Gendergerechte Forschung und Diversität in der Forschung sind Themen, die in der breiten Öffentlichkeit nicht besonders bekannt sind, aber dennoch immer wieder in den akademischen Fokus geraten.
(Hinweis: Im folgenden Antragstext wird in Teilen nicht mit * gegendert. Dies tun wir nicht, weil wir nicht anerkennen wollen, dass es einen Unterschied zwischen sex und gender gibt bzw. mehr als nur zwei Geschlechter, sondern weil aufgrund der medizinischen Thematik des Antrags an nicht mit * gegenderten Stellen vom biologischen sex Mann/Frau die Rede ist. Wir weisen ausdrücklich
darauf hin, dass wir anerkennen, dass es auch hier nicht nur diese beiden Geschlechter gibt und sich an dem medizinisch etablierten Mann-Frau etwas ändern muss.)
Unsere Forderungen:
Wir möchten uns mit diesem Antrag klar für geschlechtergerechte und diskriminierungsfreie Forschung einsetzen. Wir wollen außerdem auf die vorhandenen Missstände aufmerksam machen und eine höhere Sensibilität für das Thema innerhalb der Jusos erreichen.
Wir begrüßen, dass mittlerweile Arzneimittelstudien Männer und Frauen gleichermaßen miteinbeziehen müssen und die Ergebnisse auch für die Zulassung von Medikamenten miteinbezogen werden. Doch dies war nicht immer so.
Vor allem bereits vor Jahrzehnten entwickelte Medikamente sollen erneut auf geschlechtsspezifische Unterschiede untersucht werden und die Empfehlungen zu Verschreibungen dementsprechend angepasst werden. Dabei besonders in Betracht zu ziehen sind Medikamente zur Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Lehrstühle für gendergerechte Forschung sollen stärker gefördert werden, um die Grundlagenforschung in diesem Gebiet voran zu bringen.
Unterschiede zwischen dem Sex Mann und Frau: Gibt es das überhaupt?
Lange Zeit hat man auch in der Forschung geglaubt, es reiche Studien nur an Männern durchzuführen und die Ergebnisse einfach auf den biologisch eher weiblichen Körper zu übertragen. So groß könnten die Unterschiede ja nicht sein?
Dies stellte sich als falsch heraus – mit fatalen Folgen. Schon die physiologischen Begebenheiten sind bei Frauen anders. Die Aufnahme, Verstoffwechselung und Ausscheidung, also die sogenannte Pharmakokinetik, unterscheidet sich je nach Arzneimittel sehr stark, aufgrund von unterschiedlichen Enzymaktivitäten im Körper. Außerdem sind Frauen häufig kleiner, leichter und haben weniger Muskelmasse als Männer. Dieser unterschiedliche Körperbau wirkt sich auch auf die Pharmakokinetik aus.
Dazu kommen Unterschiede im Verhalten von Frauen* und Männern* in Bezug auf die Therapieeinhaltung, die sogenannte Adhärenz. Die Wahrnehmung von Körper und Krankheit kann bei Frauen* und Männer* sehr verschieden sein, Frauen* gehen z.B. häufiger zum*zur Arzt*Ärztin und zeigen insgesamt eine höhere Adhärenz.
Unterschiede sind also offensichtlich da, aber warum wurden Frauen und Frauen* in Arzneimittelstudien so lange vernachlässigt?
Frauen in Phase 1-Studien
Es gibt dafür einen Grund und dieser hängt eng zusammen mit dem Contergan-Skandal in den 60er Jahren. Der Wirkstoff Thalidomid verursacht, wenn schwangere Personen ihn einnehmen, Fehlbildungen der Extremitäten beim heranwachsenden Kind. Dies war auch der Fall, wenn der Wirkstoff Jahre vor der Schwangerschaft eingenommen worden war. In den Studien an Tieren war dies nicht entdeckt worden. Erst nachdem mehrere Fälle publik wurden, wurde die Abgabe von Thalidomid gestoppt.
Durch die Angst vor weiteren ähnlichen Fällen sowie vor Regressansprüchen wurden Frauen in den 70er und 80er Jahren komplett aus Phase-1-Studien verbannt.
Erst in den 90er Jahren fand langsam wieder ein Umdenken statt. In dieser Zeit wurden jedoch viele der heute gängigen Arzneimittel gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen entwickelt.
Herz-Kreislauf-Medikamente und ihre Wirkung bei Frauen
Hier zeigen sich besonders gravierende Unterschiede: Zum Beispiel wurde der Effekt von ASS in der Primärprävention nur bei Männern nachgewiesen. Bei den Blutfettsenkern, den Statinen, sieht es ähnlich aus. Bei den blutdrucksenkenden ACE-Hemmern wurde sogar nachgewiesen, dass diese bei Frauen viel stärker wirken als bei Männern. Dies kann bei Frauen zu lebensgefährlichen Hypotonien, also besonders niedrigem Blutdruck, führen.
Trotzdem gehören diese Gruppen zu den am meisten verschriebenen Medikamenten weltweit.
Eine Anpassung der Empfehlungen ist daher unumgänglich.
Nicht nur Frauen/Frauen* sind betroffen
Auch People of colour wurden und werden immer noch wenig in Arzneimittelstudien miteinbezogen, obwohl man heute weiß, dass sie ebenfalls eine andere Pharmakokinetik bei bestimmten Wirkstoffen aufweisen. Lange Jahre wurden Studien hauptsächlich an weißen Proband*innen durchgeführt und die Ergebnisse auf Menschen mit anderer Hautfarbe übertragen. Dem möchten wir uns ebenfalls entschieden entgegenstellen und uns insgesamt für eine diskriminierungsfreie Forschung aussprechen.
Fazit
Für uns ist klar: Dieses Thema braucht mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit und ein Umdenken in der medizinischen Forschung. Die oben genannten Forderungen sind wichtig für eine gleichberechtigte Gesellschaft, in der die Gesundheit aller oberstes Gut ist.