D4 Solidarität mit Sinti*zze und Rom*nja -- Antiziganismus bekämpfen!

Status:
Mit Änderungen angenommen

Einleitung

Am 19. Februar 2020 erschoss ein Rechstextremist neun Menschen in Hanau aus rassistischen Motiven. Der mediale Aufschrei war groß und viele Menschen positionierten sich gegen Rassismus. Was in der medialen Berichterstattung allerdings unterging war, dass drei der neun Opfer, Vili Viorel Păun, Kaloyan Velkov und Mercedes Kierpacz, Rom*nja waren[1]. Sint*zze und Rom*nja kommen in der medialen Bearbeitung von Themen wie Rassismus, Diskriminierung und Ausgrenzung kaum vor, obwohl sie davon sehr betroffen sind. Geht es wiederum um Integrationsprobleme oder Armutsmigration wird schnell mit dem Finger auf Sinti*zze und Rom*nja gezeigt. Dies sind Auswirkungen von Antiziganismus.

Von Antiziganismus betroffen sind überwiegend Sinti*zze und Rom*nja, aber auch andere Gruppen. Meist werden die Betroffenen unter einem rassistischen Sammelbegriff stigmatisiert.

Die Geschichte der Sinti*zze und Rom*nja ist schon seit Jahrhunderten durch Diskriminierung geprägt. Die Sprache der Sinti*zze und Rom*nja, das Romanes, ist mit dem indischen Sanskrit verwandt. Die Wurzeln der Sinti*zze und Rom*nja liegen also vermutlich im heutigen Indien und Pakistan. Seit dem 8. Jahrhundert migrierten die Sinti*zze und Rom*nja nach Europa und später auch nach Amerika. Gründe für diese Migration waren vor allem Krieg, Verfolgung, Vertreibung und wirtschaftliche Not.

Die Kultur der Sinti*zze und Rom*nja ist durch das Bewusstsein der jahrhundertelangen Diskriminierung geprägt. Wissenschaftliche Ansätze, die sich mit der heterogenen Kultur der Sinti*zze und Rom*nja auseinanderzusetzen sind meist durch rassistische Voreingenommenheit geprägt. So wurden Versuche die mündliche Sprache Romanes zu verschriftlichen meistens ohne den Einbezug von Sinti*zze und Rom*nja unternommen.

Schätzungen zufolge leben derzeit 8 bis 12 Millionen Sinti*zze und Rom*nja in Europa, davon 70 000 bis 150 000 in Deutschland.

Der Begriff “Antiziganismus” bezeichnet die strukturelle Diskriminierung von Sinti*zze und Rom*nja, Jenischen und anderen Gruppen, die mit dem Z-Wort in allen Bereichen der Gesellschaft stigmatisiert werden. Die Bezeichnung wird seit den Achtzigerjahren als Analogie zum “Antisemitismus”-Begriff verwendet. Antiziganismus umfasst die homogenisierende Wahrnehmung und Darstellung der betroffenen Gruppen, die Zuschreibung spezifischer Eigenschaften an diese und die Entstehung diskriminierender sozialer Strukturen und Gewalt. Die geläufigste Fremdbezeichnung stammt mutmaßlich vom altgriechischen “Anthiganoi”, was “die Unberührbaren” bedeutet. Über Jahrhunderte hinweg verwendet stellte es stets ein abschätziges, rassistisches Wort der Mehrheitsgesellschaft gegenüber Sinti*zze und Rom*nja sowie weiterer Gruppen dar und trug deren Diskriminierung in die Sprache und damit in die Wirklichkeit. Als antirassistischer Verband stehen wir konsequent für die Nichtverwendung des Z-Worts und die Aufklärung dessen Hintergrundes ein.

Die Grundpfeiler unseres Verbandes, namentlich Antidiskriminierung, Inklusivität und Toleranz sowie Antifaschismus verpflichten uns, das Thema “Antizigansimus” auch verbandsintern aufzuarbeiten. Wir stellen uns konsequent gegen  antiziganistische Positionen und Aussagen und setzen uns zum Ziel, durch eine offene Behandlung dieses Themas auch in unseren eigenen Reihen für mehr Sichtbarkeit der Betroffenen zu sorgen und einen gesellschaftlichen Diskurs, vor allem aber auch eine Sensibilisierung bezüglich der anhaltenden Diskriminierung zu fördern.

[1] vgl. Hammel, Ina. Der Anschlag von Hanau und seine Folgen. 2021. Im Internet: https://zentralrat.sintiundroma.de/der-anschlag-von-hanau-und-seine-folgen/

Verbreitetste Diskriminierungsform in Europa und am wenigsten bekannt

Antiziganismus hat in Europa eine lange Tradition und dessen gängigen Vorurteile als Bettler*innen, Kinderräuber*innen oder Betrüger*innen reichen bis Mitte des 17. Jahrhunderts. Mit dem Entstehen der ersten Nationalstaaten in Europa nahm die Diskriminierung deutlich zu, da den jungen Nationen die in Europa teilweise nomadisch lebenden Romvölker als Negativbeispiel dienten. Im Nationalsozialismus erreichte die antiziganistische Diskriminierung ihren beispiellosen Höhepunkt und mündete in einer systematischen Verfolgung und der Ermordung einer halben Millionen Rom*nja und Sinti*zze in deutschen Vernichtungslagern.

