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LA4 Umbenennung des herkunftssprachlichen Unterrichts

22.02.2021

Die Jusos Köln fordern das Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen auf, den sogenannten „herkunftssprachlichen Unterricht“ in „familiensprachlichen Unterricht“ umzubenennen. Kinder und Jugendliche sollen somit vor von außen auferlegten Identitätsfragen geschützt werden. In einer offenen und modernen Gesellschaft sollten diese losgelöst von institutionalisiertem Unterricht verwirklicht werden können.

LA2 Neugründungen von kommunalen Wohnungsbaugesellschaften fördern

22.02.2021

Die Bundesregierung muss den Kommunen bei der Gründung und finanziellen Ausstattung von Wohnungsbaugesellschaften Starthilfe geben. Dazu sollen deutlich mehr Mittel im Bundeshaushalt bereitgestellt werden. Der Betrag für die sogenannte Wohnraumförderung, 1,5 Milliarden Euro im Jahr 2018, soll mindestens verdoppelt und auch für die Neugründung von kommunalen Wohnungsbaugesellschaften nutzbar gemacht werden. Neugründungen von Wohnungsbaugesellschaften sind in den letzten Jahren unter anderem in Kiel und Dresden erfolgt. Wir fordern Anreize für andere Städte, diesem Beispiel zu folgen. Eine ausreichende Finanzierung kann dies bieten und die Gesellschaften außerdem direkt handlungsfähig machen. Kommunaler Wohnungsbau muss in der Zukunft wieder eine größere Rolle spielen, nur so können Gegenspieler zu privaten Investoren aufgebaut werden.

B2 Am wissenschaftlichen Diskurs aus dem Ausland teilnehmen? Nicht möglich. Daher wieder Einreisen für ausländische Studierende ermöglichen!

20.01.2021

Auf Anfrage des Bundestagsabgeordneten Kai Gehring an das Bundesbildungsministerium, wurde bekannt, dass die Bundesrepublik an ausländische Studierende nur ein Visum bereitstellt, wenn diese ausdrücklich nachweisen können, dass sie an den Universitäten Präsenzveranstaltungen besuchen müssen.

Damit liegen sie deutlich hinter der EU-Empfehlung, nach der den Staaten geraten wurde, bestimmten Personengruppen, wie z.B Saisonarbeitskräften in der Landwirtschaft oder Arbeitskräften im Gesundheitswesen, aber auch Studierenden die Einreise uneingeschränkt zu erlauben. Auf Anfrage der F.A.Z., hieß es vom Bundesinnenministerium, dass man Studierende genauso behandele wie Arbeitskräfte, welche auch nur einreisen dürfen, wenn bewiesen ist, dass die Arbeit nur vor Ort ausgeführt werden kann. An dieser Stelle sollte man sich jedoch fragen, wieso Arbeitskräfte aus dem Ausland nach Deutschland kommen und wieso Studierende ins Ausland gehen. Es braucht keinen langen Gedankengang, um festzustellen, dass es den Studierenden nicht nur ums Studieren, sondern auch um das Student*innenleben geht.

Erst vor kurzem sagte Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) folgenden Satz: „Wissenschaft und Forschung leben vom Austausch, gerade vom internationalen Austausch“. Dieser Satz ist zwar in einem anderem Zusammenhang gefallen, der jedoch nicht ganz unähnlich ist. Es ging um die rund 9000 deutschen Studierenden, die nicht in den USA bleiben durften, da keine Präsenzveranstaltungen stattfanden und ein Studium doch auch von zuhause (dem Heimatland) möglich sei, da die Universitäten auf Online Kurse umgestiegen waren.

Wie kann man von anderen etwas erwarten, was man selbst nicht politisch umsetzt??

Sicherheit

Es heißt zwar, für das Wintersemester 2020/21, dass wieder mehr Präsenzveranstaltungen stattfinden werden und sich das Problem damit verringert. Wer kann aber mit hoher Wahrscheinlichkeit sagen, dass diese Tendenzen sich dauerhaft fortsetzen?? Niemand! Daher ist es wichtig, Regelungen zu finden, die den Studierenden die Möglichkeit gibt, ihren Aufenthalt planbar zu machen.

Das Bundesinnenministerium argumentiert außerdem mit dem Gesundheitsschutz. Es ist jedoch schon lange der Fall, dass Deutsche im Ausland Urlaub machen dürfen. Hier gilt die Regelung für einige Länder, dass Reisende sich bei der Rückkehr testen lassen müssen oder 14 Tage in Quarantäne verbringen müssen. Die Einführung einer ähnlichen Regelung für Studierende wäre also durchaus realisierbar.

Wissenschaftlicher Diskurs

Studierende, die bereits in Deutschland sind und nicht erst einreisen müssen, dürfen bleiben. Deutschland verspielt damit aber die Chance , vielen Studierenden die Bedeutung von Zusammenhalt internationaler Arbeit zu zeigen. Denn oftmals trägt der Auslandsaufenthalt zur Persönlichkeitsbildung bei. Gerade durch die Regelung der USA, dem Land, welches bisher weltweit die meisten ausländische Studierende aufnimmt, könnten wir durch unsere Offenheit und Solidarität dem entgegentreten und mit gutem Beispiel vorangehen.

Gerade in Krisenzeiten, ist es wichtig, auch international zusammenzuhalten und den Austausch beizubehalten und zu fördern. Das wird aber nicht durch ein Auslandssemester aus der Heimat möglich. Zum einen wird den Studierenden nicht die Möglichkeit gegeben, an entsprechende Literatur für die entsprechenden Inhalte zu kommen, andererseits wird ihnen verweigert, am wissenschaftlichen Diskurs sowie am sozialen Leben eines anderen Landes teilzunehmen. Die Kernanliegen eines internationalen Studierendenaustauschs werden damit nachhaltig gefährdet. Natürlich  muss man dabei die aktuelle Situation berücksichtigen und kann den Auslandsaufenthalt nicht wie bisher üblich gestalten. Jedoch ist es selbst in Krisenzeiten möglich eine bessere Regelung zu finden als es bisher war.

Besonders betroffen sind Studierende aus Osteuropa, Afrika, Asien und Lateinamerika. Oft zählen gerade diese Länder aus diesen Regionen als Risikogebiete, wodurch eine Einreise nahezu unmöglich wird. Dabei ist es doch gerade für den wissenschaftlichen Diskurs wichtig, Menschen aus aller Welt miteinzubeziehen.

Deshalb fordern wir von Bund und Land:

  • Mit sofortiger Wirkung ist den ausländischen Studierenden zuzusichern, dass ein Aufenthalt in Deutschland für die kommenden Semester möglich ist
    • dabei muss intensiv mit den Universitäten, Stipendiengeber*innen und anderen Einrichtungen zusammengearbeitet und finanzielle Unterstützung gewährleistet werden Entsprechend müssen auch an Studierende aus Risikogebieten Visa erteilt werden, um die gleichberechtigte Teilnahme am wissenschaftlichen Diskurs zu sichern
    • dabei muss bei der Einreise die gleiche Regelung gelten, wie für deutsche Urlauber*innen in Risikogebieten, d.h,. dass insbesondere ausreichend Testkapazitäten zu gewährleisten sind

U3 Plastikmüll vermeiden – Unverpackte Lebensmittel und Produkte in alle Supermärkte

9.09.2020

Verpackungsmüll stellt eine der größten Gefahren für unserer Umwelt dar. Jährlich gelangen zehn Millionen Tonnen an Abfällen in die Ozeane unseres Planeten. Insbesondere der Plastikmüll stellt dabei ein essenzielles Problem dar, denn Plastik zersetzt sich zwar in immer kleinere Teile, aber verrottet niemals ganz. Plastikmüll zerfällt in Mikroplastik, das für Tiere und die Natur extrem schädlich ist. Außerdem ist dieser Prozess langwierig. Bis eine PET-Flasche sich zersetzt, benötigt es 450 Jahre. Diese Abfälle liegen zwar meistens nicht direkt vor unserer Haustür, sondern in anderen Bereichen der Welt, allerdings exportiert Deutschland jährlich eine Millionen Tonnen an Plastikmüll ins Ausland. Das ist 1/6 der gesamten Menge des produzierten Plastikmülls in der Bundesrepublik. Daran wird deutlich: Wir haben ein großes Müllproblem und müssen dieses jetzt angehen!

Ein großer Produzent des Verpackungsmülls ist die Lebensmittelindustrie. Nahezu alle Produkte werden, z.T. mehrfach, in Plastik verpackt. Auch wenn diese Verpackungen bei einigen Produkten aufgrund der hygienischen Regelungen notwendig sind, ist dies nicht bei allen Lebensmitteln der Fall, denn es gibt Alternativen, wie Maniok-Verpackungen! Viele Produkte können auch mit einem geringerem Verpackungsaufwand verkauft werden, das zeigen Unverpacktläden. Allerdings sind Unverpacktläden noch immer eine Seltenheit. An den großen Problemen des Mülls in Supermärkten ändert das bisher wenig. Doch, dass bestimmte Waren unverpackt angeboten würden, wäre ein großer Schritt in eine Zukunft mit weniger Verpackungsmüll. Jedes unverpackte Produkt spart 2/3 an Verpackungen ein. Des Weiteren sprechen sich 45% der Bevölkerung für weniger Verpackung aus, sodass der gesellschaftliche Rückhalt des Projekts deutlich wird.

Daher fordern wir,

  • dass Städte und Gemeinden die Errichtung von Unverpacktläden in ihren Innenstädten fördern,
  • dass Supermärkte einen noch festzulegenden Teil ihrer Lebensmittel unverpackt anbieten müssen.

Um diesen Anteil bestimmen zu können, müssen Gespräche mit den Supermarktketten und fachlichen Instituten, die sich mit dem Thema Verpackungsmüll beschäftigen, erfolgen.

O5 Reißt Barrieren und Stigmata ein!

9.09.2020

Unsere Gesellschaft ist vielfältig. Und genauso Vielfältig sind auch die Steine, die einem Menschen in den Weg gelegt werden. Aber je mehr Steine im Weg sind, desto schwerer wird der Zugang zu Bildung, einer Karriere oder dem politischen Engagement. Wenn wir jedoch für “Gleiche Chancen für Alle” kämpfen, müssen wir uns bestehende Stigmata und Barrieren anschauen. Denn Stigmata und Barrieren, die für Nicht-Betroffene unsichtbar sind, führen zu ungleichen Startbedingungen. Doch was können wir als Jusos tun? Dafür müssen wir uns die einzelne Bereiche anschauen.

(Wortdefinitionen: Stigmatisierungen führen dazu, dass einem Menschen Eigenschaften zugeschrieben werden, um diesen abzuwerten. Barrieren sind Hindernisse, um die man nicht herumkommt.)

Behinderungen, Chronische Erkrankungen und Neurodiversität

Bei dem Wort Barrieren denken die meisten wahrscheinlich als erstes an Behinderungen. In den letzten Jahren hat sich der Blickwinkel geändert. Man geht nicht mehr nur davon aus, dass eine Person aufgrund einer Diagnose Behindert ist. Vielmehr wird das Soziale Umfeld betrachtet und wie sehr dieses Umfeld mit Barrieren einen Menschen in seiner Teilhabe behindert. Das Bedeutet, dass wir alle in der Verantwortung sind, Barrieren einzureißen und eine höchstmögliche Teilhabe zu ermöglichen. Und das können wir nicht nur, in dem wir uns für Inklusion in Schulen und dem Arbeitsmarkt einsetzen. Wir Jusos können im eigenen Verband beginnen und diesen Barrierearm gestalten. Deshalb fordern wir:

  • Rollstuhlgerechte Veranstaltungsorte, mit einer Anmerkung auf der Veranstaltungseinladung. Sollte eine Rollstuhlgerechte Veranstaltung nicht uneingeschränkt möglich sein, muss auch dies auf der Einladung vermerkt werden.
  • Werden weitere Angebote zur Barriere-reduzierung verwendet, sollen diese auch in der Einladung erwähnt werden und zu Beginn einer Veranstaltung erklärt werden.

Barrierefreiheit bedeutet viel mehr, als nur eine Rampe zu bauen, um einen Rollstuhlgerechten Zugang zu ermöglichen. Vor allem im Bereich der “unsichtbaren Behinderungen” gibt es vieles, was wir noch tun können. Hier sind einige Beispiele, die umgesetzt werden können, wenn es die Kapazitäten dafür gibt: Safer-Spaces zur Reizreduktion bzw. um aus der Situation rauszukommen, Bereitstellung von Texten in einer Legasthenie-freundlichen Schriftart, Skills-Notfallkasten bereitstellen bei akuten psychischen Problem auf einer Veranstaltung, Essen im Vorfeld ankündigen damit sich Menschen mit Stoffwechselerkrankungen oder Intoleranzen Essen mitbringen können.

Auch bei Printmedien und Social-Media können Barrieren überwunden werden, in dem z.B. gut lesbare Schriften verwendet werden, die Texte in einfacherer Sprache und mit einer reduzierten Anzahl an Fachworte geschrieben werden, Farbkontraste eingehalten werden, die Farben für Farbenblinde unterscheidbar sind, Bildunterschriften in Postings gesetzt werden und Untertitel bei Videos eingefügt werden.

Um diesen Kampf möglichst effektiv zu gestalten, brauchen wir mehr Bildungs- und Aufklärungsarbeit. Denn nur durch Wissen und offene Kommunikation können Stigmata, die wir alle als Vorurteile in uns tragen, brechen. Zusätzlich dazu bekommen wir so auch die Möglichkeit besser auf die Probleme von anderen Genoss*innen in unserem Umfeld zu reagieren und diese weiterhin in unsere Arbeit zu einzuschließen.

Sprache als Barriere

Nicht immer muss eine Behinderung der Grund für eine Barriere sein. Auch Sprache kann eine Barriere sein.

Fachbegriffe, zum Beispiel, haben nicht nur den Zweck Sachverhalte möglichst kurz zu beschreiben. Die Verwendung von bestimmten Fachbegriffen innerhalb einer Gruppe führt zu einem Zugehörigkeitsgefühl. In unserem Verband haben wir die unterschiedlichsten Bildungshintergründe. Ist jetzt eine Fachsprache dominierend, führt dazu, dass sich einige Menschen nicht als Teil der Gruppe verstehen. Deshalb fordern wir:

  • Bei Workshops, dass möglichst wenig Fachsprache verwendet wird. Sollten diese unumgänglich sein, können sie als Fußnote erklärt werden. Dies gilt natürlich nicht für Workshops, bei denen angekündigt wird, dass diese ein bestimmtes Vorwissen voraussetzen.
  • Bei Anträgen, dass Fachworte definiert werden
  • Bei Veranstaltungen, dass ein Handzeichen vereinbart wird, dass signalisiert, dass eine Definition für ein Fachwort oder eine Abkürzung gerade benötigt wird.
  • Erstellung eines Abkürzungsverzeichnisses mit Parteikürzeln und den dazugehörigen Erklärungen

Aber nicht nur Fachsprache kann eine Barriere darstellen. Menschen, die mit einer anderen Muttersprache bzw. Bilingual aufgewachsen sind oder auch Menschen, die in einem Nicht-Akademiker*innen- Haushalt groß geworden sind, haben nicht immer denselben Wortschatz, wie ein Mensch, der in einem akademischen Haushalt mit nur einer Sprache aufgewachsen ist. Deshalb können wir nicht davon ausgehen, dass jeder Mensch im Umgang mit Sprache ein ähnliches Selbstbewusstsein hat. Wir müssen uns stets daran erinnern, dass einige Menschen Sprachbarrieren spüren, wenn sie einen Text schreiben, einen Wortbeitrag leisten oder sich in einer Diskussion beteiligen. Was aber nicht bedeutet, dass diese Menschen keinen wertvollen Beitrag leisten können.

Klassismus 

Klassismus beschreibt (strukturelle) Diskriminierung und Ausbeutung von Menschen aufgrund der sozialen Herkunft oder Position. Denn Armut schränkt in der Teilhabe ein. Wenn wir es uns jedoch zur Aufgabe machen wollen, Barrieren einzureißen, müssen wir uns auch innerhalb unseres Verbandes damit auseinandersetzen, wie wir möglichst viele Menschen mit den unterschiedlichsten Hintergründen integrieren können. Aktuell ist der dominierende Anteil der Jusos studiert. Wenn jetzt z.B. jemand eine Ausbildung macht, hat diese Person nicht immer das Privileg ein NRW-Ticket zu haben. Die Anfahrt zu einer Landesveranstaltung kann somit nicht nur wegen der Uhrzeit, die sich mit der Arbeitszeit überschneidet, schwierig werden, sondern es kann auch teuer werden. Und wenn dann das Geld fehlt, überlegt man es sich natürlich mehrfach, ob man dann zu einer Veranstaltung fährt oder nicht. Aber auch eine Delegationsreise kann von vielen nicht kurzfristig finanziert werden, was dann wieder Mitglieder ausschließt. Aber auch kleinere Situationen können dazu führen, dass Menschen sich in ihrer Teilhabe eingeschränkt sehen. Wenn man nicht betroffen ist, sind einem diese Situationen nicht bewusst. Deshalb fordern wir:

  • Organisation von Fahrgemeinschaften und die Mitnahme über ÖPNV-Tickets, für Menschen, die kein Ticket haben
  • Veranstaltungen, die mehr kosten, müssen frühzeitig angekündigt werden, um zu sparen
  • Endgeräte zum Verleih zur Verfügung stellen bei Veranstaltungen
  • Extra-Kosten auf Veranstaltungen bei der Einladung ankündigen, wie z.B. Kosten für das Bier am Abend oder Kosten für Auswärtsessen

Safer-Space

Immer noch haben viele ein Bild von politischer Arbeit im Kopf, dass sie “knallhart” ist und man viel aushalten muss. Diese Vorstellung soll aber nur verschleiern, dass diese Arbeitsatmosphäre vor allem Diskriminierung gegenüber bestimmten Gruppen bedeutet. Dies ist ein Raum, wo sich vor allem weiße heterosexuelle cis Männer wohlfühlen und dann wundert es auch nicht, dass sie die Räume dominieren. Wenn wir wollen, dass diskriminierte Gruppen mehr teilhaben können, müssen wir dafür sorgen, dass unser Verband ein Safer-Space und diskriminierungsfreien Raum wird. Es kann zum Beispiel nicht sein, dass nicht-binäre oder intersexuelle Personen sich genötigt sehen, wenn sie sich zu Veranstaltungen anmelden wollen, männlich oder weiblich anzugeben. Hier müssen wir massiv in Awareness-Arbeit investieren und dabei vor allem die Perspektiven von diskriminierten Gruppen in den Vordergrund stellen und intersektional denken.

S6 Verbeamtung oder mentales Wohlbefinden? - Gegen die Stigmatisierung von angehenden Beamt*innen mit psychischen Vorerkrankungen

9.09.2020

Der Staat will sehr genau wissen mit wem er bei der Verbeamtung einen lebenslangen Vertrag eingeht. Dies betrifft beispielsweise Lehrer*innen, Polizist*innen oder Jurist*innen. Im Detail geht es bei den Anforderungen der Verbeamtung um die Eignung, Befähigung und fachliche Leistung.

Vor allem die medizinische Beurteilung kann da für viele Personen zum Problem werden, besonders wenn es sich dabei um psychische Belastungen handelt. Amtsärzt*innen prognostizieren dabei aus der medizinisch dokumentierten Vorgeschichte sowie der aktuellen gesundheitlichen Situation die Wahrscheinlichkeit, dass Anwärter*innen frühzeitig aus dem Dienst ausscheiden oder lange Unterbrechungen drohen. Die Richtlinien dafür sind derzeit jedoch für viele Anwärter*innen nicht durchschaubar und scheinen willkürlich. Aufgrund mangelnder verbindlicher Regelungen hängt eine Entscheidung oft von dem*der untersuchende*n Amtsärzt*in ab. Durch Änderungen der Gesetzeslage im Jahr 2013 hat sich zwar die Beweislast umgekehrt, sodass nunmehr die Gründe für eine Nichteignung dargelegt werden müssen, jedoch sehen sich Anwärter*innen immer noch mit vielen Problemen konfrontiert.

So versuchen viele Personen psychische Vorerkrankungen und damit verbundene Behandlungen aus ihren Krankenakten herauszuhalten, da sie Angst haben, dass diese einer Verbeamtung im Weg stehen könnten. Gerade in Zeiten gesellschaftlicher Entwicklungen, die Therapie für immer mehr Menschen notwendig macht, ist dies problematisch. So ist beispielsweise eine*r von sechs Studierenden auf psychische Betreuung angewiesen.

Infolgedessen zögern Betroffene, ärztliche Hilfe vor ihrer amtsärztlichen Untersuchung in Anspruch zu nehmen. Sie versuchen mit ihren Problemen selbst zurechtzukommen oder müssen auf teure und/oder nicht staatlich bzw. verbandlich regulierte Anlaufstellen zurückgreifen. Dies kann zu einer weiteren Verschlechterung der mentalen Gesundheit führen, wenn die nötigen finanziellen Mittel zu seriösen Alternativen fehlen, die nicht aktenkundig werden.

De facto führt nicht jede therapeutische Behandlung automatisch zu einer Nicht-Verbeamtung, vor allem bei erfolgreichem Verlauf oder weniger schwerwiegenden Beeinträchtigungen. Aufgrund jedoch von Intransparenz und Einzelfallentscheidungen bleibt das Verfahren weiterhin unvorhersehbar. Dadurch schrecken auch bei den derzeitigen Regelungen viele Menschen vor einer Therapie zurück, deren Verbeamtung eigentlich nicht in Gefahr stünde.

Aus einer jungsozialistischen Position darf es nicht sein, dass Menschen aufgrund ihrer psychischen Verfassung in diesem Maße diskriminiert werden. Besonders Menschen, die besonderem Stress und besonderer Verantwortung ausgesetzt sind, sollten nicht davon abgehalten werden, sich bei gesundheitlichen Problemen die für sie passende Hilfe in Anspruch zu nehmen. Es ist äußerst fraglich, ob diese Praxis dazu führt, mental stabile Personen zu verbeamten. Denn vielmehr ist davon auszugehen, dass eventuelle Vorerkrankungen verheimlicht und unbehandelt bleiben.

Insgesamt ist diese Form der ‚Auslese‘ ohnehin zu problematisieren, da sie eine Vielzahl an Menschen aufgrund antiquierter Vorstellungen von psychischer Eignung vorverurteilt und zu destruktivem Handeln anregt.

Daher fordern wir:

  • Vorläufig die Schaffung einer höheren Transparenz der Verbeamtungskriterien, um Anwärter*innen eventuelle Bedenken bei der Inanspruchnahme einer Therapie zu nehmen bei gleichzeitiger Absage an Pauschalisierungen
  • eine Institutionalisierung von diesbezüglicher Aufklärung für Anwärter*innen
  • umfangreichere ärztliche Gutachten
  • die Sensibilisierung von Amtsärzt*innen für dieses Thema hinsichtlich einer gesamtgesellschaftlich zielführenden Urteilsfindung
  • ein generelles Umdenken bei Verbeamtungskriterien bezüglich mentaler Gesundheit und Eignung, die therapeutischen Bedarf und psychische Diversität normalisiert
  • Psychotherapeutische Maßnahmen, die zum Zeitpunkt der Untersuchung durch den Amtsarzt erfolgreich abgeschlossen sind, dürfen nicht zum Nachteil der Anwärter*innen in den Entscheidungsprozess um eine Verbeamtung einbezogen werden.

S4 Den psychischen Folgen der Corona-Krise begegnen

9.09.2020

Die Corona-Krise beeinträchtigt auch die psychische Gesundheit der Bürger*innen. Schon in nicht Krisenzeiten ist diese aber ein Tabuthema. So schätzen Expert*innen, dass nur etwa ein Drittel der in Deutschland an Depressionen leidenden Menschen ärztliche Unterstützung bekommen [1], was auch an Stigmatisierung und Unwissen liegt. Die Corona-Krise hat viele Menschen in unterschiedliche Extremsituationen gebracht, zu Traumata geführt oder diese verschlimmert. Dazu gehören Angstzustände, Isolation und Vereinsamung, häusliche und sexualisierte Gewalt oder Existenzangst. Aber auch die Erfahrung, Verwandte allein sterben lassen zu müssen oder im Kreissaal alleine gebären müssen, können nachhaltig Spuren hinterlassen. Eltern, die Job und Kinderbetreuung gleichzeitig bewältigen mussten, berichten von Überforderung mit teilweise gewalttätigen Folgen. Vor allem junge Menschen sind von der Krise finanziell betroffen [2] und Leiter*innen von Tafeln erzählen von einer „neuen Form der Not“ [3] und von jungen Menschen, die zur Tafel gegangen sind, weil sie sonst nichts mehr zu Essen gehabt hätten. Auch Kinder hat die Krise besonders getroffen: Sie konnten nicht mit anderen Kindern zur Schule gehen oder spielen – die sozialen Folgen der Schulschließungen können bis jetzt nur erahnt werden. Es ist auch nicht zu übersehen, dass Frauen einen übergroßen Teil dieser Last getragen haben und dass die Krise sich in Abhängigkeit der sozioökonomischen Lage von Personen unterschiedlich niedergeschlagen hat. Da die Krise weiterhin anhält, ist nicht davon auszugehen, dass sich diese Beschreibung der Lage schnell verändern wird.

Während den wirtschaftlichen und finanziellen Folgen von der Politik mit dem größten Hilfspaket in der deutschen Geschichte begegnet wurde, sind die gesundheitlichen Folgen – sowohl physisch für die an Corona Genesenen als auch psychisch für alle Teile der Gesellschaft – bis jetzt weitestgehend untergegangen. Dadurch wird das Tabu, das es rund um psychische Gesundheit gibt, nur verstärkt. Dabei müssen viele Menschen extreme Situationen aushalten, was nicht spurlos vorbeigehen wird. Die ersten Ärzte bemerken die Folgen: „Eine Mehrheit der Pädiater spricht von einer Zunahme psychischer Störungen bei jungen Patienten infolge der Corona-Einschränkungen. 68 Prozent rechnen mit coronabedingten Traumata bei Heranwachsenden.“ [4] Beachtet werden muss auch die Lage der Therapeut*innen, die unter enorm erschwerten Bedingungen arbeiten müssen. Zudem sind durch Ausfälle von Sitzungen ambulante Praxen auch in finanzielle Not geraten. Ihre Arbeit muss anerkannt und finanzielle Hilfen angeboten werden, damit keine Praxen wegbrechen.

Wir fordern daher, dass auf unterschiedlichen Ebenen das Thema psychische Gesundheit nach Corona möglichst breit angegangen wird:

  • Einrichtung von runden Tischen für psychische Gesundheit in den Kommunen, zu denen unter anderem die Vertreter*innen der Psychotherapeuten- und Ärztekammer, der DPtV (Deutsche Psychotherapeuten Vereinigung) sowie Wohlfahrtsverbände, Gewerkschaften und Jugendämter eingeladen werden.
  • Bereitstellung von Fonds für die Erforschung der Auswirkungen der Corona-Krise auf die psychische Gesundheit durch das Bundesministerium für Gesundheit.
  • Unterstützung bei der Einrichtung von Selbsthilfegruppen zu den Folgen von Corona.
  • Ausbau des Angebotes an Psychotherapie. Dabei muss beachtet werden, welche Aspekte in der Ausbildung junge Menschen darin hindern, diesen Beruf zu ergreifen sowie die Vergabe der Praxissitze überarbeitet werden.
  • Professionelle Beratung von Lehrkräften, um Auswirkungen schnell zu erkennen.
  • Aufstockung der Stellen in der Schulpsychologie durch die Länder, um ein besseres Angebot und eine bessere Betreuungsquote zu erreichen.
  • Arbeitgeber*innen sind für die Gesundheit ihrer Mitarbeiter*innen verantwortlich. Daher müssen sie zur betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) gesetzlich verpflichtet und hier bei Bedarf gleichermaßen gefördert bzw. befähigt werden. Nicht nur unter physischen Aspekten (z.B. Fitness), wie es schon weit verbreitet ist, sondern auch gleichermaßen unter psychologischen Aspekten. Das muss gleichermaßen für Arbeitnehmer*innen im Homeoffice gelten, da u.a. die soziale Isolation psychische Risiken mit sich bringen kann.

[1] https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/106418/Depression-noch-immer-Tabuthema (zuletzt aufgerufen am 03.07.2020)

[2] https://www.ksta.de/wirtschaft/studie-vor-allem-juengere-leiden-wirtschaftlich-unter-der-corona-krise-37121282 ((zuletzt aufgerufen am 06.08.2020)

[3] https://www.rnd.de/politik/corona-viele-junge-menschen-suchen-in-krise-hilfe-bei-tafeln-KDZZFJQ57ES2CZRUGJQHQNRTF4.html (zuletzt aufgerufen am 06.08.2020)

[4] https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/115323/Kinder-und-Jugendaerzte-warnen-vor-erneuten-Schulschliessungen?utm_source=dlvr.it&utm_medium=twitter (zuletzt aufgerufen am 06.08.2020)