S2 Ausweitung der ASS - Für den Schutz von Opfern sexualisierter Gewalt

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Status:
Angenommen

*Trigger-Warnung* Der folgende Antrag dreht sich um das Thema sexualisierte Gewalt

ASS. Das ist die Abkürzung für das Programm der „Anonymen Spurensicherung“ (auch anzeigenunabhängige Spurensicherung genannt), die ein niedrigschwelliges Angebot der Beweissicherung für Opfer sexualisierter Gewalt darstellt.

In den meisten Strafprozessen, die sich um sexuelle Übergriffe drehen, steht meist Aussage gegen Aussage. Viele Verfahren werden deshalb eingestellt; gesicherte Beweise können in so einem Fall ein Urteil bedeuten.

Auch auf Grund der Angst der Stigmatisierung und weil die emotionale Belastung nach einem Übergriff so schwer wiegt oder Opfer die Konfrontation mit Täter*innen aus dem direkten Umfeld scheuen, trauen sich viele Opfer nicht unverzüglich die Tat anzuzeigen, obwohl die ersten Stunden danach entscheidend für die Spurensicherung sind.

Wie aber sollen diese Beweise gesichert werden, wenn sich die Opfer nach der Tat nicht unverzüglich bei den Ermittlungsbehörden melden? Eine wichtige Anlaufstelle bietet die ASS. Sie wird in Krankenhäusern und so genannten Gewaltschutzambulanzen angeboten und ermöglicht den Opfern eine Sicherung der Beweise durch Fotodokumentation, Blutproben, Abstriche und Verwahrung der Kleidung. Diese Beweise werden über zehn Jahre verwahrt, auch ohne dass das Opfer Namen von Täter*innen angibt oder direkt Strafanzeige stellt. Weil Missbrauchs- und Vergewaltigungsopfer sich häufig nicht direkt nach der Tat zur Polizei trauen, dafür teils Tage, Wochen, Monate oder sogar Jahre benötigen, ist die ASS so wichtig.

In Krankenhäusern und Ambulanzen, die die ASS nicht anbieten, müssen Opfer, die sich melden, aber nicht unmittelbar Strafanzeige stellen, zurückgewiesen werden und wichtige Stunden vergehen, bevor Mitarbeiter*innen der Spurensicherung der Polizei Beweise sichern können. Bei dieser Beweissicherung ist ein Verwahren und späteres Anzeigen der Tat jedoch nicht vorgesehen.

Auch besteht die Gefahr, dass Opfer durch die Zurückweisung so abgeschreckt sind, dass sie keinerlei Sicherung der Beweise durchführen lassen.

Das Angebot der ASS, das seit 2001 eine wichtige Hilfe für Opfer sexualisierter Gewalt darstellt, weißt jedoch erhebliche Lücken, sowohl in der Finanzierung als auch in der Organisation auf.

Zunächst einmal bieten nicht alle Krankenhäuser die ASS an. Dies liegt vor allen Dingen daran, dass Ärzt*innen, die im Bereitschaftsdienst für die ASS zur Verfügung stehen nicht von den Krankenkassen bezahlt werden, da Befunddokumentationen nicht für die Vergütung vorgesehen sind. Sie sind entweder darauf angewiesen, dass das jeweilige Krankenhaus die Stunden und Leistungen separat bezahlt, oder sie müssen auf ihren Lohn verzichten. In einem Gesundheitssystem, das auf Profit und ökonomischen Vorteil ausgelegt ist, führt dies dazu, dass kein flächendeckendes Angebot der ASS zur Verfügung steht.

Besonders unzureichend erscheint die Lage in diesem Zusammenhang in Thüringen, denn dort ist kein Krankenhaus oder eine Ambulanz mit dem Angebot der ASS ansässig. Aber auch in NRW sind große Versorgungslücken zu beklagen. So finden sich in den größeren Städten zwar teils sogar mehrere Angebote, doch gerade im ländlichen Raum müssen Opfer große Distanzen zurücklegen, um Beweise sichern zu lassen. Dass dies jedoch unmittelbar nach einem Übergriff nicht so einfach möglich ist, steht außer Frage. In Duisburg, Unna und Remscheid besteht darüber hinaus gar kein Angebot.

Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat zwar angekündigt, das Angebot der ASS „flächendeckend“ auszubauen, wie dies jedoch genau umgesetzt werden soll, konnte Gleichstellungsministerin Ina Scharrenbach (CDU) nicht beantworten. Auch das Bundesgesundheitsministerium, auf das das Gleichstellungsministerium verweist, bemüht sich nicht um eine Lösung.

Das Problem der Finanzierung besteht jedoch nicht nur im Hinblick auf die Bezahlung der behandelnden Ärzt*innen. Auch die labortechnischen Verfahren und die fachgerechte Lagerung der Beweismittel, die zwingend notwendig ist, damit diese gerichtsverwertbar bleiben, müssen finanziert werden. Da es weder eine landesweite noch eine bundesweite Finanzierung für die ASS gibt, bleiben die Kliniken und Opferinitiativen diejenigen, welche die nötigen Gelder organisieren und die Kosten tragen müssen. Schon seit geraumer Zeit warnen Opferinitiativen davor, dass sich ein bereits einsetzender Trend des Rückgangs der Anlaufstellen weiter verschärfen wird. Nur die Lösung des Finanzierungsproblems kann diese Entwicklung stoppen und verbessern.

Neben diesen Finanzierungsproblemen ist auch die Bekanntheit des Angebots ein Problem. Da Opfer meist keinerlei Informationen über die ASS besitzen, verpassen sie möglicherweise die Chance, Spuren sichern zu lassen und verlieren wichtige Beweise für einen späteren Prozess. Hier zeigt sich wieder einmal, wie sich die Tabuisierung des Themas der sexualisierten Gewalt vor allem negativ auf die Opfer auswirkt.

Auch die Ausbildung der behandelnden Ärzt*innen stellt ein großes Problem dar. Etwa führen Ärzt*innen die Untersuchungen sehr verschieden durch. Sowohl in der Ausführlichkeit der Dokumentation als auch bei den durchgeführten Tests sind große Unterschiede erkennbar. Dies liegt vor allem daran, dass für Ärzt*innen zwar Weiterbildungen angeboten werden, die Beweisaufnahme jedoch nicht Teil des Studiums ist und auch Empfehlungen des Ministeriums nicht immer eingehalten werden. Bisher besteht ausschließlich das Angebot des Gobsis, dem „Gewalt-Opfer-Beweissicherungs-Informationssystems“. Auf dem Internetportal können sich interessierte Ärzt*innen Informationen zur fachgerechten Beweissicherung einholen. Das dieses Angebot jedoch auf dem Interesse und der Selbstständigkeit der Ärzt*innen beruht, zeigt, dass es nicht der Weisheit letzter Schluss sein kann.

 

Wir fordern daher:

  • Eine bundesweite Finanzierung der ASS. Dafür muss das Gesundheitsministerium die Abrechnungskataloge öffnen, um die Befunddokumentation in diese aufzunehmen. Das es mit Thüringen ein Bundesland ganz ohne ASS Angebot, und in den übrigen Ländern kein flächendeckendes Angebot gibt, ist ein untragbarer Zustand.
  • Solange das Bundesgesundheitsministerium dieser Forderung nicht nachkommt, müssen die Landesministerien eigene Übergangslösungen einrichten. Da die Abrechnungskataloge durch die Länder nicht geöffnet werden können, ist hierfür die Einrichtung eines Finanzierungstopfes speziell für die ASS unser bevorzugtes Mittel der Wahl. Eine so ausreichende Finanzierung, dass Kliniken und Ambulanzen in allen Landkreisen die ASS anbieten können, muss unser Anspruch sein.
  • Um das Angebot der ASS bekannter zu gestalten, benötigt es darüber hinaus Kampagnen sowohl auf Bundes-, als auch auf Landesebene. Es kann nicht Aufgabe von Opferinitiativen bleiben, über das Angebot zu informieren. Der gesellschaftliche Diskurs zum Umgang mit sexualisierter Gewalt und den Opfern ist längst überfällig. Diesen wollen wir forcieren und so unter Anderem dem Angebot der ASS zu mehr Bekanntheit verhelfen.
  • Die Befunddokumentation muss Pflichtteil des Medizinstudiums werden. Schon lange kritisieren wir, dass bei der Ausbildung von Ärzt*innen besonders Behandlungen, die der sexuellen Selbstbestimmung verhelfen, unzureichend Zeit eingeräumt wird. In diese Kritik ist auch das fehlende Know-how über Befunddokumentation einzubeziehen.
  • Neben dem verpflichtenden Teil im Studium muss für bereits zugelassene Ärzt*innen ein niedrigschwelliges Angebot an Weiterbildungen und Fortbildungen eingerichtet werden. In Krankenhäusern und Ambulanzen, die die ASS anbieten, müssen diese verpflichtend für das medizinische Personal, welches in die Untersuchungen involviert ist, angeboten werden.
Text des Beschlusses:

*Trigger-Warnung* Der folgende Antrag dreht sich um das Thema sexualisierte Gewalt

ASS. Das ist die Abkürzung für das Programm der „Anonymen Spurensicherung“ (auch anzeigenunabhängige Spurensicherung genannt), die ein niedrigschwelliges Angebot der Beweissicherung für Opfer sexualisierter Gewalt darstellt.

In den meisten Strafprozessen, die sich um sexuelle Übergriffe drehen, steht meist Aussage gegen Aussage. Viele Verfahren werden deshalb eingestellt; gesicherte Beweise können in so einem Fall ein Urteil bedeuten.

Auch auf Grund der Angst der Stigmatisierung und weil die emotionale Belastung nach einem Übergriff so schwer wiegt oder Opfer die Konfrontation mit Täter*innen aus dem direkten Umfeld scheuen, trauen sich viele Opfer nicht unverzüglich die Tat anzuzeigen, obwohl die ersten Stunden danach entscheidend für die Spurensicherung sind.

Wie aber sollen diese Beweise gesichert werden, wenn sich die Opfer nach der Tat nicht unverzüglich bei den Ermittlungsbehörden melden? Eine wichtige Anlaufstelle bietet die ASS. Sie wird in Krankenhäusern und so genannten Gewaltschutzambulanzen angeboten und ermöglicht den Opfern eine Sicherung der Beweise durch Fotodokumentation, Blutproben, Abstriche und Verwahrung der Kleidung. Diese Beweise werden über zehn Jahre verwahrt, auch ohne dass das Opfer Namen von Täter*innen angibt oder direkt Strafanzeige stellt. Weil Missbrauchs- und Vergewaltigungsopfer sich häufig nicht direkt nach der Tat zur Polizei trauen, dafür teils Tage, Wochen, Monate oder sogar Jahre benötigen, ist die ASS so wichtig.

In Krankenhäusern und Ambulanzen, die die ASS nicht anbieten, müssen Opfer, die sich melden, aber nicht unmittelbar Strafanzeige stellen, zurückgewiesen werden und wichtige Stunden vergehen, bevor Mitarbeiter*innen der Spurensicherung der Polizei Beweise sichern können. Bei dieser Beweissicherung ist ein Verwahren und späteres Anzeigen der Tat jedoch nicht vorgesehen.

Auch besteht die Gefahr, dass Opfer durch die Zurückweisung so abgeschreckt sind, dass sie keinerlei Sicherung der Beweise durchführen lassen.

Das Angebot der ASS, das seit 2001 eine wichtige Hilfe für Opfer sexualisierter Gewalt darstellt, weißt jedoch erhebliche Lücken, sowohl in der Finanzierung als auch in der Organisation auf.

Zunächst einmal bieten nicht alle Krankenhäuser die ASS an. Dies liegt vor allen Dingen daran, dass Ärzt*innen, die im Bereitschaftsdienst für die ASS zur Verfügung stehen nicht von den Krankenkassen bezahlt werden, da Befunddokumentationen nicht für die Vergütung vorgesehen sind. Sie sind entweder darauf angewiesen, dass das jeweilige Krankenhaus die Stunden und Leistungen separat bezahlt, oder sie müssen auf ihren Lohn verzichten. In einem Gesundheitssystem, das auf Profit und ökonomischen Vorteil ausgelegt ist, führt dies dazu, dass kein flächendeckendes Angebot der ASS zur Verfügung steht.

Besonders unzureichend erscheint die Lage in diesem Zusammenhang in Thüringen, denn dort ist kein Krankenhaus oder eine Ambulanz mit dem Angebot der ASS ansässig. Aber auch in NRW sind große Versorgungslücken zu beklagen. So finden sich in den größeren Städten zwar teils sogar mehrere Angebote, doch gerade im ländlichen Raum müssen Opfer große Distanzen zurücklegen, um Beweise sichern zu lassen. Dass dies jedoch unmittelbar nach einem Übergriff nicht so einfach möglich ist, steht außer Frage. In Duisburg, Unna und Remscheid besteht darüber hinaus gar kein Angebot.

Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat zwar angekündigt, das Angebot der ASS „flächendeckend“ auszubauen, wie dies jedoch genau umgesetzt werden soll, konnte Gleichstellungsministerin Ina Scharrenbach (CDU) nicht beantworten. Auch das Bundesgesundheitsministerium, auf das das Gleichstellungsministerium verweist, bemüht sich nicht um eine Lösung.

Das Problem der Finanzierung besteht jedoch nicht nur im Hinblick auf die Bezahlung der behandelnden Ärzt*innen. Auch die labortechnischen Verfahren und die fachgerechte Lagerung der Beweismittel, die zwingend notwendig ist, damit diese gerichtsverwertbar bleiben, müssen finanziert werden. Da es weder eine landesweite noch eine bundesweite Finanzierung für die ASS gibt, bleiben die Kliniken und Opferinitiativen diejenigen, welche die nötigen Gelder organisieren und die Kosten tragen müssen. Schon seit geraumer Zeit warnen Opferinitiativen davor, dass sich ein bereits einsetzender Trend des Rückgangs der Anlaufstellen weiter verschärfen wird. Nur die Lösung des Finanzierungsproblems kann diese Entwicklung stoppen und verbessern.

Neben diesen Finanzierungsproblemen ist auch die Bekanntheit des Angebots ein Problem. Da Opfer meist keinerlei Informationen über die ASS besitzen, verpassen sie möglicherweise die Chance, Spuren sichern zu lassen und verlieren wichtige Beweise für einen späteren Prozess. Hier zeigt sich wieder einmal, wie sich die Tabuisierung des Themas der sexualisierten Gewalt vor allem negativ auf die Opfer auswirkt.

Auch die Ausbildung der behandelnden Ärzt*innen stellt ein großes Problem dar. Etwa führen Ärzt*innen die Untersuchungen sehr verschieden durch. Sowohl in der Ausführlichkeit der Dokumentation als auch bei den durchgeführten Tests sind große Unterschiede erkennbar. Dies liegt vor allem daran, dass für Ärzt*innen zwar Weiterbildungen angeboten werden, die Beweisaufnahme jedoch nicht Teil des Studiums ist und auch Empfehlungen des Ministeriums nicht immer eingehalten werden. Bisher besteht ausschließlich das Angebot des Gobsis, dem „Gewalt-Opfer-Beweissicherungs-Informationssystems“. Auf dem Internetportal können sich interessierte Ärzt*innen Informationen zur fachgerechten Beweissicherung einholen. Das dieses Angebot jedoch auf dem Interesse und der Selbstständigkeit der Ärzt*innen beruht, zeigt, dass es nicht der Weisheit letzter Schluss sein kann.

Wir fordern daher:

  • Eine bundesweite Finanzierung der ASS. Dafür muss das Gesundheitsministerium die Abrechnungskataloge öffnen, um die Befunddokumentation in diese aufzunehmen. Das es mit Thüringen ein Bundesland ganz ohne ASS Angebot, und in den übrigen Ländern kein flächendeckendes Angebot gibt, ist ein untragbarer Zustand.
  • Solange das Bundesgesundheitsministerium dieser Forderung nicht nachkommt, müssen die Landesministerien eigene Übergangslösungen einrichten. Da die Abrechnungskataloge durch die Länder nicht geöffnet werden können, ist hierfür die Einrichtung eines Finanzierungstopfes speziell für die ASS unser bevorzugtes Mittel der Wahl. Eine so ausreichende Finanzierung, dass Kliniken und Ambulanzen in allen Landkreisen die ASS anbieten können, muss unser Anspruch sein.
  • Um das Angebot der ASS bekannter zu gestalten, benötigt es darüber hinaus Kampagnen sowohl auf Bundes-, als auch auf Landesebene. Es kann nicht Aufgabe von Opferinitiativen bleiben, über das Angebot zu informieren. Der gesellschaftliche Diskurs zum Umgang mit sexualisierter Gewalt und den Opfern ist längst überfällig. Diesen wollen wir forcieren und so unter Anderem dem Angebot der ASS zu mehr Bekanntheit verhelfen.
  • Die Befunddokumentation muss Pflichtteil des Medizinstudiums werden. Schon lange kritisieren wir, dass bei der Ausbildung von Ärzt*innen besonders Behandlungen, die der sexuellen Selbstbestimmung verhelfen, unzureichend Zeit eingeräumt wird. In diese Kritik ist auch das fehlende Know-how über Befunddokumentation einzubeziehen.
  • Neben dem verpflichtenden Teil im Studium muss für bereits zugelassene Ärzt*innen ein niedrigschwelliges Angebot an Weiterbildungen und Fortbildungen eingerichtet werden. In Krankenhäusern und Ambulanzen, die die ASS anbieten, müssen diese verpflichtend für das medizinische Personal, welches in die Untersuchungen involviert ist, angeboten werden.
Beschluss-PDF:

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