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N4 Der Realität folgen - Markierung von Schönheitsverzerrungen in Social Media

6.09.2021

Es ist nicht neu, dass es in unserer Gesellschaft unrealistische Schönheitsideale gibt. Verstärkt wird dies allerdings vermehrt durch Social Media, wie zum Beispiel Instagram. Influencer:innen verzerren durch das Verwenden von Face- und Bodytuning das Körperbild und beeinflussen so auch die Wahrnehmung von Schönheit und das Wohlbefinden bei vor allem  jungen Menschen. Junge Menschen werden so angehalten einem Ideal nachzueifern, das nicht realistisch ist, welches die Influencer:innen selbst in der Realität auch nicht darstellen können.
Der Körperdruck, der dadurch bei jungen Menschen zunimmt, erhöht die Gefahr von psychischen Problemen oder führt eben zu diesen.
Die Studie von “Kinder und Medien 2020”, die von der norwegischen Medienbehörde in Auftrag gegeben wurde, zeigt ein klares Bild von Körperdruck auf Jugendliche durch Werbung in Social Media. Im Zuge dessen, stimmt das norwegische Parlament über einen Gesetzentwurf ab, der die Markierung von Werbe-Posts, -Videos und -Reels vorsieht, die durch Face und Bodytuning verändert wurden. Diese Transparenz soll jungen Menschen ermöglichen,  unrealistische Darstellungen wahrzunehmen und Werbetreibenden und Influencer:innen anhalten realistisch zu werben.

Wir fordern deshalb

die Einführung von Markierungen bei monetarisierten Videos, Reels und Posts auf Social-Media-Plattformen, die durch Face- und Bodytuning verändern wurden.

N2 Kinderrechte in sozialen Netzwerken durchsetzen!

3.09.2021

Können Eltern frei entscheiden, wie sie mit der Privatsphäre ihrer Kinder im Zeitalter der sozialen Medien umgehen? Dürfen bereits Kinder als Influencer tätig sein? Handelt es sich hierbei noch um ein Hobby oder schon um (regulierte bzw. zu regulierende) Arbeit?

Im Zusammenhang mit dem Auftauchen von Minderjährigen auf sog. Influencer-Kanälen verschmelzen mit dem Recht am eigenen Bild und dem Kinder- und Jugendarbeitsschutz zwei hochgradig grundrechtsrelevante, für eine gesunde kindliche Entwicklung bedeutsame Problemkomplexe. Trotz des Schlaglichts, welches die bereits länger geführte Diskussion um eine Verfassungsergänzung auf das Thema der Kinderrechte wirft, wird das Kind als Darsteller auf einem eigenen oder elterlichen Account in Recht und Politik bisher kaum adressiert, maximal ab und an z.B. durch Warnungen der Polizei. Jedoch: Mantra-artige Empfehlungen reichen nicht; professionelle, ausführliche Beratungsangebote, insb. in Schulen, Kitas etc. sind notwendig.

Kindliche Entwicklung schützen, Eltern aufklären
[Triggerwarnung: Sexuelle Gewalt gegen Kinder]

Prominente Beispiele, wie der YouTube-Kanal „Mileys Welt“ oder „Team Harrison“ zeigen, dass es im Zusammenhang mit Sharenting, Kinder-Influencing und Social Media massiven Aufklärungsbedarf gibt.
Insbesondere verschwimmen oft die Grenzen zwischen dem Kinderzimmer als Rückzugsort und dem Kinderzimmer als Arbeitsplatz. Das Kinderzimmer bzw. der kindliche Rückzugsort ist von besonderer Bedeutung für die kindliche Entwicklung, ein Eingriff in diesen Rückzugsort ist ein Eingriff in die Privatsphäre des Kindes, es gilt diesen Raum zu schützen und angemessen zu präsentieren, ein Eingriff ist sorgfältig abzuwägen.
Die Gefahr durch Sexualisierung von Kindern und Jugendlichen durch Dritte ist zwar etwas bekannter, allerdings sind sich viele Eltern nicht über die technische Funktionsweise von Social Media-Plattformen bewusst. Algorithmen, die vermeintlich „freizügige Inhalte“ belohnen und anderen Nutzer*innen somit häufiger anzeigen, sind häufig unbekannt, die daraus resultierende Gefahr, dass Bilder auf kinderpornografischen Plattformen gepostet werden, steigt in den vergangenen Jahren, das kann zur Traumatisierung und einer gestörten sexuellen Entwicklung des Kindes führen.
Ein dritter Aspekt umschreibt die Nutzung von Social Media für Kinder, hier ist wichtig zu betonen, dass die Nutzung von Social Media nicht den Status eines Hobbies oder einer Freizeitbeschäftigung überschreiten sollte, das bedeutet, dass es eine klare Reglementierung und Integration in den Alltag geben muss. Die Eltern sind angehalten, ihr Kind und sich zu überprüfen, ob es sich bei der Nutzung noch um eine Freizeitbeschäftigung handelt oder schon mit Arbeit zu vergleichen ist.
Außerdem gilt es für die Eltern sorgfältig abzuwägen, wie sie ihr Kind zeigen bzw. wie sich das Kind zeigt. Eltern sollten sich, insbesondere bei Kleinkindern, die Fragen stellen, ob sie die Privatsphäre des Kindes ausreichend schützen und die Gefahren abwägen können. Zeigen Sie das Kind eventuell in einer Situation die es als unangenehm empfindet oder die Schamgrenzen überschreitet? Diese Fragen sind besonders im Kontext der Beziehung zwischen Eltern und Kind in der fortschreitenden Entwicklung des Kindes von herausragender Bedeutung.

Damit Eltern in der Lage sind, eine angemessene kindliche Entwicklung zu gewährleisten und die Herausforderungen und Gefahren von Sharenting, Influencing und genereller Nutzung von Social Media einschätzen zu können, bedarf es die Unterstützung seitens der Politik, insbesondere der Institutionen, die der Staat als Begleiter*in kindlicher Entwicklung beauftragt hat, wie Kindertagesstätten, Schulen etc.

Deshalb fordern wir Aufklärungs- und Informationsangebote, die der Staat in Zusammenarbeit mit den Institutionen entwickeln soll. Diese sollen folgende Punkte umfassen:

  1. Herausstellen des Kinderzimmers als Rückzugsort von zentraler Bedeutung für die kindliche Entwicklung und des Bedarfs nach angemessener Abwägung bei Eingriffen in diesen, durch besondere Privatsphäre definierten Raum
  2. Aufklärung von Gefahren durch die Sexualisierung der Inhalte durch Dritte
  3. Die Notwendigkeit, die Rolle von Social Media im Alltag klar zu definieren, zu reglementieren und regelmäßig zu überprüfen
  4. Die regelmäßige (Selbst-)Überprüfung auf die Frage der angemessenen Darstellung, die die Privatsphäre und Schamgrenzen des Kindes achtet

Problemfelder erkennen und in Gesetzgebung und Verwaltung tätig werden

Wir fordern die Durchsetzung des Schutzes der Kinderrechte auch in sozialen Netzwerken, insbesondere im Zusammenhang mit dem Auftauchen von Minderjährigen auf sog. Influencer-Kanälen, sei es auf eigenen oder auf von den Eltern betriebenen. Dies ist die ganz praktische Umsetzung des Gedanken, der auch hinter der Kinderrechte-in-die-Verfassung-Debatte steckt: Kinder sind als Subjekte zu sehen, ihnen ist Beteiligung ermöglichen und ihr Recht auf eine offene Zukunft ist zu sichern.

Das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG („Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvorderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.“) enthält zweierlei: Das Recht der Eltern, ihre Erstverantwortung für das Kindeswohl auszuüben, dementsprechend alle Entscheidungen für das Kind zu treffen; aber auch das sog. Wächteramt des Staates, welcher (nur) im (Not-)Fall einer Kindeswohlgefährdung einschreitet. Das erwähnte Recht der Eltern ist jedoch, wie auch das Bundesverfassungsgericht in der Vergangenheit mehrfach festgestellt hat, ein „dienendes“ Grundrecht, es wird durch seine Fremdnützigkeit für das Kind bestimmt. Eltern haben also bei ihren Entscheidungen die Rechte ihrer Kinder miteinzubeziehen, um ihr Bestes zumindest anzustreben.

Kinder sind Grundrechtsträger*innen, sie haben ein Recht auf (digitale) Entwicklung (Allgemeines Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG; Art. 13, 17, 31 der UN-Kinderrechtskonvention) und auf Privatleben (Allgemeines Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG; Art. 16 der UN-Kinderrechtskonvention; Art. 7 EU-Grundrechtskonvention). Diese sind notwendigerweise zu schützen – um eine offene Zukunft zu gewährleisten und dem Kind zu ermöglichen, auch im digitalen Raum einen eigenen, sicheren Umgang mit der eigenen Privatsphäre und der anderer zu entwickeln.

Sie sind auch Träger*innen des Rechts am eigenen Bild als Teil des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Das Problem ist, dass nirgendwo explizit geschrieben steht, wer denn zuständig dafür ist, die Einwilligung in eine Bildveröffentlichung zu erteilen. Wegen der weiten Elternverantwortung liegt der Gedanke an die Eltern natürlich nahe; die Reife des Kindes (zur Selbstentscheidung) ist jedoch ebenso einzubeziehen wie das Spannungsfeld, welches sich im Kontext der Veröffentlichung auf elterlichen Accounts darstellt: Die Eltern erteilen die Erlaubnis sich selbst. In anderen (insb. finanziellen) Kontexten spricht man hier von einem sog. Insichgeschäft; Konsequenz ist, dass nicht die Eltern entscheidungzuständig sind, sondern vom Familiengericht ein Ergänzungspfleger zu bestellen ist, der die Entscheidung trifft (z.B. ein vom Kind geerbtes Haus an die Eltern zu übertragen). In Fällen wie diesen, die für das Persönlichkeitsrecht relevant sind, wird dies jedoch leider oft übersehen. Dabei ist auch hier der Interessenkonflikt offensichtlich: Die Eltern sich zugleich Beschützer*innen als auch Manager*innen bzw. Unternehmer*innen gleichzeitig. Sie haben starke Eigeninteressen, die die Fremdnützigkeit ihrer Entscheidungen vielleicht in den Hintergrund treten lassen.

Zudem gilt das Verbot von Kinderarbeit und dem Kindeswohl abträglicher Ausbeutung (u.a. Art. 32 und 36 UN-Kinderrechtskonvention, Art. 32 EU-Grundrechtskonvention, Jugendarbeitsschutzgesetz). Kinder sind, schon wegen ihrer andauernden Entwicklung, auch in diesem Bereich besonders  zu schützen. Eine Ausbeutung in Form des „Mitverdienens“ des Familienunterhalts kann schädliche Rollenerwartungen und einen daraus resultierenden Druck auf das Kind ausüben; zudem besteht die Gefahr, dass entwicklungs- und zukunftsrelevante Tätigkeiten, wie der Schulbesuch, der Kontakt zu Peer-Groups, Hobbies etc. vernachlässigt werden. Das Problem ist jedoch im Kontext von Kindern im Influencer-Marketing das Folgende: Liegt hier eine „Arbeit“ vor bzw. eine „Beschäftigung“, die für die Anwendbarkeit des Jugendarbeitsschutzgesetzes vonnöten ist? Es handelt sich um eine komplizierte juristische Prüfung des Einzelfalls mit hinzutretenden praktischen Ermittlungsproblemen. Jedenfalls zeigen die Reaktionen der zuständigen Landesministerien auf eine Anfrage hin, dass sie die Lage der im Influencer-Marketing tätigen Kinder nicht wirklich auf dem Schirm haben und z.B. bei Kindern U3 – die besonders gefährdet sind (willenloses Objekt) – gar nicht erst eine Anwendbarkeit des JArbSchG annehmen (s. dazu z.B. auch – öffentlich zugänglich – LT-Drs. 17/10300 (NRW) sowie Lemmert, Die Vermarktung des Kindes im Influencer-Marketing, Buch im Erscheinen, vssl. Anfang 2022).

Wir stellen fest, dass die derzeitige Rechtslage nicht hinreichend deutlich oder unzureichend ist. Dies steht in Konflikt zu geltendem Verfassungs- und Völkerrecht. Auch die exekutive Durchsetzung bestehender Gesetze lässt zu wünschen übrig: Insbesondere kontrollieren die Jugendämter und die Gewerbeaufsicht derzeit nicht proaktiv die Kindeswohlverträglichkeit bzw. die Einhaltung der Regelungen des Kinder- und Jugendarbeitsschutzes bei solchen Auftritten. Dies ist jedoch erforderlich: Angesichts der zunehmenden Verbreitung entsprechender Aufnahmen im Internet und der vielfältigen damit verbundenen Risiken, darf der Staat es nicht dem Zufall überlassen, ob er hiervon Kenntnis erlangt und auf Basis dessen seinem grundgesetzlichen Schutzauftrag nachkommen kann. Dies muss gerade in Anbetracht der quasi non-existenten Hindernisse für Sachverhaltsermittlung und -sicherung gelten, die durch die von den Accountinhabern selbst gewählten Öffentlichkeit und nahtlosen Dokumentation herbeigeführt werden.

Wir fordern die Erarbeitung eines Schutzkonzepts, welches die folgenden Aspekte umsetzt:

  1. Es ist angemessen in Rechnung zu stellen, dass die Eltern als natürliche Sorgeberechtigte unmittelbarer Akteur sind; vor dem Hintergrund des Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 GG, aber auch der Tatsache, dass keine weitere, verlässliche Kontrollinstanz vorhanden ist (Verantwortungsdiffusion).
  2. Es gilt, das richtige Maß zu finden zwischen Kindesschutz sowie Sensibilisierung für die Gefahren der Veröffentlichungen und der Tatsache, dass das Kind für kommerzielle Zwecke vermarktet wird, auf der einen Seite und dem Belassen von genügend Freiräumen für kreatives Ausprobieren und für die Familie auf der anderen Seite.
  3. Hierfür muss die Basis sein, dass eine Abgrenzung des privaten und des (auch) kommerziellen Sharentings erfolgt; die Gefährdungslage ist nämlich unterschiedlich.
  4. Die zu ergreifenden Maßnahmen müssen sich graduell an die Gefährdungslage anpassen – von (im Fall des rein privaten Sharenting) freiwilligen zu (bei zumindest auch-kommerziellen Sharenting) verpflichtenden Beratungsangeboten und Genehmigungserfordernissen bei gleichzeitiger proaktiver Überwachung.
  5. Denkbar sind folgende Maßnahmen:
    1. Anwendung des JArbSchG auf alle Gruppen der kommerziell im Internet auftretenden Kinder: als „Beiwerk“ elterlicher Account, als (vermeintlich) selbstständige Kinder-Influencer*innen und insbesondere auch Kleinkinder
    2. gesetzliche Klarstellung des Rechts auch des Kindes am eigenen Bild
    3. Sicherstellung des finanziellen Profits von rechtmäßigerweise als Influencer tätigen Kindern, z.B. durch Einführung eines Treuhandkontomodells
    4. Stärkung der Verantwortung der Plattformbetreiber, insbesondere Pflicht zur Kontrolle von Arbeitserlaubnis etc.
    5. Einführung eines (subsidiären) Verbandsklagerecht für Kinderschutzorganisationen

Dringlichkeit der Regulierung

Die Reaktionen der Landesregierungen und anderer Akteur*innen in der Vergangenheit zeigen, dass Digitalpolitik oft von Menschen gemacht wird, die sich kaum mit dem digitalen Raum auskennen, dies gilt insbesondere für den digitalen Kinderschutz, der bisher kaum als Problem anerkannt wird. So fehlen bisher konkrete Bemühungen, Kinderschutz im digitalen Raum zu gewährleisten und die Gefahren für Kinder zu minimieren, sowie Familien aufzuklären. Dabei ist das Internet schon lange kein „Neuland“ mehr.
Die Social Media-Plattformen versuchen weder technisch noch in der Kommunikation ihrer Verantwortung gerecht zu werden und verweisen konsequent auf selbstauferlegte, aber leicht umgehbare Altersgrenzen. Eltern und Kinder sind nicht hinreichend sensibilisiert oder es besteht ein Interessenkonflikt. Hier muss die Politik konsequent eingreifen und einen rechtlichen Rahmen schaffen und die Verantwortung der Plattformen einfordern.

Eine Reaktion seitens aller Akteur*innen ist notwendig, besonders in Situationen, in denen das Kinderzimmer nicht mehr Rückzugsort, sondern Arbeitsplatz ist, in denen das Kind für das Haushaltseinkommen mitverdient, in denen das Kind Gefahren, wie Sexualisierung oder Cyber-Mobbing ausgesetzt wird und in denen die Privatsphäre und Schamgrenzen des Kindes nicht geachtet werden. Die Hauptverantwortung liegt hier weiterhin bei den Eltern, jedoch sind Staat und Plattformbetreiber*innen angehalten, diese zu unterstützen, unter anderem durch Reglementierung, Gesetzgebung, Anpassung von Algorithmen, sowie Aufklärung und Information in den Räumen, in denen sich Eltern und Kinder bewegen.
Es gilt die kindliche Entwicklung digital zu denken und optimale Bedingungen zu schaffen.

F3 Die Straßen denen die drauf laufen

2.09.2021

Problem:

Frauen erleben immer noch alltäglich nicht körperliche sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum. Dies erfolgt durch anzügliche Kommentare, Pfiffe, Hupen etc.., zusammengefasst unter dem Begriff „Catcalling“.  Einen Schutz gegen diese Form von Belästigung bietet der Gesetzgeber bis jetzt nicht.

Rein verbale, sexistisch konnotierte Äußerungen werden über Delikte wie sexuelle Nötigung, sexueller Übergriff, Vergewaltigung, Bedrohung, Nachstellung, Exhibitionismus und sexuelle Belästigung im Strafgesetzbuch nicht erfasst. Die bisherigen Sexualdelikte knüpfen als entscheidendes Kriterium alle am körperlichen Kontakt an. Auch der Straftatbestand der Beleidigung wird in den meisten Fällen des Catcallings nicht erfüllt, da eine Herabsetzung der Betroffenen im Sinne des Gesetzes in den meisten Fällen ausbleibt.

Auch im Bereich der Ordnungswidrigkeiten findet sich keine Vorschrift, die ein solches Verhalten mit Bußgeld bedroht.

Eine solche Lücke ist nicht hinnehmbar. Ein Staat, der nicht verhindert, dass Frauen auf offener Straße belästigt werden, kommt seiner Funktion die öffentliche Ordnung zu sichern, nicht zu Genüge nach. Der bisherige stiefmütterliche Umgang mit diesem Thema, ist Ausdruck dafür wie selten es aufgrund von mangelnder Repräsentanz, sowie Mut- und Ideenlosigkeit gelingt die vorhanden feministischen Bestrebungen in echte Realpolitik umzusetzen. Diese Lücke gilt es schnellstmöglich zu füllen. Es ist unsere Pflicht als Jusos „Catcalling“ nicht nur aufs Schärfste zu verurteilen, sondern es auch effektiv zu bekämpfen. Dazu soll dieser Antrag beitragen.

Einordnung

Zunächst gilt es die grundsätzliche Frage zu klären, wie Catcalling innerhalb des deutschen Rechtssystems einzufügen ist. Dabei wird zwischen Ordnungswidrigkeiten und Straftaten unterschieden. Diese unterscheiden sich in ihrem Unrechtscharakter und in der Form der Bestrafung. Während Ordnungswidrigkeiten mit Bußgeldern bestraft werden, können Straftaten auch zu Gefängnisstrafen führen. Zudem unterscheiden sich die Zuständigkeiten und das Verfahren. Wegen einer Ordnungswidrigkeit wird man gewöhnlich nicht verurteilt und ist in keinem Fall danach vorbestraft.

Catcalling ist nicht mit dem Anstandsgefühl einer modernen und gleichberechtigten Gesellschaft vereinbar. Es widerspricht ihrer grundsätzlichen Regel, Belästigung der Mitmenschen im Rahmen der eignen Freiheitsausübung zu unterlassen. Es kann nachweislich zu körperlichen und emotionalen Schäden bei den Betroffenen, bis hin zu Muskelverspannungen, Atembeschwerden, Schwindel und Übelkeit sowie starker Angst führen. Darüber hinaus fördert es Körperüberwachung und Selbstobjektivierung und es kann sogar zu einer Einschränkung der Mobilität von Betroffenen beitragen. Es vermindert nicht nur das Gefühl der Sicherheit und des Komforts der Betroffenen an öffentlichen Orten, sondern schränkt auch ihre Bewegungsfreiheit ein und nimmt ihnen die Freiheit und Sicherheit im öffentlichen Raum. Betroffene Frauen beurteilen ihre Umgebung, schränken die Wahl der Kleidung ein, entscheiden sich für Bewegung im Haus und meiden bestimmte Nachbarschaften oder Wege als proaktive Maßnahmen, um das Risiko, belästigt zu werden, zu verringern. Insgesamt führt Catcalling als gesellschaftliches Phänomen somit zu einer teilweise massiven Einschränkung der Lebensqualität der Betroffenen.

All diesen Folgen, bleibt jedoch gemein, dass sie mittelbar und nicht auf die einzelne Tat zurückführbar bleiben. Der unmittelbare Schaden und die Sozialschädlichkeit des Verhaltens des Einzeltäters bleiben dagegen, hinter denen der sonstigen Sexualdelikte weit zurück. Eine Einordnung des „Catcalling“ als Straftatbestand, würde entweder die dogmatischen und letztendlich verfassungsrechtlichen Ansprüche an ein Strafgesetz unterschreiten, oder ein Erheblichkeitskriterium enthalten, welches die Durchschlagskraft des Gesetzes nicht unwesentlich einschränken würde.

Ein solches Erheblichkeitskriterium für nicht körperliche Angriffe hat die Rechtsprechung bereits zur Beleidigung entwickelt, wonach der Täter durch seine Äußerung zum Ausdruck bringen muss, das Opfer würde einen seine Ehre mindernden Mangel aufweisen. Dies ist bei den meisten Formen des Catcalling schlicht nicht gegeben. Ein „Catcalling“ Paragraph im Strafgesetzbuch würde aber demselben oder zumindest einem sehr ähnlichen Kriterium unterliegen.

„Catcalling“ als Straftat würde nicht umfassend zu einer Verfolgung und Prävention all dessen, was unter „Catcalling“ verstanden wird, beitragen. Ein echter Mehrwert zu den vorhandenen Tatbeständen erscheint zweifelhaft. Ein Catcallinggesetz sollte aber aus unserer Sicht gerade dazu dienen, sexuelle Belästigungen, denen noch nicht die sozialschädliche Wirkung einer Straftat zukommt, Einhalt zu gebieten. Deswegen fordern wir, dass Ordnungswidrigkeitengesetz um einen „Catcalling-Paragraphen“ zu ergänzen.

Der „Catcalling-Paragraph“

Der „Catcalling-Paragraph“ soll jede Geste oder Verhalten gegenüber einer anderen Person im öffentlichen Raum umfassen, die dazu geeignet ist entweder die Würde des Gegenübers zu untergraben oder eine einschüchternde, feindselige, bedrohliche, hasserfüllte, missbräuchliche, abfällige oder verletzende Situation zu schaffen. Zu bestrafen ist die Ordnungswidrigkeit mit mindestens 250 Euro und einem Höchstsatz von 1500 Euro Bußgeld. Im Falle der Wiederholung ist die Mindesthöhe auf 500 Euro anzuheben.

Durch den Paragraphen erhalten Betroffene die Möglichkeit, entsprechendes Verhalten anzuzeigen und dem Staat stehen endlich die bekannten ordnungsbehördlichen Mittel zur Verfügung, um gegen diese Form der Belästigung vorzugehen. Die Verfolgung wird allerdings häufig aufgrund fehlender Identifizierung der Täter*innen oder nicht hinreichender Beweislage scheitern. Der Beistand des Staates für die Opfer darf und kann somit nicht mit Einführung des Paragraphen enden.

Wir fordern deswegen darüber hinaus:

  1. Einen umfassenden Jahresbericht über die Auswirkungen des „Catcalling-Paragraphen“, aus dem ersichtlich wird wo, wann und wie oft „Catcalling“ angezeigt wurde, wie viele Bußgeldbescheide aufgrund dessen erteilt wurden und welche weitergehenden Maßnahmen geplant und durchgeführt wurden, um Catcalling zu unterbinden.
  2. Eine Strategie der Ordnungsbehörden, um Catcalling zu verhindern und eigeninitiativ zu verfolgen. Diese muss einen höheren Präsenz von Ordnungsbehörden an Orten umfassen an denen häufig Catcalling angezeigt wird und darüber hinaus zumindest in größeren Städten Streifen, die schwerpunktmäßig nach Ordnungsverstößen bezogen auf den Catcalling Paragraphen Ausschau halten.
  3. Weitergehende staatliche Aufklärungsmaßnahmen wie Kampagnen etc., die über die Folgen und die Bedeutung von Catcalling informieren.

F2 My Body is not your Porn!

2.09.2021

Sexuelle Übergriffe gegen Frauen sind ein großes Problem und werden traurigerweise nicht weniger problematisch. Das Patriarchat in dem wir leben nutzt jede Situation, jeden Umstand und jeden Blickwinkel um diese Machtverhältnisse zu demonstrieren. Frauen werden sexuell belästigt, bedrängt, ihre Körper werden kommentiert, es werden ohne Einverständnis Aufnahmen von ihnen gemacht und leider heißt Nein immer noch viel zu oft nicht Nein. Der Kampf um die sexuelle Selbstbestimmung ist ein immerwährender und kräfteraubender, auch dann, wenn Frau denkt, sie sei alleine. Am Anfang diesen Jahres deckte eine Reportage sexuelle Übergriffe auf linken Festivals auf. Während den

Festivals – Monis Rache und dem Fusion Festival – wurden geheime voyeuristische Aufnahmen auf Dixiklos von weiblich gelesenen Personen gemacht und diese Aufnahmen wurden ohne das Einverständnis jener auf pornografischen Seiten veröffentlicht, getauscht und sogar verkauft. Dass diese zwei Fälle auf gedeckt wurden, ist jahrelanger Arbeit von Reporter*innen zu verdanken. Die Realität ist aber, dass solche voyeuristischen Aufnahmen tagtäglich gemacht werden – in Schwimmbädern, Fitnessstudios, Saunabädern, sogar im engsten Umfeld bei Bekannten auf der Toilette. Viele der Fälle bleiben im Verborgenen und die Täter stets ungestraft. Diese Aufnahmen entstehen jeweils in größter Missachtung der Persönlichkeitsrechte und der sexuellen Selbstbestimmung der aufgenommenen Frauen. In einem so privaten Raum, wo kaum ein Mensch aufgenommen werden will, werden täglich viele Frauen aufgenommen. Viele wissen von diesen Aufnahmen oft nichts und diejenigen, die diesen Umstand kennen, haben, egal wo sie sind, ein mulmiges Gefühl. Der Aufschrei nach der Reportage war passend – in vielen Städten gingen Frauen auf die Straße und brachten ihre Wut, ihren Hass gegenüber dem Patriarchat und den Tätern zum Ausdruck, die sogar Profite an den Aufnahmen erwirtschafteten. Gleichzeitig brachten sie aber auch ihr Schamgefühl und ihre Hilflosigkeit zum Ausdruck. Wenn selbst in Safer Spaces, wie auf jenen linken Festivals oder im Umfeld von Bekannten, sexuelle Übergriffe in dieser Form stattfinden, kann sich jede Frau sicher sein, dass man anscheinend nirgends mehr sicher ist. Nicht auf öffentlichen Toiletten, nicht in Schwimmbädern, Fitnessstudios oder in Safer Spaces. Der Kampf gegen patriarchale Gewalt und sexuelle Übergriffe ist ein sehr ermüdender und trotz kleiner Errungenschaften sind diese Aufnahmen Ausdruck dessen, dass sich Männer viel zu oft das Recht nehmen über den Körper von Frauen zu bestimmen und Frauenkörper zu sexualisieren. Diese sexuellen Übergriffe nehmen unterschiedliche Gestalten an. Sie geschehen wie beschrieben in sehr privaten Räumen aber auch im öffentlichen Raum: Upskirting, also unbefugte Aufnahmen unter dem Rock, oder Downblousing, unbefugte Aufnahmen vom Brustbereich, sind einige Varianten, die seit diesem Jahr endlich strafbar sind. Dies ist unter anderem auch der SPD Fraktion zu verdanken und ein wichtiger Meilenstein im Sinne der sexuellen Selbstbestimmung wurde gelegt. Damit einhergehend müssen aber noch weitere Maßnahmen ergriffen werden und es muss ein Umdenken stattfinden!

Wir Jusos begrüßen daher die Gesetzesänderung unbefugte Bildaufnahmen der Genitalien, des Gesäß- und weiblichen Brustbereiches nach § 201 a StGB unter Strafe zu stellen aber sehen auch, dass es das strukturelle Problem nicht annähernd abbildet. Wer dieses Problem lediglich als Problem der Persönlichkeitsrechte an Bildaufnahmen sieht, verkennt, dass es sexuelle Übergriffe sind.

Unbefugte Bildaufnahmen als sexuelle Übergriffe verstehen!

Das unbefugte Herstellen oder Übertragen von Bildaufnahmen der „Genitalien, des Gesäß- und weiblichen Brustbereiches“ muss als sexueller Übergriff verstanden werden und nicht nur als Eingriff in ein Persönlichkeitsrecht. Dass dieses Phänomen in der Debatte rund um die Gesetzesänderung immer im gleichen Atemzug genannt wurde wie das Fotografieren von Unfallorten, zeigt, dass es nicht ausreichend als Gewalt gegen die sexuelle Selbstbestimmung der Frau angesehen wird. Bei diesem Phänomen handelt es sich um eine Erscheinungsform geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen. Unter geschlechtsspezifischer Gewalt gegenüber Frauen versteht man nach seit dem 1. Februar 2018 in Deutschland geltenden Istanbul-Konvention alle Handlungen geschlechtsspezifischer Natur, die zu körperlichen, sexuellen, psychischen oderwirtschaftlichen Schäden oder Leiden bei Frauen führen oder führen können, einschließlich der Androhung solcher Handlungen, der Nötigung oder der willkürlichen Freiheitsentziehung, sei es im öffentlichen oder privaten Leben. Geschlechtsspezifischer Natur sind sie dann, wenn sie sich gegen eine Frau richten, weil sie eine Frau ist oder Frauen unverhältnismäßig stark betreffen. Das Aufnehmen und das Verbreiten der Bilder fällt unter die Konvention, insbesondere weil sie Frauen unverhältnismäßig häufig betrifft. Die Aufnahmen werden ausschließlich von Frauen gemacht und auf Pornoseiten veröffentlicht und dies ist eine typische Form von Gewalt gegenüber Frauen. Frauen haben oft das Gefühl der Hilflosigkeit, der Scham und noch öfter ändern sie ihr eigenes Verhalten – all dies kann Auswirkungen auf den seelischen Zustand von betroffenen Frauen haben. Diese Aufnahmen stellen klar sexuelle Übergriffe dar, da sie die sexuelle Selbstbestimmung der Frau in jeglicher Form negiert und sind nicht nur irgendwelche Bildaufnahmen. Daher fordern wir, dass in der Strafrechtsanwendung, dass §201 a StGB nicht nur dem allgemeinen Persönlichkeitsschutz dient, sondern auch der sexuellen Selbstbestimmung!

Die abgebildeten Frauen müssen nicht identifizierbar sein!

Damit die Gesetzesänderung greift und die betroffene Person eine Anzeige stellen kann, muss sie identifizierbar sein. Dies deckt aber nicht in annähernder Weise das Unrecht ab. In vielen Fällen werden nur Frauenkörper aufgenommen. Dennoch lässt es sich nicht abstreiten, dass auch diese Art der Aufnahme sexualisierte Gewalt darstellt. Wenn Männer sich das Recht nehmen Frauenkörper zu sexualisieren und über diese bestimmen, ist es nicht nötig, dass die betroffene Frau identifizierbar ist. Sexueller Übergriff bleibt sexueller Übergriff!

Die Länge des Rockes und die Tiefe des Ausschnittes ist keine Einladung!

An der Neufassung ist zu kritisieren, dass eine Strafbarkeit nur dann gegeben ist, „soweit diese Bereiche gegen Anblick geschützt sind“. Dies kann aber dem Narrativ, dass der Rock zu kurz war oder der Ausschnitt zu tief, entgegenkommen. Für uns Jusos ist es aber klar, dass weder ein zu kurzer Rock, noch ein tief geschnittener Ausschnitt eine Einladung dafür ist, Aufnahmen zu machen. Es ist eine strukturelle Gewalt gegenüber Frauen, die überall stattfindet. Dass solche Aufnahmen auch in sehr privaten Räumen, wie auf der Toilette oder unter Dusche, gemacht werden, ist ein Ausdruck dessen, dass diese patriarchale Gewalt sich durch alle Lebensbereiche zieht. Daher müssen diese Übergriffe auch als ein solch strukturelles Problem verstanden werden und der § 201 a StGB einen umfassenden Schutz darstellen.

Betroffene Frauen sind nicht in der Verantwortung!

Aufgrund der heimlichen Natur des Deliktes ist es nötig, dass neben einem Antrag die Strafverfolgung auch von Amts wegen passiert und nicht wie in der aktuellen Fassung nur auf Antrag geschieht. Oftmals wissen Frauen nicht, dass von ihnen Aufnahmen gemacht wurden und diese auf Pornoseiten verbreitet werden und Täter damit sogar Geld verdienen. Daher ist es von großer Bedeutung, dass auch die Strafverfolgung bei einem öffentlichen Interesse von Amts wegen eingeleitet wird. Ein solches öffentliches Interesse muss gegeben sein, wenn eine Vielzahl von Bildern aufgefunden werden, Bilder auf Plattformen verbreitet werden, Gewinnerzielungsabsichten gegeben sind, Minderjährige abgebildet werden und wenn der Täter aus rassistischen, fremdenfeindlichen oder sonstigen menschenverachtenden Beweggründen gehandelt hat.

Feministischer Opferschutz!

Eine Ausgestaltung als Privatklagedelikt wird in Fällen von geschlechtsspezifischer Gewalt den Interessen und Rechten der Opfer nicht gerecht. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat festgestellt, dass in Fällen von geschlechtsspezifischer Gewalt die Verweisung auf den Privatklageweg unangemessen ist, da so der betroffenen Person „eine exzessive Bürde“ auferlegt wird. Eine Privatklage würde daher dem Opferschutz widersprechen. Zudem muss das Delikt in den Katalog des § 395 I StPO aufgenommen werden, um eine Nebenklage zu ermöglichen. Eine Nebenklage in den Fällen von geschlechtsspezifischer Gewalt ist ein wichtiges Instrument, um eine Sekundärviktimisierung im Strafprozess zu vermeiden und dem Täter-Opfer-Ausgleich zu gewährleisten.

Plattformen zur Verantwortung ziehen!

Jene Plattformen, auf denen diese voyeuristischen Aufnahmen veröffentlicht werden, verstecken sich da hinter, dass deren Sitze nicht in der europäischen Union sind und verweisen zudem auf ihre allgemeinen Bedingungen. Alle User*innen dürfen nur Material von Menschen veröffentlichen, wenn diese mit der Veröffentlichung und der Aufnahme einverstanden sind. Die Plattformen argumentieren, dass in den Aufnahmen ein impliziter Konsens gelesen werden kann und auch ein Ausschluss des Einverständnisses durch die Aufnahmen nicht ausgeschlossen werden kann. Dass auf jeglichen Ebenen immer noch nicht verstanden wird, was genau Konsens ist, macht uns wütend. Wir verlangen die Ausgestaltung eines Prüfsystems für solche Plattformen. Wenn das Einverständnis nicht explizit nachgewiesen werden kann, sind die Aufnahmen zu löschen und gegebenenfalls die Plattform zu sperren.

Geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen in der Gesellschaft sichtbar machen und bekämpfen!

Für uns Jusos ist klar, dass wir immer kritisch gegenüber Strafrechtsverschärfungen sein müssen. In den Fällen der sexuellen Selbstbestimmung der Frau müssen wir aber auch einsehen, dass auch das Strafgesetzbuch die Geschlechterungerechtigkeit darstellt, ein Abbild von gesellschaftlichen Machtverhältnissen ist und es einen gesellschaftlichen Grund gibt, warum die Selbstbestimmung der Frau wenig geschützt ist. Das Strafrecht allein löst keine gesellschaftlichen Probleme und aus diesem Grund muss neben der Rechtsausgestaltung auch die Rechtsanwendung, durch eine Fortbildungspflicht von Polizist*innen, Staatsanwält*innen und Richter*innen zur geschlechtsspezifischen Gewalt, verbessert werden. Zudem ist es dringend nötig auch einen Bewusstseinswandel in der Gesellschaft herbeizuführen, indem man das Wissen hinsichtlich geschlechtsspezifischer Gewalt sichtbarer macht und im Diskurs verankert. Dies kann durch Öffentlichkeitsarbeit, Präventionsarbeit und Kampagnen zur Bewusstseinsbildung geschaffen werden. Durch die Kampagne „Nein heißt Nein“ wurde das strukturelle Problem der geschlechtsspezifischen Gewalt gegen Frauen im gesamtgesellschaftlichen Diskurs verankert. Dies muss auch in den Fällen gelten, wo Aufnahmen unbefugt von Frauen gemacht und veröffentlicht werden und damit ein hergehend Frauenkörper sexualisiert werden.

Für uns Jusos ist klar: My Body is not your Porn!

F1 Femizide sind keine Beziehungsdramen!

2.09.2021

Ehrenmord, Beziehungsdrama, Familiendrama – all diese Synonyme werden für die Tötung von Frauen durch ihre Partner gebraucht. In Deutschland wird fast jeden Tag eine Frau von ihrem Ehemann, Partner oder Ex-Partner getötet. [1] Das Motiv vieler Täter ist ähnlich: Sie gestehen den Frauen kein eigenständiges Leben zu oder respektieren das Ende der Beziehung nicht. Grundsätzlich werden die Motive von Justiz und Öffentlichkeit zu oft als Ehrenmorde oder Familien- und Beziehungsdramen verstanden. Die NRW Jusos setzten sich dafür ein diese Taten als geschlechtsspezifische Tötungsdelikte anzuerkennen und sie als Femizide zu bezeichnen.

Aktuelle Rechtslage

Im Jahr 2017 ratifizierte Deutschland die sogenannte Istanbul-Konvention, die als bedeutendste europäische Frauenschutzkonvention gilt. Mit der Ratifizierung hat Deutschland sich verpflichtet Frauen vor geschlechtsspezifischer Gewalt zu schützen. Sie hat eine überragende Rolle und gewährleistet einen menschenrechtlichen Schutz vor geschlechterspezifischen Gewalt. Der Austritt von Staaten aus der Istanbul-Konvention, wie auch am 1. Juli die Türkei, zeigt einen Backlash innerhalb des internationalen Schutzrahmens und spiegelt die international vertretene Ansicht wieder, dass der Schutz von Frauen in einer patriarchalen und heteronormativen Welt, nicht nötig ist. Auch hier reiht sich die vehemente Ablehnung Ungarns gegenüber der Konvention ein und der politisch angekündigte Austritt Polens aus der Konvention. Diese Entwicklung zeigt, welches patriarchale und misogyne Klima gerade die Deutungshoheit hat und wie gefährlich die Zeit für Frauen ist. Umso wichtiger ist es, dass Deutschland seiner Aufgabe bei der Umsetzung der Konvention nachkommt. Darunter fällt nach Art. 46(a), dass bei der Rechtsanwendung des nationalen Strafrechts unbedingt zu berücksichtigen ist, ob die Tat durch einen früheren Partner begangen wurde. Nach Art. 12 (5), 42(1) und 46(a) der Konvention ist im Rahmen von Tötungen in Paarbeziehungen dringend zu prüfen, ob das Tatmotiv als Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe zu klassifizieren ist und sich damit strafschärfend auswirkt. In der Realität wir die geschlechtsspezifische Tötung von Frauen in patriarchalen Strukturen durch die Justizbehörden in der Regel als Totschlag bewertet. Dem gegenüber stehen die harten Strafen für arabisch gelesene Männer, die Frauen töten. Diese Morde werden in der Rechtspraxis als sogenannte Ehrenmorde eingestuft und gelten damit als Mord aus niedrigen Beweggründen. So werden geschlechtsspezifische Tötungen von Frauen juristisch nicht nur verkannt, sondern zudem rassistisch bearbeitet. Wir fordern juristische und gesellschaftliche Sensibilisierung für patriarchale Besitzkonstruktionen à la „lieber tot als frei“.

Femizide als solche verstehen!

Femizide müssen als solche erkannt werden. Wenn sich geschlechtsspezifische Gewalt manifestiert, darf nicht jedes Mal von „Beziehungsdrama“ die Rede sein. Daher fordern die NRW Jusos die Sensibilisierung der Rechtsprechung und Strafverfolgung, damit Femizide nicht als Totschlag eingestuft werden. Damit Femizide strukturell verstehen und effektiv verfolgen zu können, bedarf es in der Strafverfolgung die Berücksichtigung der Tatbegehung durch den (Ex-) Partner und die Überarbeitung des §177 StGB, um strafmildernde Umstände durch eine Täter-Opfer Beziehung auszuschließen.

Darüber hinaus müssen Schwerpunktstaatsanwaltschaften geschaffen werden, die sich ausschließlich mit geschlechtsspezifischen Tötungen auseinandersetzten und entsprechend fähig sind, diese, unabhängig von der Täter-Herkunft, zu erkennen. Damit Richter*innen und Staatsanwaltschaft die misogynen und sexistischen Motive hinter Femiziden erkennen, benötigen wir regelmäßige Fortbildungen.

Istanbul-Konvention ohne Eingeständnisse umsetzen!

Wir verlangen die wirksame Umsetzung der Istanbul-Konvention! Als NRW Jusos setzten wir uns dafür ein, dass Deutschland die Konvention wirksam umsetzt und andere Staaten die Ratifizierung vornehmen. Politik und Justiz müssen die Istanbul-Konvention in der Gestaltung bzw. Anwendung von Gesetzten mitdenken, um das Leben von Frauen zu retten* bzw. die geschlechtsspezifische Tötung zu ahnden. Um die Umsetzung der Konvention zu prüfen, fordern wir die Einsetzung von Monitoring-Stellen in Deutschland, die die Fälle im Anwendungsbereich der Konvention überwacht und in ihrer Arbeit durch staatliche Mittel gefördert werden soll. Diese Einrichtung soll zudem gesellschaftliche Aufklärungsarbeit über Femizide leisten. Dazu gehören offensive Aufklärungskampagnen, die Femizide problematisieren und gesellschaftlich sensibilisieren.

Jede Tötung ist eine Tötung zu viel – Der Staat in der Verantwortung

Wir fordern zudem weitere Präventive Maßnahmen, die die Tötung von Frauenverhindern. Nach Artikel 8 der Istanbul-Konvention ist Deutschland dazu verpflichtet angemessene finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen, damit Gewalt gegen Frauen im Allgemeinen sowie häusliche Gewalt bekämpft werden kann. Des Weiteren muss Deutschland gemäß Artikel 22 und 23 der Konvention, Unterstützungsdienste und Schutzunterkünfte bereitstellen. Immer noch werden Mindeststandards bei der Bereitstellung von Unterkünften unterschritten. Es gibt keine flächendeckende Versorgung für Opfer von Gewalt. So fehlt es zum Beispiel an Plätzen in Frauenhäusern. In Nordrhein-Westfalen werden zwei von drei Anfragen abgelehnt. Hinzu kommt, dass nur 10 % der Frauenhäuser barrierearm sind, obwohl Frauen mit Behinderungen überdurchschnittlich häufig von Gewalt betroffen sind. Zuletzt stellt die Sprache besonders für gewaltbetroffene Frauen mit Flucht- und Migrationsgeschichte eine massive Barriere dar. Neben der unzureichenden Anzahl an Frauenhäusern, müssen wir ein weitreichendes Unterstützungssystem etablieren, dass auch Frauen mit Flucht- oder Migrationsgeschichte in Anspruch nehmen können. Dazu zählen Beratungsstellen, Notrufhotlines, Traumazentren und niederschwellige Therapiemöglichkeiten. Im Allgemeinen ist festzuhalten, dass bundesweit die finanziellen Mittel erhöht werden müssen und gleichwertige Standards in den einzelnen Bundesländern eingeführt werden. Wir fordern die Istanbul Konventionen ernsthaft umzusetzen und Schluss mit symbolpolitischen Frauenschutzmaßnahmen zu machen.

[1] Das Bundeskriminalamt (Hg.), Partnerschaftsgewalt. Kriminalstatistische Auswertung – Berichtsjahr 2017, zählte für das Jahr 2017 insgesamt 364 Tötungsdelikte zu Lasten von Frauen durch deren Ehemann, Partner oder Ex-Partner, von denen 208 im Versuchsstadium blieben und 141 mit dem Tod der Frau endeten.

D5 Mehr Jugend wagen. Passives Wahlrecht für Bürgermeisterkandidierende

1.09.2021

Die Jusos in der SPD fordern, dass das passive Wahlrecht für die Wahl der Bürgermeister*innen in NRW vom vollendeten 23 Lebensjahr auf das vollendete 18 Lebensjahr herabgesenkt wird. In zahlreichen Ländern und auch auf der kommunalen Ebene ist es bereits möglich, schon ab 16 Jahren zu wählen. Als Jugendorganisation sollte es unser Ziel sein, dass auch junge Menschen auf der kommunalen Ebene vertreten sind. Bei den Kommunalwahlen zeigen wir bereits, dass wir Jusos unser Recht in Anspruch nehmen, sich politisch zu beteiligen. Es kann nicht sein, dass im Jahr 2021 noch immer eine willkürliche Altersgrenze festgesetzt wird. Besonders im Amt der Bürgermeister*innen sind junge Menschen unterrepräsentiert und sollten auch ab dem 18 Lebensjahr, wo man voll geschäftsfähig ist, sich demokratisch engagieren dürfen.

D3 Lobbygesetz für NRW

1.09.2021

Die Vertretung gesellschaftlicher Interessen gegenüber Politik und allgemeiner Öffentlichkeit gehört zu den Wesensmerkmalen eines demokratischen Staatswesens. Interessenvertreterinnen und Interessenvertreter unterschiedlichster Art sind in verschiedenen Formen an demokratischen Willensbildungsprozessen beteiligt. Die Partizipation von Verbänden, Vereinen, Unternehmen, Organisationen und weiteren Akteuren der Interessenvertretung ist unbestreitbar ein wichtiger Bestandteil des Gesetzgebungsverfahrens. Bei der Formulierung von Gesetzen ist es wichtig, Einwände von betroffenen Gruppen anzuhören und denkbare Umsetzungsschwierigkeiten von vornherein zu vermeiden.

Genauso wie Parlamentssitzungen und Gesetzesentwürfe öffentlich einsehbar sind, muss es den Wähler*innen möglich sein, Einblick in diesen Prozess zu nehmen. Sie haben ein Anrecht darauf zu erfahren, wer außer den von ihnen dazu gewählten Abgeordneten am Gesetzgebungsverfahren beteiligt ist. Um das zu ermöglichen, müssen Abgeordnete offenlegen welche Nebenverdienste sie neben ihrer Abgeordnetentätigkeiten erwerben und mit welchen Interessensvertreter*innen sie in welcher Form in Kontakt stehen. Die Grenze zwischen notwendigem Lobbyismus und unzulässiger Einflussnahme müssen klar gezogen und deren Einhaltung durch öffentlichen Druck und angemessene Sanktionsandrohungen sichergestellt werden. Wir fordern deswegen ein umfassendes Gesetz zur Regelung von Lobbyarbeit bezogen auf den Landtag NRW, mit folgendem Inhalt:

  • In Gesetzesentwürfen ist aufzuführen, wer in welcher Form an dessen Erstellung mitgewirkt hat.
  • Spenden an Abgeordnete mit einem Wert über 100 Euro, unabhängig von welcher Organisation sind öffentlich zu machen.
  • Treffen von Abgeordneten mit Interessensvertretern sind innerhalb eines Monats nach dem Treffen zu veröffentlichen.
  • Um die Einhaltung der gesetzlichen Regelungen zu sichern ist eine unabhängige Kontrollstelle einzurichten und Sanktionen in entsprechender Höhe festzulegen.

Innerparteilich fordern wir zudem die Landesabgeordneten der SPD NRW auf ihre Nebeneinkünfte zu spenden.

D2 Whistleblower*innen endlich wirksam schützen!

1.09.2021

Whistleblowing erfüllt in Zusammenarbeit mit Medien oder Justiz eine wichtige Rolle in unserer Gesellschaft und Demokratie und nimmt dabei eine Art Kontrollfunktion für schwerwiegende Verstöße gegen Gesetze oder ethische Normen ein. Whistleblower*innen gehen dabei häufig erhebliche Risiken für ihr berufliches und privates Leben ein, teilweise sogar für ihr Leben selbst – sie verdienen deswegen Schutz und Unterstützung.

Die prominentesten Beispiele der aktuellen Zeit hierfür sind sicherlich Edward Snowden, Chelsea Manning und Julian Assange, die für die Aufklärung der Öffentlichkeit über unrechtmäßige oder sogar unmenschliche Vorgänge im Namen der Vereinigten Staaten mit Gefängnishaft bestraft oder bedroht wurden. Im Fall von Manning und Assange sprachen die UN-Sonderberichterstatter für Folter Mendez und Melzer sogar von Folter während ihrer Haft – ein Armutszeugnis und eine Schande für jeden Staat, insbesondere aber für Demokratien wie Großbritannien oder die USA. Dass 2020 einerseits der  Europarat die Freilassung von Assange gefordert hat, andererseits das EU-Parlament dessen Namen aus dem Bericht zur Lage von Menschenrechten in der EU gestrichen hat, zeigt das ambivalente Verhältnis von Staaten und Regierungen zu Whistleblower*innen.

Aber auch „unpolitische“ Whistleblower*innen benötigen Rechtssicherheit und vertrauliche Ansprechpartner*innen: Mit der Manipulation von Abgaswerten von Dieselautos bei VW und der Bilanzmanipulation hätte es auch in Deutschland in den letzten Jahren Bedarf für Mitarbeiter*innen, die unrechtmäßige Handlungen innerhalb des Unternehmens oder auch öffentlich ansprechen gegeben.

Wahrheitsfindung und die Aufdeckung von kriminellen Tätigkeiten in Unternehmen oder im Rahmen von staatlichen Aktivitäten wie bei Wirecard oder der manipulierten Software bei Dieselautos, sollte im Interesse eines und einer Jeden, insbesondere aber auch im Interesse von Staaten sowie Unternehmen, die dadurch die Möglichkeit zur Erledigung von Missständen oder die Beseitigung von unfairen und unlauteren Wettbewerbsvorteilen durch kriminelle Konkurrenz bekommen.

Dies war auch der Kerngedanke der EU-Richtlinie 2019/1937, die Ende 2019 von EU-Kommission, EU-Ministerrat und europäischem Parlament beschlossen wurde. Sie beinhaltet unter anderem die Pflicht für Unternehmen ab 50 Beschäftigten bzw. Jahresumsatz von 10 Millionen Euro und Gemeinden ab 10.000 Einwohner*innen interne Kanäle für anonyme Hinweise auf Missstände einzurichten. Auf diese muss innerhalb von 3 Monaten reagiert werden, indem die Hinweise weiterverfolgt werden und Whistleblower*innen eine Rückmeldung darüber erhalten. Diese sollen durch ihre Meldung keinerlei Nachteile erleiden, insbesondere sollen berufliche Konsequenzen (z. B. Kündigung, Einschüchterungen, Mobbing am Arbeitsplatz) ausgeschlossen sein. Wenn es keine internen Meldemöglichkeiten gibt oder nicht angemessen auf die Meldung reagiert, dann dürfen die Meldungen auch beispielsweise an Ermittlungsbehörden oder Medien erfolgen.

Diese Richtlinie hat eine Umsetzungsfrist bis zum 21.12.21, allerdings sieht es nach einer Blockade des Bundeswirtschaftsministers Peter Altmaier aktuell nicht so aus, als ob dies noch in dieser Legislaturperiode möglich wäre – und was mit dem Vorhaben nach der Bundestagswahl passiert ist ebenfalls unklar. Das Thema ist aber zu wichtig, um unter den Tisch gefallen lassen zu werden oder wie viele andere Initiativen von der Union verwässert zu werden! Zusätzlich ist es gegenüber den betroffenen Unternehmen unverantwortlich, dass die Umsetzung so lange verzögert wird, sodass diese sich kaum darauf vorbereiten können.

Über die Richtlinie hinausgehende Regelungen sind aber ebenfalls denkbar:

So bezieht sich diese nur auf Meldungen über Verstöße gegen EU-Recht, dies sollte auch auf Verstöße gegen nationales Recht ausgeweitet werden. Da es nicht nur in Deutschland oder der EU Whistleblower*innen gibt, die aber in ihrer Heimat gegebenenfalls deutlich schlechter vor (staatlichen) Repressalien geschützt sind, sollte der Schutz vor diesen Repressalien auch ein Asylgrund sein.

B4 Lebenslanges Lernen fördern, nicht nur fordern!

1.09.2021

Wer in NRW lebt und ein zu versteuerndes Einkommen zwischen 20.000€ und 40.000€ hat, hat als Beschäftige*r, Selbständige*r oder Berufsrückkehrer*in bei beruflichen Weiterbildungen Anspruch auf den Bildungsscheck NRW und bei darunter liegenden Einkommen auf die Bildungsprämie des Bundes. Diese übernehmen bis zu 50% der Kosten der Weiterbildung bis zu einer Höhe von 500€.

So weit, so gut – allerdings sind diese Fördermöglichkeiten Anspruchsberechtigten zum einen häufig nicht bekannt und so übernehmen diese unnötig selbst die Kosten ihrer Weiterbildung oder beginnen die Maßnahme aus finanziellen Gründen gar nicht erst. Zum Anderen gibt es Weiterbildungen nicht für lau. Das heißt, dass gerade Kurse, die eine langfristige oder tiefergehende Weiterbildung beinhalten und so einen besonders großen Nutzen für den beruflichen Werdegang entfalten können, höhere Kosten als 1000€ (maximale Förderung 50% der Kosten und höchstens 500€) haben können. Auf diesen Kosten bleiben dann diejenigen sitzen, die sich aktiv um ihre berufliche Zukunft kümmern und weiterbilden möchten.

Aus staatlicher Sicht spricht für eine Ausweitung der bestehenden Fördergrenzen: Jede in Anspruch genommene Weiterbildungsförderung, die dazu führt, dass eine Weiterbildung überhaupt durchgeführt wird und die infolgedessen den Wechsel in einen anderen (besser bezahlten) Job ermöglicht oder eine Arbeitslosigkeit verhindert, ist eine lohnenswerte Investition.

Deswegen fordern wir:

  • Maximale Förderquote des Bildungsschecks NRW von 50% auf 66% erhöhen
  • Maximale Fördersumme des Bildungsschecks NRW von 500€ auf 1500€ erhöhen
  • Breit angelegte Werbekampagne für Bildungsscheck, um die Bekanntheit und Inanspruchnahme der Maßnahme zu erhöhen

Aus unserer Sicht gehört eine solche Forderung auch ins Wahlprogramm der NRW SPD.

B2 Reform des BAföG - Studium darf keine Frage des Geldes sein

1.09.2021

Erst die Vorlesung besuchen, dann an der Hausarbeit schreiben und anschließend für die Klausur lernen. Jedoch gibt es für einige Studierende keinen Feierabend, stattdessen müssen sie nochmal los, um zu arbeiten. Einige haben nicht mal die Möglichkeit nach der Universität Geld zu verdienen, sondern verpassen deswegen wichtige Vorlesungen. Doch sollte jemand, der studieren gehen möchte, nicht noch nebenbei arbeiten müssen. Eigentlich bietet der Staat in Form des Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) auch für Studierende eine finanzielle Unterstützung. Jedoch werden viele aus absurden Gründen abgelehnt oder verlieren ihren Anspruch. Die Bürokratie ist aufwendig und unübersichtlich. Dadurch, dass das BAföG zurückgezahlt werden muss, starten Studierende mit Schulden in die Arbeitswelt. Das zeigt: Das BAföG ist nicht ausgereift und an vielen Stellen nicht zu Ende gedacht. Bildung muss für jede*n gleichermaßen zugänglich sein und niemand darf auf Grund seines Finanzstatus eingeschränkt werden. Wer jedoch nebenbei arbeiten muss, um sich seinen eigenen Hausstand finanzieren zu können, widerfährt eine direkte Benachteiligung. Um dem entgegenzuwirken, benötigen wir dringend eine drastische Reform des BAföG hin zu einer wirklichen Unterstützung und zum Ziel, dass ein Studium keine Frage des Geldes ist.

Daher fordern wir:

– Das BAföG muss elternunabhängig werden und jede Person sollte mindestens einmal im Leben Recht auf eine Förderung erhalten. So gibt man Studierende auch eine bessere Planbarkeit. Aktuell wird der BAföG-Satz jedes Jahr neu berechnet, was dazu führen kann, dass nur, weil zum Beispiel Geschwister einen Job annehmen, der BAföG-Satz um mehr als die Hälfte sinken kann. Das kann drastische Folgen haben.

– Die Orientierung des BAföGs muss von der Regelstudienzeit abgekoppelt werden und stattdessen sollte eine Orientierung an der durchschnittlichen Studienzeit erfolgen. Die idealisierte Regelstudienzeit von 6 Semestern spiegelt nicht die Realität vieler Studiengänge wider. Als Beispiel: 2017 haben an der Uni Paderborn im Studiengang Maschinenbau von über 100 Studierende kein*e einzige*r sein/ihr Studium in Regelstudienzeit geschafft. Außerdem muss den Studierenden der Druck genommen werden, indem die restriktive Überprüfung der Leistungsnachweise durch die Ämter gelockert wird.

– Die Altersbegrenzung muss abgeschafft werden. Zu Beginn des Bachelor-Studiums darf man nicht älter als 29 sein. Wer sich jedoch erst später dazu entschließt, ein Studium zu belegen, darf nicht benachteiligt werden, nur weil man mit 20 noch nicht genau wusste, was man später in seinem Leben machen möchte.

– Der Förderbetrag muss an die Lebensrealitäten angepasst werden. Wir schlagen vor, dass mindestens der Betrag der Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerkes als Orientierung genutzt wird. Dabei soll der Förderbetrag sich an die Lohn- und Preisentwicklung halten und ein regelmäßiger und automatischer Inflationsausgleich stattfinden. Außerdem müssen lokale Preise berücksichtigt werden, in dem man den Wohnkostenzuschuss lokal anpasst. In München zu wohnen ist deutlich teurer, als wenn man sein Studiengang zum Beispiel in Paderborn absolviert. Dabei gilt es auch, dass das BAföG nicht zurückgezahlt werden muss.

– Eine Vereinfachung der Beantragung von BAföG durch zum Beispiel einen einheitlichen Online Antrag. Außerdem sollte der Informationsfluss besser ausgeweitet werden, so dass den Studierenden ein besserer Überblick vermittelt wird. Oft scheitert es an der Bürokratie, dass Studierende sich zum Teil gar nicht erst bewerben.

– Auch bei einem Fachwechsel nach dem 4. Semester müssen Studierende weiter gefördert werden. Auch hier darf niemand benachteiligt werden, nur weil man nicht direkt das gefunden hat, was man wirklich studieren möchte. Es ist nicht selten, dass man während seines Studiengangs merkt, dass man doch etwas anderes möchte. Keine*r sollte auf Grund des Geldes gezwungen werden, etwas zu studieren, was er/sie am Ende gar nicht möchte.