F6 Powerhäuser? Nicht mit uns! – Für dezentralen, bedarfsgerechten Gewaltschutz für Frauen

Status:
Mit Änderungen angenommen

Triggerwarnung: Im Folgenden wird (sexualisierte) Gewalt gegen Frauen* und Kinder thematisiert.

Als feministischer Verband finden wir es wichtig und richtig, dass die schwarz-gelbe Landesregierung den Gewaltschutz für Frauen* in Nordrhein-Westfalen voranbringen und stärken möchte. Die Förderung der Hilfs- und Beratungsstrukturen von der Landesseite ist unumgänglich, um eine flächendeckende Versorgung in ganz NRW zu gewährleisten. Unterstützungsangebote für Frauen* müssen vorhanden sein und in Anspruch genommen werden können – egal, ob in der Stadt oder in ländlichen Regionen. Sowohl während der Pandemie als auch unabhängig von dieser muss der Schutz von Frauen*, die Gewalt erfahren haben, jederzeit sichergestellt sein.

Als Jungsozialist*innen ist es unser erklärtes Ziel, die Unterstützungsleistungen für von Gewalt betroffene Frauen* und Kinder auszubauen. Allerdings teilen wir nicht das Verständnis der Landesregierung, wie dieses Ziel erreicht werden soll. Einige Pläne des Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung unter Leitung von Ministerin Scharrenbach sehen wir kritisch.

Zunächst wird vom Ministerium anerkannt, dass viele Menschen, denen Gewalt widerfahren ist, nicht wissen, an wen sie sich diesbezüglich wenden können. Häufig herrscht wenig bis keine Information darüber, welche Beratungs- und Schutzeinrichtungen professionelle Hilfe für Betroffene leisten. Zudem könne die Vielfalt und Differenziertheit der Unterstützungsangebote laut dem Ministerium zu einem Problem werden: zum einen könnte eine organisatorisch niedrigschwellige Versorgung für Menschen, die Beratung und Schutz von verschiedenen Stellen in Anspruch nehmen, erschwert sein. Zum anderen seien die Wege zu unterstützenden Einrichtungen aufgrund der Komplexität des Hilfssystems oft weit und schwierig zu erreichen.

Um diesen Problemen entgegenzuwirken, hat Gleichstellungsministerin Scharrenbach unterschiedliche Maßnahmen formuliert, die im Rahmen des sogenannten „Nordrhein-Westfalen-Pakt gegen Gewalt“ verwirklicht werden sollen. In einem ersten – noch nicht endgültigen – Entwurf des Anti-Gewalt-Paktes ist die Etablierung sogenannter „Powerhäuser“ vorgesehen, die der Weiterentwicklung des Gewaltschutzes für Frauen* dienen sollen. In den Powerhäusern will die Landesregierung diverse Hilfsangebote an einem Ort zentralisieren. Verschiedene Schutzeinrichtungen und Beratungsstellen, die auf unterschiedliche Gewaltformen spezialisiert sind, sollen unter einem Dach zusammengebracht werden. Dadurch sollen die Einrichtungen an Bekanntheit gewinnen und der organisatorische sowie räumliche Zugang zu diesen soll erleichtert werden. Neben Unterstützungsangeboten für Frauen* und Kinder sollen auch Stellen gegen Gewalt gegen Männer und die Arbeit mit Täter*innen in den Powerhäusern einen Platz finden.

Umfassende, barrierefreie Information statt Zentralisierung

Als Jusos erkennen wir das Problem an, dass die nordrhein-westfälische Bevölkerung nicht hinreichend über Hilfsangebote und Beratungsstrukturen bei Gewalterfahrung informiert ist. Daran möchten wir entschieden arbeiten. Die geeignete Lösung für eine bessere Information kann aber nicht sein, die verschiedenen unterstützenden Stellen an einen Ort zu verlagern.

Wir wollen durch andere Maßnahmen auf die Angebote aufmerksam machen. Professionelle Hilfe bei Gewalterfahrung muss barrierefrei und inklusiv gestaltet sein. Das inkludiert sowohl vor Ort für einen Zugang ohne Treppen zu sorgen als auch auditive Informationen und Brailleschrift zu berücksichtigen. Informationen müssen in einfacher Sprache bereitgestellt sein, damit sie für alle Menschen verständlich sind – egal, welchen Hintergrund eine Person hat. Zusätzlich muss auf verschiedenen Sprachen aufgeklärt werden, um beispielsweise auch migrantisierte und geflüchtete Frauen* zu erreichen. Auch die spätere Beratung und Therapie muss muttersprachlich möglich sein, damit betroffene Frauen* ihre Erfahrungen und Gefühle schildern können, ihnen Angst genommen wird und mögliche Hemmnisse abgebaut werden. Das bedeutet auch, die Kosten für Dolmetscher*innen bereitzustellen, was bislang nicht immer der Fall ist. Damit alle Menschen und insbesondere Mitglieder der LGBTQI+ Community wissen, an welche Stellen sie sich wenden können, muss darüber auf Websites und Broschüren der Einrichtungen informiert werden.

Informationen über die verschiedenen Hilfsangebote müssen über ganz verschiedene Kanäle an von Gewalt Betroffene gelangen. Dazu zählen leicht verständliche Plakate und Broschüren an öffentlichen Orten, aber auch Information und Gewaltprävention in Schulen oder Unterkünften, wo beispielsweise geflüchtete Menschen untergebracht sind. Nur so kann beachtet werden, dass die Hürde, Hilfe in Anspruch zu nehmen, so niedrig wie möglich ist. Selbstverständlich muss im 21. Jahrhundert neben der analogen Welt auch über Social Media informiert werden.

Keine Bedarfsgerechtigkeit mit Powerhäusern!

Dass Schutzeinrichtungen und Beratungsstellen für viele Frauen* aufgrund von weiter Entfernung und schlechtem Anschluss nicht gut zu erreichen sind, ist eine weitere Schwierigkeit, der wir uns widmen müssen. Allerdings lösen Powerhäuser dieses Problem nicht, sondern verstärken es. Durch zentralisierte Stellen an einem Ort wird kein flächendeckendes Angebot gewährleistet, dass Frauen* in allen Regionen Zugang zu Hilfe ermöglicht – so kann keine wohnortnahe Versorgung garantiert werden. Infolgedessen ist die Erreichbarkeit der Powerhäuser vor allem für Frauen*, die aufgrund ihres Alters, einer Erkrankung oder finanziellen Gründen weniger mobil sind, nicht sichergestellt. Auch Frauen* mit Kindern, die diese nicht aus ihrem gewohnten Umfeld (mit Schule und KiTa) reißen wollen, möchten wohnortnah untergebracht werden. Die Wege zu den Powerhäusern sind für viele Frauen* teurer und weiter, sodass insbesondere für Frauen* aus dem ländlichen Raum ohne Auto aufgrund von unzureichender ÖPNV-Anbindung weitere Schwierigkeiten entstehen. Die räumliche Niedrigschwelligkeit, die sich die Landesregierung durch die Zentralisierung der Hilfsangebote erhofft, wird in vielen Fällen nicht erfüllt werden können. Zudem schränken Powerhäuser die Wahlfreiheit der Betroffenen ein, die bei ihrer Hilfesuche gegeben sein muss.

Die Beratungsstruktur würde durch die Zentralisierung nicht nur räumlich nicht mehr bedarfsgerecht sein. Um die Bedarfsgerechtigkeit der Unterstützungsangebote zu bewahren, muss ihre Komplexität und Differenziertheit aufrechterhalten werden. Wesentlich dafür ist die Autonomie und Diversität der verschiedenen Träger und Kooperationspartner*innen, denn nur mit einer Vielfalt an Angeboten kann auf die Vielfalt an Bedarfen reagiert werden. Vom Patriarchat marginalisierte Gruppen wie Frauen*, die Gewalt im Migrations- und/oder Fluchtprozess erfahren haben, Frauen* mit Behinderung, illegalisierte Frauen*, Frauen mit psychischen und/oder physischen Erkrankungen, Menschen, deren geschlechtliche Identität und Sexualität nicht der heteronormativen Vorstellung entspricht, und weitere müssen durch differenzierte, spezialisierte Beratung Berücksichtigung für ihre spezifischen Bedürfnisse finden.

Eine Vernetzung der Hilfsangebote untereinander ist essenziell, um die Versorgung von Betroffenen bestmöglich zu gewährleisten. Verschiedene Einrichtungen an einem Ort unterzubringen, kann nicht der Weisheit letzter Schluss sein, um Vernetzung zu erreichen. Diese muss durch die Erhöhung finanzieller, zeitlicher und personeller Ressourcen ermöglicht werden.

Powerhäuser bedeuten Unsicherheit für Frauen*

Um eine Erhöhung der Sicherheit für von Gewalt betroffene Frauen* zu erreichen, wie sie sich die nordrhein-westfälische Landesregierung von der Etablierung der Powerhäuser verspricht, ist es gerade wichtig, dass Schutzeinrichtungen und Beratungsstellen an unauffälligen Orten gelegen sind. Wenn betroffene Frauen* Unterstützung in Anspruch nehmen, ist dies eine private und persönliche Angelegenheit, von der nicht jede und jeder wissen muss, wenn dies nicht gewünscht ist. In vielen Fällen ist es gerade diese Privatsphäre, die Leben rettet, wenn eine Frau* vor Gewalt in den eigenen vier Wänden flüchten muss. Diskretion und Privatsphäre können besser bewahrt werden, wenn Hilfsangebote dezentral und nicht an einem Ort lokalisiert sind. Plan des Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung ist es, zahlreiche Beratungsstellen, Behörden, Schutzeinrichtungen und Kooperationspartner*innen unter einem Dach anzuordnen, sodass ein solches Gelände riesig und auffällig wäre. Die Landesregierung strebt an, einen hohen Bekanntheitsgrad für die Powerhäuser zu erreichen, sodass jede*r über die dort ansässigen Unterstützungsangebote für Gewaltschutz Bescheid wüsste. Frauen*, Mädchen* und Kinder, die zu einem Powerhaus laufen oder mit dem Rad oder öffentlichen Verkehrsmitteln fahren, könnten dabei beobachtet oder im schlimmsten Fall verfolgt werden. Ihre Privatsphäre und Anonymität werden verletzt, ihr Schutz wird bedroht. Weil Sicherheit für Frauen* und insbesondere für von Gewalt betroffene Frauen* für uns als feministischen Verband gewährleitet werden muss, lehnen wir eine Zentralisierung der Hilfsangebote entschieden ab, denn diese gefährden die Sicherheit von Frauen* und Kindern.

Ungleiches auch ungleich behandeln!

Die Unsicherheit, die Frauen* durch eine Zentralisierung der unterstützenden Einrichtungen widerfährt, wird darüber hinaus dadurch verstärkt, dass Täter*innenarbeit und Gewaltschutz für Männer ebenso Raum in den Powerhäusern finden sollen. Ohne die Bedeutung von Täter*innenarbeit negieren zu wollen, darf diese keinen Platz an dem Ort haben, an dem von Gewalt betroffene Frauen* Schutz suchen. Der safer space, den Frauen*beratungsstellen und Frauen*häuser für Betroffene aufbauen, wird durch die Präsenz der (überwiegend männlichen) Täter*innen und Hilfsangebote für Männer stark bedroht.

In einer heteronormativen Gesellschaft mit patriarchalen Machtverhältnissen wie der unseren muss geschlechtsspezifische Gewalt anerkannt werden. Frauen* werden häufiger gestalkt und sexuell belästigt. Catcalling gehört für viele Frauen* zum Alltag. Das Ermorden von Frauen* aufgrund ihres Frau*seins, Femizide, haben einen Namen bekommen. Nach einer Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend waren etwa 115.000 der 141.792 erfassten Opfer von Partnerschaftsgewalt im Jahr 2019 weiblich, was mehr als 81% ausmacht. Von Vergewaltigung, sexueller Nötigung und sexuellen Übergriffen in Paarbeziehungen waren zu 98,1% Frauen* betroffen. 76,4% der Opfer von Mord und Totschlag in Partnerschaften waren weiblich. Gewalt gegen Frauen* und Gewalt gegen Männer darf niemals gleichgesetzt werden und muss ungleich behandelt werden, denn sonst wird Gewalt gegen Frauen* verharmlost.

Trotzdem muss auch die Existenz von Gewalt gegen Männer anerkannt werden – sie ist Realität und wird häufig nicht wahrgenommen und ausgeblendet. Um für von Gewalt betroffene Männer Unterstützungsangebote bereitzustellen, die ihren Bedarfen entsprechen, ist es umso wichtiger, zwischen Gewalt gegen Frauen* und Gewalt gegen Männer zu differenzieren. Nur so können spezifische Hilfsleistungen für Männer geboten werden, die an ihre männlich sozialisierten Lebenswelten anknüpfen.

Aus unserer Sicht lässt sich durch viele Punkte, die im Rahmen des „Nordrhein-Westfalen-Pakts gegen Gewalt“ vom Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung formuliert werden, das eigentliche Ziel des Paktes nicht erreichen: mehr Gewaltschutz für Frauen*. Einige Maßnahmen erschweren die Situation für Frauen*, statt sie zu verbessern. Insbesondere die angestrebten Powerhäuser sind ein Schritt zurück für alle, die sich seit Jahren und Jahrzehnten für den Schutz von Frauen* einsetzen. Wir solidarisieren uns mit den Verbänden, Kooperationspartner*innen und Trägern, die die geplante Zentralisierung der Hilfsangebote ablehnen.

Wir fordern:

  • Umfassende Information und Aufklärung über Hilfsangebote für von Gewalt betroffene Menschen: barrierefrei, in zahlreichen Sprachen und über verschiedene analoge sowie digitale Kanäle verbreitet.
  • Die Sicherstellung der Übernahme von Kosten für Dolmetscher*innen, wenn diese bei der Beratung und dem Schutz von von Gewalt Betroffenen benötigt werden.
  • Dass die Versorgung von von Gewalt betroffenen Menschen bedarfsgerecht nach den Maßgaben der Istanbulkonvention für alle Menschen zugänglich ist. Die Umsetzung von zentralisierten Powerhäusern lehnen wir ab, um flächendeckend und insbesondere in ländlichen Regionen Gewaltschutz zu garantieren.
  • Dass die Sicherheit von Frauen* und Kindern an oberster Stelle stehen. Da die geplanten Powerhäuser den Schutz von betroffenen Frauen* und Kindern bedrohen, fordern wir, dass Hilfsangebote weiterhin dezentral organisiert und lokalisiert bleiben.
  • Dass die Differenziertheit und Komplexität von Hilfsstrukturen bewahrt bleibt, um bedarfsgerechte Unterstützung zu gewährleisten.
  • Dass Gewalt gegen Frauen* und Gewalt gegen Männer differenziert betrachtet und behandelt werden. Täter*innenarbeit und Schutz von Frauen* und Kindern, denen Gewalt widerfahren ist, darf niemals am gleichen Ort stattfinden.
Änderungsanträge
Status Kürzel Zeile AntragstellerInnen Text PDF
Angenommen Ä2 zum F6 2 UB Köln Ändere im gesamten Antrag "Frauen*" in "Frauen"
Text des Beschlusses:

Triggerwarnung: Im Folgenden wird (sexualisierte) Gewalt gegen Frauen und Kinder thematisiert.

Als feministischer Verband finden wir es wichtig und richtig, dass die schwarz-gelbe Landesregierung den Gewaltschutz für Frauen in Nordrhein-Westfalen voranbringen und stärken möchte. Die Förderung der Hilfs- und Beratungsstrukturen von der Landesseite ist unumgänglich, um eine flächendeckende Versorgung in ganz NRW zu gewährleisten. Unterstützungsangebote für Frauen müssen vorhanden sein und in Anspruch genommen werden können – egal, ob in der Stadt oder in ländlichen Regionen. Sowohl während der Pandemie als auch unabhängig von dieser muss der Schutz von Frauen, die Gewalt erfahren haben, jederzeit sichergestellt sein.

Als Jungsozialist*innen ist es unser erklärtes Ziel, die Unterstützungsleistungen für von Gewalt betroffene Frauen und Kinder auszubauen. Allerdings teilen wir nicht das Verständnis der Landesregierung, wie dieses Ziel erreicht werden soll. Einige Pläne des Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung unter Leitung von Ministerin Scharrenbach sehen wir kritisch.

Zunächst wird vom Ministerium anerkannt, dass viele Menschen, denen Gewalt widerfahren ist, nicht wissen, an wen sie sich diesbezüglich wenden können. Häufig herrscht wenig bis keine Information darüber, welche Beratungs- und Schutzeinrichtungen professionelle Hilfe für Betroffene leisten. Zudem könne die Vielfalt und Differenziertheit der Unterstützungsangebote laut dem Ministerium zu einem Problem werden: zum einen könnte eine organisatorisch niedrigschwellige Versorgung für Menschen, die Beratung und Schutz von verschiedenen Stellen in Anspruch nehmen, erschwert sein. Zum anderen seien die Wege zu unterstützenden Einrichtungen aufgrund der Komplexität des Hilfssystems oft weit und schwierig zu erreichen.

Um diesen Problemen entgegenzuwirken, hat Gleichstellungsministerin Scharrenbach unterschiedliche Maßnahmen formuliert, die im Rahmen des sogenannten „Nordrhein-Westfalen-Pakt gegen Gewalt“ verwirklicht werden sollen. In einem ersten – noch nicht endgültigen – Entwurf des Anti-Gewalt-Paktes ist die Etablierung sogenannter „Powerhäuser“ vorgesehen, die der Weiterentwicklung des Gewaltschutzes für Frauen dienen sollen. In den Powerhäusern will die Landesregierung diverse Hilfsangebote an einem Ort zentralisieren. Verschiedene Schutzeinrichtungen und Beratungsstellen, die auf unterschiedliche Gewaltformen spezialisiert sind, sollen unter einem Dach zusammengebracht werden. Dadurch sollen die Einrichtungen an Bekanntheit gewinnen und der organisatorische sowie räumliche Zugang zu diesen soll erleichtert werden. Neben Unterstützungsangeboten für Frauen und Kinder sollen auch Stellen gegen Gewalt gegen Männer und die Arbeit mit Täter*innen in den Powerhäusern einen Platz finden.

Umfassende, barrierefreie Information statt Zentralisierung

Als Jusos erkennen wir das Problem an, dass die nordrhein-westfälische Bevölkerung nicht hinreichend über Hilfsangebote und Beratungsstrukturen bei Gewalterfahrung informiert ist. Daran möchten wir entschieden arbeiten. Die geeignete Lösung für eine bessere Information kann aber nicht sein, die verschiedenen unterstützenden Stellen an einen Ort zu verlagern.

Wir wollen durch andere Maßnahmen auf die Angebote aufmerksam machen. Professionelle Hilfe bei Gewalterfahrung muss barrierefrei und inklusiv gestaltet sein. Das inkludiert sowohl vor Ort für einen Zugang ohne Treppen zu sorgen als auch auditive Informationen und Brailleschrift zu berücksichtigen. Informationen müssen in einfacher Sprache bereitgestellt sein, damit sie für alle Menschen verständlich sind – egal, welchen Hintergrund eine Person hat. Zusätzlich muss auf verschiedenen Sprachen aufgeklärt werden, um beispielsweise auch migrantisierte und geflüchtete Frauen zu erreichen. Auch die spätere Beratung und Therapie muss muttersprachlich möglich sein, damit betroffene Frauen ihre Erfahrungen und Gefühle schildern können, ihnen Angst genommen wird und mögliche Hemmnisse abgebaut werden. Das bedeutet auch, die Kosten für Dolmetscher*innen bereitzustellen, was bislang nicht immer der Fall ist. Damit alle Menschen und insbesondere Mitglieder der LGBTQI+ Community wissen, an welche Stellen sie sich wenden können, muss darüber auf Websites und Broschüren der Einrichtungen informiert werden.

Informationen über die verschiedenen Hilfsangebote müssen über ganz verschiedene Kanäle an von Gewalt Betroffene gelangen. Dazu zählen leicht verständliche Plakate und Broschüren an öffentlichen Orten, aber auch Information und Gewaltprävention in Schulen oder Unterkünften, wo beispielsweise geflüchtete Menschen untergebracht sind. Nur so kann beachtet werden, dass die Hürde, Hilfe in Anspruch zu nehmen, so niedrig wie möglich ist. Selbstverständlich muss im 21. Jahrhundert neben der analogen Welt auch über Social Media informiert werden.

Keine Bedarfsgerechtigkeit mit Powerhäusern!

Dass Schutzeinrichtungen und Beratungsstellen für viele Frauen aufgrund von weiter Entfernung und schlechtem Anschluss nicht gut zu erreichen sind, ist eine weitere Schwierigkeit, der wir uns widmen müssen. Allerdings lösen Powerhäuser dieses Problem nicht, sondern verstärken es. Durch zentralisierte Stellen an einem Ort wird kein flächendeckendes Angebot gewährleistet, dass Frauen in allen Regionen Zugang zu Hilfe ermöglicht – so kann keine wohnortnahe Versorgung garantiert werden. Infolgedessen ist die Erreichbarkeit der Powerhäuser vor allem für Frauen, die aufgrund ihres Alters, einer Erkrankung oder finanziellen Gründen weniger mobil sind, nicht sichergestellt. Auch Frauen mit Kindern, die diese nicht aus ihrem gewohnten Umfeld (mit Schule und KiTa) reißen wollen, möchten wohnortnah untergebracht werden. Die Wege zu den Powerhäusern sind für viele Frauen teurer und weiter, sodass insbesondere für Frauen aus dem ländlichen Raum ohne Auto aufgrund von unzureichender ÖPNV-Anbindung weitere Schwierigkeiten entstehen. Die räumliche Niedrigschwelligkeit, die sich die Landesregierung durch die Zentralisierung der Hilfsangebote erhofft, wird in vielen Fällen nicht erfüllt werden können. Zudem schränken Powerhäuser die Wahlfreiheit der Betroffenen ein, die bei ihrer Hilfesuche gegeben sein muss.

Die Beratungsstruktur würde durch die Zentralisierung nicht nur räumlich nicht mehr bedarfsgerecht sein. Um die Bedarfsgerechtigkeit der Unterstützungsangebote zu bewahren, muss ihre Komplexität und Differenziertheit aufrechterhalten werden. Wesentlich dafür ist die Autonomie und Diversität der verschiedenen Träger und Kooperationspartner*innen, denn nur mit einer Vielfalt an Angeboten kann auf die Vielfalt an Bedarfen reagiert werden. Vom Patriarchat marginalisierte Gruppen wie Frauen, die Gewalt im Migrations- und/oder Fluchtprozess erfahren haben, Frauen mit Behinderung, illegalisierte Frauen, Frauen mit psychischen und/oder physischen Erkrankungen, Menschen, deren geschlechtliche Identität und Sexualität nicht der heteronormativen Vorstellung entspricht, und weitere müssen durch differenzierte, spezialisierte Beratung Berücksichtigung für ihre spezifischen Bedürfnisse finden.

Eine Vernetzung der Hilfsangebote untereinander ist essenziell, um die Versorgung von Betroffenen bestmöglich zu gewährleisten. Verschiedene Einrichtungen an einem Ort unterzubringen, kann nicht der Weisheit letzter Schluss sein, um Vernetzung zu erreichen. Diese muss durch die Erhöhung finanzieller, zeitlicher und personeller Ressourcen ermöglicht werden.

Powerhäuser bedeuten Unsicherheit für Frauen

Um eine Erhöhung der Sicherheit für von Gewalt betroffene Frauen zu erreichen, wie sie sich die nordrhein-westfälische Landesregierung von der Etablierung der Powerhäuser verspricht, ist es gerade wichtig, dass Schutzeinrichtungen und Beratungsstellen an unauffälligen Orten gelegen sind. Wenn betroffene Frauen Unterstützung in Anspruch nehmen, ist dies eine private und persönliche Angelegenheit, von der nicht jede und jeder wissen muss, wenn dies nicht gewünscht ist. In vielen Fällen ist es gerade diese Privatsphäre, die Leben rettet, wenn eine Frau vor Gewalt in den eigenen vier Wänden flüchten muss. Diskretion und Privatsphäre können besser bewahrt werden, wenn Hilfsangebote dezentral und nicht an einem Ort lokalisiert sind. Plan des Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung ist es, zahlreiche Beratungsstellen, Behörden, Schutzeinrichtungen und Kooperationspartner*innen unter einem Dach anzuordnen, sodass ein solches Gelände riesig und auffällig wäre. Die Landesregierung strebt an, einen hohen Bekanntheitsgrad für die Powerhäuser zu erreichen, sodass jede*r über die dort ansässigen Unterstützungsangebote für Gewaltschutz Bescheid wüsste. Frauen, Mädchen und Kinder, die zu einem Powerhaus laufen oder mit dem Rad oder öffentlichen Verkehrsmitteln fahren, könnten dabei beobachtet oder im schlimmsten Fall verfolgt werden. Ihre Privatsphäre und Anonymität werden verletzt, ihr Schutz wird bedroht. Weil Sicherheit für Frauen und insbesondere für von Gewalt betroffene Frauen für uns als feministischen Verband gewährleitet werden muss, lehnen wir eine Zentralisierung der Hilfsangebote entschieden ab, denn diese gefährden die Sicherheit von Frauen und Kindern.

Ungleiches auch ungleich behandeln!

Die Unsicherheit, die Frauen durch eine Zentralisierung der unterstützenden Einrichtungen widerfährt, wird darüber hinaus dadurch verstärkt, dass Täter*innenarbeit und Gewaltschutz für Männer ebenso Raum in den Powerhäusern finden sollen. Ohne die Bedeutung von Täter*innenarbeit negieren zu wollen, darf diese keinen Platz an dem Ort haben, an dem von Gewalt betroffene Frauen Schutz suchen. Der safer space, den Frauenberatungsstellen und Frauenhäuser für Betroffene aufbauen, wird durch die Präsenz der (überwiegend männlichen) Täter*innen und Hilfsangebote für Männer stark bedroht.

In einer heteronormativen Gesellschaft mit patriarchalen Machtverhältnissen wie der unseren muss geschlechtsspezifische Gewalt anerkannt werden. Frauen werden häufiger gestalkt und sexuell belästigt. Catcalling gehört für viele Frauen zum Alltag. Das Ermorden von Frauen aufgrund ihres Frauseins, Femizide, haben einen Namen bekommen. Nach einer Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend waren etwa 115.000 der 141.792 erfassten Opfer von Partnerschaftsgewalt im Jahr 2019 weiblich, was mehr als 81% ausmacht. Von Vergewaltigung, sexueller Nötigung und sexuellen Übergriffen in Paarbeziehungen waren zu 98,1% Frauen betroffen. 76,4% der Opfer von Mord und Totschlag in Partnerschaften waren weiblich. Gewalt gegen Frauen und Gewalt gegen Männer darf niemals gleichgesetzt werden und muss ungleich behandelt werden, denn sonst wird Gewalt gegen Frauenverharmlost.

Trotzdem muss auch die Existenz von Gewalt gegen Männer anerkannt werden – sie ist Realität und wird häufig nicht wahrgenommen und ausgeblendet. Um für von Gewalt betroffene Männer Unterstützungsangebote bereitzustellen, die ihren Bedarfen entsprechen, ist es umso wichtiger, zwischen Gewalt gegen Frauen und Gewalt gegen Männer zu differenzieren. Nur so können spezifische Hilfsleistungen für Männer geboten werden, die an ihre männlich sozialisierten Lebenswelten anknüpfen.

Aus unserer Sicht lässt sich durch viele Punkte, die im Rahmen des „Nordrhein-Westfalen-Pakts gegen Gewalt“ vom Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung formuliert werden, das eigentliche Ziel des Paktes nicht erreichen: mehr Gewaltschutz für Frauen. Einige Maßnahmen erschweren die Situation für Frauen, statt sie zu verbessern. Insbesondere die angestrebten Powerhäuser sind ein Schritt zurück für alle, die sich seit Jahren und Jahrzehnten für den Schutz von Frauen einsetzen. Wir solidarisieren uns mit den Verbänden, Kooperationspartner*innen und Trägern, die die geplante Zentralisierung der Hilfsangebote ablehnen.

Wir fordern:

  • Umfassende Information und Aufklärung über Hilfsangebote für von Gewalt betroffene Menschen: barrierefrei, in zahlreichen Sprachen und über verschiedene analoge sowie digitale Kanäle verbreitet.
  • Die Sicherstellung der Übernahme von Kosten für Dolmetscher*innen, wenn diese bei der Beratung und dem Schutz von von Gewalt Betroffenen benötigt werden.
  • Dass die Versorgung von von Gewalt betroffenen Menschen bedarfsgerecht nach den Maßgaben der Istanbulkonvention für alle Menschen zugänglich ist. Die Umsetzung von zentralisierten Powerhäusern lehnen wir ab, um flächendeckend und insbesondere in ländlichen Regionen Gewaltschutz zu garantieren.
  • Dass die Sicherheit von Frauen und Kindern an oberster Stelle stehen. Da die geplanten Powerhäuser den Schutz von betroffenen Frauen und Kindern bedrohen, fordern wir, dass Hilfsangebote weiterhin dezentral organisiert und lokalisiert bleiben.
  • Dass die Differenziertheit und Komplexität von Hilfsstrukturen bewahrt bleibt, um bedarfsgerechte Unterstützung zu gewährleisten.
  • Dass Gewalt gegen Frauen und Gewalt gegen Männer differenziert betrachtet und behandelt werden. Täter*innenarbeit und Schutz von Frauen und Kindern, denen Gewalt widerfahren ist, darf niemals am gleichen Ort stattfinden.
Beschluss-PDF: