kalorien verbraucht, als sie am Ende für den menschlichen Verzehr bereitstellt.

Darüber hinaus stellt der Fleischkonsum eine Gefahr für die Wirksamkeit von Antibiotika.  50% der deutschen Antibiotika werden in der Nutztierhaltung eingesetzt, diese gelangen u.a. in unsere Nahrung sowie potenziell in die Umwelt. Außerdem führt der hohe Einsatz zu Antibiotikaresistenzen. Die Nutztierhaltung führt so zu einer großen Gefahr von Pandemien, Zoonosen und multiresistenten Keimen. 

Nach Schätzungen könnte man bis zu 3,5 Milliarden Menschen mehr ernähren, wenn man die an Nutztiere verfütterte Nahrung für Menschen benutzten würde. Es ist klar, dass wir den jetzigen weltweiten Konsum von tierischen Produkten nicht im jetzigen Maß aufrechterhalten können und dürfen. Andererseits ist es offensichtlich, dass in einigen Gegenden der Erde eine Nahrungsmittelversorgung nicht ohne tierische Produkte möglich ist, viele Menschen sich eine vegane Ernährung schlichtweg nicht leisten können oder keinen ausreichenden Zugriff auf Informationen haben. Auch wollen wir niemanden tierischen Konsum verbieten, sondern dessen Kosten widerspiegeln. Eine Ernährungsreform, die ökologisch bzw. klimaneutral ausgerichtet ist und sozial gerecht umgesetzt wird, ist notwendig.

Hierzu brauchen wir eine Reform des Landwirtschaftssektors. Sowohl national als auch international. Die EU hat mit ihrem größten Haushaltsposten der Landwirtschaftssubventionen innerhalb Europas einen starken Hebel, aber auch mit ihrer Marktmacht international. Eine Reform der Subventionen sowie starke Lieferkettengesetze müssen hier Teil der Antworten sein.

Neben dem angebotsseitigen institutionellen Rahmen der Lebensmittelerzeugung gibt es aber bisher auch keine Steuerung über die Nachfrageseite. Die Umsatzsteuer (umgangssprachlich Mehrwertsteuer) ist bisher die einzige Steuer, die Konsument*innen auf alle Lebensmittel direkt bezahlen. Sie ist eine Gemeinschaftssteuer, die auf inländische Dienstleistungen und Waren anfällt. In Deutschland gibt es zwei Mehrwertsteuersätze: Den Regelsteuersatz von 19 % und den ermäßigten Steuersatz von 7 %. Gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) ermäßigt sich die Steuer auf 7 % unter anderem bei Fleisch, Fisch, Milch und Milcherzeugnissen, Eiern, Gemüse, Obst, Leitungswasser und Backwaren. Der Gesetzgeber wollte dadurch insbesondere Lebensmittel, die zu den Grundnahrungsmitteln gehören, bevorzugt behandeln. Diese Einteilung jedoch führt zu ökologisch fragwürdigen Ergebnissen: Während z.B. Kuhmilch mit 7 % besteuert wird, wird pflanzliche Milch mit 19 % besteuert. Insgesamt gibt es im jetzigen Umsatzsteuersystem einen Flickenteppich für die Erhebung auf Lebensmittel: Ein Apfel 7%, Apfelsaft 19%. Für uns als jungsozialistischer Verband ist aber klar, dass wir nicht allein höhere Steuern auf Lebensmittel erheben wollen. Wir wollen eine Vereinfachung und Vereinheitlichung der Umsatzsteuer auf alle Lebensmittel. Gleichzeitig wollen wir durch einen sozial ausgeglichenen CO2-Preis den ökologischen Preis von Nahrung berücksichtigen.

Die Jusos setzen sich für eine umfassende Reform der Lebensmittelproduktion hinzu einem klimaneutralen, ökologisch gesunden und sozial gerechten System ein:

Wir fordern daher:

  1. Die Mehrwertsteuer für alle Lebensmittel auf 7% zu setzen. Vergünstigungen, die dadurch für ungesunde wie z.B. alkoholische oder gezuckerte Lebensmittel eintreten, wollen wir gegebenenfalls durch Alkohol- oder Zuckersteuer sozial verträglich ausgleichen. Falls notwendig werden wir dies auch auf EU Ebene durchsetzen.
  2. Ein konsequenter CO2-Preis für alle Lebensmittel, der mit einer Rückzahlung an die Konsument*innen sozial ausgeglichen wird.
  3. Konsequente Durchsetzung von Tierschutz- und Umweltstandards in der Lebensmittelproduktion in Deutschland, aber auch entlang der gesamten Lieferkette.Dies bewirkt ein direktes Importverbot von Lebensmitteln, die auf illegal gerodeten Regenwaldflächen produziert wurden.
  4. Reform der EU Subventionen für die Landwirtschaft: Subvention nach ökologischen Richtlinien und nicht wie bisher nach Fläche. Besonders soll der Umstieg zu CO2 armen Produkten gefördert werden. Keine Subvention von Exportprodukten.
  5. Innerdeutsche Förderprogramme zum Umstieg auf tierfreundliche Haltung und die Subventionierung von Zertifizierungsprozessen. Langfristig dieses Programm auf EU Ebene auszuweiten.
  6. Einführung einer Flächenquote, um die Zahl der Tiere und vor allem die Menge der Gülle in der Fläche zu begrenzen.
  7. Die Gesundheits- und Landwirtschaftsministerien von Bund und Ländern dazu auf, Materialien zu alternativen Ernährungsformen zur Verfügung zu stellen. Gleichzeitig sollen vegane und vegetarische Lebensmittel als solche auch verpflichtend gekennzeichnet werden, um den Konsument*innen eine alternative Ernährung zu erleichtern.
  8. Die Kultusministerkonferenz dazu auf ein Konzept zu entwickeln, wie umweltrelevante, gesundheitliche und ethische Aspekte der Ernährung möglichst flächendeckend in die schulische Bildung integriert werden können. Mögliche Instrumente wären hier der Ausbau des Faches Ernährungslehre oder die Integration der Inhalte in Fächer wie Biologie, Geographie und Ethik/ Religionslehre/ Philosophie.

    W9 CO2-Preis anheben und umweltschädliche Subventionen abbauen!

    7.09.2021

    Die Jusos setzen sich dafür ein, dass der CO2-Preis schnellstmöglich angehoben und umweltschädliche Subventionen abgebaut werden. Konkret sollen folgende Subventionen zeitnah entfallen:

    • Energiesteuerbefreiung auf Kerosin.
    • Die Mehrwertsteuerbefreiung auf internationale Flüge.
    • Die Energiesteuervergünstigung für Diesel.
    • Die Steuervorteile für Dienstwagen, die Hybridfahrzeuge sind oder die EU-Grenzwerte für den Ausstoß von CO2 (aktuell 95g/km) nicht einhalten

    „Der Kostensatz für CO2-Emissionen stieg aufgrund der im Zeitablauf steigenden Schäden und der Inflationsanpassung von 180 Euro/Tonne im Jahr 2016 auf 195 Euro/Tonne im Jahr 2020. Werden die Nutzen heutiger und zukünftiger Generationen gleichgewichtet, ergibt sich durch die dann stärker berücksichtigten zukünftigen Schäden sogar ein Kostensatz von 680 Euro/Tonne für das Jahr 2020.“ [1]

    Auf dem Bundesparteitag der SPD 2019 in Berlin wurde beim Antrag „Wir bauen unser Land um: sozial, ökologisch, demokratisch, gerecht. Wieviel Klimaschutz soll die Sozialdemokratie wagen und welche Rolle hat die Sozialdemokratie in unserem Land bei der Bewältigung dieser Menschheitsaufgabe?“ Folgendes beschlossen:

    „Wir wollen schrittweise zu einer Internalisierung externer Kosten kommen, um den Marktmechanismus zu verbessern und die ökologischen und sozialen Folgen nicht auf Dritte abzuwälzen. Die Preise müssen die ökologische und soziale Wahrheit sagen. Wir wollen einen sozial gerechten und wirksamen CO2-Preis, in Verbindung mit einem umfassenden breit wirksamen sozialen Ausgleich. Auch wollen wir Zug um Zug die ökologisch schädlichen Subventionen abbauen.“ [3]

    Die Studie „Zehn klimaschädliche Subventionen im Fokus. Wie ein Subventionsabbau den Klimaschutz voranbringt und den Bundeshaushalt entlastet.“, welche im November 2020 vom Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft veröffentlicht wurde, zeigt die Notwendigkeit zum schnellen Agieren auf. Demnach können durch die Streichung der zehn bereits genannten Subventionen jährlich bis zu 46 Milliarden Euro und knapp 100 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente eingespart werden3. Das Umweltbundesamt schrieb 2017, dass der Vergleich der Jahre 2006, 2008, 2010 und 2012 zeigt, dass es in der Gesamtschau keinen Fortschritt beim Abbau umweltschädlicher Subventionen gab. Die Gesamtsumme der umweltschädlichen Subventionen bleibt weiterhin auf einem hohen Niveau und ein systematischer Abbau ist in Deutschland nicht zu erkennen. Zudem schrieb das Umweltbundesamt, „Weshalb der Abbau umweltschädlicher Subventionen notwendig ist“:

    „Die umweltschädlichen Subventionen beliefen sich in Deutschland im Jahr 2012 auf über 57 Milliarden Euro. Berücksichtigt sind dabei nur die wichtigsten Subventionen des Bundes, während Förderprogramme aus Landes- und kommunaler Ebene weitestgehend unberücksichtigt bleiben. In einigen Fällen ist es außerdem nicht möglich, den umweltschädlichen Anteil der Subventionen zu quantifizieren. Die Summe von 57 Milliarden Euro stellt somit lediglich eine Untergrenze der umweltschädlichen Subventionen dar.“ [4]

    In Anbetracht der Tatsache, dass Deutschland größter CO2-Emittent in Europa und sechstgrößter CO2-Emittent weltweit ist, ist eine Reduktion von umweltschädlichen Subventionen und CO2-Emissionen enorm wichtig. Zwei Gutachten des Wirtschafts- und Umweltministeriums belegen, dass Deutschland mit dem Klimapaket nicht mal seine selbstgesetzten Klimaziele bis 2030 erreichen wird. Es ist dringend erforderlich, dass wir schnellstmöglich handeln. [5]

    „Diese Beispiele zeigen die signifikante Dimension der Schäden, die jedes Jahr durch Umweltbelastungen in Deutschland entstehen. Es ist wichtig, diese oft übersehenen Kosten sichtbar zu machen: Denn die verursachten Gesundheits- und Umweltschäden sind real, für unsere heutige Gesellschaft, für unsere Kinder und Enkel, aber auch für Menschen in anderen Teilen der Welt. Gerade auch in der Diskussion um die Verwendung von Corona-Aufbauhilfen sollten wir sicherstellen, dass die öffentlichen Gelder nur für umweltgerechte Projekte und den Übergang zu einer klima- und umweltverträglichen Wirtschaft verwendet werden.“ – Dirk Messner, Chef des Umweltbundesamts. [6]

     

    [1] https://www.umweltbundesamt.de/presse/pressemitteilungen/konsequenter-umweltschutz-spart-der-gesellschaft

    [2] https://indieneuezeit.spd.de/fileadmin/pv/Dokumente/BPT2019/Beschluesse/B6_Wir_bauen_unser_Land_um_sozial__oekologisch__demokratisch__gerecht.pdf, S. 20 u. 21

    [3] https://www.greenpeace.de/sites/www.greenpeace.de/files/publications/2020-11-11_greenpeace-studie_10_klimaschaedliche_subventionen_im_fokus.pdf

    [4] https://www.umweltbundesamt.de/themen/wirtschaft-konsum/wirtschaft-umwelt/umweltschaedliche-subventionen

    [5] https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/klimapaket-der-bundesregierung-verfehlt-ziele-ministerien-gutachten-a-e1c80079-7bc7-4521-b05f-3382695cf101

    [6] https://www.umweltbundesamt.de/presse/pressemitteilungen/konsequenter-umweltschutz-spart-der-gesellschaft

    W7 Schottergärten sind tot – es lebe die Blumenwiese!

    6.09.2021

    Die Jusos setzen sich für ein Verbot von Schottergärten ein.

    Die Lage ist dramatisch. Das aktuelle Artensterben übertrifft das Massensterben am Ende der Kreidezeit.  Jede*r Einzelne muss in die Pflicht genommen werden, etwas für die Artenvielfalt zu tun.  Hierbei können Gärten einen Beitrag leisten, während Schottergärten das Gegenteil bewirken. Sie bieten keinen Lebensraum für Tiere und Insekten, speichern kein Wasser und kühlen die Umgebung nicht ab. Zudem wird der Schotter oft aus nicht-regionalen Quellen bezogen.

    W6 Moore renaturieren, Torfabbau sowie Torfprodukte verbieten.

    6.09.2021

    Die Jusos setzen sich dafür ein, dass alle Moore in Deutschland schnellstmöglich renaturiert und der Abbau von Torf sowie allen nicht zwingend notwendigen Torfprodukten verboten werden.

    Moore sind nasse Landschaften mit einem Torfboden, der weitgehend aus Kohlenstoff besteht. Nasse Moore beeinflussen die Bilanz der Treibhausgase auf zwei Weisen: Sie binden Kohlenstoffe und stoßen Methan aus. Langfristig ist der klimatische Effekt der Kohlenstoffaufnahme wichtiger als der des Methan-Ausstoßes. Denn Methan wird mit einer Verweildauer von zwölf Jahren in der Atmosphäre vergleichsweise schnell abgebaut. Wird ein Moor entwässert, dringt Sauerstoff in den Torf ein. Dadurch wird der Ausstoß von Methan gestoppt und stattdessen Kohlenstoff und Lachgas in die Atmosphäre abgegeben. Die Auswirkung auf das Klima ist hierbei 298 mal höher als bei CO2 und 12 mal höher als bei Methan. Die heimischen Moorlandschaften bedeckten ursprünglich mit 1,5 Millionen Hektar 4,2 Prozent der Landfläche Deutschlands. Heute sind sie zu 95 Prozent entwässert, abgetorft, bebaut oder landwirtschaftlich und forstwirtschaftlich genutzt. Diese Moore gelten als „tot“. Dabei erfüllen sie bedeutende Funktionen für unsere Umwelt: Sie stellen mit ihren einzigartigen Ökosystemen Lebens- und Rückzugsräume für viele bedrohte Arten dar, speichern riesige Mengen Kohlenstoff und wirken im Landschaftswasserhaushalt als Filter- und Rückhalteflächen. [1]

    Moore machen nur etwa drei Prozent der weltweiten Landfläche aus. Dabei speichern sie doppelt so viel Kohlenstoffdioxid wie alle Wälder der Erde zusammen. Alleine in Deutschland werden jährlich etwa acht Millionen Kubikmeter Torf abgebaut.

    Torf kommt in der Kosmetik, Medizin und Gartenerde zum Einsatz. Etwa ein Drittel wird von Hobby-Gärtnern verbraucht. Laut Bundesregierung entweichen alleine aus entwässerten deutschen Mooren jährlich rund 45 Millionen Tonnen CO2. Mit insgesamt 84 Prozent tragen Land- und Forstwirtschaft den größten Anteil an den Emissionen, die durch die Zerstörung von Mooren frei werden. [2]

    „Das sind rund fünf Prozent der jährlichen Gesamtemissionen in Deutschland und fast 40 Prozent der Emissionen der deutschen Landwirtschaft“, so Jochen Flasbart, Staatssekretär im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit. [3]

    Der Bericht „Naturkapital und Klimapolitik – Synergien und Konflikte.“ hat die gesellschaftlichen Kosten und die öffentlichen Fördergelder für verschiedene Landnutzungen auf Moorböden untersucht. Demnach sind die volkswirtschaftlichen Kosten des Ackerbaus auf entwässerten Moorböden um ein Vielfaches höher als die privaten Gewinne.

    „Wenn wir zum Beispiel 300.000 Hektar Moorböden in Deutschland wieder vernässen würden, ließen sich die volkswirtschaftlichen Schäden von 217 Millionen Euro pro Jahr vermeiden.“ – Der Leiter der Studie, Prof. Bernd Hansjürgens vom Helmholz-Zentrum für Umweltforschung. [4]

    Insgesamt lässt sich festhalten, dass Moore eine unglaubliche Biodiversität aufweisen und eine exzellente Arbeit im Kampf gegen den Klimawandel leisten. Wir müssen sie schützen, denn sie schützen uns.

    [1] https://www.nabu.de/natur-und-landschaft/moore/weltweit/index.html

    [2] https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/moore-mindern-co2-435992#:~:text=CO2%20%2DAussto%C3%9F%20senken&text=Mit%20insgesamt%2084%20Prozent%20tragen,der%20weitgehend%20aus%20Kohlenstoff%20besteht

    https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/moore-die-natuerlichen-filter-399710#:~:text=Torfabbau%20stoppen,Teil%20wird%20im%20Gartenbau%20verwendet.

    [3] https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/moore-mindern-co2-435992

    [4] https://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/Moore-Die-vergessenen-CO2-Speicher,moore170.html

    https://www.ardmediathek.de/swr/video/planet-wissen/das-moor-kulturlandschaft-und-klimafaktor/swr-fernsehen/Y3JpZDovL3dkci5kZS9CZWl0cmFnLWE0M2Y0YjM2LWFhZGMtNDhlNi1hMTExLThkNmVhNDliZjUzZQ/

    When bogs burn, the environment takes a hit

    https://www.moorschutz-deutschland.de/klima/oekosystemleistung/

    https://www.bfn.de/fileadmin/BfN/oekonomie/Dokumente/teeb_de_klimabericht_langfassung.pdf
    https://www.nature.com/articles/s41561-019-0454-z
    https://www.zdf.de/wissen/leschs-kosmos/klimaneutralesw-europa-aber-wie-100.html

    http://eprints.glos.ac.uk/7161/
    https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/378/publikationen/climate_change_14_2016_peatlands_forests_and_the_climate_architecture.pdf
    https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/378/publikationen/climate_change_05_2013_gather_renaturierung_von_mooren_barrierefrei.pdf

    W3 Lebensmittelverschwendung

    6.09.2021

    Jedes Jahr landen alleine in Deutschland mehr als 12 Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll.[1] Global entstehen jährlich ca. 4 Gigatonnen CO2-Äquivalent an Emissionen durch Lebensmittelverschwendung.[2]

    Dieses schadet unserem Klima und stellt eine massive Ressourcenverschwendung dar. Besonders in den reichen Ländern wird überproportional viel verschwendet. Das Gesetz der Bundesregierung aus dem Jahr 2018 gegen Lebensmittelverschwendung ist wenig mehr als eine Interessenbekundung, dass man dieses Thema ernst nehmen wolle. [3] Es fehlen konkrete Maßnahmen und das Ziel, die Lebensmittelverschwendung bis 2030 zu halbieren. Dies soll erreicht werden durch Gremien in den verschiedenen Sektoren (Landwirtschaft, Einzelhandel, Gastronomie und Verbraucher). Allerdings ist das Zeitfenster viel zu groß und schließt bizarrerweise Vereine und andere Organisationen, die sich mit Lebensmittelverschwendung auseinandersetzen, nicht mit ein.   Dies zeugt von einem absoluten Unverständnis der Realität dieses Themas. Verbände, wie die Tafeln, Foodsharing etc. setzen sich aktiv gegen die Lebensmittelverschwendung ein und werden in diesem Gesetz ignoriert.

    Wir fordern daher, dass alle Großküchen, Mensen, Buffets und sonstige Anbieter von verarbeiteten Lebensmittel, ab einer zu definierende Größe dazu verpflichtet werden müssen, ihre Lebensmittelabfälle zu reduzieren. Sie werden angehalten, übrig gebliebene Lebensmittel wieder zu verwerten, im Preis reduziert anzubieten oder zu spenden. Zudem sollen sie dazu angewiesen werden, wo möglich, ihre Waren lokal zu beziehen und zu produzieren. So wird der CO2-Fußabdruck der angebotenen Lebensmittel drastisch reduziert. Um eine Überproduktion von vornherein zu vermeiden, sollen Angebot und Menge möglichst effizient gestaltet werden.

    Im Lebensmitteleinzelhandel müssen Anreize dafür geschaffen werden, dass es nicht mehr günstiger ist, Lebensmittel weg zuwerfen. Ein Wegwerfen von noch verzehrbaren Lebensmitteln, muss mit einer Strafzahlung einhergehen, um so das Spenden attraktiver zu machen. Dazu müssen Hürden geschafft werden, die das Wegwerfen von Lebensmittel teurer als das Spenden machen. Strafzahlungen oder eine Steuer für das Entsorgen noch Verzehrbarer Lebensmittel muss her. Die Lebensmittel, die entsorgt werden müssen, etwa aufgrund eines Rückrufs, einer Verunreinigung oder einer deutlichen Überschreitung des Mindesthaltbarkeitsdatums, müssen dokumentiert und entsprechend entsorgt werden. Dies ist ein erhöhter Bürokratieaufwand, dies steht außer Frage. Dieser soll Anreiz für den Lebensmitteleinzelhandel etc. sein nicht bis zum Landeschluss Regale  voll zu stopfen um ein Bild von Überfluss zu schaffen. Gleichzeitig müssen bürokratische Hürden zum Spenden von Lebensmittel abgebaut werden.

    Konzepte wie Foodsharing und Toogoodtogo zeigen, welche Möglichkeiten der Einzelhandel hat, ohne große Mehrkosten noch verzehrbare Lebensmittel abzugeben. In der Realität ziehen viele dennoch diese Konzepte nicht in Erwägung. Das passiert oft, weil das Durchlaufen bürokratischer Prozesse nötig ist und undurchsichtige Regelungen in Bezug auf die Haftung existieren. Die jeder Logik widersprechenden Urteile zum Containern, dem Entwenden bereits weggeworfener Lebensmittel aus dem Müll, zeigen dies deutlich. Es darf nicht länger billiger sein Lebensmittel weg zuwerfen, als sie zu spenden!

    [1] https://www.bmel.de/DE/themen/ernaehrung/lebensmittelverschwendung/studie-lebensmittelabfaelle-deutschland.html [Zuletzt aufgerufen am 15.08.21]

    [2] WRI’S Climate Date Explorer (4)

    [3] https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/_Ernaehrung/Lebensmittelverschwendung/Nationale_Strategie_Lebensmittelverschwendung_2019.pdf?__blob=publicationFile&v=3 [Zuletzt aufgerufen am 15.08.21]

    N5 Solidarische Finanzierung des Rundfunkbeitrags

    6.09.2021

    Der öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR) ist ein elementarer und wichtiger Bestandteil der deutschen Medienlandschaft und dient insbesondere der Förderung des demokratischen Diskurses. Dafür wird der ÖRR unabhängig durch die Bürger*innen der Bundesrepublik in Form eines pauschalen Rundfunkbeitrags pro Wohnsitz finanziert. Dieser Beitrag stieg zuletzt, nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts trotz des Willens der Landesregierung von Sachsen- Anhalt, auf 18,36 Euro.

    Die Entscheidung des Verfassungsgerichts hob damit nochmal die besondere Bedeutung des ÖRR hervor, mit der Begründung, dass durch: “[…] vermehrten komplexen Informationsaufkommens einerseits und von einseitigen Darstellungen, Filterblasen, Fake News, Deep Fakes andererseits.”, der ÖRR mit “[…] authentische[n], sorgfältig recherchierte[n] Informationen […]” die Bürger*innen unabhängig und ohne Verzerrung über politische, wirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Themen informieren muss.

    Diesen Grundsatz eines ÖRR mit einem demokratischen Bildungsauftrags und einer unabhängigen Finanzierung unterstützen wir. Zeitgleich nehmen wir eine zunehmende Polarisierung und Unzufriedenheit mit der Pauschalisierung des Rundfunkbeitrags wahr und wollen dies durch eine einkommensabhängige Staffelung des Rundfunkbeitrags lösen. Anders als in anderen Ländern wie beispielsweise Norwegen oder Frankreich wollen wir es hier bei einem Beitrag, dessen Höhe weiterhin von der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) festgelegt wird, belassen und sehen im Gegensatz dazu von der Erhebung einer Steuer ab. So lässt sich die Unabhängigkeit des Rundfunks, beziehungsweise dessen Finanzierung, von den politischen Mehrheiten im Parlament garantieren. Allerdings soll dieser Beitrag zukünftig haushaltseinkommensabhängig und weiterhin geräteunabhängig sein. Dadurch wollen wir die Kosten des Angebots des ÖRRs zu einkommensstärkeren Haushalten umlagern und unser Idealbild einer solidarischen Gesellschaft auf die Finanzierung des Rundfunks ausweiten.

    Dass ein Beitrag nach bestimmten Maßstäben gestaffelt werden kann, zeigt sich bereits bei der aktuellen Erhebung des Rundfunkbeitrags bei Unternehmen, welcher nach Stärke und Mitarbeiterzahl der Unternehmen erhoben wird. Zudem fordern wir, dass Studierende als ganzes vom Rundfunkbeitrag befreit werden, egal ob sie BAföG beziehen oder nicht, genauso wie Auszubildende sowie Ableistende eines Bundesfreiwilligendienstes und eines freiwilligen sozialen, politischen oder ökologischen Jahres, da besonders für junge Menschen, die gerade erst ihre erste eigene Wohnung beziehen, gerade erst ihr eigenes Geld verdienen und zum ersten Mal auf eigenen Füßen stehen der Rundfunkbeitrag eine schwere finanzielle Belastung sein kann.

    Für Menschen mit Behinderungen, die es ihnen nicht erlaubt, das volle Angebot des ÖRR zu empfangen, wie taube oder blinde Menschen, soll ebenfalls eine Befreiung erfolgen. Aktuell findet lediglich eine Absenkung des Rundfunkbeitrags für Besitzer*innen eines Schwerbehindertenausweises mit der Kennzeichnung RF (für Rundfunk) auf 5,83 Euro statt. Gruppen, die bereits vom Rundfunkbeitrag befreit sind, sollen dies auch weiterhin bleiben.