Auch heute werden Angehörige der Rom*nja und Sinti*zze in vielen gesellschaftlichen Bereichen und in der Job- oder Wohnungssuche diskriminiert oder sind aufgrund ihrer ethnischen Herkunft Beleidigungen oder körperlichen Angriffen ausgesetzt. Im europäischen Vergleich erfahren laut einer Studie, die explizit Antiziganismus in Bezug auf Rom*nja untersucht, diese meist die höchste ablehnende Haltung in der Bevölkerung. In Italien haben 83% eine ablehnende Haltung gegenüber Rom*nja und im Vergleich hierzu 55% gegenüber Muslim*innen und 15% gegenüber Jüd*innen. In Bulgarien haben 68% eine ablehnende Haltung gegenüber Rom*nja, im Vergleich dazu 21% gegenüber Muslim*innen und 19% gegenüber Jüd*innen.[2] Dies soll keine Gewichtung oder Abwägen zwischen den Diskriminierungsformen sein, aber soll mit dem Vorurteil aufräumen, dass antiziganistischer Rassismus ein ausschließliches osteuropäisches Phänomen sei – er ist ein gesamteuropäisches Problem. In mindestens zehn europäischen Ländern hat mehr als die Hälfte der Bevölkerung eine schlechte Meinung über Rom*nja.

Pogrome und antiziganistische Übergriffe sind auch heute in vielen europäischen Ländern Alltag. Im Mai 2008 sorgte ein Gerücht über „Kinderdiebstahl“ der Rom*nja in Neapel für ein Pogrom, bei denen ein Rom*nja-Lager komplett niedergebrannt wurde. In der Vergangenheit formierten sich beispielsweise in Ungarn oder in Slowenien „Bürgerwehren“, mit dem Ziel Rom*nja aus ihren Gemeinden und Ländern zu vertreiben. Auch zu Beginn Corona-Krise sind viele Rom*nja einer besonderen Stigmatisierung ausgesetzt gewesen, denn diese wurden oft für die Corona-Pandemie verantwortlich gemacht. Einige Länder wie die Slowakei, Rumänien oder Bulgarien haben zusätzliche Maßnahmen für Rom*nja-Siedlungen ergriffen. Diese wurden präventiv unter Quarantäne gestellt oder polizeilich abgeriegelt. In Siedlungen in denen ohnehin kaum fließendes Wasser und keine Kanalisation existierte, sind dies ideale Bedingungen für die Ausbreitung von COVID-19.

Der Alltag vieler Sinti*zze und Rom*nja in Europa ist gekennzeichnet, von deutlicher Armut, schlechten Zugang in Bildung oder/und Arbeitsmarkt. Diese teils strukturell-rassistischen Hürden bewirken einen Teufelskreis für die Betroffenen und sorgen für eine sich nicht ändernde Situation der Betroffenen.

In diesem Zuge stellte die Europäische Kommission im Oktober 2020 einen neuen „Strategischen Rahmen der EU zur Gleichstellung, Inklusion und Teilhabe der Roma (2020-2030)“ vor, um auf europäischer Ebene über politisch definierte Ziele der EU ihre Mitgliedsstaaten dazu aufzurufen, ihre „nationale Roma-Integrationsstrategien“ zu verabschieden bzw. anzupassen und bis September 2021 der Europäischen Kommission vorzulegen. Dieser Rahmen definiert verschiedene quantifizierte Mindestziele in sieben Kernbereichen, welche bis 2030 verwirklicht werden sollen. Diese umfassen u.a. die Bekämpfung und Prävention von Antiziganismus und Diskriminierung, die Bekämpfung von Armut und Ausgrenzung, um die sozioökonomische Lücke zwischen Rom*nja und der übrigen Bevölkerung zu schließen, die Erhöhung des effektiven gleichberechtigten Zugangs zu qualitativ hochwertiger, allgemeiner Bildung oder der Erhöhung des effektiven gleichberechtigten Zugangs zu adäquaten, nicht-segregierten Wohnungen und grundlegenden Diensten. Im Zuge dessen ist es zu begrüßen, dass auf europäischer Ebene zumindest quantifizierbare Ziele formuliert wurden, welche eine dezidierte Erfolgskontrolle ermöglichen. Ebenso ist zu begrüßen, dass der Schwerpunkt bei der Bekämpfung von Antiziganismus gegen Sinti*zze und Rom*nja liegt und dass nicht, wie im vorherigen EU-Rahmen, die vielfach schlechte ökonomische und rechtliche Lage von Rom*nja, den von diesem Rassismus Betroffenen, angelastet wird. Weiterhin bleibt zu kritisieren, dass der Rahmen keinen Gesetzescharakter trägt und die Umsetzung allein den Mitgliedstaaten überlassen ist.[3]

Darüber hinaus ist Antiziganismus nicht nur ein Problem der EU-Länder, sondern zeigt sich tagtäglich in vielen anderen europäischen Ländern, aus welchen viele Rom*nja vor Diskriminierung und Verfolgung auch nach Deutschland geflohen sind, denn Antiziganismus ist nach wie vor tödlich!

[2] Vgl. https://katapult-magazin.de/de/artikel/jeder-zweite-zeitungsartikel-ueber-sinti-und-roma-ist-diskriminierend

[3] Vgl. Unabhängige Kommission Antiziganismus „Perspektivwechsel – Nachholende Gerechtigkeit – Partizipation“, S. 562-574, 13.07.2021.

Gedenken

Spricht man über die Ermordung der Sinti*zze und Rom*nja während der NS-Herrschaft, ist oft vom “vergessenen Holocaust” die Rede. Die Bezeichnung der Sinti*zze und Rom*nja für den Völkermord ist Porajmos und wird daher auch in diesem Antrag verwendet. Sinti*zze und Rom*nja wurden von der Rassenpolitik im Nationalsozialismus diskriminiert, verfolgt und vernichtet. Die Rassenpolitik sorgte zunächst für Heiratsverbote und Zwangssterilisierungen von Sinti*zze und Rom*nja. Ab 1935 wurden Sinti*zze und Rom*nja in bestimmten Stadtteilen konzentriert und somit von der Gesellschaft weiter ausgegrenzt. Darauf folgten Berufsverbote und Zwangsarbeit. Durch den “Runderlaß zur Bekämpfung der Z-Plage” 1938 gab es Vorgaben zur Erfassung von Sinti*zze und Rom*nja. Hinzu kam eine “Reichszentrale zur Bekämpfung des Z-unwesens”. Mit dieser gesetzlichen und institutionellen antiziganistischen Struktur wurden zahlreiche Sinti*zze und Rom*nja verhaftet und in Konzentrationslager gebracht. Dort erlebten sie Gewalt, Zwangsarbeit, Hunger, Krankheiten und Folter und wurden ermordet.

Nach der NS-Herrschaft erfuhren Sinti*zze und Rom*nja, anders als viele andere Opfergruppen, keine Wiedergutmachung. Die Argumentation war häufig, dass Sinti*zze und Rom*nja nicht aus rassistischen Gründen, sondern wegen ihrer vermeintlichen “Asozialität” verhaftet und deportiert wurden. Damit fielen sie lange Zeit nicht in die zur Entschädigung und Wiedergutmachung berechtigten Gruppen. Anfang der 1960er Jahre wurde dies durch eine gerichtliche Entscheidung zwar geändert, aber Anträge auf Entschädigung wurden wegen der schlechten Erfahrungen und weil nur diejenigen, die schon einmal einen Antrag auf Entschädigung gestellt hatten, überhaupt entschädigungsberechtigt waren, kaum noch gestellt. Die Opferzahlen der Porajmos liegen je nach Schätzung zwischen 100 000 und  500 000.

Dass die Porajmos in der Geschichtsschreibung und Erzählung über den Nationalsozialismus oft untergeht ist Symptom und Ursache für den heutigen Antiziganismus zugleich. Darum fordern wir eine aktive Unterstützung und den Ausbau der Erinnerungskultur. Dies soll einerseits in unserem eigenen Verband geschehen. Wenn wir über Diskriminierung reden, dann wollen wir dabei auch aktiv über Antiziganismus reden. Genauso wollen wir das Gedenken an die Opfer der Porajmos in unserer Gedenkarbeit einbinden. Der 2. August ist von dem Europäischen Parlament als Gedenktag für die Ermordung der Sinti*zze und Rom*nja anerkannt worden. Der historische Hintergrund ist die massenhafte Ermordung von Sinti*zze und Rom*nja in Auschwitz in der Nacht von dem 2. auf den 3. August 1944. Auch wenn in Deutschland der 2. August inoffiziell schon als Gedenktag begangen wird fordern wir, dass auch die Bundesregierung den 2. August zum offiziellen Gedenktag macht, damit das Gedenken eine größere Sichtbarkeit erhält. Genauso fordern wir, dass die Porajmos in Politik und Medien thematisiert wird und für das Thema sensibilisiert wird. Außerdem fordern wir die Überarbeitung der Lehrpläne, sodass die Porajmos im Geschichtsunterricht behandelt wird.

Als Unterstützung der Erinnerungskultur wollen wir uns für Aufklärung, Gedenken, Mahnmäler und weitere mögliche Formen des Erinnerns einsetzen. Dabei sind wir solidarisch mit allen von Antiziganismus betroffenen Menschen, insbesondere mit dem Zentralrat der Sinti und Roma in Deutschland.

Sensibilisierung in der Gesellschaft

Leider spielt das Thema Antiziganismus im gesellschaftlichen Diskurs im Vergleich zu anderen Diskriminierungsformen eine nur sehr kleine Rolle und ihm wird so ein Platz im kollektiven Diskriminierungsbewusstsein verwehrt. Dies ist problematisch, da so alte Diskriminierungsmuster wissentlich und unwissentlich in allen gesellschaftlichen Bereichen (z.B. in Schulen, am  Arbeitsplatz, im privaten Bereich etc.) reproduziert werden.

Einen große Verantwortung für die gesellschaftliche Aufklärung tragen vor allem die Medien. Hier kommt es häufig zu einer voreingenommenen und unvollständigen Berichterstattung. Ein Beispiel ist die bereits erwähnte Berichterstattung des Attentats von Hanau 2020, bei der die Sinti*zze- und Rom*nja-Zugehörigkeit einiger Opfer unterschlagen wurde. Gleichzeitig zeichnen zahlreiche Filme und Dokus ein veraltetes Bild des Lebens von Sinti*zze und Rom*nja, was bestehende gefährliche Stereotype bestätigt und sogar verstärkt. Solch eine mediale Repräsentation schadet den Sinti*zze und Rom*nja, bringt diese in Gefahr antiziganistischer Gewalt und Diskriminierung und erschwert gleichzeitig massiv den gesellschaftlichen Austausch und Zusammenhalt. Im schlimmsten Falle werden als Folge von regelmäßig reproduzieren Vorurteilen gegen Sinti*zze und Rom*nja diese als Gesamtgruppe unter Generalverdacht gestellt, nicht zuletzt bei der Aufklärung von Kriminalfällen. So wurden beispielsweise die Ermittlungen nach dem Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter 2007 zunächst auf eine in der Nähe campenden Gruppe von Sinti*zze und Rom*nja beschränkt. Dies wurde von der Presse sehr publikumswirksam ausgeschlachtet und führte zu einer weiteren Verstärkung der Diskriminierung gegen Sinti*zze und Rom*nja deutschlandweit. Später stellte sich heraus, dass die Polizistin durch den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) ermordet worden war. Eine Entschuldigung seitens der Landesregierung gegenüber den Sinti*zze und Rom*nja hat es bis heute nicht gegeben.

Hinzu kommt sowohl in den Medien als auch im politischen Bereich ein häufig unsensibler Umgang mit Sprache. Das wohl aktuellste Beispiel hierfür ist eine Ausgabe der WDR Show “Die letzte Instanz”, in der deutschlandweit bekannte Personen wie zum Beispiel Thomas Gottschalk über die Umbenennung einer Soße in „Soße ungarischer Art“ diskutierten und dabei nicht nur die rassistische Fremdbezeichnung verwendeten, sondern auch den Zentralrat der Sinti und Roma ins Lächerliche zogen. Dies ist ein Paradebeispiel für die Unsensibilität gegenüber der Gruppe der Sinti*zze und Rom*nja, denn auch nach Kritik an der Sendung wurde hier vor allem über allgemeinen Rassismus gesprochen, als über die spezielle Diskriminierungsform des Antiziganismus aufzuklären.

Um negativen Stereotypen über Sinti*zze und Rom*nja entgegenzuwirken ist es deshalb wichtig, dass vor allem Medienschaffende und Politiker*innen auf einen sensiblen Sprachgebrauch achten. Außerdem sollte die stereotypische Darstellung von Sinti*zze und Rom*nja hinterfragt und vermieden werden.

Neben der Politik und den Medien ist es jedoch auch wichtig, einen gesamtgesellschaftlichen Austausch zum Abbau von Vorurteilen gegenüber Sinti*zze und Rom*nja zu ermöglichen und zu fördern. Dafür braucht es zunächst eine umfassende Kinder- und Jugendarbeit in Schulen und Vereinen, sowie die Schaffung und Erhaltung von Begegnungsstätten und Kulturzentren. Nur so kann Antiziganismus langfristig entgegengewirkt werden.

Deshalb fordern wir:

  • die Formulierung qualitativer und quantitativer Ziele in den Bereichen Bildung, Gesundheitsversorgung, Beschäftigung und Wohnraum sowie den Dimensionen Gleichstellung, Inklusion und Partizipation sowie Bekämpfung von Antiziganismus, insbesondere strukturellem/institutionellen Antiziganismus, auch gegen zugewanderte Sinti*ze und Rom*nja, auf Bundesebene.
  • die Schaffung gezielter, unabhängiger Monitoring-Instrumente auf Bundesebene zur Überprüfung der formulierten Ziele
  • die Umsetzung des EU-Rahmens für den Zeitraum bis 2030 auf nationaler sowie europäischer Ebene eine hohe Priorität beizumessen und auch im Austausch mit anderen EU-Staaten und den (potenziellen) Beitrittskandidaten auf die Realisierung hinzuwirken.
  • die Beendigung der Abschiebungen von Sinti*zze und Rom*nja durch die Ausländerbehörden und Landesregierungen sowie die Anerkennung von geflüchteten Sinti*zze und Rom*nja als besonders schutzwürdige Gruppe.
  • die Beendigung der Staatenlosigkeit von in Deutschland lebenden Sinti*zze und Rom*nja
  • die Einrichtung und Förderung von Begegnungsstätten und Kulturzentren sowie die Unterstützung von Vereinen und Organisationen, die sich mit der Thematik Antiziganismus auseinandersetzen und zur Aufklärung beitragen
  • eine intensive Kinder- und Jugendarbeit in Vereinen und Schulen
  • die Sichtbarmachung sowie eine unvoreingenommene Darstellung von Sinti*zze und Rom*nja in den Medien, allem voran in der Berichterstattung
  • die Sensibilisierung von Medien- und Politikschaffenden sowohl in sprachlichen als auch in inhaltlichen Aspekten
  • den 2. August bundesweit als offiziellen Gedenktag zu etablieren
  • den Einbezug und die Berücksichtigung der Porajmos in unserer erinnerungspolitischen Arbeit
  • die Förderung der Forschung zur Porajmos und damit einhergehend Anerkennung und Entschädigung
  • Förderung der Forschung zur Geschichte des Antiziganismus und zur Geschichte der Sinti*zze und Rom*nja unter Einhaltung der communitybasierten Forschungsstandards
  • Zusammenarbeit mit den Communitys bei der Sammlung und Präsentation der Kunst der Sinti*zze und Rom*nja
  • aktive politische Bekämpfung von Antiziganismus auf Basis der Handlungsempfehlungen des Berichts der Unabhängigen Kommission Antiziganismus vom Innenministerium
Änderungsanträge
Status Kürzel Zeile AntragstellerInnen Text PDF
Angenommen Ä6 zum D4 12 UB Köln Streiche Z. 12/13: "Die Sprache der Sinti*zze und Rom*nja, das Romanes, ist mit dem indischen Sanskrit verwandt. Die Wurzeln der Sinti*zze und Rom*nja liegen also vermutlich im heutigen Indien und Pakistan."
Angenommen Ä1 zum D4 24 UB Bonn Ersetze in Z. 24 "Z-Wort" durch "Fremdbezeichnung für Sinti*zze und Rom*nja"
Angenommen Ä3 zum D4 28 UB Bonn Ergänze in Z. 28 hinter “Gewalt.” “Der Begriff “Antiziganismus” wird unter Sinti*zze und Rom*nja kontrovers diskutiert. Wie beschrieben macht für einige der Begriff die Verfolgung sichtbar, für andere ist der Begriff aber eine Reproduzierung der Fremdbezeichnung und sie wollen deswegen lieber von Rassismus gegen Sinti*zze und Rom*nja, Antiromanismus und Antisiganismus oder Gadje-Rassismus sprechen. Hier ist es wichtig, weiter mit der Community im Austausch zu bleiben und ggf. sonst zukünftig die Reproduzierung der Fremdbezeichnung zu vermeiden.”
Angenommen Ä2 zum D4 32 UB Bonn Ersetze in Z. 32 "des Z-Worts" durch "der Fremdbezeichnung für Sinti*zze und Rom*nja"
Angenommen Ä4 zum D4 70 UB Bonn Ergänze hinter Z. 70: “Auch Polizeigewalt und Racial Profiling erfahren Sinti*zze und Rom*nja immer wieder in Deutschland und ganz Europa. Zuletzt sorgte der Mord an den Rom Stanislav Tomáš in Tschechien durch einen Polizisten für internationale Schlagzeilen. Am 19. Juni diesen Jahres kniete ein Polizist minutenlang auf Tomáš Nacken, wie auf einer Videoaufnahme zu sehen ist. Tomáš verstarb dann später im Krankenhaus.”
Angenommen Ä5 zum D4 162 UB Bonn Ersetze in Z. 162 “vor allem über allgemeinen Rassismus gesprochen, als über die spezielle Diskriminierungsform des Antiziganismus aufzuklären.” durch “nicht der spezielle Rassismus gegen Sinti*zze und Rom*nja thematisiert.”
Text des Beschlusses:

Einleitung

Am 19. Februar 2020 erschoss ein Rechstextremist neun Menschen in Hanau aus rassistischen Motiven. Der mediale Aufschrei war groß und viele Menschen positionierten sich gegen Rassismus. Was in der medialen Berichterstattung allerdings unterging war, dass drei der neun Opfer, Vili Viorel Păun, Kaloyan Velkov und Mercedes Kierpacz, Rom*nja waren[1]. Sint*zze und Rom*nja kommen in der medialen Bearbeitung von Themen wie Rassismus, Diskriminierung und Ausgrenzung kaum vor, obwohl sie davon sehr betroffen sind. Geht es wiederum um Integrationsprobleme oder Armutsmigration wird schnell mit dem Finger auf Sinti*zze und Rom*nja gezeigt. Dies sind Auswirkungen von Antiziganismus.

Von Antiziganismus betroffen sind überwiegend Sinti*zze und Rom*nja, aber auch andere Gruppen. Meist werden die Betroffenen unter einem rassistischen Sammelbegriff stigmatisiert.

Die Geschichte der Sinti*zze und Rom*nja ist schon seit Jahrhunderten durch Diskriminierung geprägt. Seit dem 8. Jahrhundert migrierten die Sinti*zze und Rom*nja nach Europa und später auch nach Amerika. Gründe für diese Migration waren vor allem Krieg, Verfolgung, Vertreibung und wirtschaftliche Not.

Die Kultur der Sinti*zze und Rom*nja ist durch das Bewusstsein der jahrhundertelangen Diskriminierung geprägt. Wissenschaftliche Ansätze, die sich mit der heterogenen Kultur der Sinti*zze und Rom*nja auseinanderzusetzen sind meist durch rassistische Voreingenommenheit geprägt. So wurden Versuche die mündliche Sprache Romanes zu verschriftlichen meistens ohne den Einbezug von Sinti*zze und Rom*nja unternommen.

Schätzungen zufolge leben derzeit 8 bis 12 Millionen Sinti*zze und Rom*nja in Europa, davon 70 000 bis 150 000 in Deutschland.

Der Begriff “Antiziganismus” bezeichnet die strukturelle Diskriminierung von Sinti*zze und Rom*nja, Jenischen und anderen Gruppen, die mit der Fremdbezeichnung für Sinti*zze und Rom*nja in allen Bereichen der Gesellschaft stigmatisiert werden. Die Bezeichnung wird seit den Achtzigerjahren als Analogie zum “Antisemitismus”-Begriff verwendet. Antiziganismus umfasst die homogenisierende Wahrnehmung und Darstellung der betroffenen Gruppen, die Zuschreibung spezifischer Eigenschaften an diese und die Entstehung diskriminierender sozialer Strukturen und Gewalt. Der Begriff “Antiziganismus” wird unter Sinti*zze und Rom*nja kontrovers diskutiert. Wie beschrieben macht für einige der Begriff die Verfolgung sichtbar, für andere ist der Begriff aber eine Reproduzierung der Fremdbezeichnung und sie wollen deswegen lieber von Rassismus gegen Sinti*zze und Rom*nja, Antiromanismus und Antisiganismus oder Gadje-Rassismus sprechen. Hier ist es wichtig, weiter mit der Community im Austausch zu bleiben und ggf. sonst zukünftig die Reproduzierung der Fremdbezeichnung zu vermeiden. Die geläufigste Fremdbezeichnung stammt mutmaßlich vom altgriechischen “Anthiganoi”, was “die Unberührbaren” bedeutet. Über Jahrhunderte hinweg verwendet stellte es stets ein abschätziges, rassistisches Wort der Mehrheitsgesellschaft gegenüber Sinti*zze und Rom*nja sowie weiterer Gruppen dar und trug deren Diskriminierung in die Sprache und damit in die Wirklichkeit. Als antirassistischer Verband stehen wir konsequent für die Nichtverwendung der Fremdbezeichnung für Sinti*zze und Rom*nja und die Aufklärung dessen Hintergrundes ein.

Die Grundpfeiler unseres Verbandes, namentlich Antidiskriminierung, Inklusivität und Toleranz sowie Antifaschismus verpflichten uns, das Thema “Antizigansimus” auch verbandsintern aufzuarbeiten. Wir stellen uns konsequent gegen  antiziganistische Positionen und Aussagen und setzen uns zum Ziel, durch eine offene Behandlung dieses Themas auch in unseren eigenen Reihen für mehr Sichtbarkeit der Betroffenen zu sorgen und einen gesellschaftlichen Diskurs, vor allem aber auch eine Sensibilisierung bezüglich der anhaltenden Diskriminierung zu fördern.

[1] vgl. Hammel, Ina. Der Anschlag von Hanau und seine Folgen. 2021. Im Internet: https://zentralrat.sintiundroma.de/der-anschlag-von-hanau-und-seine-folgen/

Verbreitetste Diskriminierungsform in Europa und am wenigsten bekannt

Antiziganismus hat in Europa eine lange Tradition und dessen gängigen Vorurteile als Bettler*innen, Kinderräuber*innen oder Betrüger*innen reichen bis Mitte des 17. Jahrhunderts. Mit dem Entstehen der ersten Nationalstaaten in Europa nahm die Diskriminierung deutlich zu, da den jungen Nationen die in Europa teilweise nomadisch lebenden Romvölker als Negativbeispiel dienten. Im Nationalsozialismus erreichte die antiziganistische Diskriminierung ihren beispiellosen Höhepunkt und mündete in einer systematischen Verfolgung und der Ermordung einer halben Millionen Rom*nja und Sinti*zze in deutschen Vernichtungslagern.

Auch heute werden Angehörige der Rom*nja und Sinti*zze in vielen gesellschaftlichen Bereichen und in der Job- oder Wohnungssuche diskriminiert oder sind aufgrund ihrer ethnischen Herkunft Beleidigungen oder körperlichen Angriffen ausgesetzt. Im europäischen Vergleich erfahren laut einer Studie, die explizit Antiziganismus in Bezug auf Rom*nja untersucht, diese meist die höchste ablehnende Haltung in der Bevölkerung. In Italien haben 83% eine ablehnende Haltung gegenüber Rom*nja und im Vergleich hierzu 55% gegenüber Muslim*innen und 15% gegenüber Jüd*innen. In Bulgarien haben 68% eine ablehnende Haltung gegenüber Rom*nja, im Vergleich dazu 21% gegenüber Muslim*innen und 19% gegenüber Jüd*innen.[2] Dies soll keine Gewichtung oder Abwägen zwischen den Diskriminierungsformen sein, aber soll mit dem Vorurteil aufräumen, dass antiziganistischer Rassismus ein ausschließliches osteuropäisches Phänomen sei – er ist ein gesamteuropäisches Problem. In mindestens zehn europäischen Ländern hat mehr als die Hälfte der Bevölkerung eine schlechte Meinung über Rom*nja.

Pogrome und antiziganistische Übergriffe sind auch heute in vielen europäischen Ländern Alltag. Im Mai 2008 sorgte ein Gerücht über „Kinderdiebstahl“ der Rom*nja in Neapel für ein Pogrom, bei denen ein Rom*nja-Lager komplett niedergebrannt wurde. In der Vergangenheit formierten sich beispielsweise in Ungarn oder in Slowenien „Bürgerwehren“, mit dem Ziel Rom*nja aus ihren Gemeinden und Ländern zu vertreiben. Auch zu Beginn Corona-Krise sind viele Rom*nja einer besonderen Stigmatisierung ausgesetzt gewesen, denn diese wurden oft für die Corona-Pandemie verantwortlich gemacht. Einige Länder wie die Slowakei, Rumänien oder Bulgarien haben zusätzliche Maßnahmen für Rom*nja-Siedlungen ergriffen. Diese wurden präventiv unter Quarantäne gestellt oder polizeilich abgeriegelt. In Siedlungen in denen ohnehin kaum fließendes Wasser und keine Kanalisation existierte, sind dies ideale Bedingungen für die Ausbreitung von COVID-19. Auch Polizeigewalt und Racial Profiling erfahren Sinti*zze und Rom*nja immer wieder in Deutschland und ganz Europa. Zuletzt sorgte der Mord an den Rom Stanislav Tomáš in Tschechien durch einen Polizisten für internationale Schlagzeilen. Am 19. Juni diesen Jahres kniete ein Polizist minutenlang auf Tomáš Nacken, wie auf einer Videoaufnahme zu sehen ist. Tomáš verstarb dann später im Krankenhaus. 

Der Alltag vieler Sinti*zze und Rom*nja in Europa ist gekennzeichnet, von deutlicher Armut, schlechten Zugang in Bildung oder/und Arbeitsmarkt. Diese teils strukturell-rassistischen Hürden bewirken einen Teufelskreis für die Betroffenen und sorgen für eine sich nicht ändernde Situation der Betroffenen.

In diesem Zuge stellte die Europäische Kommission im Oktober 2020 einen neuen „Strategischen Rahmen der EU zur Gleichstellung, Inklusion und Teilhabe der Roma (2020-2030)“ vor, um auf europäischer Ebene über politisch definierte Ziele der EU ihre Mitgliedsstaaten dazu aufzurufen, ihre „nationale Roma-Integrationsstrategien“ zu verabschieden bzw. anzupassen und bis September 2021 der Europäischen Kommission vorzulegen. Dieser Rahmen definiert verschiedene quantifizierte Mindestziele in sieben Kernbereichen, welche bis 2030 verwirklicht werden sollen. Diese umfassen u.a. die Bekämpfung und Prävention von Antiziganismus und Diskriminierung, die Bekämpfung von Armut und Ausgrenzung, um die sozioökonomische Lücke zwischen Rom*nja und der übrigen Bevölkerung zu schließen, die Erhöhung des effektiven gleichberechtigten Zugangs zu qualitativ hochwertiger, allgemeiner Bildung oder der Erhöhung des effektiven gleichberechtigten Zugangs zu adäquaten, nicht-segregierten Wohnungen und grundlegenden Diensten. Im Zuge dessen ist es zu begrüßen, dass auf europäischer Ebene zumindest quantifizierbare Ziele formuliert wurden, welche eine dezidierte Erfolgskontrolle ermöglichen. Ebenso ist zu begrüßen, dass der Schwerpunkt bei der Bekämpfung von Antiziganismus gegen Sinti*zze und Rom*nja liegt und dass nicht, wie im vorherigen EU-Rahmen, die vielfach schlechte ökonomische und rechtliche Lage von Rom*nja, den von diesem Rassismus Betroffenen, angelastet wird. Weiterhin bleibt zu kritisieren, dass der Rahmen keinen Gesetzescharakter trägt und die Umsetzung allein den Mitgliedstaaten überlassen ist.[3]

Darüber hinaus ist Antiziganismus nicht nur ein Problem der EU-Länder, sondern zeigt sich tagtäglich in vielen anderen europäischen Ländern, aus welchen viele Rom*nja vor Diskriminierung und Verfolgung auch nach Deutschland geflohen sind, denn Antiziganismus ist nach wie vor tödlich!

[2] Vgl. https://katapult-magazin.de/de/artikel/jeder-zweite-zeitungsartikel-ueber-sinti-und-roma-ist-diskriminierend

[3] Vgl. Unabhängige Kommission Antiziganismus „Perspektivwechsel – Nachholende Gerechtigkeit – Partizipation“, S. 562-574, 13.07.2021.

Gedenken

Spricht man über die Ermordung der Sinti*zze und Rom*nja während der NS-Herrschaft, ist oft vom “vergessenen Holocaust” die Rede. Die Bezeichnung der Sinti*zze und Rom*nja für den Völkermord ist Porajmos und wird daher auch in diesem Antrag verwendet. Sinti*zze und Rom*nja wurden von der Rassenpolitik im Nationalsozialismus diskriminiert, verfolgt und vernichtet. Die Rassenpolitik sorgte zunächst für Heiratsverbote und Zwangssterilisierungen von Sinti*zze und Rom*nja. Ab 1935 wurden Sinti*zze und Rom*nja in bestimmten Stadtteilen konzentriert und somit von der Gesellschaft weiter ausgegrenzt. Darauf folgten Berufsverbote und Zwangsarbeit. Durch den “Runderlaß zur Bekämpfung der Z-Plage” 1938 gab es Vorgaben zur Erfassung von Sinti*zze und Rom*nja. Hinzu kam eine “Reichszentrale zur Bekämpfung des Z-unwesens”. Mit dieser gesetzlichen und institutionellen antiziganistischen Struktur wurden zahlreiche Sinti*zze und Rom*nja verhaftet und in Konzentrationslager gebracht. Dort erlebten sie Gewalt, Zwangsarbeit, Hunger, Krankheiten und Folter und wurden ermordet.

Nach der NS-Herrschaft erfuhren Sinti*zze und Rom*nja, anders als viele andere Opfergruppen, keine Wiedergutmachung. Die Argumentation war häufig, dass Sinti*zze und Rom*nja nicht aus rassistischen Gründen, sondern wegen ihrer vermeintlichen “Asozialität” verhaftet und deportiert wurden. Damit fielen sie lange Zeit nicht in die zur Entschädigung und Wiedergutmachung berechtigten Gruppen. Anfang der 1960er Jahre wurde dies durch eine gerichtliche Entscheidung zwar geändert, aber Anträge auf Entschädigung wurden wegen der schlechten Erfahrungen und weil nur diejenigen, die schon einmal einen Antrag auf Entschädigung gestellt hatten, überhaupt entschädigungsberechtigt waren, kaum noch gestellt. Die Opferzahlen der Porajmos liegen je nach Schätzung zwischen 100 000 und  500 000.

Dass die Porajmos in der Geschichtsschreibung und Erzählung über den Nationalsozialismus oft untergeht ist Symptom und Ursache für den heutigen Antiziganismus zugleich. Darum fordern wir eine aktive Unterstützung und den Ausbau der Erinnerungskultur. Dies soll einerseits in unserem eigenen Verband geschehen. Wenn wir über Diskriminierung reden, dann wollen wir dabei auch aktiv über Antiziganismus reden. Genauso wollen wir das Gedenken an die Opfer der Porajmos in unserer Gedenkarbeit einbinden. Der 2. August ist von dem Europäischen Parlament als Gedenktag für die Ermordung der Sinti*zze und Rom*nja anerkannt worden. Der historische Hintergrund ist die massenhafte Ermordung von Sinti*zze und Rom*nja in Auschwitz in der Nacht von dem 2. auf den 3. August 1944. Auch wenn in Deutschland der 2. August inoffiziell schon als Gedenktag begangen wird fordern wir, dass auch die Bundesregierung den 2. August zum offiziellen Gedenktag macht, damit das Gedenken eine größere Sichtbarkeit erhält. Genauso fordern wir, dass die Porajmos in Politik und Medien thematisiert wird und für das Thema sensibilisiert wird. Außerdem fordern wir die Überarbeitung der Lehrpläne, sodass die Porajmos im Geschichtsunterricht behandelt wird.

Als Unterstützung der Erinnerungskultur wollen wir uns für Aufklärung, Gedenken, Mahnmäler und weitere mögliche Formen des Erinnerns einsetzen. Dabei sind wir solidarisch mit allen von Antiziganismus betroffenen Menschen, insbesondere mit dem Zentralrat der Sinti und Roma in Deutschland.

Sensibilisierung in der Gesellschaft

Leider spielt das Thema Antiziganismus im gesellschaftlichen Diskurs im Vergleich zu anderen Diskriminierungsformen eine nur sehr kleine Rolle und ihm wird so ein Platz im kollektiven Diskriminierungsbewusstsein verwehrt. Dies ist problematisch, da so alte Diskriminierungsmuster wissentlich und unwissentlich in allen gesellschaftlichen Bereichen (z.B. in Schulen, am  Arbeitsplatz, im privaten Bereich etc.) reproduziert werden.

Einen große Verantwortung für die gesellschaftliche Aufklärung tragen vor allem die Medien. Hier kommt es häufig zu einer voreingenommenen und unvollständigen Berichterstattung. Ein Beispiel ist die bereits erwähnte Berichterstattung des Attentats von Hanau 2020, bei der die Sinti*zze- und Rom*nja-Zugehörigkeit einiger Opfer unterschlagen wurde. Gleichzeitig zeichnen zahlreiche Filme und Dokus ein veraltetes Bild des Lebens von Sinti*zze und Rom*nja, was bestehende gefährliche Stereotype bestätigt und sogar verstärkt. Solch eine mediale Repräsentation schadet den Sinti*zze und Rom*nja, bringt diese in Gefahr antiziganistischer Gewalt und Diskriminierung und erschwert gleichzeitig massiv den gesellschaftlichen Austausch und Zusammenhalt. Im schlimmsten Falle werden als Folge von regelmäßig reproduzieren Vorurteilen gegen Sinti*zze und Rom*nja diese als Gesamtgruppe unter Generalverdacht gestellt, nicht zuletzt bei der Aufklärung von Kriminalfällen. So wurden beispielsweise die Ermittlungen nach dem Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter 2007 zunächst auf eine in der Nähe campenden Gruppe von Sinti*zze und Rom*nja beschränkt. Dies wurde von der Presse sehr publikumswirksam ausgeschlachtet und führte zu einer weiteren Verstärkung der Diskriminierung gegen Sinti*zze und Rom*nja deutschlandweit. Später stellte sich heraus, dass die Polizistin durch den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) ermordet worden war. Eine Entschuldigung seitens der Landesregierung gegenüber den Sinti*zze und Rom*nja hat es bis heute nicht gegeben.

Hinzu kommt sowohl in den Medien als auch im politischen Bereich ein häufig unsensibler Umgang mit Sprache. Das wohl aktuellste Beispiel hierfür ist eine Ausgabe der WDR Show “Die letzte Instanz”, in der deutschlandweit bekannte Personen wie zum Beispiel Thomas Gottschalk über die Umbenennung einer Soße in „Soße ungarischer Art“ diskutierten und dabei nicht nur die rassistische Fremdbezeichnung verwendeten, sondern auch den Zentralrat der Sinti und Roma ins Lächerliche zogen. Dies ist ein Paradebeispiel für die Unsensibilität gegenüber der Gruppe der Sinti*zze und Rom*nja, denn auch nach Kritik an der Sendung wurde hier nicht der spezielle Rassismus gegen Sinti*zze und Rom*nja thematisiert.

Um negativen Stereotypen über Sinti*zze und Rom*nja entgegenzuwirken ist es deshalb wichtig, dass vor allem Medienschaffende und Politiker*innen auf einen sensiblen Sprachgebrauch achten. Außerdem sollte die stereotypische Darstellung von Sinti*zze und Rom*nja hinterfragt und vermieden werden.

Neben der Politik und den Medien ist es jedoch auch wichtig, einen gesamtgesellschaftlichen Austausch zum Abbau von Vorurteilen gegenüber Sinti*zze und Rom*nja zu ermöglichen und zu fördern. Dafür braucht es zunächst eine umfassende Kinder- und Jugendarbeit in Schulen und Vereinen, sowie die Schaffung und Erhaltung von Begegnungsstätten und Kulturzentren. Nur so kann Antiziganismus langfristig entgegengewirkt werden.

Deshalb fordern wir:

  • die Formulierung qualitativer und quantitativer Ziele in den Bereichen Bildung, Gesundheitsversorgung, Beschäftigung und Wohnraum sowie den Dimensionen Gleichstellung, Inklusion und Partizipation sowie Bekämpfung von Antiziganismus, insbesondere strukturellem/institutionellen Antiziganismus, auch gegen zugewanderte Sinti*ze und Rom*nja, auf Bundesebene.
  • die Schaffung gezielter, unabhängiger Monitoring-Instrumente auf Bundesebene zur Überprüfung der formulierten Ziele
  • die Umsetzung des EU-Rahmens für den Zeitraum bis 2030 auf nationaler sowie europäischer Ebene eine hohe Priorität beizumessen und auch im Austausch mit anderen EU-Staaten und den (potenziellen) Beitrittskandidaten auf die Realisierung hinzuwirken.
  • die Beendigung der Abschiebungen von Sinti*zze und Rom*nja durch die Ausländerbehörden und Landesregierungen sowie die Anerkennung von geflüchteten Sinti*zze und Rom*nja als besonders schutzwürdige Gruppe.
  • die Beendigung der Staatenlosigkeit von in Deutschland lebenden Sinti*zze und Rom*nja
  • die Einrichtung und Förderung von Begegnungsstätten und Kulturzentren sowie die Unterstützung von Vereinen und Organisationen, die sich mit der Thematik Antiziganismus auseinandersetzen und zur Aufklärung beitragen
  • eine intensive Kinder- und Jugendarbeit in Vereinen und Schulen
  • die Sichtbarmachung sowie eine unvoreingenommene Darstellung von Sinti*zze und Rom*nja in den Medien, allem voran in der Berichterstattung
  • die Sensibilisierung von Medien- und Politikschaffenden sowohl in sprachlichen als auch in inhaltlichen Aspekten
  • den 2. August bundesweit als offiziellen Gedenktag zu etablieren
  • den Einbezug und die Berücksichtigung der Porajmos in unserer erinnerungspolitischen Arbeit
  • die Förderung der Forschung zur Porajmos und damit einhergehend Anerkennung und Entschädigung
  • Förderung der Forschung zur Geschichte des Antiziganismus und zur Geschichte der Sinti*zze und Rom*nja unter Einhaltung der communitybasierten Forschungsstandards
  • Zusammenarbeit mit den Communitys bei der Sammlung und Präsentation der Kunst der Sinti*zze und Rom*nja
  • aktive politische Bekämpfung von Antiziganismus auf Basis der Handlungsempfehlungen des Berichts der Unabhängigen Kommission Antiziganismus vom Innenministerium
Beschluss-PDF: