G3 Recht auf eine offene Zukunft: Medizinische Selbstbestimmung einsichts- und urteilsfähiger Minderjähriger sichern!

Status:
Mit Änderungen angenommen

Die Landeskonferenz der NRW Jusos möge beschließen:

Bei der Selbstbestimmungsfähigkeit Minderjähriger im Rahmen medizinischer Eingriffe handelt es sich um eine schwierige rechtliche Frage – sowohl in verfassungs- als auch in familien- und allgemein zivilrechtlicher Hinsicht. Aus dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht folgendes Selbstbestimmungsrecht der Minderjährigen im höchstpersönlichen Bereich, das mit dem Elternrecht verbundene Fremdbestimmungsrecht und arztrechtliche Haftungsfragen treffen aufeinander.

Zusätzlich verkompliziert sich die rechtliche Gemengelage, wenn es um eine spezielle Form des medizinischen Eingriffs geht: um Schwangerschaftsabbrüche an Minderjährigen. Hier tritt zu den beschriebenen Aspekten noch der des Schutzes des ungeborenen Lebens hinzu, welcher derzeit durch die §§ 218 ff. StGB verwirklicht wird. Angesichts des in anderen Altersgruppen so nicht anzutreffenden leichten Überwiegens der Abtreibungen gegenüber den Lebendgeburten (im Jahr 2018 2746 : 2445, vgl. DeStatis, Lebendgeburten nach dem Alter der Mutter und DeStatis, Schwangerschaftsabbrüche nach dem Alter der Frauen) ist dies auch von besonderer praktischer Relevanz. Erwähnt wird dieses Beispiel an dieser Stelle aus zwei Gründen: Erstens hat vor nicht allzu langer Zeit das OLG Hamm (Beschluss v. 29.11.2019 – 12 UF 236/19, u.a. in MedR 2020, 679) eine beeindruckende Abkehr von der eigenen (und herrschenden) Rechtsprechungslinie genommen und zweitens zeigt sich hier besonders eindrücklich, wieso eine Regelung der Entscheidungszuständigkeit so wichtig ist (dazu im Folgenden mehr).

Wie bereits angedeutet, handelt es sich bei Entscheidungen für oder gegen medizinische Behandlungen – freilich abgestuft nach Intensität und Dringlichkeit des Eingriffs – um höchstpersönliche. Sie können immense Auswirkungen auf das spätere Leben des:der Patient:in haben. Umso erstaunlicher ist, dass die Zuständigkeit für solche Entscheidungen im Gesetz nicht explizit festgelegt ist, entsprechend sowohl Gerichte als auch Ärzt:innen nicht nur zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, sondern sogar verschiedene Maßstäbe anlegen: Hier wird teilweise angenommen, dass Eltern immer zuständig seien, solange ihr Kind minderjährig ist und das Gesetz keine sog. Teilmündigkeit vorsieht. Andere gehen davon aus, dass dem Kind (bloß) ein Mitentscheidungs-, im Sinne eines Veto-Rechts zustünde, wieder andere räumen ihm ein Selbstbestimmungsrecht ein. Innerhalb der letzten beiden Ansichten wird dann häufig nochmal je nach Alter und/oder Fähigkeiten des Kindes sowie nach Art und Schwere des Eingriffs differenziert.

Dies erscheint nicht nur unübersichtlich und wenig vorhersehbar, sondern auch mit den Grundrechten des Kindes – und damit mit Verfassungsrecht – unvereinbar:

Die elterliche Sorge gem. § 1626 Abs. 1 BGB konkretisiert das Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 GG und erklärt ohne Differenzierung bis zur Volljährigkeit gem. § 2 BGB die Eltern für entscheidungszuständig. Abseits gesetzlich geregelter Eigenzuständigkeiten des Kindes werden „übergesetzliche“ Eigenzuständigkeiten im Einzelfall diskutiert; hierzu gehören auch die Bestimmung über medizinische Behandlungen und als Unterfall der Schwangerschaftsabbruch. Dies liegt darin begründet, dass die Grundrechte im Verhältnis von Privaten untereinander – im Gegensatz zum Verhältnis zum Staat – zwar lediglich mittelbare (Dritt-) Wirkung entfalten, jedoch aufgrund der Besonderheit des Elternrechts besonders zu berücksichtigen sind: Schließlich stellte schon das BVerfG fest, dass eine menschenwürdezentrierte Verfassung nur pflichtgebundene Rechte an einer anderen Person einräumen könne, und das Elternrecht seine Rechtfertigung in dem Entwicklungsdefizit des Kindes, welches wiederum selbst Grundrechtsträger sei, finde (BVerfGE 24, 119 [Adoption I]); später führte es aus, dass das Elternrecht lediglich eine treuhänderische Freiheit sei, die zurücktrete, wenn das Kind eine genügende Reife erlangt hat (BVerfGE 59, 360 [Schülerberater]). Die schleichende Abnahme des Funktionsumfangs wird auch durch § 1626 Abs. 2 BGB betont, aber schon § 1626 Abs. 1 als einfachgesetzliche Konkretisierung kann den Eltern nur Rechte in Bezug auf das Kind übertragen, sofern und soweit diese auch von der Verfassung gestützt werden.

Die Vertreter:innen der „Eltern-sind-allzuständig-Ansicht“ übertragen die für Willenserklärungen (z.B.: Angebot des Verkaufs der eigenen Schulbücher) anwendbaren Regelungen auf medizinische Eingriffe. Dies widerspricht jedoch schon der Intention des Gesetzgebers, der in § 630d BGB die Notwendigkeit der Einwilligung des:der Patient:in in den medizinischen Eingriff unabhängig von dem Abschluss eines Behandlungsvertrags (!) geregelt hat. Und nicht nur das – diese Sichtweise verkennt völlig die Grundrechtsinhaberschaft auch des minderjährigen Kindes!

Ähnliches gilt für die Vertreter:innen bloßer Veto-Theorien und Verfechter:innen bestimmter Altersgrenzen: Ausgehend von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bedeutet Minderjährigkeit bloß altersspezifische Schutzbedürftigkeit; liegt diese nicht mehr vor, da das Kind fähig zur Selbstbestimmung geworden ist, schlägt die gesetzliche Vertretung durch die Eltern in eine Zwangsordnung um und büßt ihre Legitimation ein (Schwerdtner, NJW 1999, 1525, 1526). Wann das Kind fähig zur Selbstbestimmung ist, lässt sich entwicklungspsychologisch nur im Einzelfall bestimmen. Zudem ist ein relevanter Unterschied zu Erwachsenen, die sich ebenfalls in einer Lage befinden können, die ihre Selbstbestimmungsfähigkeit ausschließt (etwa Krankheit, Drogenkonsum), nicht ersichtlich –hier wird der Einzelfall individuell betrachtet. Dementsprechend legt auch der BGH in seiner ständigen Rechtsprechung die individuelle Einsichts- und Urteilsfähigkeit als Maßstab an. Im Übrigen ist auch die verkomplizierte Gemengelage bei Schwangerschaftsabbrüchen keine minderjährigenspezifische Problematik – dementsprechend sind hier die für die Einwilligungsfähigkeit im Allgemeinen anzulegenden Maßstäbe anzuwenden.

Daher ist eine starre Altersgrenze abzulehnen. Die Festlegung von Regelvermutungen erscheint demgegenüber möglich, wenn auch angesichts zu befürchtender Ankereffekte und der Gefahr eines unrichtigen Verständnisses bei den Entscheidungsträger:innen unterlegen gegenüber einer offenen, bloß an die Einwilligungs- und Urteilfähigkeit anknüpfenden Formulierung.

Das Persönlichkeitsrecht Minderjähriger wird also derzeit – trotz gesellschaftlichen und rechtlichen Wandels (s. nur Züchtigungsverbot des § 1631 BGB seit 2000 und Berücksichtigungspflicht nach § 1626 Abs. 2 BGB) – nicht hinreichend berücksichtigt. Es fehlt eine Regelung etwa nach Schweizer Vorbild. So heißt es in Art. 19c Schweiz. ZGB: „„Urteilsfähige handlungsunfähige Personen üben die Rechte, die ihnen um ihrer Persönlichkeit willen zustehen, selbstständig aus; vorbehalten bleiben Fälle, in welchen das Gesetz die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters vorsieht. Für urteilsunfähige Personen handelt der gesetzliche Vertreter, sofern nicht ein Recht so eng mit der Persönlichkeit verbunden ist, dass jede Vertretung ausgeschlossen ist.““

Die richtigerweise zu praktizierende verfassungskonforme Auslegung des § 1626 Abs. 1 BGB inklusive Annahme einer übergesetzlichen Ausnahme bei medizinischen Eingriffen ist bietet nicht nur keinerlei Rechtssicherheit für die Betroffenen, sondern ist auch sehr umständlich: Der eigentlich einheitliche Vorgang der Behandlung (entsprechend der Gesetzeskonzeption) künstlich in einen zustimmungsfreien und einen zustimmungspflichtigen Teil aufspaltet. Die Einwilligung in die sonst vorliegende Körperverletzung Behandlung kann dann zwar der:die Minderjährige selbst erteilten, für den Absluss des Behandlungsvertrags braucht er:sie aber seine:ihre Eltern. Dementsprechend ist eine einheitliche Regelung medizinischer Behandlungen, die beide Aspekte zur Parallelität führt, anzustreben.

Daher fordern wir, den Schutz des medizinischen Selbstbestimmungsrechts Minderjähriger durch geeignete, ihre Grundrechte hinreichend berücksichtigender Rechtsnormen im Sinne der Anerkennung ihres Rechts auf eine offene Zukunft.

Wir fordern die Erarbeitung einer Rechtsnorm, die für medizinische Eingriffe an Minderjährigen explizit die Entscheidungszuständigkeit festlegt. Hierbei sollte angesichts der zu berücksichtigenden Grundrechte des Kindes die individuelle Einsichts- und Urteilfähigkeit als Ausgangspunkt der Zuständigkeit für die zu erteilende Einwilligung genommen werden. Die Regelung einer entsprechenden Teilmündigkeit für den Abschluss des Behandlungsvertrags ist anzustreben.

Zudem fordern wir den Schutz nicht selbstbestimmungsfähiger Minderjähriger insbesondere vor aufschiebbaren, aber irreversiblen und ggf. schwerwiegenden medizinischen Entscheidungen ihrer Eltern.

Zur Illustration: Am 21.5.2021 wurde das Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung verkündet. Dieses beinhaltet das Verbot geschlechtsverändernder operativer Eingriffe an Kindern durch Einschränkung der Personensorge der Eltern, eine Ausnahme für solche Eingriffe, die das Familiengericht zur Abwendung einer Lebensgefahr oder erheblichen Gesundheitsgefahr genehmigt hat und eine Ausnahme für solche Eingriffe ohne Bezug zu einer Lebens- oder Gesundheitsgefahr, die ein mindestens 14jähriges Kind begehrt, wenn weitere Voraussetzungen eingehalten sind (u. a. Zustimmung der Eltern und Genehmigung des Familiengerichts).

Am 12.6.2020 wurde das Gesetz zum Schutz vor Konversionsbehandlungen verkündet. Zwar handelt es sich bei diesen sog. „Behandlungen“ nicht um solche, sondern einfach nur um Maßnahmen, die auf die „Heilung“ von Homosexualität zielen und damit menschenrechtsfeindliche Umerziehungsversuche darstellen. Das Gesetz zeigt jedoch, ebenso wie das zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung ein wichtiges Problem auf:

Eltern sind insbesondere durch den Persönlichkeitskern betreffende, medizinische Entscheidungen in der Lage, das Leben ihres Kindes nachhaltig zu beeinflussen – sowohl durch Tun als auch durch Unterlassen. Hier reichen die derzeitigen Instrumente (insb. Untersuchung auf eine mögliche Kindeswohlverletzung durch Jugendamt und Familiengericht) nicht aus, da sie häufig erst ergriffen werden, wenn das Kind sprichwörtlich in den Brunnen gefallen ist.

Daher fordern wir zumindest eine allgemeine gerichtliche Genehmigungspflichtigkeit, wenn nicht sogar eine Pflicht zur Aufschiebung der Entscheidung bis zur Selbstbestimmungsfähigkeit für Eingriffe, die aufschiebbar sind und eine gewisse Schwere haben, insbesondere irreversibel sind.

Änderungsanträge
Status Kürzel Zeile AntragstellerInnen Text PDF
Angenommen Ä1 zum G3 7 UB Dortmund Streiche Zeile 7-17 und ersetze mit "Zusätzlich verkompliziert sich die rechtliche Gemengelage, wenn es um eine spezielle Form des medizinischen Eingriffs geht: um Schwangerschaftsabbrüche an Minderjährigen. Hier tritt zu den beschriebenen Aspekten noch der allgemein schon stark diskutierte des Schutzes des ungeborenen Lebens hinzu. Dieser wird derzeit doch eigentlich schon - wenn auch im Modus durch uns nach wie vor scharf kritisiert - durch die §§ 218 ff. StGB allgemein (unabhängig vom Alter der Schwangeren) verwirklicht. Insofern erscheint es nicht einsichtig, warum bei Minderjährigen der Schutz des ungeborenen Lebens eine noch herausgehobenere  Rolle spielen soll. Dies geschieht aber in der derzeitigen Debatte, wenn er bei der Evaluierung der Einwilligungsfähigkeit der Minderjährigen zum Tragen kommt. Erwähnt wird dieses Beispiel an dieser Stelle aus zwei Gründen: Erstens hat vor nicht allzu langer Zeit das OLG Hamm(Beschluss v. 29.11.2019 – 12 UF 236/19, u.a. in MedR 2020, 679) eine beeindruckende Abkehr von der eigenen (und herrschenden) Rechtsprechungslinie genommen und zweitens zeigt sich hier besonders eindrücklich, wieso eine Regelung der Entscheidungszuständigkeit so wichtig ist (dazu im Folgenden mehr). Die besondere praktische Relevanz wird auch dadurch unterstrichen, dass sich bei den Minderjährigen ein in anderen Altersgruppen so nicht anzutreffenden leichten Überwiegens der Abtreibungen gegenüber den Lebendgeburten zeigt (im Jahr 2018 2746 : 2445, vgl. DeStatis, Lebendgeburten nach dem Alter der Mutter und DeStatis, Schwangerschaftsabbrüche nach dem Alter der Frauen)."
Angenommen Ä3 zum G3 8 UB Münster ersetze Z. 8-17 ab „Hier…“ durch „Denn die aktuelle rechtliche Situation ordnet nicht nur die sexuelle Selbstbestimmung einer ungewollt schwangeren Person im allgemeinen allem anderen unter (vgl. Paragraph 218ff.), sondern führt auch dazu, dass ungewollt schwangere Minderjährige nicht nur durch die Bevormundung dieser Gesetze von ihrem Recht auf Selbstbestimmung abgehalten werden; sondern im Zweifel auch von den Erziehungsberechtigten. Dabei ist für uns Jusos klar: Die Entscheidung über einen Schwangerschaftsabbruch sollte nur die ungewollt schwangere Person selbst treffen dürfen.“
Angenommen Ä2 zum G3 111 UB Münster Streiche Z. 111-113.
Text des Beschlusses:

Die Landeskonferenz der NRW Jusos möge beschließen:

Bei der Selbstbestimmungsfähigkeit Minderjähriger im Rahmen medizinischer Eingriffe handelt es sich um eine schwierige rechtliche Frage – sowohl in verfassungs- als auch in familien- und allgemein zivilrechtlicher Hinsicht. Aus dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht folgendes Selbstbestimmungsrecht der Minderjährigen im höchstpersönlichen Bereich, das mit dem Elternrecht verbundene Fremdbestimmungsrecht und arztrechtliche Haftungsfragen treffen aufeinander.

Zusätzlich verkompliziert sich die rechtliche Gemengelage, wenn es um eine spezielle Form des medizinischen Eingriffs geht: um Schwangerschaftsabbrüche an Minderjährigen. Denn die aktuelle rechtliche Situation ordnet nicht nur die sexuelle Selbstbestimmung einer ungewollt schwangeren Person im allgemeinen allem anderen unter (vgl. Paragraph 218ff.), sondern führt auch dazu, dass ungewollt schwangere Minderjährige nicht nur durch die Bevormundung dieser Gesetze von ihrem Recht auf Selbstbestimmung abgehalten werden; sondern im Zweifel auch von den Erziehungsberechtigten. Dabei ist für uns Jusos klar: Die Entscheidung über einen Schwangerschaftsabbruch sollte nur die ungewollt schwangere Person selbst treffen dürfen. 

Wie bereits angedeutet, handelt es sich bei Entscheidungen für oder gegen medizinische Behandlungen – freilich abgestuft nach Intensität und Dringlichkeit des Eingriffs – um höchstpersönliche. Sie können immense Auswirkungen auf das spätere Leben des:der Patient:in haben. Umso erstaunlicher ist, dass die Zuständigkeit für solche Entscheidungen im Gesetz nicht explizit festgelegt ist, entsprechend sowohl Gerichte als auch Ärzt:innen nicht nur zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, sondern sogar verschiedene Maßstäbe anlegen: Hier wird teilweise angenommen, dass Eltern immer zuständig seien, solange ihr Kind minderjährig ist und das Gesetz keine sog. Teilmündigkeit vorsieht. Andere gehen davon aus, dass dem Kind (bloß) ein Mitentscheidungs-, im Sinne eines Veto-Rechts zustünde, wieder andere räumen ihm ein Selbstbestimmungsrecht ein. Innerhalb der letzten beiden Ansichten wird dann häufig nochmal je nach Alter und/oder Fähigkeiten des Kindes sowie nach Art und Schwere des Eingriffs differenziert.

Dies erscheint nicht nur unübersichtlich und wenig vorhersehbar, sondern auch mit den Grundrechten des Kindes – und damit mit Verfassungsrecht – unvereinbar:

Die elterliche Sorge gem. § 1626 Abs. 1 BGB konkretisiert das Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 GG und erklärt ohne Differenzierung bis zur Volljährigkeit gem. § 2 BGB die Eltern für entscheidungszuständig. Abseits gesetzlich geregelter Eigenzuständigkeiten des Kindes werden „übergesetzliche“ Eigenzuständigkeiten im Einzelfall diskutiert; hierzu gehören auch die Bestimmung über medizinische Behandlungen und als Unterfall der Schwangerschaftsabbruch. Dies liegt darin begründet, dass die Grundrechte im Verhältnis von Privaten untereinander – im Gegensatz zum Verhältnis zum Staat – zwar lediglich mittelbare (Dritt-) Wirkung entfalten, jedoch aufgrund der Besonderheit des Elternrechts besonders zu berücksichtigen sind: Schließlich stellte schon das BVerfG fest, dass eine menschenwürdezentrierte Verfassung nur pflichtgebundene Rechte an einer anderen Person einräumen könne, und das Elternrecht seine Rechtfertigung in dem Entwicklungsdefizit des Kindes, welches wiederum selbst Grundrechtsträger sei, finde (BVerfGE 24, 119 [Adoption I]); später führte es aus, dass das Elternrecht lediglich eine treuhänderische Freiheit sei, die zurücktrete, wenn das Kind eine genügende Reife erlangt hat (BVerfGE 59, 360 [Schülerberater]). Die schleichende Abnahme des Funktionsumfangs wird auch durch § 1626 Abs. 2 BGB betont, aber schon § 1626 Abs. 1 als einfachgesetzliche Konkretisierung kann den Eltern nur Rechte in Bezug auf das Kind übertragen, sofern und soweit diese auch von der Verfassung gestützt werden.

Die Vertreter:innen der „Eltern-sind-allzuständig-Ansicht“ übertragen die für Willenserklärungen (z.B.: Angebot des Verkaufs der eigenen Schulbücher) anwendbaren Regelungen auf medizinische Eingriffe. Dies widerspricht jedoch schon der Intention des Gesetzgebers, der in § 630d BGB die Notwendigkeit der Einwilligung des:der Patient:in in den medizinischen Eingriff unabhängig von dem Abschluss eines Behandlungsvertrags (!) geregelt hat. Und nicht nur das – diese Sichtweise verkennt völlig die Grundrechtsinhaberschaft auch des minderjährigen Kindes!

Ähnliches gilt für die Vertreter:innen bloßer Veto-Theorien und Verfechter:innen bestimmter Altersgrenzen: Ausgehend von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bedeutet Minderjährigkeit bloß altersspezifische Schutzbedürftigkeit; liegt diese nicht mehr vor, da das Kind fähig zur Selbstbestimmung geworden ist, schlägt die gesetzliche Vertretung durch die Eltern in eine Zwangsordnung um und büßt ihre Legitimation ein (Schwerdtner, NJW 1999, 1525, 1526). Wann das Kind fähig zur Selbstbestimmung ist, lässt sich entwicklungspsychologisch nur im Einzelfall bestimmen. Zudem ist ein relevanter Unterschied zu Erwachsenen, die sich ebenfalls in einer Lage befinden können, die ihre Selbstbestimmungsfähigkeit ausschließt (etwa Krankheit, Drogenkonsum), nicht ersichtlich –hier wird der Einzelfall individuell betrachtet. Dementsprechend legt auch der BGH in seiner ständigen Rechtsprechung die individuelle Einsichts- und Urteilsfähigkeit als Maßstab an. Im Übrigen ist auch die verkomplizierte Gemengelage bei Schwangerschaftsabbrüchen keine minderjährigenspezifische Problematik – dementsprechend sind hier die für die Einwilligungsfähigkeit im Allgemeinen anzulegenden Maßstäbe anzuwenden.

Daher ist eine starre Altersgrenze abzulehnen. Die Festlegung von Regelvermutungen erscheint demgegenüber möglich, wenn auch angesichts zu befürchtender Ankereffekte und der Gefahr eines unrichtigen Verständnisses bei den Entscheidungsträger:innen unterlegen gegenüber einer offenen, bloß an die Einwilligungs- und Urteilfähigkeit anknüpfenden Formulierung.

Das Persönlichkeitsrecht Minderjähriger wird also derzeit – trotz gesellschaftlichen und rechtlichen Wandels (s. nur Züchtigungsverbot des § 1631 BGB seit 2000 und Berücksichtigungspflicht nach § 1626 Abs. 2 BGB) – nicht hinreichend berücksichtigt. Es fehlt eine Regelung etwa nach Schweizer Vorbild. So heißt es in Art. 19c Schweiz. ZGB: „„Urteilsfähige handlungsunfähige Personen üben die Rechte, die ihnen um ihrer Persönlichkeit willen zustehen, selbstständig aus; vorbehalten bleiben Fälle, in welchen das Gesetz die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters vorsieht. Für urteilsunfähige Personen handelt der gesetzliche Vertreter, sofern nicht ein Recht so eng mit der Persönlichkeit verbunden ist, dass jede Vertretung ausgeschlossen ist.““

Die richtigerweise zu praktizierende verfassungskonforme Auslegung des § 1626 Abs. 1 BGB inklusive Annahme einer übergesetzlichen Ausnahme bei medizinischen Eingriffen ist bietet nicht nur keinerlei Rechtssicherheit für die Betroffenen, sondern ist auch sehr umständlich: Der eigentlich einheitliche Vorgang der Behandlung (entsprechend der Gesetzeskonzeption) künstlich in einen zustimmungsfreien und einen zustimmungspflichtigen Teil aufspaltet. Die Einwilligung in die sonst vorliegende Körperverletzung Behandlung kann dann zwar der:die Minderjährige selbst erteilten, für den Absluss des Behandlungsvertrags braucht er:sie aber seine:ihre Eltern. Dementsprechend ist eine einheitliche Regelung medizinischer Behandlungen, die beide Aspekte zur Parallelität führt, anzustreben.

Daher fordern wir, den Schutz des medizinischen Selbstbestimmungsrechts Minderjähriger durch geeignete, ihre Grundrechte hinreichend berücksichtigender Rechtsnormen im Sinne der Anerkennung ihres Rechts auf eine offene Zukunft.

Wir fordern die Erarbeitung einer Rechtsnorm, die für medizinische Eingriffe an Minderjährigen explizit die Entscheidungszuständigkeit festlegt. Hierbei sollte angesichts der zu berücksichtigenden Grundrechte des Kindes die individuelle Einsichts- und Urteilfähigkeit als Ausgangspunkt der Zuständigkeit für die zu erteilende Einwilligung genommen werden. Die Regelung einer entsprechenden Teilmündigkeit für den Abschluss des Behandlungsvertrags ist anzustreben.

Zudem fordern wir den Schutz nicht selbstbestimmungsfähiger Minderjähriger insbesondere vor aufschiebbaren, aber irreversiblen und ggf. schwerwiegenden medizinischen Entscheidungen ihrer Eltern.

Zur Illustration: Am 21.5.2021 wurde das Gesetz zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung verkündet. Dieses beinhaltet das Verbot geschlechtsverändernder operativer Eingriffe an Kindern durch Einschränkung der Personensorge der Eltern, eine Ausnahme für solche Eingriffe, die das Familiengericht zur Abwendung einer Lebensgefahr oder erheblichen Gesundheitsgefahr genehmigt hat und eine Ausnahme für solche Eingriffe ohne Bezug zu einer Lebens- oder Gesundheitsgefahr, die ein mindestens 14jähriges Kind begehrt, wenn weitere Voraussetzungen eingehalten sind (u. a. Zustimmung der Eltern und Genehmigung des Familiengerichts).

Am 12.6.2020 wurde das Gesetz zum Schutz vor Konversionsbehandlungen verkündet. Zwar handelt es sich bei diesen sog. „Behandlungen“ nicht um solche, sondern einfach nur um Maßnahmen, die auf die „Heilung“ von Homosexualität zielen und damit menschenrechtsfeindliche Umerziehungsversuche darstellen. Das Gesetz zeigt jedoch, ebenso wie das zum Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung ein wichtiges Problem auf:

Eltern sind insbesondere durch den Persönlichkeitskern betreffende, medizinische Entscheidungen in der Lage, das Leben ihres Kindes nachhaltig zu beeinflussen – sowohl durch Tun als auch durch Unterlassen. Hier reichen die derzeitigen Instrumente (insb. Untersuchung auf eine mögliche Kindeswohlverletzung durch Jugendamt und Familiengericht) nicht aus, da sie häufig erst ergriffen werden, wenn das Kind sprichwörtlich in den Brunnen gefallen ist.

Beschluss-PDF: