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F1 50 Jahre Stonewall – Für eine vollständige rechtliche Gleichstellung von LGBTQI*

29.08.2019

Im Juni 1969 stießen Polizist*innen bei einer Razzia in der Christopher Street in New York zum ersten Mal auf Gegenwehr. In dieser Straße befand sich das Stonewall Inn, eine Schwulenbar, in der regelmäßig Polizeirazzien durchgeführt, Gäste aufgeschrieben und sogar festgenommen wurden. Schwule, Lesben und trans* Personen versammelten sich an jenem Tag und standen drei Tage lang für ihre Rechte ein. Das war der Auftakt zur „homosexuellen Befreiung“. Die Community wollte sich nicht mehr verstecken, sondern für ihre Gleichberechtigung kämpfen. Seither findet jedes Jahr ein Gedenkmarsch statt – in Deutschland erinnert seit 1979 der Christopher Street Day an die Geschehnisse.

In den letzten 50 Jahren konnten erhebliche Fortschritte in LGBTQI*-Rechten beobachtet werden – von der Abschaffung von § 175 StGB bis hin zur Öffnung der Ehe für Alle und der Einführung der „dritten Option“ in den letzten zwei Jahren. Allerdings ist das Ziel – die vollständige gesellschaftliche Akzeptanz und Gleichstellung – noch lange nicht erreicht. Auch heute ist Homosexualität noch in 78 Ländern verboten und in acht Ländern sogar unter Todesstrafe gestellt. Jährlich werden weltweit Tausende von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung verfolgt und umgebracht. LGBTQI* Personen werden von ihren Familien verstoßen, in die Unsichtbarkeit gedrängt und schrecklicher Gewalt ausgeliefert. Auch in westlichen Staaten wird mit sexuellen Orientierungen sehr unterschiedlich umgegangen. Anfeindungen und auch Gewaltanwendungen gegen LGBTQI* Menschen nehmen allerorten wieder zu. Insbesondere sind noch immer ein sehr binäres Bild von Geschlecht und heteronormative Standards vorherrschend. Selbst wenn Schwule und Lesben in der westlichen Welt heute größtenteils heiraten und Kinder adoptieren können, sieht es bei der Akzeptanz von Menschen, die der binären Gendernorm von Mann und Frau nicht entsprechen, noch ganz anders aus. LGBTQI* Rechte dürfen nicht auf Lesben und Schwule beschränkt werden – ein viel breiteres Spektrum muss abgedeckt werden, weshalb eine Abkehr von heteronormativem und binärem Denken notwendig ist, in unserer Gesellschaft und in unserem Verband.

In diesem Antrag werden einige der aktuellen Stellschrauben zur rechtlichen Gleichberechtigung von LGBTQI* beschrieben. Der Antrag hat keinesfalls den Anspruch, abschließend zu sein. Stonewall ist und bleibt ein ewiges, aktives Mahnmal –  in den Worten von Martin Boyce, der selbst bei den Protesten anwesend war: „Stonewall ist ein Verb, eine Aufforderung zur Tat“.

Aufnahme von geschlechtlicher Identität und sexueller Orientierung in GG und AGG

Noch immer ist der Katalog der speziellen Diskriminierungsverbote in Artikel 3 des Grundgesetzes unvollständig: sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität werden nicht erwähnt. Dies wirkt sich bis heute negativ auf die Lebenssituation von LGBTQI* aus. Wer dort nicht genannt wird, läuft Gefahr, in der gesellschaftlichen und politischen Wirklichkeit ignoriert zu werden. So musste das Bundesverfassungsgericht durch seine Rechtsprechung in den vergangenen Jahren immer wieder gegenüber diskriminierendem staatlichem Handeln korrigierend eingreifen, um den Grundrechten von LGBTQI*-Menschen auf Gleichbehandlung und freie Entfaltung der Persönlichkeit Geltung zu verschaffen. Gerade gegenüber politischen Kräften, die Demokratie als Diktatur einer vermeintlichen Mehrheit missverstehen, muss ein inklusives Grundrechteverständnis auch im Verfassungstext besiegelt werden. Fundamentale Normen des Zusammenlebens wie das Diskriminierungsverbot müssen in der Verfassung für alle Menschen transparent sein. So wie es in einigen Bundesländern bereits entsprechende Diskriminierungsverbote in der jeweiligen Landesverfassung gibt, müssen diese auf alle Verfassungen ausgeweitet werden.

Zudem muss das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ausgebaut und wirksamer gestaltet werden. So muss auch staatliches Handeln umfassend in den Anwendungsbereich des AGG einbezogen werden. Insbesondere müssen die Diskriminierungsgründe erweitert werden, einschließlich der dezidierten Benennung des Diskriminierungsgrundes „geschlechtliche Identität“.

Ferner müssen die Ausnahmeregelungen im Arbeitsrecht für Religionsgemeinschaften und deren Einrichtungen aufgehoben werden. Es ist einer freien Gesellschaft unwürdig, dass das Eingehen einer gleichgeschlechtlichen Ehe einer Person den Arbeitsplatz kosten kann. Für Beschäftigte der Religionsgemeinschaften und der von ihnen betriebenen Einrichtungen muss außerhalb des engsten Bereichs der Verkündigung das allgemeine Arbeitsrecht einschließlich des Betriebsverfassungsgesetzes Geltung erlangen.

Verbot von Konversionstherapien

Wir fordern, dass die Durchführung aller Maßnahmen, die darauf abzielen eine Veränderung der sexuellen und/oder geschlechtlichen Identität oder Orientierung hervorzurufen, verboten und unter strafrechtliche Verfolgung gestellt werden.

Novellierung der Ehe für Alle

Wir stehen für die Überwindung von stereotypen Geschlechterrollen sowie des binären Verständnisses von Geschlechtlichkeit. Der beschlossene Gesetzesentwurf zur Ehe für Alle erfasst nur Menschen gleichen oder verschiedenen Geschlechts. Hierdurch sind insbesondere inter* und nichtbinäre Menschen von der Eheschließung ausgeschlossen. Die Gesetzgebung hat dies offensichtlich nicht beabsichtigt, sodass mit einer weiteren Novelle die Ehe für wirklich Alle geöffnet werden muss.

Neuregelung des Transsexuellengesetzes (TSG)

Trans* Personen muss es möglich sein, ohne erhebliche Hürden medizinische und rechtliche Geschlechtsangleichungen vorzunehmen. Daher ist eine Reform des TSG von 1980 längst überfällig – auch, wenn das ursprüngliche Gesetz aufgrund der zahlreichen verfassungswidrigen Regelungen bereits größtenteils außer Kraft ist. Im TSG ist geregelt, dass trans* Menschen zur rechtlichen Anerkennung der Geschlechtsangleichung zwei Gutachten anfertigen lassen, dafür die Kosten tragen und in einem Gerichtsverfahren die Änderungen von Vornamen und Personenstand beantragen müssen. Dies stellt einen eklatanten Verstoß gegen das Recht auf Selbstbestimmung von trans* Personen dar.

Den im Mai 2019 von Justizministerin Barley und Innenminister Seehofer vorgelegten Gesetzesentwurf zur Neufassung des TSG lehnen wir dezidiert ab, da er trans* Menschen keine echte Selbstbestimmung erlaubt. Vielmehr hält er am zur Geschlechtsangleichung notwendigen Gerichtsverfahren fest und ersetzt die notwendigen Gutachten durch eine sog. ärztliche Geschlechtsidentitätsberatung. Psycholog*innen und Ärzt*innen dürfen weiterhin das Leben, die Identität und den Körper von trans* Menschen bewerten und begutachten. Während zahlreiche europäische Reformen in den letzten Jahre Begutachtungen, Diagnosen und Fremdbestimmungen abgeschafft haben, hält der neue Gesetzesentwurf an der Fremdbestimmung fest, widersetzt sich den europäischen Menschenrechtsgarantien sowie EU-Vorgaben zur Geschlechtergleichstellung und fällt noch weiter hinter seine europäischen Nachbarn zurück. Wir schließen uns der Kritik des Bundesvorstands der AG Akzeptanz und Gleichstellung (SPDqueer) an, denn der Gesetzesentwurf ist pathologisierend, diskriminierend und nicht zeitgemäß.

Eine Reform des TSG ist längst überfällig, allerdings darf die Neuregelung nicht erneut in einem diskriminierenden Sondergesetz ergehen, sondern muss in das allgemeine Familienrecht des BGB integriert werden. Dabei muss beachtet werden, dass für die Änderungen von Vornamen und Personenstand ausschließlich jenes Geschlecht maßgeblich sein darf, mit dem sich die Person identifiziert. Die Namens- und Personenstandsänderung muss ohne Einholung von Gutachten alleine durch die eindeutige Erklärung eines Menschen bei dem zuständigen Standesamt bzw. dessen Aufsichtsbehörde möglich sein. Dies muss für Minderjährige ab 14 Jahren auch ohne Zustimmung der Eltern möglich sein. Minderjährige unter 14 Jahren benötigen grundsätzlich die Zustimmung der Eltern. Die fehlende Zustimmung kann jedoch durch das zuständige Familiengericht ersetzt werden.

Gleichzeitig muss die medizinische Geschlechtsangleichung im Wege von Operationen und hormonellen Behandlungen allen Menschen offenstehen. Geschlechtsangleichende Operationen dürfen nur bei wirksamer Einwilligung der Person erfolgen, an welcher diese durchgeführt werden. Trans* ist keine Krankheit, sondern eine Ausprägung der geschlechtlichen Identität. Die Behandlungen müssen auch Minderjährigen offenstehen, um ungewollte Veränderungen am eigenen Körper (insbesondere durch Einsetzen der Pubertät) verhindern zu können, selbst gegen den Willen der Eltern. Zudem müssen die Kosten für alle geschlechtsangleichenden Behandlungen einheitlich von Krankenkassen übernommen werden. Das Angebot für psychologische Therapie muss trans* Personen kostenlos und barrierefrei zur Verfügung gestellt werden.

Abstammungsrechtsreform

Das geltende Abstammungsrecht wird aktuellen Lebensrealitäten nicht ausreichend gerecht, denn die Vielfalt der heutigen Familienkonstellationen und die Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin stellen es vor erhebliche Herausforderungen. Die Schwierigkeiten ergeben sich aus der multiplen Elternschaft, von der neben der Regenbogenfamilie auch andere Familienformen betroffen sind – die bio-genetischen Elternteile sind nicht automatisch auch rechtliche oder soziale Elternteile. In der Folge stellt sich für diese Familien die Frage, mit welchen Rechten und Pflichten soziale Elternteile ausgestattet sind und wie im Alltag mit möglichen Diskrepanzen zwischen rechtlicher und sozialer Elternschaft umgegangen wird. In der gegenwärtigen Situation sind beispielsweise gleichgeschlechtliche Ehepaare zweier Frauen auf eine sehr aufwändige Stiefkindadoption des in der Ehe geborenen Kindes angewiesen; faktische Lebensgemeinschaften zweier Frauen* sind gar ganz von der gemeinsamen rechtlichen Elternschaft ausgeschlossen. Diese Situation ist nicht nur für die betroffenen Frauen*, sondern auch für die Kinder nicht tragbar, denen ein zweites Elternteil zumindest zeitweise, wenn nicht dauerhaft vorenthalten wird und die so im Hinblick auf Unterhaltsansprüche und Erbrecht schlechter gestellt werden.

Somit ist eine Anpassung des Abstammungsrechts, welche den vielfältigen real existierende Familienstrukturen Rechnung trägt, überfällig. Das Rechtssystem darf keine Hürde für Familiengründungen in neuen Konstellationen darstellen.

Daher ist der im März 2019 von Justizministerin Barley vorgelegte Entwurf zur Anpassung des Abstammungsrechts grundsätzlich zu begrüßen. Grundlegend für Barleys Vorhaben ist weiterhin die „genetisch-biologische Verwandtschaft“. Dennoch soll es beispielsweise lesbischen Paaren möglich sein, von Geburt an als rechtliche Eltern eines Kindes zu gelten.

Mit dem „Zwei-Eltern-Prinzip“ wird Elternschaft auch weiterhin beschränkt und schwule Eltern können weiterhin erst durch Adoption vollständig rechtlich Eltern werden. Zwar räumt Barleys Entwurf ein, wie wichtig die „sozio-familiäre Beziehung“ sei, behält jedoch starre Grenzen bei. Der Entwurf bildet noch lange nicht alle Lebensrealitäten ab, weshalb eine grundlegendere Reform notwendig ist.

Zudem enthält der Gesetzesentwurf zahlreiche problematische Punkte, wie beispielsweise die bestehende Rechtsunsicherheit für die möglichen Elternteile aufgrund der Unterscheidung zwischen privaten Samenspenden und ärztlich assistierter künstlicher Befruchtung. Außerdem birgt der Entwurf deutliche Widersprüche gegenüber trans* Personen. Zweigeschlechtlichkeit bleibt zentral, die Rolle der Mutter wird strikt biologisch festgeschrieben und eine dritte Geschlechtsoption wird nicht berücksichtigt. Zwar wird im Gesetzestext angekündigt, dass inter* und trans* Menschen jede Rolle in der Elternschaft einnehmen könnten, dies steht jedoch im Widerspruch zum biologischen Mutterschaftsbegriff. Gebärende Männer oder zeugende Frauen ebenso wie diejenigen Personen, die sich nicht einem binären Geschlecht zuordnen wollen, werden dadurch in ihrer geschlechtlichen Selbstbestimmung eingeschränkt.

Folglich sind Neuregelungen notwendig, welche die genannten unterschiedlichen Lebensrealitäten und -umstände berücksichtigen.

Insbesondere sind klare Regelungen erforderlich, die Rechtssicherheit z.B. bei künstlicher Befruchtung erlauben. Dazu gehört die Anerkennung der Elternschaft, z.B. („Mit-“)Mutter*schaft bei lesbischen Paaren, abhängig von der intendierten sozialen Beziehung zum Kind – und die Abkehr von der vorrangig genetisch bestimmten Elternschaft. In dem Zusammenhang ist eine präkonzeptionell zulässige Möglichkeit des bindenden Verzichts des*der Samenspender*in auf Elternrechte einzurichten, die dem Interesse der Mütter*paare an einer geregelten Rechtslage ebenso Rechnung tragen würde, wie dem Interesse des*der Samenspender*in daran, nicht entgegen vorheriger Absprache auf Unterhalt in Anspruch genommen zu werden. Ein solcher Verzicht auf Elternrechte muss auch bei privaten Samenspenden möglich sein.

Darüber hinaus ist die Kostenübernahme der ärztlich assistierten Insemination für gleichgeschlechtliche Paare über § 27a SGB V sicherzustellen.

Zudem ist die Zulässigkeit der Insemination mit Fremdsamen im ärztlichen Berufsrecht ausdrücklich klarzustellen und die Frage der Zulässigkeit der assistierten Reproduktion bei gleichgeschlechtlichen Ehegattinnen*, bei Lebenspartnerinnen*, bei gleichgeschlechtlichen eheähnlichen Lebensgemeinschaften von Frauen* und bei alleinstehenden Frauen* zu klären.

Weiterhin ist eine grundlegende Reform des Fortpflanzungsmedizinrechts, mitsamt klarer Regelung von Embryonenspenden, überfällig. Anderenfalls droht ein unterschwelliger Widerspruch in der Rechtsordnung, wenn das BGB-Familienrecht z.B. die Embryonenspende zumindest eingeschränkt als zulässig voraussetzt.

Zuletzt besteht die Notwendigkeit für trans* Eltern, auch im Geburtsregister ihrer Kinder entsprechend dem gelebten Geschlecht bezeichnet zu werden. Auch der Alltag mit minderjährigen Kindern wird durch eine fehlende geschlechtsentsprechende Zuordnung erheblich erschwert.  Dies kann durch eine Abkehr von der zwingenden Kategorisierung als Vater oder Mutter gewährleistet werden, die den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich einer „dritten Option“ entsprechen würde.

Recht auf Asyl

Obwohl sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität zumindest im europäischen Asylrecht mittlerweile flächendeckend als Fluchtgrund anerkannt sind, gibt es noch einige gegenläufige Praktiken, die durch das BAMF und durch Verwaltungsgerichte gepflegt werden. Zum Beispiel werden Asylanträge nicht selten mit der Begründung abgelehnt, es werde in den Heimatstaaten der Geflüchteten nicht gezielt nach LGBTQI* Personen gefahndet, weshalb eine dortige strafrechtliche Verfolgung sehr unwahrscheinlich wäre. Dies kommt der Zumutung gleich, im Herkunftsstaat die eigene geschlechtliche Identität oder sexuelle Orientierung, und damit einen Teil der eigenen Identität zu verstecken, um Verfolgung zu vermeiden.

Eine weitere Hürde für Personen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Identität verfolgt wurden, ist die (öffentliche) Angabe ihrer LGBTQI* Zugehörigkeit als Fluchtgrund anzugeben – insbesondere aufgrund der gemeinsamen Unterbringung in Unterkünften mit anderen Geflüchteten, wo ein Outing zu erneuten Anfeindungen führen kann. Das Nicht-Angeben bzw. nachträgliche Ändern des Fluchtgrundes kann allerdings zu erheblichen Problemen im Gerichtsverfahren führen, da es die Aussagen des*der Asylsuchenden für Richter*innen unglaubhaft erscheinen lassen kann.

Eine Reform im Asylverfahren, die sichere Räume für LGBTQI* Geflüchtete schafft und rechtswidrige Praktiken durch das BAMF und Verwaltungsgerichte unterbindet, ist dringend notwendig.

Fazit

Offensichtlich werden durch die Durchsetzung der beschriebenen Forderungen bestehende Ressentiments, Diskriminierungen und Gewalt gegen LGBTQI* nicht mit einem Schlag verschwinden. Gegen Hetze und Hass ist noch viel Aufklärungs- und Präventionsarbeit von Nöten. Dennoch kann Gesetzgebung das Bewusstsein positiv verändern, das ist empirisch messbar. Und auf dem Weg zur gesellschaftlichen Akzeptanz und Gleichstellung ist die vollständige rechtliche Gleichberechtigung ein essenzieller Schritt.

Deshalb fordern wir

  • Die Aufnahme von sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität ins Grundgesetz.
  • Den Ausbau des AGG hinsichtlich sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität.
  • Die Abschaffung von Ausnahmeregelungen im Arbeitsrecht von Religionsgemeinschaften.
  • Das Verbot von Konversionstherapien und die strafrechtliche Verfolgung dieser.
  • Novellierung des Ehe für Alle-Gesetzes mit einer Öffnung für nichtbinäre und inter* Menschen.
  • Die Aufhebung des Transsexuellengesetz und eine grundlegende Neuregelung, die der Menschenwürde von Trans* gerecht wird. Jede*r sollte im Wege einer eindeutigen Erklärung frei über den eigenen Geschlechtseintrag entscheiden können, ohne Atteste vorlegen zu müssen. Den vom Justizministerium vorgelegten Entwurf zur Neuregelung lehnen wir ab.
  • Eine kostenfreie medizinische sowie juristische Geschlechtsangleichung in jedem Fall. Geschlechtsangleichende Operationen dürfen nur bei wirksamer Einwilligung der Person erfolgen, an welcher diese durchgeführt werden. Krankenkassen müssen für die notwendigen Behandlungen aufkommen.
  • Ein kostenloses und barrierefreies Angebot für psychologische Therapie für trans* Menschen.
  • Eine Neuregelung des Abstammungsrechts, sodass dieses gesellschaftliche Realitäten widerspiegelt und die Gleichberechtigung von Regenbogenfamilien garantiert.
  • Die Sicherstellung der Kostenübernahme der ärztlich assistierten Insemination für gleichgeschlechtliche Paare über § 27a SGB V.
  • Eine Reform im Asylverfahren, die sichere Räume für LGBTQI* Geflüchtete schafft und rechtswidrige Praktiken durch das BAMF und Verwaltungsgerichte unterbindet, ist dringend notwendig.

K1 Impulse für starke Kommunalwahlprogramme

29.08.2019

Kommunalwahlen 2020

Im Herbst 2020 stehen in NRW die Kommunalwahlen an. Die SPD wird dabei stark gefordert sein. In vielen Städten und Landkreisen arbeiten Jusos seit vielen Jahren daran eine fortschrittliche Kommunalpolitik zu gestalten. Als NRW Jusos wollen wir dabei Anstöße geben. Bei unserem diesjährigen Kommunal-Camp haben wir uns vier Tage intensiv mit dieser Thematik auseinandergesetzt. Die Landesebene kann keine Kommunalwahlprogramme ausarbeiten. Aber wir können Impulse setzen. Dies ist kein Grundsatz-Antrag zur Kommune der Zukunft – dies ist eine Vorlage, bei der sich Juso-Unterbezirke Ideen für ihr lokales Wahlprogramm holen können, um dann hoffentlich personell und inhaltlich stark in die nächste Wahlperiode gehen zu können.

Wohnen

Wir Jusos wollen eine Kommune, in der Wohnen kein Luxus ist. Es soll keine Stadtteile für Reiche und Stadtteile für Arme geben. Wir wollen eine sozial durchmischte Stadt.

  • Für bezahlbaren Wohnraum braucht es sozialen Wohnungsbau durch kommunale Baugesellschaften oder Genoss*innenschaften.
  • Aktive Stadtplanung: Soziale Durchmischung kann im Stadtrat ermöglicht werden, z.B. über eine Quote für sozialen Wohnraum bei Neubaugebieten. Dazu gehört außerdem eine Berücksichtigung der dezentralen Stadtplanung, die es ermöglicht auch außerhalb der Innenstadt gut leben zu können ohne weite Wege zurücklegen zu müssen, um Erledigungen zu tätigen. Außerdem muss die Quartierspflege allen Vierteln einer Kommune zugutekommen, um dadurch auch das Sicherheitsgefühl zu verbessern und diese nicht verkommen zu lassen durch Verwahrlosung oder beschädigte Gebäude.
  • Mehrgenerationenwohnen bringt die Stärken und Schwächen verschiedener Altersklassen zusammen, sodass alle davon profitieren.
  • Milieuschutzsatzungen können verhindern, dass Viertel gentrifiziert werden, also dass Menschen, die dort schon lange wohnen, aber wenig Geld haben, durch Luxussanierungen o.ä. verdrängt werden.
  • Boden darf nicht mehr privatisiert werden. Denn für sozialen Wohnungsbau braucht es Flächen, auf denen gebaut werden kann. Mit jedem verkauften Quadratmeter nimmt sich eine Kommune Handlungsspielraum. Um das zu lösen müssen Flächen zurückgekauft werden und in Zukunft mit dem Erbbaurecht und Bodenfonds gearbeitet werden.

Infrastruktur und Verkehr

Jede Kommune, ob Stadt oder Land, braucht einen funktionierenden, klimafreundlichen, ticketfreien und barrierefreien öffentlichen Personennahverkehr. In ländlichen Kommunen braucht es massive Investitionen in öffentlichen Verkehr, damit tatsächlich alle Einwohner*innen diesen nutzen können. In städtischen Räumen fordern wir eine Umrüstung von motorisiertem Individualverkehr und möglichst ganzheitliche, emissionsfreie Lösungen. Wir fordern nicht weniger als eine komplette Verkehrswende.

  • Die Fahrzeuge der öffentlichen Hand (Postwagen, Dienstfahrzeuge, Ordnungsamt, Straßenreinigung) sollen auf Elektro- oder Wasserstoff-Hybridfahrzeuge umgerüstet werden.
  • Es braucht massive Investitionen in klimafreundlichen öffentlichen Personennahverkehr und Nachtfahrpläne müssen ausgebaut werden. Die Echtzeitkommunikation zwischen den verkehrsbetreibenden Betrieben und den Kund*innen muss verbessert werden.
  • Verschiedene Verkehrsmittel müssen leichter und kostengünstiger miteinander kombiniert werden.
  • Die einzelnen Verkehrsverbünde müssen Lösungen für einen besseren Übergang zwischen ihren Gebieten anbieten. Außerdem muss der Pendler*innenverkehr stärker berücksichtigt, um auch ein Leben außerhalb der Stadt oder am Stadtrandgebiet attraktiv zu machen und durch eine bessere Anbindung in die Innenstadt, eine Dezentralisierung zu unterstützen.
  • Radwege und Radschnellwege müssen ausgebaut werden.
  • Die Innenstädte müssen von dem massiven Verkehrsaufkommen entlastet werden, der motorisierte Individualverkehr muss zugunsten des ÖPNVs zurückgefahren werden. Ausgenommen sind Lieferverkehre.

Jugend

Gerade Kommunen in strukturschwachen Räumen werden für junge Menschen immer unattraktiver. Eine Politik für die Jugend braucht daher:

  • eine stärkere Beteiligung an städtischen Entscheidungen, denn Jugendpolitik darf nicht ausschließlich von älteren Generationen beschlossen werden.
  • die Förderung und den Ausbau von Jugend- und Freizeitzentren, denn diese schaffen Räume der Kreativität und der Entspannung.

Schule und Bildung

Bildung findet für uns nicht nur in der (Hoch-)Schule statt, sondern geht von der KiTa bis zur Volkshochschule und darüber hinaus.

  • Wir fordern einen massiven Ausbau von KiTa- & KiGa-Plätzen, der kostenlos für alle Kinder ist und nicht nur dort, wo es sich Städte und Kommunen leisten können.
  • Inklusive und ganztägige Gesamtschulen müssen ausgebaut werden.
  • Die Gebäudeinfrastruktur von Bildungsstätten muss von den Toiletten, über die Wärmedämmung bis hin zum Medienraum wo nötig saniert.
  • Auszubildende und Studierende müssen gemeinsam in Berufsbildungszentren lernen können.
  • Kommunen müssen sicherstellen, dass sich Menschen auch im Erwachsenenalter beruflich weiter- und fortbilden können, auch an Berufsschulen
  • Lebenslanges Lernen muss für jede*n ermöglicht werden.

Umwelt und Natur

In der aktuellen Debatte um den Klimawandel fällt vor allem auf: Die meisten Diskussionen drehen sich rund um Grundsatzentscheidungen, die oftmals noch nicht mal auf der Bundesebene gefällt werden können. Denn der Klimawandel ist ein globaler. Trotzdem ist es auch auf kommunaler Ebene möglich einen Teil zu einer geschützten Umwelt und Vielfalt der Natur beizutragen.

  • Kommunen müssen gegen Flächenversieglung vorgehen und diesen Ansatz in die Planungspolitik einbinden.
  • Die Gülleausfuhr auf landwirtschaftlichen Flächen muss aus ökologischen und gesundheitsschädlichen Gründen strikter reglementiert und verringert werden.
  • Wälder müssen aufgeforstet und die natürliche Artenvielfalt erhalten werden. Hierzu gehört auch eine insektenfreundliche Grünflächenplanung, das Ansiedeln von Bienenvölkern und die Einrichtung von Schutzräumen für Fledermäuse, Vögel und Wildinsekten.
  • Stehende Gewässer und Fließgewässer müssen geschützt werden.
  • Öffentliche Beete, Obststräucher und -bäume sollen angeboten werden.
  • Die Dächer von öffentlichen Gebäuden und Bushäuschen müssen wir begrünen oder mit Solaranlagen ausstatten.
  • Bei Planungsvorhaben muss die Schaffung von Grünflächen in Neubaugebieten und neuen Wohnanlagen vorgeschrieben werden.

Verwaltung

Öffentliche Verwaltungen werden gerne mit Bürokratiemonster verglichen. Unsere Vision ist eine bürger*innennahe Verwaltung.

  • Auch in der Verwaltung muss die Digitalisierung Einzug finden, sei es durch einfache Online-Antragstellungen oder bürger*innenfreundliche Web-Präsenzen.
  • Gerade öffentliche Verwaltungen müssen den Querschnitt der Gesellschaft abbilden, also mehr Frauen in führenden Positionen, auch und erst recht in technischen Berufen.
  • Die Spitzenpositionen und leitenden Gremien der kommunalen Töchterunternehmen müssen ebenfalls paritätisch besetzt werden.

Gesundheitsversorgung 

Kommunen und Städte müssen eine wohnortnahe medizinische Grundversorgung sicherstellen.

  • Gerade in ländlichen Räumen dürfen Einwohner*innen nicht von der medizinischen Grundversorgung abgehängt werden. Dazu gehören nicht nur Krankenhäuser, sondern auch Hausärzt*innen und Apotheken.
  • Nach wie vor fordern wir die Rekommunalisierung von Krankenhäusern. In Anbetracht der finanziellen Lagen vieler Kommunen kann dies jedoch nur geschehen, wenn die Kosten von höheren politischen Ebenen getragen werden.

Kultur

Kultur ist mehr als nur Theaterstücke und Kunstgalerien, sondern findet auch innerhalb der Nachbarschaft und auf offener Straße statt.

  • Jede*r muss die Möglichkeit bekommen, am Kulturangebot teilzuhaben, wir fordern mittelfristig kostenlosen Eintritt in Kulturstätten und Museen.
  • Stadtteilzentren und Begegnungsstätten sind Orte des Miteinanders, deren elementarer Bestandteil die verschiedenen Kulturen im Stadtteil sind. Diese müssen finanziell stärker unterstützt werden.
  • Wir fordern Flächen für Graffiti-Projekte und andere Kunst. Sie verleihen Vierteln Attraktivität.

Sport

Sport ist für uns unentbehrlich bei der Integrations- und Bildungsarbeit. Leistungsfähigkeit entwickeln, Selbstbewusstsein stärken und ehrenamtliches Engagement leben – all das ermöglicht der Sport.

  • Bestehende öffentliche Sportstätten müssen dringend erhalten und modernisiert, neue Sportstätten eingerichtet werden.
  • Jede Kommune muss für Vielfalt von Sportangeboten sorgen.
  • Vereine müssen einen barrierearmen Zugang zu öffentlichen Fördergeldern bekommen.
  • Kunstrasenplätze müssen auf Nachhaltigkeit geprüft werden.
  • Gleichstellung ist auch im Sport ein Thema. Viele Vereine bieten trotz potenziell vorhandener Nachfrage keine Mädchen- oder Frauenmannschaften an. Dies muss sich ändern. Denkbar wäre eine Steuerung über die Vergabe der städtischen Mittel.

Demokratisierung und Partizipation

Die Kommune ist die Entscheidungsebene, auf der Bürger*innen lebensnah mit Demokratie und politischen Entscheidungen in Berührung kommen. Einwohner*innen haben Anspruch darauf, an städtischen und kommunalen Entscheidungsprozessen teilzunehmen.

  • Wir fordern eine stärkere Einbeziehung von Bürger*innen in Entscheidungsprozesse.
  • Ehrenamtliches Engagement muss gestärkt und gefördert werden.
  • Die öffentliche Daseinsvorsorge muss in der öffentlichen Hand liegen.
  • Die Unterstützung von Organisationen und Initiativen, die gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit kämpfen, muss deutlich erhöht werden.
  • Partner*innenorganisationen oder lokale Initiativen und Organisationen müssen in Entscheidungsprozesse eingebunden werden, zum Beispiel Gewerkschaftsjugenden in die Planung von Berufsschulen oder Stadtteilinitiativen in die Planung des öffentlichen Platzes.

W2 Die Industrie ist tot? Lang lebe die Industriepolitik! – Grundlagen jungsozialistischer Wirtschaftspolitik in Zeiten des Klimawandels

29.08.2019

Wir sehen durch linke Industriepolitik die Chance, in NRW soziale und ökologische Aspekte gemeinsam zu diskutieren und dabei eine proaktive Rolle Nordrhein-Westfalens für die Energiewende herauszustellen. Kaum ein Thema hat im letzten Jahr für solch eine Medienaufmerksamkeit gesorgt wie der Klimawandel. Auch die Bundesregierung hat sich mit dem Thema auseinandergesetzt und verschiedene Konzepte vorgebracht. Der Koalitionsvertrag sieht noch in diesem Jahr eine politische Entscheidung über Lösungskonzepte durch ein neues Klimagesetz vor.

Wir brauchen eine sozial-ökologische Industriepolitik 

Spätestens seit der Finanz- und Wirtschaftskrise hat sich gezeigt, dass die Abgesänge auf den industriellen Sektor verfrüht und falsch waren. Diskussionen über die Relevanz von Industrie und Industriepolitik sind wieder in den Fokus gerückt. Die Krise hat deutlich gezeigt, dass Länder mit einem starken industriellen Sektor weniger von Folgen der Krise betroffen waren, als diejenigen die ihre Zukunft in Dienstleistungen und Finanzwirtschaft sahen. Der industrielle Sektor verursacht aber auch einen beträchtlichen Anteil an den weltweiten CO2-Emissionen und trägt damit im erheblichen Maße zum Klimawandel bei. Angesichts weltweiter Verfehlung der Ziele des Pariser Klimaabkommens, endlicher Ressourcen und begrenzter ökologischer Tragfähigkeit unseres Planeten führen die globalen Umweltveränderungen zur Verschärfung von Verteilungskonflikten. Die ökologische Frage müssen wir vor Allem als Verteilungsfrage begreifen, da gerade Menschen in den wirtschaftlich schwachen Regionen dieser Erde am meisten unter den Auswirkungen des Klimawandels leiden.

Unter diesen Gesichtspunkten muss also zuallererst definiert werden, wie eine gute linke Industriepolitik ausgerichtet werden soll. Festhalten lässt sich zunächst einmal, dass unsere Industriepolitik keine Lobbypolitik für Unternehmen oder deren Eigentümer*Innen sein darf, sondern sich nach den Interessen der Beschäftigten und den Bedürfnissen der Gesellschaft zu richten hat. Unsere Industriepolitik muss strategisch in wirtschaftliche Prozesse eingreifen und sich von der Einstellung verabschieden, dass der Staat keine wirtschaftliche Kompetenz besitzt. Der freie Markt wird die geringste Lösungskompetenz für die Frage besitzen, wie wir z.B. die Interessen der abhängig Beschäftigten absichern, Klimagerechtigkeit im globalen Süden herstellen und ganz grundsätzlich die Grundlagen menschlichen Lebens jetzt und in Zukunft sichern. Wir wollen eine Industriepolitik, die diese Probleme im Ganzen mitdenkt, angeht und löst.

Unsere Vorstellungen zur Frage welche Herausforderungen unsere Vision einer linken Industriepolitik lösen kann, deckt sich auch mit aktuellen Diskussionsthemen der SPD: Digitalisierung, gute Arbeit, sozialer Zusammenhalt, Innovationspolitik und Wirtschaftsförderung. Die Umsetzung einer linken, nachhaltigen Industriepolitik hat des Weiteren auch für die Zukunft der Partei selbst eine hohe Relevanz, denn entgegen vieler anderslautender Vorurteile ist die Kernwähler*innenschaft der SPD auch an Umweltthemen interessiert!

Unsere Industriepolitik muss soziale und ökologische Politik zu einer gemeinsamen Fortschrittserzählung verknüpfen und gemeinsam mit vielen Bündnispartner*innen Alternativen zum aktuellen System aufzeigen. Dabei dürfen wir aber nicht vergessen: Diese linke Industriepolitik ist ein Kampf gegen die bestehenden Machtverhältnisse.

Der Staat als Steuerungsakteur 

Bis dato herrscht eine große Skepsis zu industriepolitischen Eingriffen. Das ordnungspolitische Ideal im ökonomischen Mainstream besitzt eine scheinbar unerschütterliche Vertrauensbasis. Aufgrund der industriepolitischen und ökologischen Herausforderungen stellt sich die rhetorische Frage, ob das ordnungspolitische „Vertrauen“ in die „kreativen Kräfte des Wettbewerbs“ noch berechtigt ist. Viele wegweisende Technologien, wie das Internet, GPS, Nanotechnologie oder einflussreiche Unternehmen wie z.B. IBM hätte es ohne die massive und langfristig angelegte amerikanische staatliche Forschungsförderung nicht in der Form gegeben. Die freie und allein marktwirtschaftliche Entwicklung von privaten Innovationsleistungen ist folglich eher ein Mythos und entspricht nicht der Realität. In Zeiten von großen Herausforderungen brauchen wir ein neues Staatsverständnis, denn in den letzten Jahren hat sich die Politik als wahrnehmbarer industriepolitischer Akteur zu einer Moderatorenrolle zurückgezogen. Wir fordern, dass der Staat wieder eine entscheidende Rolle bei der Ausgestaltung von nachhaltiger Industriepolitik einnimmt. Es ist unwahrscheinlich, dass Transformationsprozesse allein durch den Markt zu nachhaltiger Industrie führen. Anstatt frühzeitig und intensiv in Alternativen für ein auslaufendes Wertschöpfungsmodell zu investieren, setzen die Mechanismen eines freien Marktes eher den Anreiz, so lange Rendite aus alten Technologien zu gewinnen bis diese durch unüberwindbare Hürden, wie effizientere Technologien, Marktsättigung oder gesellschaftlicher Ablehnung endgültig nicht mehr investitionswürdig sind. Entscheidungsträger*innen und Investor*innen sind durch frühzeitige Auslagerung von Risiken meist gut abgesichert, während die Existenz der abhängig Beschäftigten durch Stellenabbau und Restrukturierungsmaßnahmen gefährdet ist. Um sogenannte Pfadwechselprozesse erfolgreich zu meistern, bedarf es einer starken industriepolitischen Planung und dementsprechend eines stärkeren staatlichen Eingriffs in Marktprozesse. Verlässliche politische Leitlinien wären hier bindende Entwicklungsziele, technisch anspruchsvolle Benchmarks, Förderprogramme oder Sanktionen.

Eine aktive Industriepolitik kann nicht nur aus regulativen Maßnahmen bestehen, sondern muss auch auf investiven Elementen fußen. Investition in Infrastruktur müssen eine der wesentlichen Stellschrauben einer industriepolitischen Steuerungsstrategie sein. Denn bereits jetzt findet sich in der Bundesrepublik ein infrastrukturelles Desaster wieder. Meldungen zu maroden Verkehrswegen, dem unzureichenden Ausbau von schnellem Internet und der unzureichenden Bereitstellung von Stromtrassen und Verteilernetzen sind beinahe täglich. Wie wir als Jungsozialist*innen immer wieder betonen, werden diese Investitionsbedarfe nicht aus der staatlichen Portokasse bezahlt, sondern aus großen Investitionstöpfen. Das heißt im Umkehrschluss eine Verabschiedung vom Paradigma der schwarzen Null und ein Umkrempeln des bisherigen Steuersystems, in dem große Teile von Vermögen und Einkommen unberührt bleiben.

In der Debatte um das volkswirtschaftliche Wachstum gibt es grundsätzlich zwei Positionen: Die eine Seite, die ein unendliches Wachstum auf einem endlichen Planeten in Frage stellt (Postwachstum/Degrowth) und die Andere, die glaubt, durch Effizienzsteigerung einen stetigen Zuwachs des BIP gewährleisten zu können (Green-Growth). Dabei zeigt bereits der sog. Rebound Effekt, dass es bei immer effizienterer Stromerzeugung zu steigendem Ressourcenverbrauch kommt. Hier muss Politik mit der Bestimmung von Gesamtmengen und Grenzwerten entgegenwirken, aber auch die ressourcenschonendsten und effizientesten Technologien fördern. Ordnungspolitische Maßnahmen wären die Vorgaben bei Grenzwerten oder Technologieverboten.

Die Europäische Union hat jahrzehntelang einer aktiven europaweiten Industriepolitik eine Absage erteilt. Mit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 geriet der neoliberale Glaubensgrundsatz, dass die EU nur eine moderierende und marginal fördernde Rolle in der Wirtschaft spielen soll in eine tiefe Legitimationskrise. Gleichzeitig konnte beobachtet werden, wie durch massive industriepolitische Interventionen sogenannte Schwellenländer wie z.B. Südkorea oder China in den letzten Jahrzehnten zu starken industriellen Playern in der High-Tech-Industrie und im öko-technologischen Bereich wuchsen. Erst durch starke finanzielle Unterstützung chinesischer Unternehmen konnten internationale Player wie Alibaba oder Huawei entstehen. Erwähnenswert ist, dass seit den Streichungen von staatlichen Subventionen im Solarbereich in Deutschland die Zahl der Arbeitsplätze zwischen 2010 und 2016 von 130.000 auf 30.000 zurückgegangen ist. Daher sollte es erstrebenswert sein, wieder nachhaltige europäische Unternehmen zu fördern, die ohne staatliche Unterstützung nicht bestehen können, ähnlich wie es jahrzehntelang eine staatliche Stützung in der Kohleindustrie gab.

Daher fordern wir: 

  • Eine Trias in der Industriepolitik: Gerechte Verteilung von Wohlstand, Gute Arbeit und ökologische Nachhaltigkeit
  • Ein neues Staatsverständnis in der Industriepolitik: Eine aktive Steuerung von Marktprozessen unter Bedingungen von Guter Arbeit und nachhaltigem Ressourcenverbrauch
  • Starke Industriepolitische Planung von Pfadwechseln durch bindende Entwicklungsziele, technisch anspruchsvolle Benchmarks, Förderprogramme und Sanktionen
  • Ordnungspolitische Maßnahmen wie Grenzwerte, Grenzmengen und Technologieverbote bei umweltschädlichen Produkten
  • Massive Investitionen in Infrastruktur und Forschung
  • Abschaffung der Schuldenbremse und der schwarzen Null zur Erreichung infrastruktureller Ziele
  • Eine Neuausrichtung europäischer Beihilfen sowie eine Regelung der öffentlichen Vergabepolitik und Fördermittelvergabe mit der Wahrung der kollektiven Rechte an der Innovation.

Zukunftsinitiative für NRW 

Die Rolle eines aktiven und steuernden Staates muss in NRW am Beispiel der Transformationsprozesse deutlich werden. Die SPD muss ein nachhaltiges Zukunftskonzept für die Industrie in NRW vorgeben und die Rolle der Industrie in NRW für die Energiewende ausgestalten. Dazu müssen wir das derzeitige Vakuum von großen Zukunftsperspektiven aufbrechen. Durch die Energiewende sind auch junge Menschen betroffen. Statt Hass und Hetze zu propagieren, müssen wir gerade für jüngere Menschen echte Zukunftsperspektiven aufzeigen und Antworten auf zentrale Verteilungsfragen wie die der sozialen Absicherung geben. Die Förderung neuer Arbeitsplätze, zum Beispiel im Rahmen der Energiewende, ist unser Anspruch an eine sozialdemokratische Industrie-, Energie- und Klimapolitik. Wir Jungsozialist*innen möchten Zukunftsperspektiven für Beschäftigte aufzeigen, die über finanzielle Leistungen hinausgehen. Daher fordern wir nicht nur die Bereitstellung einzelner sozialpolitischer Maßnahmen, wie Qualifizierungs- und Weiterbildungsangebote. Wir fordern darüber hinaus die Entwicklung einer Zukunftsvision, die die zukünftige Rolle der Industrie in NRW für die Energiewende aufzeigt.

Wir brauchen ein Gesamtkonzept, dass die Dimensionen der Arbeitsplätze in der Industrie widerspiegelt und zukünftige Entwicklungen aufgreift. Es ist die Aufgabe der Sozialdemokratie die Interessen von sozialer Absicherung und ökologischer Nachhaltigkeit zu vereinen und zukunftsorientierte Arbeitsmarktperspektiven für die Industrie aufzuzeigen. Wir sind überzeugt, dass die Attraktivität der Verkehrs-, Forschungs- und Unternehmensinfrastruktur in NRW einen entscheidenden Beitrag zur Energiewende leisten kann. Die politische Herausforderung liegt darin, diese Rolle gemeinsam mit starken Partner*innen zu definieren und für ihre Ausführung Sorge zu tragen. Die Vorlage eines strategischen Zukunftskonzepts für die Industrie in NRW muss Bedingung für eine tiefergreifende Debatte um die Gestaltung des nationalen Klimaschutzgesetzes sein.

Erste Impulse für die zukünftige Rolle der Industrie in NRW sehen wir in der Vorbereitung der Energiewende, sowie in einer nachhaltigeren Rohstoffverarbeitung und -veredelung. Für die Umsetzung der Energiewende müssen u.a. Produkte wie Windkrafträder, Solarzellen und energieeffiziente Transformatoren erhältlich sein. Industrie, die diese Produkte herstellt und verarbeitet, muss weiterhin und vorzugsweise in NRW bestehen bleiben. Daraus ergibt sich eine Doppelstrategie für die Zukunft der Industrie in Nordrhein-Westfalen:

Für die Zukunft der Energiewende sind erneuerbare Energien eine entscheidende Technologie zur Energiegewinnung und Stromerzeugung. Einige Bundesländer zeigen besonders attraktive Standortfaktoren für die Energiegewinnung durch erneuerbare Energien auf. Dies darf nicht zu einer intranationalen Konkurrenz auf Kosten von Arbeitsplätzen und regionalen Strukturen führen. Vielmehr muss die politische Antwort darin liegen, die individuellen Potentiale in den einzelnen Bundesländern für einen Beitrag zur Energiewende zu nutzen und auszubauen. So kann NRW z.B maßgeblich mit der weiteren Erforschung von Brennstoffzellen am Forschungszentrum Jülich oder der Herstellung von energieeffizienten Transformatoren durch thyssenkrupp Electrical Steel zur Schaffung von grundlegenden Technologien für die Energiewende beitragen. Die Herstellung der Ausgangsprodukte für eine Umsetzung der Energiewende empfinden wir als erstes Standbein einer neuen Zukunftsperspektive für die Industrie in Nordrhein-Westfalen. Für den Erfolg dieser Perspektive ist es besonders relevant, die Produktionsstätten am Standort NRW zu halten. Staatliche Förderungsmodelle müssen einen schnellen und skalierten Ausbau der erneuerbaren Energien absichern und positive Anreize für die Herstellung an strukturschwachen Standorten schaffen.

Gleichzeitig muss es auch Ziel sein langfristig die Rohstoffverarbeitung und Rohstoffveredelung nachhaltiger zu gestalten. Die Industrie stellt die materielle Grundlage für Wohlstand und Beschäftigung im gesamten Bundesland dar. Sie muss erhalten bleiben und ihre Zukunftsfähigkeit muss gesichert werden. Wir sehen in der Aufgabe, die Dekarbonisierung der Industrie voranzubringen, die Sicherung dieser Zukunftsfähigkeit. Eine vermehrte Nachfrage nach nachhaltiger Energie sollte zukünftig durch NRW gedeckt werden können. In der Wende hin zu nachhaltiger Energie muss sich NRW aktiv als relevanter und mit gestaltendem Akteur einbringen. Einige internationale deutsche Konzerne wie Bosch und thyssenkrupp arbeiten bereits an der Umstellung zur klimaneutralen Produktion bzw. Rohstoffgewinnung und signalisieren ihr Interesse und ihre Bereitschaft einer Umstellung. NRW hat hier eine riesige Chance der Zukunftsmotor zu sein.  Die Politik muss diese Chance ergreifen und fördern, u.a. durch breite Investitionen in Forschungsinfrastrukturen.

Daher fordern wir:

  • Die Interessen von sozialer Absicherung und ökologischer Nachhaltigkeit zu vereinen und zukunftsorientierte Arbeitsmarktperspektiven für die Industrie aufzuzeigen
  • Die Abwendung von der Idee der sozialpolitischen Einzelmaßnahmen als Grundstein für den Transformationsprozess
  • Ein Zukunftskonzept für die Industrie in NRW als Grundlage für eine tiefgreifende Debatte um die Gestaltung der nationalen Energiewende
  • Staatliche Förderungsmodelle müssen einen schnellen und skalierten Ausbau der erneuerbaren Energien sichern und positive Anreize für die Herstellung an deutschen Standorten schaffen
  • Die Politik muss die Bereitschaft zur klimaneutralen Produktion fördern, erweitern und durch breite Investitionen in Forschung auf die Industrie in NRW ausweiten

Zukunftskonzept als Diskussionsgrundlage 

Mit dieser Doppelstrategie kann auch die Frage nach der zeitlichen Zukunft der Braunkohle in NRW neu diskutiert werden. Nicht erst seit den Fridays for Future Demonstrationen ist klar, dass eine der wichtigsten politischen Aufgaben die Weiterentwicklung des industriellen Sektors weg von der Abhängigkeit fossiler Energiequellen und hin zu einer nachhaltigen Versorgung ist. Betrachtet man die Industriestruktur in NRW wird deutlich, dass an der Braun- und Steinkohle viele entscheidende Schlüsselindustrien hängen. Daher darf sich der Blick beim anstehenden Strukturwandel nicht nur auf die Arbeitnehmer*innen und Regionen, die ihren Wohlstand hauptsächlich auf der Kohle aufbauen, richten, sondern muss auch auf die dahinter gelagerten Industrien gelenkt sein. Der schnellstmögliche Ausstieg aus der Braunkohle und die Transformation all dieser Industriezweige ist unabdingbar und die Diskussion um ein Ausstiegsdatum nur die Spitze des Eisbergs. Es müssen jetzt alle politischen Handlungsträger*innen, Sozialpartner*innen und Wissenschaftler*innen zusammenkommen, um ein Konzept zu erarbeiten mit dem ein schnellstmöglicher Ausstieg, eine neue Chance bzw. ein Aufbruch für NRW und ganz Deutschland erreicht wird. Wichtig für die Verwirklichung dieses Ziels ist die Weiterentwicklung der Industrien, die für die Energiewende relevant sind. Durch gezielte Förderung und Vernetzung dieser Industrien kann ein neuer Zukunftsmotor entstehen. Dabei können die oben genannten Unternehmen als mögliche Beispiele für den anstehenden Wandel fungieren

Darüber hinaus steht die Versorgungssicherheit energieintensiver Industrien im Vordergrund. Dabei muss NRW vor allem in die Erforschung nachhaltiger Speicherkapazitäten investieren, denn in der Zeit nach der Kohle wird vor allem eine verlässliche Energieversorgung schwierig sein. Für diese Aufgaben braucht es neue Industrien und Ideen. Platz hierfür könnten die Flächen des Tagebaus bieten, da sie teilweise mit ihrer guten Lage zwischen der Metropolregion Köln und dem Forschungsstandort Aachen für eine gewerbliche und industrielle Entwicklung prädestiniert sind. Wenn NRW die ehemals „schmutzigen“ Industrien in die Pflicht für den Umbruch nimmt und die gesellschaftlichen Kosten der Verbrennung von Kohle nicht nur auf die Gemeinschaft, sondern auch auf die Kapitalist*innen abwälzt, gibt es eine echte Chance als Bundesland Vorreiter für einen gelungenen Strukturwandel zu sein. Hierfür braucht es jetzt aber auch Planungssicherheit. Der gefundene Kohlekompromiss wird die Zeit nicht überdauern, denn der gesellschaftliche Widerstand ist viel zu groß. Deshalb muss schnellstmöglich ein neuer Prozess starten, der die Zukunftsvision für die Zeit nach der Kohle von politischer Seite aus klar vorgibt. Es braucht gesellschaftliche Akteure um diesen Prozess zum Erfolg zu führen. Das Ziel bzw. Ausstiegsjahr darf aber nicht Gegenstand einer solchen Verhandlung sein, sondern muss vielmehr als übergeordnetes politische Ziel feststehen.

Daher fordern wir:

  • Die Vernetzung und Förderung für die Energiewende relevanter Industrien
  • Die Erforschung von Speicherkapazitäten in NRW für Versorgungssicherheit in der Zeit nach der Kohle
  • Die Flächen des Tagebaus durch den Staat zu entwickeln
  • Die Einbeziehung der durch Kohleverstromung gemachten Gewinne

I2 Stärkung des Rechts auf (Wieder-)Einbürgerung von Verfolgten des NS-Regimes und ihrer Nachkommen

29.08.2019

„No Border – No Nation!“ Als Jungsozialist*innen haben wir zu Recht den Anspruch, dass dieser bekannte Demospruch Realität wird, wenn es um Migration, Aufenthaltsrechte und Einbürgerung geht. Wie weit wir aber davon noch entfernt sind, selbst in Fällen wo der politische Konsens relativ groß sein sollte, zeigt die Geschichte und die darauf fußende aktuelle Debatte über die (Wieder-)Einbürgerung der Verfolgten des NS-Regimes. Über Jahrzehnte scheiterten Anträge an den rigiden Auflagen deutscher Verwaltungen und es wurde dadurch besonders verfolgten Jüd*innen und ihren Nachkommen enorm erschwert, die deutsche Staatsangehörigkeit (wieder) zu erlangen. Dieses Mindestmaß an Wiedergutmachung wurde nach 1945 also gerade den Menschen, die dem deutschen Vernichtungsapparat oft nur knapp entkommen konnten, gar nicht oder nur entgegen größter Widerstände und Hürden zuerkannt.

Neu aufgekommen ist die Debatte über die Probleme für die NS-Verfolgten und ihrer Nachkommen beim (Wieder-)Erhalt der deutschen Staatsbürger*innenschaft im Zuge des Brexits. Einige Nachfahren der in das Vereinigte Königreich geflohenen Jüd*innen wollten angesichts des drohenden EU-Austritts die deutsche Staatsangehörigkeit annehmen. Dabei traten die bestehenden Hürden einmal mehr zum Vorschein, sodass nun auch deutsche Politiker*innen handeln wollen.

Im Folgenden soll nun das Problem sowie seine Geschichte näher beschrieben und der für uns Jungsozialist*innen richtige Lösungsansatz, der den Opfern der Nationalsozialist*innen gerecht wird, definiert werden.

Wie kam es zum Verlust der Staatsbürger*innenschaft und was erschwert die (Wieder-)Einbürgerungen?

Die Nationalsozialist*innen nutzten schon ab 1933 die Möglichkeit der Ausbürgerung um politische Gegner*innen in der Emigration zu behindern und sich ihr Vermögen anzueignen. Hierzu erließen sie am 14. April 1933 das „Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit“. Dieses ermöglichte es Menschen, die nach der Novemberrevolution eingebürgert wurden, die sich gerade im Ausland aufhielten, die „gegen die Pflicht zur Treue gegen Reich und Volk“ verstießen oder die einer Aufforderung zur Rückkehr nicht nachkamen, die Staatsangehörigkeit zu entziehen. Damit einher ging auch die Möglichkeit zur Beschlagnahmung des Vermögens der Ausgebürgerten, welches spätestens nach zwei Jahren an das NS-Regime fiel. Insgesamt wurden 359 Ausbürgerungslisten auf Grundlage dieses Gesetzes erlassen.

In den folgenden Jahren der NS-Herrschaft wurde der Entzug der Staatsbürger*innenschaft auch Teil der systematischen Verfolgung und Ermordung deutscher Jüd*innen und der Aneignung ihres Vermögens. So reichte für jüdische Menschen schon das Verlassen des deutschen Staatsgebietes aus, um Gefahr zu laufen ihre Staatsangehörigkeit zu verlieren, da sie hiermit laut Rechtsauslegung der Nationalsozialist*innen bereits „gegen die Pflicht zur Treue gegen Reich und Volk“ verstoßen hätten.

Mit der elften Verordnung zum Reichsbürgergesetz aus dem Jahre 1941 erfolgte dann eine Massenausbürgerung jüdischer Menschen, die das Staatsgebiet verließen, unabhängig ob sie ins Ausland geflohen oder von den Nationalsozialist*innen deportiert worden waren. Ihr Vermögen enteignete der NS-Staat.

Das hier geschehene Unrecht gegenüber politischen Oppositionellen in der Emigration und Jüdinnen* und Juden* in der Verfolgung und Deportation sollte zumindest hinsichtlich des Verlustes der Staatsbürger*innenschaft bereits mit dem neuen Grundgesetz anerkannt werden. Maßgeblich hierfür ist der Artikel 116, welcher den Betroffenen ein Recht auf Wiedererlangung der Staatsangehörigkeit zuspricht:

„Frühere deutsche Staatsangehörige, denen zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 die Staatsangehörigkeit aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen entzogen worden ist, und ihre Abkömmlinge sind auf Antrag wieder einzubürgern […]“ –Art.116 GG (2)

Die verständliche Annahme, dass mit diesem Grundgesetzartikel für alle Verfolgten des NS-Regimes und ihre Nachkommen die (Wieder-)Einbürgerung gesichert wurde, ist allerdings falsch. Viele Gruppen, die durch den deutschen Faschismus ihre Staatsbürger*innenschaft verloren haben, sowie deren Nachfahren sind bis heute nicht rechtlich abgesichert, was den (Wieder-)Erhalt der deutschen Staatsangehörigkeit betrifft.

Schwierig ist dies z.B. für diejenigen, die in der Emigration eine neue Staatsangehörigkeit angenommen haben, bevor ihnen die deutsche von den Nationalsozialist*innen offiziell entzogen wurde. Ein solcher Nationalitätswechsel kann, ungeachtet aller Umstände von drohender oder bereits erfolgender Unterdrückung, Verfolgung und Ermordung im NS-Staat, als „freiwillig“ eingestuft werden und gefährdet eine Einbürgerung des*der Betroffenen oder ihrer*seiner Nachkommen.

Gerade für die „Abkömmlinge“, wie es das Grundgesetz formuliert, von Jüd*innen und anderen im Nationalsozialismus Verfolgten ist die Situation komplex bis unüberschaubar. Denn wer nun als Nachkomme unter den Begriff „Abkömmling“ fällt, ist Sache des deutschen Staatsangehörigkeitsrechtes. Dieses beruht allerdings noch auf dem „Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz“ von 1913 und hat in der Bundesrepublik einige Veränderungen durch Rechtsprechung und Gesetzgebung erfahren. So erfolgte die Weitergabe der deutschen Staatsangehörigkeit z.B. zunächst nur über den Vater und erst später auch durch die Mutter oderuneheliche Elternteile. Relevant wird dies für die Nachkommen von Verfolgten des NS-Regimes dadurch, dass nach einer Zeit eher liberaler Einbürgerungspraxis für die potentiell von Artikel 116 betroffenen, ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes 1983 entschieden hat, dass die Personen oder ihre Vorfahren zum Zeitpunkt ihrer Geburt einen Anspruch auf die deutsche Staatsangehörigkeit gehabt hätten müssten.

Da nun einige der oben angesprochenen Änderungen der Weitergabe der Staatsbürger*innenschaft nicht oder nur bis zu gewissen Stichtagen rückwirkend greifen, kann dies zum Ausschluss von Nachkommen führen. Ein mögliches Beispiel dafür wären die Kinder von Jüdinnen, die in der Emigration einen Mann anderer Staatsangehörigkeit geheiratet haben und vor dem 1. April 1953 Mutter wurden. Diese Kinder und ihre Nachfahren haben nach aktueller Praxis des Staatsangehörigkeitsrechts keinen festen Anspruch auf eine Einbürgerung, trotz der Verfolgung ihrer Vorfahren durch Nazi-Deutschland.

Es bleibt zusammenzufassen, dass der Anspruch auf (Wieder-)Einbürgerung, den das Grundgesetz in groben Zügen formuliert, bis heute noch nicht vollkommen realisiert wurde. Gerade auch, da bisher eine klare politische Antwort auf das Problem vermieden und stattdessen auf eine Lösung durch eine Revision oder Neuauslegung durch die Gerichtsbarkeit gehofft wurde.

Wenn aktuell Jüd*innen oder andere Verfolgte des NS-Regimes und ihrer Nachkommen trotz der oben beschriebenen Hürden und Ausschlusskriterien eingebürgert werden, sind dies zumeist Ermessenseinbürgerungen auf der Grundlage von Verwaltungsvorschriften, die die Bundesregierung erlassen hat.

Wie will die Politik handeln und was muss aus jungsozialistischer Perspektive getan werden?

Genau an dieser Stelle will nun auch die aktuelle Bundesregierung ansetzen, indem sie die Möglichkeiten für Ermessenseinbürgerungen ausweitet, um so möglichst schnell weitere Einbürgerungen zu ermöglichen. Mit eben jener Begründung lehnt sie auch die Vorschläge linker Oppositionsparteien ab, eine Neuregelung über ein Gesetz im Staatsangehörigkeitsrecht zu verankern.

Doch nur eine solche Gesetzeslösung kann unserem jungsozialistischen Anspruch gerecht werden und wird auch von Betroffenen aus der „116er Gruppe“[1] favorisiert. Kein Erlass kann allen rassistisch, politisch oder religiös Verfolgten des NS-Regimes und ihren Nachkommen die Rechtssicherheit geben, die ihnen nach dem Unrecht, dass ihnen oder ihren Familien durch Deutschland widerfahren ist, zusteht. Denn mit einer Ausweitung der Ermessenseinbürgerungen bleibt es eine Sache deutscher Bürokrat*innen über den Erhalt oder Nichterhalt der deutschen Staatsangehörigkeit zu entscheiden – ein Einfallstor für Willkür. Außerdem würde eine gesetzliche Neuregelung den Rechtsweg bei trotzdem erfolgten Ablehnungen durch die geschaffene Eindeutigkeit erleichtern.

– Deshalb fordern wir als Jungsozialist*innen ein Gesetz, welches den Anspruch nationalsozialistisch Verfolgter und deren Nachkommen auf (Wieder-)Einbürgerung im Staatsangehörigkeitsrecht klar verankert und mit all den hier beschriebenen und darüber hinausgehenden Hürden und Ausnahmereglungen Schluss macht. Ein solches Gesetz würde wenigstens ein  Mindestmaß an Gerechtigkeit für die Betroffenen verwirklichen.

– Des Weiteren fordern wir die SPD auf, eine solche Lösung innerhalb der Regierungskoalition zu forcieren oder sich den Vorschlägen der progressiven Oppositionsparteien anzuschließen, sollte ein den oben formulierten Anspruch erfüllender Antrag in den Bundestag eingebracht werden.

Die Anerkennung und Wiedergutmachung gegenüber den Verfolgten des NS-Regimes, gerade den Jüdinnen* und Juden*, ist in der Nachkriegsgeschichte an vielen Stellen nicht erfolgt oder musste von den Opfern des deutschen Faschismus erst selbst mühsam erkämpft werden. Dieser Teil des antifaschistischen Einsatzes ist auch heutzutage bittere Realität.

Lasst uns Jungsozialist*innen weiter Vorkämpfer*innen gegen das bestehende Unrecht sein und für die (Wieder-) Einbürgerung der Verfolgten, als ein Teil der Aufarbeitung und Wiedergutmachung des deutschen Terrors, energisch eintreten.

Alerta!

 

[1] Die „116er Gruppe“ ist ein Zusammenschluss von britischen Nachfahren geflohener Jüd*innen, die sich aktuell um den Erhalt der deutschen Staatsangehörigkeit bemühen und dabei an den bestehenden Hürden scheitern.

S2 Ausweitung der ASS - Für den Schutz von Opfern sexualisierter Gewalt

29.08.2019

*Trigger-Warnung* Der folgende Antrag dreht sich um das Thema sexualisierte Gewalt

ASS. Das ist die Abkürzung für das Programm der „Anonymen Spurensicherung“ (auch anzeigenunabhängige Spurensicherung genannt), die ein niedrigschwelliges Angebot der Beweissicherung für Opfer sexualisierter Gewalt darstellt.

In den meisten Strafprozessen, die sich um sexuelle Übergriffe drehen, steht meist Aussage gegen Aussage. Viele Verfahren werden deshalb eingestellt; gesicherte Beweise können in so einem Fall ein Urteil bedeuten.

Auch auf Grund der Angst der Stigmatisierung und weil die emotionale Belastung nach einem Übergriff so schwer wiegt oder Opfer die Konfrontation mit Täter*innen aus dem direkten Umfeld scheuen, trauen sich viele Opfer nicht unverzüglich die Tat anzuzeigen, obwohl die ersten Stunden danach entscheidend für die Spurensicherung sind.

Wie aber sollen diese Beweise gesichert werden, wenn sich die Opfer nach der Tat nicht unverzüglich bei den Ermittlungsbehörden melden? Eine wichtige Anlaufstelle bietet die ASS. Sie wird in Krankenhäusern und so genannten Gewaltschutzambulanzen angeboten und ermöglicht den Opfern eine Sicherung der Beweise durch Fotodokumentation, Blutproben, Abstriche und Verwahrung der Kleidung. Diese Beweise werden über zehn Jahre verwahrt, auch ohne dass das Opfer Namen von Täter*innen angibt oder direkt Strafanzeige stellt. Weil Missbrauchs- und Vergewaltigungsopfer sich häufig nicht direkt nach der Tat zur Polizei trauen, dafür teils Tage, Wochen, Monate oder sogar Jahre benötigen, ist die ASS so wichtig.

In Krankenhäusern und Ambulanzen, die die ASS nicht anbieten, müssen Opfer, die sich melden, aber nicht unmittelbar Strafanzeige stellen, zurückgewiesen werden und wichtige Stunden vergehen, bevor Mitarbeiter*innen der Spurensicherung der Polizei Beweise sichern können. Bei dieser Beweissicherung ist ein Verwahren und späteres Anzeigen der Tat jedoch nicht vorgesehen.

Auch besteht die Gefahr, dass Opfer durch die Zurückweisung so abgeschreckt sind, dass sie keinerlei Sicherung der Beweise durchführen lassen.

Das Angebot der ASS, das seit 2001 eine wichtige Hilfe für Opfer sexualisierter Gewalt darstellt, weißt jedoch erhebliche Lücken, sowohl in der Finanzierung als auch in der Organisation auf.

Zunächst einmal bieten nicht alle Krankenhäuser die ASS an. Dies liegt vor allen Dingen daran, dass Ärzt*innen, die im Bereitschaftsdienst für die ASS zur Verfügung stehen nicht von den Krankenkassen bezahlt werden, da Befunddokumentationen nicht für die Vergütung vorgesehen sind. Sie sind entweder darauf angewiesen, dass das jeweilige Krankenhaus die Stunden und Leistungen separat bezahlt, oder sie müssen auf ihren Lohn verzichten. In einem Gesundheitssystem, das auf Profit und ökonomischen Vorteil ausgelegt ist, führt dies dazu, dass kein flächendeckendes Angebot der ASS zur Verfügung steht.

Besonders unzureichend erscheint die Lage in diesem Zusammenhang in Thüringen, denn dort ist kein Krankenhaus oder eine Ambulanz mit dem Angebot der ASS ansässig. Aber auch in NRW sind große Versorgungslücken zu beklagen. So finden sich in den größeren Städten zwar teils sogar mehrere Angebote, doch gerade im ländlichen Raum müssen Opfer große Distanzen zurücklegen, um Beweise sichern zu lassen. Dass dies jedoch unmittelbar nach einem Übergriff nicht so einfach möglich ist, steht außer Frage. In Duisburg, Unna und Remscheid besteht darüber hinaus gar kein Angebot.

Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat zwar angekündigt, das Angebot der ASS „flächendeckend“ auszubauen, wie dies jedoch genau umgesetzt werden soll, konnte Gleichstellungsministerin Ina Scharrenbach (CDU) nicht beantworten. Auch das Bundesgesundheitsministerium, auf das das Gleichstellungsministerium verweist, bemüht sich nicht um eine Lösung.

Das Problem der Finanzierung besteht jedoch nicht nur im Hinblick auf die Bezahlung der behandelnden Ärzt*innen. Auch die labortechnischen Verfahren und die fachgerechte Lagerung der Beweismittel, die zwingend notwendig ist, damit diese gerichtsverwertbar bleiben, müssen finanziert werden. Da es weder eine landesweite noch eine bundesweite Finanzierung für die ASS gibt, bleiben die Kliniken und Opferinitiativen diejenigen, welche die nötigen Gelder organisieren und die Kosten tragen müssen. Schon seit geraumer Zeit warnen Opferinitiativen davor, dass sich ein bereits einsetzender Trend des Rückgangs der Anlaufstellen weiter verschärfen wird. Nur die Lösung des Finanzierungsproblems kann diese Entwicklung stoppen und verbessern.

Neben diesen Finanzierungsproblemen ist auch die Bekanntheit des Angebots ein Problem. Da Opfer meist keinerlei Informationen über die ASS besitzen, verpassen sie möglicherweise die Chance, Spuren sichern zu lassen und verlieren wichtige Beweise für einen späteren Prozess. Hier zeigt sich wieder einmal, wie sich die Tabuisierung des Themas der sexualisierten Gewalt vor allem negativ auf die Opfer auswirkt.

Auch die Ausbildung der behandelnden Ärzt*innen stellt ein großes Problem dar. Etwa führen Ärzt*innen die Untersuchungen sehr verschieden durch. Sowohl in der Ausführlichkeit der Dokumentation als auch bei den durchgeführten Tests sind große Unterschiede erkennbar. Dies liegt vor allem daran, dass für Ärzt*innen zwar Weiterbildungen angeboten werden, die Beweisaufnahme jedoch nicht Teil des Studiums ist und auch Empfehlungen des Ministeriums nicht immer eingehalten werden. Bisher besteht ausschließlich das Angebot des Gobsis, dem „Gewalt-Opfer-Beweissicherungs-Informationssystems“. Auf dem Internetportal können sich interessierte Ärzt*innen Informationen zur fachgerechten Beweissicherung einholen. Das dieses Angebot jedoch auf dem Interesse und der Selbstständigkeit der Ärzt*innen beruht, zeigt, dass es nicht der Weisheit letzter Schluss sein kann.

 

Wir fordern daher:

  • Eine bundesweite Finanzierung der ASS. Dafür muss das Gesundheitsministerium die Abrechnungskataloge öffnen, um die Befunddokumentation in diese aufzunehmen. Das es mit Thüringen ein Bundesland ganz ohne ASS Angebot, und in den übrigen Ländern kein flächendeckendes Angebot gibt, ist ein untragbarer Zustand.
  • Solange das Bundesgesundheitsministerium dieser Forderung nicht nachkommt, müssen die Landesministerien eigene Übergangslösungen einrichten. Da die Abrechnungskataloge durch die Länder nicht geöffnet werden können, ist hierfür die Einrichtung eines Finanzierungstopfes speziell für die ASS unser bevorzugtes Mittel der Wahl. Eine so ausreichende Finanzierung, dass Kliniken und Ambulanzen in allen Landkreisen die ASS anbieten können, muss unser Anspruch sein.
  • Um das Angebot der ASS bekannter zu gestalten, benötigt es darüber hinaus Kampagnen sowohl auf Bundes-, als auch auf Landesebene. Es kann nicht Aufgabe von Opferinitiativen bleiben, über das Angebot zu informieren. Der gesellschaftliche Diskurs zum Umgang mit sexualisierter Gewalt und den Opfern ist längst überfällig. Diesen wollen wir forcieren und so unter Anderem dem Angebot der ASS zu mehr Bekanntheit verhelfen.
  • Die Befunddokumentation muss Pflichtteil des Medizinstudiums werden. Schon lange kritisieren wir, dass bei der Ausbildung von Ärzt*innen besonders Behandlungen, die der sexuellen Selbstbestimmung verhelfen, unzureichend Zeit eingeräumt wird. In diese Kritik ist auch das fehlende Know-how über Befunddokumentation einzubeziehen.
  • Neben dem verpflichtenden Teil im Studium muss für bereits zugelassene Ärzt*innen ein niedrigschwelliges Angebot an Weiterbildungen und Fortbildungen eingerichtet werden. In Krankenhäusern und Ambulanzen, die die ASS anbieten, müssen diese verpflichtend für das medizinische Personal, welches in die Untersuchungen involviert ist, angeboten werden.

M5 Grenzenlos Bahnfahren

29.08.2019

Mobilität – auch über Grenzen hinweg – ist ein Menschenrecht. Und Mobilität über Grenzen hinweg ist mehr und mehr zum Alltag geworden; nicht nur, aber vor allem für die jüngeren Generationen. Gerade innerhalb Europas bewegen wir uns wie selbstverständlich zwischen verschiedenen Ländern, oftmals ohne zu merken, dass wir dabei früher bestehende Grenzen überfahren. Tagesausflug in die Niederlande, Wochenend-Trip nach London, Kurz-Urlaub in Prag oder Lissabon, Schul-Austausch in Polen oder Erasmus-Freund*innen in Italien besuchen – alles normal.

Doch meist ist es für diese Reisen einfacher, mit einer irischen Airline von Frankreich nach Kroatien zu fliegen, oder mit einem deutschen Busunternehmen von Dänemark nach Österreich zu fahren, als in die Bahn zu steigen und klimafreundlich ins Nachbarland zu fahren.

Schienengebundener Personen- und Güterverkehr scheint oftmals wie innerhalb eines Landes “gefangen”. Das ist teils durch gewachsene technisch-infrastrukturelle Gegebenheiten bedingt, teils aber auch durch organisationale und politische Interessen gelenkt. Dabei wäre eine Integration des europäischen Bahnverkehrs nicht nur politisch und gesellschaftlich logisch – wenig schweißt Regionen mehr zusammen als einfache gegenseitige Erreichbarkeit – sondern auch aus Umwelt- und Verbraucher*innenperspektive sinnvoll.

Daher fordern wir – in dem Bewusstsein der damit verbundenen Herausforderungen – eine langfristige Bemühung zur Verbesserung des grenzüberschreitenden europäischen Bahnverkehrs:

  • Die technische Anpassung und Integration der Infrastruktur.
  • Die Anpassung von Fahrplan-Taktungen der Regionalzüge in Grenzregionen.
  • Die Einführung und Ausweitung grenzüberschreitender Tickets und Tarifzonen.
  • Die deutliche Ausweitung des Angebotes an grenzüberschreitenden Fernzügen, u.a. in Form von Nachtzügen.
  • Die Förderung der Europäisierungsbemühungen durch EU-Subventionen.
  • Die Weiterentwicklung der “Gemeinschaft der Europäischen Bahnen” zu einem europäischen Bahnunternehmen unter Koordination der EU-Kommission/EU-Generaldirektion Mobilität und Verkehr.
  • Dieses europäische Bahnunternehmen soll nicht nur die Integrationsbemühungen der nationalen Bahnbetriebe koordinieren, sondern auch selber europäische Bahnverbindungen anbieten.
  • Die Einführung grenzüberschreitender Verkehrsverbünde.
  • Eine europaweit einheitliche Kerosinsteuer für alle innereuropäischen Flüge.

A7 Digitale Schule

29.08.2019

Digitalisierung ist neben dem Klimawandel das wahrscheinlich wichtigste Thema unserer Zeit. Zahllose Konzepte behandeln dieses Thema und vor allem Digitalisierung in der Schule besitzt enorme Relevanz. Hierbei wird häufig, darauf beharrt wie wichtig eine gute technische Ausstattung der Schulen und eine vorhandene Kenntnis der modernen Medien bei den Lehrkräften sei. Dabei werden aus unserer Sicht zwei Aspekte häufig außer Acht gelassen:

Bei dem vielen Gerede um technische Ausstattung wird häufig vergessen, dass die heutigen Schulen erhebliche Qualitätsunterschiede in der schon vorhandenen Ausstattung aufweisen. Um diese Unterschiede zu erkennen und zu bekämpfen fordern wir eine weitreichende Datenerhebung aller Schulen, um zu erkennen wie weit die Schulen in NRW schon sind und wie sehr man die einzelnen Schulen noch fördern muss. Bei der Anschaffung muss verhindert werden, dass Schüler*innen aus einkommensschwachen Familien dabei benachteiligt werden. Bestehende Fördermöglichkeiten vom Land müssen genutzt und ausgebaut werden, damit Kommunen die Schulen ausstatten können.

Essenzieller Bestandteil der medialen Erziehung und Bildung sollte es sein eine Unterscheidung zwischen produktiven Medien (seriöse Nachrichten, Lernprogramme, usw.) und un/kontra- produktiven Medien (Youtube, Netflix, usw…) zu machen. Dabei sind letztere nicht zu verdammen, es sollte den Schülern vielmehr klar gemacht werden, dass sie verantwortungsvoll mit ihnen umgehen müssen. Grundlage dazu ist der Medienkompetenzrahmen NRW von 2016. Digitalisierung und Medienkompetenz müssen verpflichtender Teil der Lehrer*innen-Ausbildung werden.

Diese beiden Punkte sind als Ergänzung zum Antrag “Medienkompetenz in der digitalen Gesellschaft” vom 11. Mai 2018 zu sehen.

F3 Diversität und Realität in der Werbung

29.08.2019

Werbung umgibt uns alle jeden Tag und in zunehmenden Ausmaß. Sie spielt mit unrealistischen Erwartungen und unerreichbaren Idealen, die sich vor allem jungen Menschen oft unbewusst zu eigen machen. Die daraus folgende übermäßige Fokussierung auf Körper, Gewicht und Aussehen kann belastende Ausmaße annehmen und ein negatives Körper- und Selbstbild entstehen lassen, wenn nicht sogar zu Essstörungen führen. Auslöser dafür können viele Dinge sein, jedoch darf man den soziokulturellen Einfluss nicht außer Acht lassen. In unseren westlichen Wohlstandsgesellschaften wird, oft jungen, Personen vermittelt, dass Schönheit die Voraussetzung für ein glückliches und erfolgreiches Leben ist. Und schön sein bedeutet bei uns vor allem, dünn sein. Dies wird einem schnell bewusst, wenn man sich auf Instagram umschaut, aber auch wenn man den Fernseher anschaltet oder einfach nur die Zeitung aufschlägt: In unserer Werbung wird ein Idealbild für Frauen, wie auch Männer, kreiert, das oft realitätsfern und nicht erreichbar für die meisten Personen ist. Eine diverse und realistische Darstellung von Körpern ist hingegen kaum zu finden, was zu einem verfälschten Idealbild, besonders für junge Menschen führen kann.

Deswegen fordern wir:

  • Eine diverse und realistische Darstellung von gesunden Körpern in der Werbung. Dadurch wird gezeigt, dass ein gesunder Lebensstil, Glück und Erfolg nicht von der Körperform, Maßen oder der Zahl auf der Waage abhängig sind.
  • Eine deutliche Kennzeichnung von bearbeiteten Personen-Fotos in der Werbung, um das realitätsferne Idealbild, als das zu beschreiben, was es ist.
  • Mehr Anstrengungen bei der Schaffung von Awareness bezüglich des Zusammenhangs von unrealistischen Körperbildern in der Werbung und der Gefahr für psychisches und soziales Wohlergehen.

M3 Autofreie Innenstädte - Wie geht das?

29.08.2019

Städte sind für Menschen da. Diese eigentlich unstrittige Aussage verliert beim Blick in viele Stadtzentren oft ihre Selbstverständlichkeit, denn sie scheint nur für autofahrende Menschen zu gelten. Die Aufteilung des verfügbaren innerstädtischen öffentlichen Raumes zwischen Autos auf der einen Seite und anderen Mobilitätsformen und Freiräumen auf der anderen Seite steht in einem krassen Missverhältnis. Es wird wie selbstverständlich angenommen, dass Autos den allergrößten Teil des innerstädtischen Platzes für sich beanspruchen. Diese Aufteilungsstruktur belastet – in Kombination mit rasantem Städtewachstum und Pendler*innen-und Lieferverkehr – die Lebensqualität in Städten enorm.

Die Straßen sind voll, aber der Verkehr nimmt immer weiter zu. Die Innenstädte leiden unter verstopften Straßen und schlechter Luft. Doch in der Stadtplanung hat ein Wandel eingesetzt: Anstatt die Stadt um das Auto herum zu bauen, versuchen immer mehr Städte ihre Innenstädte autofrei zu denken und die Stadt für die Menschen zu planen.

Aber wie wird eine Autostadt zu einer Fahrradstadt?

Das Auto zu Gast

Wir wollen uns dafür einsetzen, dass Prinzip „Auto zu Gast“ in unseren Innenstädten umsetzen. Andere Verkehrsteilnehmer*innen erfahren dadurch eine Aufwertung, Autos dürfen die Zonen zwar befahren, Fahrradfahrer*innen sowie andere Mobilitätsformen ohne Verbrennungsmotor haben aber Vorfahrt.

Es ist nicht zu spät, Städte lassen sich umbauen, Sünden aus der Vergangenheit lassen sich beheben!

Umdenken braucht Zeit, aber dass es geht, machen Städte wie Utrecht vor. Ist der Wille der Beteiligten da, dann kann es gelingen, in Innenstädten grüne Orte zum Verweilen statt Autolärm zu schaffen, ungefährlichere Straßen für Fußgänger*innen und Radfahrer*innen anzubieten statt rennstreckenartige Straßennetze für Autos.

Beim Neudenken der Stadtplanung muss aber nicht einfach in “Auto-Verboten” gedacht werden, sondern auch gute Alternativen zur Auto-Mobilität geschaffen werden. Ziel muss es nicht sein, das Auto innerstädtisch zu verbieten, sondern es überflüssig zu machen. Dazu gehören eine gute Fahrradinfrastruktur, ein guter und günstiger ÖPNV und neue Sharing-Modelle. Dann kann der Stadtraum wieder von den Autos an die Menschen umgewidmet werden.

Fahrradinfrastruktur

Fahrradfahren muss sicher, schnell, bequem und günstig sein. Dazu gehört die konsequente Umwidmung aller Straßen zu Fahrradstraßen, auf denen Fahrräder, Roller, etc. Vorfahrt vor Autos haben. Wo das nicht möglich ist, muss alternativ ein Radweg angelegt werden. Zudem müssen Fahrradparkhäuser und Fahrradständer flächendeckend verfügbar sein. Fahrrad-Schnellwege sollen sowohl als Verkehrsachsen durch die Stadt als auch zwischen benachbarten Städten angelegt werden.

Fahrrad- und Roller-Sharing spielt in diesem Gesamtkonzept eine große Rolle und soll entsprechend verstärkt angeboten werden. Zudem sollen Unternehmen dazu angehalten und dabei unterstützt werden, ihren Mitarbeiter*innen „Job-Fahrräder“ für den Arbeitsweg zur Verfügung zu stellen. Die Stadtverwaltung und kommunale Unternehmen sollen dabei mit gutem Beispiel vorangehen.

Damit Radfahren sicherer wird, soll es für alle Altersgruppen zugeschnittene Trainings von kommunalen Radlehrer*innen geben. Bis eine konsequente Trennung von motorisiertem Verkehr und anderen Verkehrsteilnehmer*innen erreicht ist, müssen Autofahrer*innen besser für schnellere E-Fahrräder- und Roller im Straßenverkehr sensibilisiert werden.

Der neue Verkehrsknoten vor der Haustüre

Das Stadtquartier als Lebensmittelpunkt sollen erste Anlaufstelle und Drehkreuz für urbane Mobilität werden. An einzurichtenden “Verkehrsknotenpunkten” in den Stadtquartieren kommen alle Mobilitäts-Arten zusammen: Leihfahrräder, e-Roller, ÖPNV, Miet-Lastenräder und Car-Sharing. Zwischen den Knotenpunkten der erschiedenen Quartiere soll es direkte ÖPNV-Verbindungen und Radschnellwege geben, so dass das Pendeln zwischen Subzentren einfacher wird. An diesen Knotenpunkten vor der Haustüre gibt es die Möglichkeit, eigene Fahrräder und Roller sicher abzustellen und auf andere Mobilitätsarten zu wechseln. Außerdem werden dort weitere Dienstleistungen wie Lagerboxen etc. angeboten. Zusammengefasst werden diese multimodalen Fortbewegungsmöglichkeiten mittels einer benutzer*innenfreundlichen App, die die Verfügbarkeit der Mobilitätsarten, die Busse, Straßenbahnen und Züge in Echtzeit abbildet.

Der öffentliche Nahverkehr der nächsten Generation

Nicht alle Menschen können Fahrrad oder Roller fahren; nicht alle Strecken können mit dem Rad zurückgelegt werden. Die zweite Säule der autofreien Innenstädte bildet ein gut ausgebauter, günstiger und barrierefreier ÖPNV. Alle Bürger*innen erhalten ein Jahresticket für den Bus- und Bahnverkehr in der eigenen Stadt für einen Euro pro Tag. Durch dieses 365er-Ticket kann im Solidarfinanzierungsmodell eine ausreichende Grundfinanzierung des ÖPNV erreicht werden.

Nicht nur in den Stadtzentren, auch in den Außenbezirken muss das Streckennetz deutlich ausgebaut werden und in deutlich höherer Taktung bedient werden. Bislang fehlende Verbindungen müssen neu geschaffen werden. Für wenig genutzte Routen werden Elektro-Kleinbusse eingesetzt, auch autonome Busse sind dafür denkbar. Innerstädtisch werden auf großen Straßen eigene Busspuren eingerichtet, um einen reibungsloseren Streckenablauf zu ermöglichen.

Auch in den Randstunden und vor allem nachts sollen alle Stadtgebiete mit Nachbussen und -Bahnen sicher erreichbar sein. Dafür braucht es einen deutlichen Ausbau des Nachbus-Angebotes.

Park statt parken

Große Anteile des öffentlichen Raumes in Städten werden derzeit für Parkplätze genutzt. Platz, der für Grünflächen, Außengastronomie oder als Spiel- und Aufenthaltsort genutzt werden könnte, wird für herumstehendes Metall verschwendet. In der autofreien Innenstadt wird dieser Raum an die Bürger*innen zurückgeben. Die Anzahl der Parkflächen wird massiv reduziert. Der freiwerdende Raum kann als Abstellfläche für Räder und Roller, für ÖPNV und Grünflächen genutzt werden. Wo Parkplätze nicht abgeschafft werden, wird das Auto-Parken deutlich verteuert, um Langzeitparken zu vermindern.

Durch die autofreie Innenstadt wird auch der lokale Einzelhandel nachhaltig gestärkt. Die wegfallende Parkplatzsuche, die Aufwertung des Einkaufs-Umfeldes durch weniger Verkehrslärm und neue Straßenraum-Nutzungskonzepte für den Einzelhandel bieten eine neue Chance für lokale Unternehmen.

In den Stadtrand-Gebieten werden (kostenpflichtige) Parkplätze für externe Pendler*innen und Besucher*innen eingerichtet, von denen aus über o.g. Mobilitätsknotenpunkte Möglichkeiten zur lokalen Weiterfahrt via ÖPNV und Rad angeboten werden.

Sharing is caring

Verkehrsmittel ergeben nur dann Sinn, wenn sie genutzt werden. Der Anteil der Nutzungsdauer kann deutlich erhöht werden, wenn die Mobilitätsmittel von vielen unterschiedlichen Menschen genutzt werden. Der Sharing-Gedanke ist daher Kernstück der autofreien Stadt – sowohl Car-Sharing, als auch Rad- und Roller-Sharing verringern die Anzahl der insgesamt vorhandenen Verkehrsmittel, ohne dabei das individuelle Verkehrsangebot zu schmälern. In der autofreien Stadt gibt es für Gruppen die Möglichkeit der Fahrgemeinschaften mit Kleinbussen. Diese können abends und am Wochenende von Privatpersonen mit ihrem Führerschein als ganz normales Car-Sharing Angebot genutzt werden.

Smart cities

Autofreie Städte sind schlaue Städte. Sie nutzen die Möglichkeiten von Digitalisierung und Vernetzung, um den Verkehr intelligent, vorrausschauend und nachfrageorientiert zu gestalten. Mittels Verkehrssensorik für Lärm und Luftqualität, den Straßenzustand, Parkmöglichkeiten und Straßenauslastung werden intelligente Routen und Mobilitätsmöglichkeiten aufeinander abgestimmt erarbeitet und angeboten. Durch smarte Ampelschaltungen werden Staus vermieden und dem ÖPNV der notwendige Vorrang gegenüber Autos eingeräumt. Durch datenschutzkonforme Verkehrserfassung und intelligente Auswertung der Daten können Angebot und Nachfrage verschiedener Mobilitätsformen kontinuierlich aufeinander abgestimmt und verbessert werden. Die Echtzeit-Daten zur aktuellen Verkehrslage und den zur Verfügung stehenden Mobilitätsarten werden auch in der bereits beschriebenen Mobilitäts-App genutzt, um die jeweils intelligenteste Fortbewegungsart für einen Wunsch-Weg anzubieten. Alle für eine intelligent geplante Route benötigten Verkehrsmittel können innerhalb der App mittels integriertem Buchungs-, Reservierungs- und Ticketing-System von den Nutzer*innen gebucht werden.

Alle erhobenen Daten aus Verkehssensorik werden im Sinne des Open Data-Gedanken offen zur freien Nutzung über ein zentrales Portal zur Verfügung gestellt.

Die Stadt kauft sich frei

Alle Schritte auf dem Weg zur autofreien Stadt kosten Geld. Diese Investitionen in zeitgemäße, zukunftsfähige und klimaschonende Städte sind Investitionen in lebenswerte Städte. Dafür ist eine deutliche Erhöhung der kommunalen Ausgaben für Verkehrsinfrastruktur notwendig.

M1 Verkehrsverbünde aller Regionen, vereinigt euch!

29.08.2019

Unser unübersichtliches und chaotisches ÖPNV-Netz führt dazu, dass es Pendler*innen schwer gemacht wird sich im Tariflabyrinth zurecht zu finden. Das aktuelle System ist ineffizient und teuer, weil die Zuständigkeiten für die Nahverkehrspläne unnötigerweise an den kommunalen Grenzen enden anstatt sich an den Nutzer*innenbedürfnissen zu orientieren.

Forderungen:

  • Fusion von den Verbünden des WestfalenTarifs, des VRS’, des AVVs und des VRRs zu einer NRW-Verkehrsgesellschaft
  • Bildung eines Gremiums bestehend aus Gewerkschaften (Ver.di, EVG, GDL, usw.), Städtetag, Fahrgastverbände (Pro Bahn, Allianz Pro Schiene), Verkehrsausschuss, Verkehrsministerium des Landes, Landesschüler*innen-, Auszubildenden- und Studierendenvertretungen → Erarbeitung zentraler Richtlinien zur Weiterentwicklung der ÖPNV-Infrastruktur
  • Ausbau, Erweiterung, Sanierung usw. der Nahverkehrslinien auf Vorschlag der Kommunen an das Gremium
  • die Bezirksregierungen bekommen eine Vermittlungs- und Klärungsfunktion → zusammen mit den Kommunen wird versucht, Forderungen und Vorschläge der Kommunen zu verknüpfen und effizient auszugestalten bevor sie an den Rat weitergeleitet werden

Finanzierungsvorschlag:

  • nach Einkommen gestaffelte Beiträge einführen, damit wir ein ticketloses System haben, ergänzend eine Kurtaxe für Tourist*innen
  • Nahverkehrsfonds des Landes, damit Kommunen Investitionen tätigen können
  • Das Land wird verpflichtet, für die Instandhaltung, den Ausbau, die Erneuerung, und die Anpassung der Bedarfspläne Sorge zu tragen.

Ziel:

  • Kommunen, Nutzer*innen und Umwelt werden entlastet
  • besser realisierbare Verkehrswende, die die Nutzung des ÖPNV für die Bürger*innen attraktiver macht
  • günstigere Preise und weniger Verzweiflung am Ticketautomaten