Archive

A2 Entlastung von Erziehenden: Arbeitsrecht bei Krankheit der Kinder ändern

29.08.2019

Wir möchten uns für eine familienfreundliche und elternentlastende Ausweitung des Arbeitsrechts bei Krankheit der Kinder einsetzen. Im besonderen Fokus soll dabei die Umsetzung folgender Punkte stehen (im folgeden Text ist „Eltern“ mit „Personen mit Erziehungsauftrag“ gleichzusetzen):

In §45 des SGB (V) soll das Alter des Kindes, bis zu welchem den Erziehungsberechtigten die Befreiung von der Arbeit zusteht um das Kind zu pflegen, von 12 auf 18 Jahre ausgeweitet werden.

Im Krankheitsfall eines Kindes soll die Attestpflicht durch eine*n Kinderärzt*in nicht bereits am ersten Tag der Krankheit greifen um den Lohnausgleich für den pflegenden Elternteil zu erhalten. Stattdessen soll erst ab dem zweiten Tag in Folge, an dem ein Elternteil krankheitsbedingt von der Arbeit fehlt, ein Attest eines*einer Arztes*Ärztin vorgelegt werden müssen. Die Erstattung des Lohnes im Krankheitsfall des Kindes soll mit Vorliegen eines Attestes weiterhin durch die Krankenkassen erfolgen. Wird kein Attest über die Krankheit des Kindes vorgelegt und der Elternteil fehlt nur einen Tag, ist der*die Arbeitgeber*in in der Pflicht die Lohnerstattung zu übernehmen.

Es soll eine Härtefallregelung eingeführt werden, mit der Eltern in der Lage sind bei besonders schwerwiegender oder chronischer Erkrankung eines Kindes statt den rechtlich vorgeschriebenen 10 Tagen pro Kalenderjahr (bzw. 20 Tage bei Alleinerziehenden), 25 Tage (bei Alleinerziehenden 50 Tage) bei Lohnfortzahlung durch die Krankenkasse am Arbeitsplatz zu fehlen. Ein Attest eines*einer Fachärzt*in muss den schwerwiegenden Grad der Krankheit bezeugen.

Damit die geforderte Stärkung im Arbeitsrecht für Eltern keine negativen Auswirkungen auf die berufliche Karriere hat, ist die SPD angehalten sich intensiver mit dem Antidiskriminierungsschutz von Arbeitnehmer*innen zu befassen. Es muss in der Öffentlichkeit offensiver über die Rechte im Bewerbungsverfahren sowie am Arbeitsplatz informiert werden, z.B. über das Recht in Bewerbungsgesprächen keine Auskunft über den Familienstand bzw. zukünftige Familienplanung und den Wunsch nach Kindern geben zu müssen.

S3 Recht auf gute Beratung bei der Patient*innenverfügung sichern

29.08.2019

Wir fordern eine Aufnahme der Patient*innenverfügungs-Beratung in den Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung.

Patient*innen sollen diese Leistung mindestens alle 5 Jahre in Anspruch nehmen können. Die Beratung könnte in diesem Fall von geschulten Mitarbeiter*innen in Hospizen, Krankenhäusern, kommunalen Gesundheitsämtern sowie von ärztlichem Fachpersonal durchgeführt werden.

Des Weiteren sollen Verbraucherzentralen, Wohlfahrtsverbände oder auch Schulen und Volkhochschulen über diese Möglichkeit und ihre Relevanz informieren.

F4 Kritik an der Prostitution und der Prostitutionskritik

29.08.2019

Die Debatte, ob und wie die politische Linke zum Erwerb von Sex steht, scheint so alt wie die politische Linke. Auch wir Jusos diskutieren und positionierten uns in den vergangenen Jahren, welche Rolle Prostitution in unserem Bild der sozialistischen, und feministischen Gesellschaft hat. Dieser Antrag möchte an die Beschlusslagen seit rot-grüner Regierungszeit (u. a. „Prostitution voll legalisieren!“:2001; „Der Mythos der Freiwilligkeit“:2010; „Sexuelle Dienstleistungen – legal, sicher, transparent“) anknüpfen.

Skandal um Rosi – Prostitutionskritik aus Gründen einer „Sittlichkeit“

„Die Moral ist die „Impuissancemise en action[1]. So oft sie ein Laster bekämpft, unterliegt sie.“

-aus: „Die heilige Familie“ von Karl Marx und Friedrich Engels

Zentraler Bestandteil des prostitutionskritischen Diskurses ist der Erhalt und Schutz des traditionellen Familien- und damit Ehemodells[2]. Ideologische Grundlage dazu gibt hierbei die Moralphilosophie durch den Begriff der „Sittlichkeit“. Prostitution stehe so dem traditionellen Gesellschaftsmodell (in Form der bürgerlichen Gesellschaft) als sittenwidrig gegenüber.

Unser materialistischer Blick steht in der Tradition, die gesellschaftlichen Verhältnisse eben anhand materieller Ungleichheitsstrukturen (und sich daraus resultierenden Machtverhältnissen) zu analysieren. Eine moralphilosophische Kritik an den Akt des Kaufs und Verkaufs von Sex ist da fehl am Platze. Die außerdem formulierte Kritik daran, dass Frauen (und ihre Sexualität) in den öffentlichen Raum eindrängen, ist ein tief sexistischer.

Prostitutionskritiken bedeuten von konservativer Seite aus also oft praktisch nur Angriffe auf Prostituierte. Aus jener Richtung gibt es sich grundsätzlich widersprechende Argumentationen gegen das Anbieten und den Verkauf von Sex. Teil davon ist eine Art der moralischen Überhöhung menschlicher Körper, und damit ist explizit nie ein Kampf für sexuelles Selbstbestimmungsrecht gemeint. Vielmehr werden Prostituierte beispielsweise als vermenschlichter Ehebruch stilisiert, oder die Kritik bezieht sich auf den eigentlichen Geschlechtsakt und den offenen und freieren Umgang mit dem Thema Sex. Außerdem wird die Geisteshaltung des gegenseitigen Besitzes und mystischer „Aufsparung der Jungfräulichkeit“ von Menschen in Beziehungskonstellationen reproduziert, wie es das traditionelle Familien- und Ehemodell hergibt. Prostitutionskritik ist hierbei eigentlich die Kritik an nichtmonogamen Lebensweisen. Hinter dem Bärendienst der Forderung eines kompromisslosen und sofortigen Verbots der Prostitutionsarbeit steckt somit nur die Keule der „Sittenwidrigkeit“, und kein echter Wille zur Verbesserung der Lebenssituation jener Frauen. Wenn wir Jusos Prostitution kritisieren, tun wir das aus unserem Kampf für eine Gesellschaft der Freien und Gleichen heraus. Eine ethisch-moralische Kritik an Prostitution aus der geschichtlichen Mottenkiste lehnen wir ab.

Gegen die Gegennorm – Prostitution ist Prostitution bleibt Prostitution

Im Zuge der dritten Welle der Frauenbewegung kam es zum Erstarken eines poststrukturalistischen Feminismus, der sich durch eine grundsätzlich verkürzte und relativierende Kritikkultur kennzeichnet, und explizit Gegennormen hervorruft (wie beispielsweise im Diskurs um fat pride im body positivity movement sichtbar). Das ist bisweilen auch in jenem feministischen Diskurs erkennbar, der einen Verzicht des Begriffs „Prostitution“ und Ersetzung durch den positiv konnotierten Begriff „Sexarbeit“ fordert.

Im (vor allem queer-)feministischen Diskurs wird so teilweise dazu angeregt, den Begriff „Prostitution“ durch den vermeintlich weniger negativ behafteten Begriff „Sexarbeit“ zu ersetzen[3], der bis dahin jedoch ursprünglich sämtliche einvernehmliche sexuellen und sexualisierten Arbeiten einschließt. Darüberhinaus gibt es die Anregung, beide Begriffe im Diskurs als solche wahrzunehmen, die unterschiedliche Begebenheiten beschrieben. Journalistin und Politikwissenschaftlerin Antje Schruppsieht symbolisch „eine Studentin, die sich als Escort den Lebensunterhalt verdient“ als Sexarbeiterin, und eine „Drogensüchtige […], die von einem Zuhälter regelmäßig mit Stoff versorgt wird, wenn die ‚anschaffen geht‘“ als Prostituierte; Sie unterscheidet nach der Frage, wie freiwillig die sexuelle Dienstleistung geschieht[4].Die Einteilung in „Prostitution“ als sexuelle Dienstleistung in einem Milieu der Ausbeutung, und „Sexarbeit“ als sein ‚selbstbestimmter‘ Gegensatz mit fairen Arbeitsbedingungen und guter Entlohnung scheint zunächst sinnvoll, spiegelt es doch vermeintlich den Klassenwiderspruch wider. Die Sexarbeiterin und Aktivistin Undine de Rivière lehnt diese Einteilung als unverhältnismäßig ab. „Liebe zum eigenen Job“ sei ohnehin nie Grundrecht, und: „Für keinen anderen Beruf außer der Sexarbeit werden solche Maßstäbe angesetzt […]“[5].

Wir Jusos folgen jedoch aus guten Gründen keiner der genannten Argumentationen. Die Unterteilung durch einen etwaigen „Grad der Freiwilligkeit“ lehnen wir ab. Im Kapitalismus wird ein und derselbe Beruf auch nicht unterschiedlich benannt, nur weil Menschen unterschiedlich viel durch ihn erwerben. Hier ist offensichtlich ein Prozess der Entsolidarisierung unter immens und „weniger stark“ ausgebeuteten Prostituierten gewünscht. Unser Feminismus jedoch ist ein solidarischer.

Die schlichte Ersetzung des Begriffs verschleiert die un(er)tragbaren Lebenssituationen der allermeisten Prostituierten in Form kapitalistischer und sexueller Ausbeutungen nur. Selbstverständlich erteilen wir auch der Argumentationslinie von de Rivière eine Absage, greift ihre Kapitalismuskritik doch zu kurz; Unsere Vorstellung der guten Arbeit ist die der Berufung, also Arbeit aus Freiwilligkeit. Auch wir halten jedoch eine Einteilung oder Ersetzung des Begriffs „Prostitution“ aufgrund der Sonderstellung der Prostitutionsarbeit im kapitalistischen Verwertungsprozess für grundsätzlich nicht sinnvoll. Nutzt der Kapitalismus schon in seinem Wesen die strukturelle Hierarchisierung der Geschlechter, verwertet er hier dazu noch die weibliche sexuelle Selbstbestimmung. Wir nennen also die sexuelle Dienstleistung mit dem Begriff „Prostitution“ bei seinem kapitalistisch-patriarchalen Namen.

Der Queer-Feminismus als Vertreter des Poststrukturalismus in der Frauenbewegung kritisiert hier den Akt der Prostitution auch nur insofern verkürzt, als dass er ihn – wenn überhaupt – auf einen Arbeitskampf, also einen Kampf für bessere Arbeit- und Lebensbedingungen, oder einen Kampf sich prostituierender Frauen um Anerkennung, beschränkt. Oftmals werden hierbei Gallionsfiguren eines etwaigen „Sex-Business“ nach vorne gestellt, die keine erkennbare Migrationserfahrung haben, selbst von im Branchenvergleich überdurchschnittlich gutem eigenem Einkommen berichten, und so den neoliberalen Aufstiegs-Mythos zu einem „von der Sexarbeiterin zur Millionärin“ umdeuten. Teil davon ist ein der die prekäre Situation von vornehmlich immigrierten sich prostituierten Frauen relativierender Vergleich mit der Existenz von männlichen Prostituierten; Prostitution sei ja schließlich nicht auf Frauen beschränkt. Neben zu Ende gedachter Kapitalismuskritik fehlt so oft auch der Blick auf das sich durch Prostitution ergebende geschlechterspezifische Machtgefälle – das von einer der queer-Theorie inne liegenden Negierung des Subjekts Frau herrührt.

Ein Queer-Feminismus, der alle Akteur*innen (also neben sich prostituierenden Frauen auch sich prostituierende Nicht-Frauen, und womöglich noch Freier) zu Opfern macht, und ein strukturelles Problem – in Form des Patriarchats – verkennt, kann keine ansprechende Antwort auf die Frage geben, wie wir gesellschaftlich und politisch mit Prostitution umgehen.

Superdiskurs

Während die rot-grüne Regierungsmehrheit zu Beginn dieses Jahrtausends ihren gesellschaftlichen Progressivismus als einen solchen verstand, der als Antwort auf Konservative Prostitution versucht hat aus der „verruchten Ecke“ zu holen, hatten rotgrüne Kräfte in skandinavischen Ländern ein eigenes Verständnis von Fortschritt in diesem Bereich, und diskutierten den Akt der Prostitution kritischer. Aus diesen Debatten entstand die „Superdiskurs-These“ die bekräftigt, dass die Rechtfertigung von Prostitution kein einheitliches ideologisches Fundament habe: Prostituierte würden wahlweise als Frauenrechtlerinnen dargestellt, wenn es um den Kampf für sexuelle Selbstbestimmung ginge, als Unternehmerinnen, wenn es um Rechtfertigung innerhalb der kapitalistischen Logik ginge, oder als Arbeiterinnen, die für ihre Arbeitsrechte stritten. Die Tatsache, dass Pro-Prostitutionskampagnen und Argumentationsfindungen vielfach von der Wirtschaft finanziert würden[6], stellt die bekannten Wirkungskräfte der Systeme von Kapitalismus und Patriarchat da, die eine ideologische Vereinnahmung ermöglichen. Diese Vereinnahmung macht eine legitime Kritik an Prostitution schwierig und erfordert Differenzierung.

Prostitution in der sozialistischen Gesellschaft

Ohne zu verkennen, dass es auch von Menschen, die nicht Frauen sind, ausgeübte, und an Menschen, die nicht Männer sind, gerichtete Prostitution gibt, sehen und mahnen wir eine strukturelle, von Männern an Frauen vollzogene, Einforderung an die Ware Sex. Prostitution spiegelt so im Grundsatz das patriarchale Machtgefälle zwischen den Geschlechtern wider. Wir Jusos können uns aus diesem Grund keine menschliche, also antisexistische Gesellschaft vorstellen, die Prostitution beinhaltet. Ganz besonders prekär ist diese Prostitution durch ihre Wirkung in der Schnittstelle zwischen dem patriarchalen und kapitalistischen System. Wir sehen, dass im gesellschaftlichen Diskurs von Akteur*innen aus unterschiedlichsten Richtungen dieses grundsätzliche Machtgefälle, sowie die Lebens- und Arbeitsbedingungen der allermeisten Prostituierten relativiert oder negiert wird. Dem stellen wir uns entgegen.

Jedoch schließen nicht alle Sexarbeiten (im eigentlichen Wortsinn) eine Objektifizierung der Dienstleistenden ein. Aus diesem Grund gehören auch nicht alle Sexarbeiten politisch bekämpft. Ein Beispiel bilden Surrogatpartner*innen, die beispielsweise Menschen mit Behinderung/en zu erotischen und/oder sexuellen Handlungen befähigen.

Prostitution in der patriarchal-kapitalistischen Gesellschaft

„Sexuelle Selbstbestimmung ist ebenso ein Grundrecht, wie sexuelle Bedürfnisse Teil der Entfaltung der Persönlichkeit sind. Sexuelle Dienstleistungen waren und sind Teil unserer Lebenswirklichkeit. Sie verbieten zu wollen ist nicht nur illusorisch, sondern ein Angriff auf das Selbstbestimmungsrecht aller, die ihnen ohne Zwang nachgehen. Niemand soll aufgrund von Gewalt oder Not gezwungen sein, dieser oder einer anderen Tätigkeit unfreiwillig nachzugehen. Jene, die es tun, sollen nicht ungerechten Marktbedingungen oder unzureichenden Arbeitsbedingungen ausgesetzt sein. Deshalb gilt es diese Dienstleistungen, wie jede andere legal, sicher und transparent in unser Wirtschaftsgeschehen zu integrieren.“

– Beschlusslage: A10 „Sexuelle Dienstleistungen – legal, sicher, transparent“, BuKo 2014

 

Wir Jusos kennen die gelebten Realitäten dieser sexistischen Gesellschaft im Kapitalismus an. Dazu gehört, dass ein striktes Verbot der Prostitution den von Ausbeutung betroffenen Menschen nur schadet, da es sie in die Illegalität, und heraus aus Schutzmechanismen durch Regulierungen zwingt.

Das aus dem skandinavischen Diskurs entstandene „nordische Modell“, das ein Sexkaufverbot und ausschließliche Ächtung von Freiern vorsieht, scheint die Prostitution nur aus dem öffentlichen Raum in private Wohnungen verlagert zu haben. Und obwohl sich Prostituierte vor keiner Strafverfolgung fürchten müssen, wird Repression auf sie ausgeübt, weil die Umstände, die sie zur Prostitution bringen, damit nicht verschwinden. Auch ein Sozialstaat, der besonders auf soziale Absicherung von Frauen abzielt, und so die Prostitution für Frauen finanziell nicht mehr nötig macht, verschiebt und/oder verstärkt das Problem gar, da immigrierte Frauen mit weniger Sprachkenntnissen und geringeren Kenntnissen über Möglichkeiten der Opferberatung nun ihre Rolle einnähmen. Das macht einen gemeinsamen, europäischen Umgang mit dem Thema Prostitution, sowie insbesondere ein gemeinsames Sozialsystem mit einheitlichen Regelungen unabdingbar.

Wenn im gesellschaftlichen Diskurs davon die Rede ist, dass Deutschland das liberalste Prostitutionsgesetz habe, dann trifft das nur auf Freier zu. Diese erfahren durch das 2002 eingeführte Gesetz tatsächlich weniger Repression, da der Sexkauf auch für sie voll legalisiert wurde. Prostituierte jedoch nehmen die neue Gesetzgebung eher als Gängelung wahr. Jene, die tatsächlich von den Regelungen, sowie den im Jahr 2017 durch das Prostituiertenschutzgesetz (ProSchG) hinzugekommenen, profitieren würden, betreffen diese Schutzmechanismen durch mangelnde Kontrolle und inkonsequenter Umsetzung gar nicht.

Beschluss Deshalb fordern wir:

  • „Liberalisierung“ der Prostitutionsgesetzgebung bedeutet für uns Überwindung staatlicher Repression an Prostituierte, nicht jedoch Abwesenheit staatlicher Kontrollstrukturen. Auch Prostituierten muss soziale Absicherung gewiss sein (wie in Beschlusslage 2014 festgehalten).
  • Staatliche Ordnung muss als Schützer*in der Rechte von Prostituierten auftreten, mit enttabuisiertem Umgang mit Prostituierten
  • Es braucht eine höhere, europäische Kraftanstrengung zur Bekämpfung illegaler Prostitution, damit sich Akteur*innen dieser Branche Schutzmaßnahmen nicht entziehen können
  • Da Prostitution aus dem Machtgefälle zwischen den Geschlechtern resultiert, und staatliche Strukturen diese Machtverhältnisse nur verfestigen, oder (wie andere Institutionen dieser Gesellschaft) höchstens marginal beeinflussen kann, ist der wahre Kampf gegen Prostitution nicht das Verbot der Prostitution, sondern der Kampf gegen jene Machtgefälle. Wir brauchen ein gesamtgesellschaftliches Umdenken und nicht weniger als die Gleichberechtigung der Geschlechter.

 

[1] Übersetzt: „In Aktion gesetzte Machtlosigkeit“

[2]Der Zusammenhang von Prostitution und „Wilder Ehe“ in der Diskursforschung beschäftigt u. a. Elisabeth Hill/Mark Bibbert (2019).

[3]Vlg. bspw. Carolin Küppers:2016

[4]Vgl. bspw. Antje Schrupp in ZEIT:2018/05

[5]  Vgl. Undine de Rivière:2018

[6] 4 Vgl. bspw. Ekman:2016

F2 „Ain't I a Woman?“ - Empowerment von Women of Color

29.08.2019

Im Jahr 1851 stellte Sojourner Truth auf dem Frauenkongress in Akron, Ohio die Frage „Ain’t I a Woman?“. Allgemeine Frauen*-Rollenbilder und Umgang mit Frauen* entsprechen nicht ihrer Realität, denn sie wird als schwarze Frau* anders behandelt und es werden andere Erwartungen an sie gerichtet.  Diesen Unterschied versucht sie den weißen Frauenrechtlerinnen deutlich zu machen.

Aber auch fast 200 Jahre später ist diese Perspektive immer noch kaum sichtbar. Der „Mainstream-Feminismus“ ist ein Feminismus von und für weiße mittelständische cis-Frauen.

Um dieser Perspektive einen Namen zu geben, prägte Kimberlé Crenshaw den Begriff Intersektionalität.

Intersektionalität beschreibt die mehrfache Diskriminierung aufgrund verschiedener Faktoren wie Rassismus, Klassismus, Homo- und Transhate, Behindertenfeindlichkeit und Sexismus. Intersektionalität geht es um die Anerkennung der Schnittmenge (engl.: intersection) und das Zusammenspiel dieser, da zum Beispiel eine schwarze Frau* anders diskriminiert ist als eine weiße Frau und anders als ein schwarzer Mann. Zu oft erscheinen im Kampf gegen Diskriminierung die unterschiedlichen Formen als Auflistung. Dass sich unterschiedliche Diskriminierungsformen in einer Person widerspiegeln können und sie in unterschiedlichen Kontexten aufgrund verschiedener Aspekte ihrer Person sowie auch in dem Zusammenspiel dieser diskriminiert wird, wird oft im Kampf gegen die Unterdrückung und Diskriminierung bestimmter Gruppen nicht mitgedacht, und damit werden diese Personen nicht mitgedacht.

Da Frauen* als diskriminierte Gruppe im Gegensatz zu anderen benachteiligten Gruppen keine Minderheit sind, finden sich vor allem bei ihnen Schnittmengen, weswegen Intersektionalität meist intersektionaler Feminismus bedeutet. Entstanden und geprägt wurde der Begriff durch die Perspektive von WoC (Women* of Color).[1]

Im politischen Kontext und auch in unserem Verband sind WoC stark unterrepräsentiert (noch mal mehr als PoC (People of Color) insgesamt).

Wir wollen, dass die Perspektive von WoC in unserem Feminismusverständnis miteingebracht und mitgedacht wird.

Wir wollen, dass unser Verband diverser wird.

Wir wollen, dass WoC mehr empowert werden.

Deswegen fordern wir:

  • Vernetzungstreffen von WoC innerhalb des Verbands

Damit WoC in unserem Verband und in unseren Debatten sichtbar werden.

[1] Of Color meint hier alle Menschen, die zu Gruppen gehören, die von Rassismus betroffen sind und diesbezüglich eine gemeinsame Erfahrungsgeschichte haben.

U2 Act now!

29.08.2019

Fridays for Future hat es geschafft, das Thema Klimaschutz in der breiten Gesellschaft und in der Politik ganz oben auf die Prioritätenliste zu setzen.

Auch wir Jusos sehen die Notwendigkeit einer radikalen Klimapolitik und solidarisieren uns deswegen mit den Forderungen der Fridays for Future Bewegung:

  • Kohleausstieg bis 2030
  • CO2-Neutralität des Energiesektors bis 2035
  • Subventionen für fossile Energieträger bis Ende 2019 beenden
  • Eine sofortige Einführung einer CO2-Steuer von 180 Euro pro Tonne
  • Schnellerer Netzausbau von innereuropäischen Stromtrassen

I4 Ab in den Urlaub!

29.08.2019

Die Jusos Kreis Mettmann fordern, dass ein Sonderurlaubskonzept für ehrenamtliches Engagement erarbeitet wird. Ziel soll es sein, dass Ehrenamtler*innen für ihr Engagement Ausgleichstage in Form von Sonderurlaub erhalten.

F1 50 Jahre Stonewall – Für eine vollständige rechtliche Gleichstellung von LGBTQI*

29.08.2019

Im Juni 1969 stießen Polizist*innen bei einer Razzia in der Christopher Street in New York zum ersten Mal auf Gegenwehr. In dieser Straße befand sich das Stonewall Inn, eine Schwulenbar, in der regelmäßig Polizeirazzien durchgeführt, Gäste aufgeschrieben und sogar festgenommen wurden. Schwule, Lesben und trans* Personen versammelten sich an jenem Tag und standen drei Tage lang für ihre Rechte ein. Das war der Auftakt zur „homosexuellen Befreiung“. Die Community wollte sich nicht mehr verstecken, sondern für ihre Gleichberechtigung kämpfen. Seither findet jedes Jahr ein Gedenkmarsch statt – in Deutschland erinnert seit 1979 der Christopher Street Day an die Geschehnisse.

In den letzten 50 Jahren konnten erhebliche Fortschritte in LGBTQI*-Rechten beobachtet werden – von der Abschaffung von § 175 StGB bis hin zur Öffnung der Ehe für Alle und der Einführung der „dritten Option“ in den letzten zwei Jahren. Allerdings ist das Ziel – die vollständige gesellschaftliche Akzeptanz und Gleichstellung – noch lange nicht erreicht. Auch heute ist Homosexualität noch in 78 Ländern verboten und in acht Ländern sogar unter Todesstrafe gestellt. Jährlich werden weltweit Tausende von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung verfolgt und umgebracht. LGBTQI* Personen werden von ihren Familien verstoßen, in die Unsichtbarkeit gedrängt und schrecklicher Gewalt ausgeliefert. Auch in westlichen Staaten wird mit sexuellen Orientierungen sehr unterschiedlich umgegangen. Anfeindungen und auch Gewaltanwendungen gegen LGBTQI* Menschen nehmen allerorten wieder zu. Insbesondere sind noch immer ein sehr binäres Bild von Geschlecht und heteronormative Standards vorherrschend. Selbst wenn Schwule und Lesben in der westlichen Welt heute größtenteils heiraten und Kinder adoptieren können, sieht es bei der Akzeptanz von Menschen, die der binären Gendernorm von Mann und Frau nicht entsprechen, noch ganz anders aus. LGBTQI* Rechte dürfen nicht auf Lesben und Schwule beschränkt werden – ein viel breiteres Spektrum muss abgedeckt werden, weshalb eine Abkehr von heteronormativem und binärem Denken notwendig ist, in unserer Gesellschaft und in unserem Verband.

In diesem Antrag werden einige der aktuellen Stellschrauben zur rechtlichen Gleichberechtigung von LGBTQI* beschrieben. Der Antrag hat keinesfalls den Anspruch, abschließend zu sein. Stonewall ist und bleibt ein ewiges, aktives Mahnmal –  in den Worten von Martin Boyce, der selbst bei den Protesten anwesend war: „Stonewall ist ein Verb, eine Aufforderung zur Tat“.

Aufnahme von geschlechtlicher Identität und sexueller Orientierung in GG und AGG

Noch immer ist der Katalog der speziellen Diskriminierungsverbote in Artikel 3 des Grundgesetzes unvollständig: sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität werden nicht erwähnt. Dies wirkt sich bis heute negativ auf die Lebenssituation von LGBTQI* aus. Wer dort nicht genannt wird, läuft Gefahr, in der gesellschaftlichen und politischen Wirklichkeit ignoriert zu werden. So musste das Bundesverfassungsgericht durch seine Rechtsprechung in den vergangenen Jahren immer wieder gegenüber diskriminierendem staatlichem Handeln korrigierend eingreifen, um den Grundrechten von LGBTQI*-Menschen auf Gleichbehandlung und freie Entfaltung der Persönlichkeit Geltung zu verschaffen. Gerade gegenüber politischen Kräften, die Demokratie als Diktatur einer vermeintlichen Mehrheit missverstehen, muss ein inklusives Grundrechteverständnis auch im Verfassungstext besiegelt werden. Fundamentale Normen des Zusammenlebens wie das Diskriminierungsverbot müssen in der Verfassung für alle Menschen transparent sein. So wie es in einigen Bundesländern bereits entsprechende Diskriminierungsverbote in der jeweiligen Landesverfassung gibt, müssen diese auf alle Verfassungen ausgeweitet werden.

Zudem muss das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ausgebaut und wirksamer gestaltet werden. So muss auch staatliches Handeln umfassend in den Anwendungsbereich des AGG einbezogen werden. Insbesondere müssen die Diskriminierungsgründe erweitert werden, einschließlich der dezidierten Benennung des Diskriminierungsgrundes „geschlechtliche Identität“.

Ferner müssen die Ausnahmeregelungen im Arbeitsrecht für Religionsgemeinschaften und deren Einrichtungen aufgehoben werden. Es ist einer freien Gesellschaft unwürdig, dass das Eingehen einer gleichgeschlechtlichen Ehe einer Person den Arbeitsplatz kosten kann. Für Beschäftigte der Religionsgemeinschaften und der von ihnen betriebenen Einrichtungen muss außerhalb des engsten Bereichs der Verkündigung das allgemeine Arbeitsrecht einschließlich des Betriebsverfassungsgesetzes Geltung erlangen.

Verbot von Konversionstherapien

Wir fordern, dass die Durchführung aller Maßnahmen, die darauf abzielen eine Veränderung der sexuellen und/oder geschlechtlichen Identität oder Orientierung hervorzurufen, verboten und unter strafrechtliche Verfolgung gestellt werden.

Novellierung der Ehe für Alle

Wir stehen für die Überwindung von stereotypen Geschlechterrollen sowie des binären Verständnisses von Geschlechtlichkeit. Der beschlossene Gesetzesentwurf zur Ehe für Alle erfasst nur Menschen gleichen oder verschiedenen Geschlechts. Hierdurch sind insbesondere inter* und nichtbinäre Menschen von der Eheschließung ausgeschlossen. Die Gesetzgebung hat dies offensichtlich nicht beabsichtigt, sodass mit einer weiteren Novelle die Ehe für wirklich Alle geöffnet werden muss.

Neuregelung des Transsexuellengesetzes (TSG)

Trans* Personen muss es möglich sein, ohne erhebliche Hürden medizinische und rechtliche Geschlechtsangleichungen vorzunehmen. Daher ist eine Reform des TSG von 1980 längst überfällig – auch, wenn das ursprüngliche Gesetz aufgrund der zahlreichen verfassungswidrigen Regelungen bereits größtenteils außer Kraft ist. Im TSG ist geregelt, dass trans* Menschen zur rechtlichen Anerkennung der Geschlechtsangleichung zwei Gutachten anfertigen lassen, dafür die Kosten tragen und in einem Gerichtsverfahren die Änderungen von Vornamen und Personenstand beantragen müssen. Dies stellt einen eklatanten Verstoß gegen das Recht auf Selbstbestimmung von trans* Personen dar.

Den im Mai 2019 von Justizministerin Barley und Innenminister Seehofer vorgelegten Gesetzesentwurf zur Neufassung des TSG lehnen wir dezidiert ab, da er trans* Menschen keine echte Selbstbestimmung erlaubt. Vielmehr hält er am zur Geschlechtsangleichung notwendigen Gerichtsverfahren fest und ersetzt die notwendigen Gutachten durch eine sog. ärztliche Geschlechtsidentitätsberatung. Psycholog*innen und Ärzt*innen dürfen weiterhin das Leben, die Identität und den Körper von trans* Menschen bewerten und begutachten. Während zahlreiche europäische Reformen in den letzten Jahre Begutachtungen, Diagnosen und Fremdbestimmungen abgeschafft haben, hält der neue Gesetzesentwurf an der Fremdbestimmung fest, widersetzt sich den europäischen Menschenrechtsgarantien sowie EU-Vorgaben zur Geschlechtergleichstellung und fällt noch weiter hinter seine europäischen Nachbarn zurück. Wir schließen uns der Kritik des Bundesvorstands der AG Akzeptanz und Gleichstellung (SPDqueer) an, denn der Gesetzesentwurf ist pathologisierend, diskriminierend und nicht zeitgemäß.

Eine Reform des TSG ist längst überfällig, allerdings darf die Neuregelung nicht erneut in einem diskriminierenden Sondergesetz ergehen, sondern muss in das allgemeine Familienrecht des BGB integriert werden. Dabei muss beachtet werden, dass für die Änderungen von Vornamen und Personenstand ausschließlich jenes Geschlecht maßgeblich sein darf, mit dem sich die Person identifiziert. Die Namens- und Personenstandsänderung muss ohne Einholung von Gutachten alleine durch die eindeutige Erklärung eines Menschen bei dem zuständigen Standesamt bzw. dessen Aufsichtsbehörde möglich sein. Dies muss für Minderjährige ab 14 Jahren auch ohne Zustimmung der Eltern möglich sein. Minderjährige unter 14 Jahren benötigen grundsätzlich die Zustimmung der Eltern. Die fehlende Zustimmung kann jedoch durch das zuständige Familiengericht ersetzt werden.

Gleichzeitig muss die medizinische Geschlechtsangleichung im Wege von Operationen und hormonellen Behandlungen allen Menschen offenstehen. Geschlechtsangleichende Operationen dürfen nur bei wirksamer Einwilligung der Person erfolgen, an welcher diese durchgeführt werden. Trans* ist keine Krankheit, sondern eine Ausprägung der geschlechtlichen Identität. Die Behandlungen müssen auch Minderjährigen offenstehen, um ungewollte Veränderungen am eigenen Körper (insbesondere durch Einsetzen der Pubertät) verhindern zu können, selbst gegen den Willen der Eltern. Zudem müssen die Kosten für alle geschlechtsangleichenden Behandlungen einheitlich von Krankenkassen übernommen werden. Das Angebot für psychologische Therapie muss trans* Personen kostenlos und barrierefrei zur Verfügung gestellt werden.

Abstammungsrechtsreform

Das geltende Abstammungsrecht wird aktuellen Lebensrealitäten nicht ausreichend gerecht, denn die Vielfalt der heutigen Familienkonstellationen und die Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin stellen es vor erhebliche Herausforderungen. Die Schwierigkeiten ergeben sich aus der multiplen Elternschaft, von der neben der Regenbogenfamilie auch andere Familienformen betroffen sind – die bio-genetischen Elternteile sind nicht automatisch auch rechtliche oder soziale Elternteile. In der Folge stellt sich für diese Familien die Frage, mit welchen Rechten und Pflichten soziale Elternteile ausgestattet sind und wie im Alltag mit möglichen Diskrepanzen zwischen rechtlicher und sozialer Elternschaft umgegangen wird. In der gegenwärtigen Situation sind beispielsweise gleichgeschlechtliche Ehepaare zweier Frauen auf eine sehr aufwändige Stiefkindadoption des in der Ehe geborenen Kindes angewiesen; faktische Lebensgemeinschaften zweier Frauen* sind gar ganz von der gemeinsamen rechtlichen Elternschaft ausgeschlossen. Diese Situation ist nicht nur für die betroffenen Frauen*, sondern auch für die Kinder nicht tragbar, denen ein zweites Elternteil zumindest zeitweise, wenn nicht dauerhaft vorenthalten wird und die so im Hinblick auf Unterhaltsansprüche und Erbrecht schlechter gestellt werden.

Somit ist eine Anpassung des Abstammungsrechts, welche den vielfältigen real existierende Familienstrukturen Rechnung trägt, überfällig. Das Rechtssystem darf keine Hürde für Familiengründungen in neuen Konstellationen darstellen.

Daher ist der im März 2019 von Justizministerin Barley vorgelegte Entwurf zur Anpassung des Abstammungsrechts grundsätzlich zu begrüßen. Grundlegend für Barleys Vorhaben ist weiterhin die „genetisch-biologische Verwandtschaft“. Dennoch soll es beispielsweise lesbischen Paaren möglich sein, von Geburt an als rechtliche Eltern eines Kindes zu gelten.

Mit dem „Zwei-Eltern-Prinzip“ wird Elternschaft auch weiterhin beschränkt und schwule Eltern können weiterhin erst durch Adoption vollständig rechtlich Eltern werden. Zwar räumt Barleys Entwurf ein, wie wichtig die „sozio-familiäre Beziehung“ sei, behält jedoch starre Grenzen bei. Der Entwurf bildet noch lange nicht alle Lebensrealitäten ab, weshalb eine grundlegendere Reform notwendig ist.

Zudem enthält der Gesetzesentwurf zahlreiche problematische Punkte, wie beispielsweise die bestehende Rechtsunsicherheit für die möglichen Elternteile aufgrund der Unterscheidung zwischen privaten Samenspenden und ärztlich assistierter künstlicher Befruchtung. Außerdem birgt der Entwurf deutliche Widersprüche gegenüber trans* Personen. Zweigeschlechtlichkeit bleibt zentral, die Rolle der Mutter wird strikt biologisch festgeschrieben und eine dritte Geschlechtsoption wird nicht berücksichtigt. Zwar wird im Gesetzestext angekündigt, dass inter* und trans* Menschen jede Rolle in der Elternschaft einnehmen könnten, dies steht jedoch im Widerspruch zum biologischen Mutterschaftsbegriff. Gebärende Männer oder zeugende Frauen ebenso wie diejenigen Personen, die sich nicht einem binären Geschlecht zuordnen wollen, werden dadurch in ihrer geschlechtlichen Selbstbestimmung eingeschränkt.

Folglich sind Neuregelungen notwendig, welche die genannten unterschiedlichen Lebensrealitäten und -umstände berücksichtigen.

Insbesondere sind klare Regelungen erforderlich, die Rechtssicherheit z.B. bei künstlicher Befruchtung erlauben. Dazu gehört die Anerkennung der Elternschaft, z.B. („Mit-“)Mutter*schaft bei lesbischen Paaren, abhängig von der intendierten sozialen Beziehung zum Kind – und die Abkehr von der vorrangig genetisch bestimmten Elternschaft. In dem Zusammenhang ist eine präkonzeptionell zulässige Möglichkeit des bindenden Verzichts des*der Samenspender*in auf Elternrechte einzurichten, die dem Interesse der Mütter*paare an einer geregelten Rechtslage ebenso Rechnung tragen würde, wie dem Interesse des*der Samenspender*in daran, nicht entgegen vorheriger Absprache auf Unterhalt in Anspruch genommen zu werden. Ein solcher Verzicht auf Elternrechte muss auch bei privaten Samenspenden möglich sein.

Darüber hinaus ist die Kostenübernahme der ärztlich assistierten Insemination für gleichgeschlechtliche Paare über § 27a SGB V sicherzustellen.

Zudem ist die Zulässigkeit der Insemination mit Fremdsamen im ärztlichen Berufsrecht ausdrücklich klarzustellen und die Frage der Zulässigkeit der assistierten Reproduktion bei gleichgeschlechtlichen Ehegattinnen*, bei Lebenspartnerinnen*, bei gleichgeschlechtlichen eheähnlichen Lebensgemeinschaften von Frauen* und bei alleinstehenden Frauen* zu klären.

Weiterhin ist eine grundlegende Reform des Fortpflanzungsmedizinrechts, mitsamt klarer Regelung von Embryonenspenden, überfällig. Anderenfalls droht ein unterschwelliger Widerspruch in der Rechtsordnung, wenn das BGB-Familienrecht z.B. die Embryonenspende zumindest eingeschränkt als zulässig voraussetzt.

Zuletzt besteht die Notwendigkeit für trans* Eltern, auch im Geburtsregister ihrer Kinder entsprechend dem gelebten Geschlecht bezeichnet zu werden. Auch der Alltag mit minderjährigen Kindern wird durch eine fehlende geschlechtsentsprechende Zuordnung erheblich erschwert.  Dies kann durch eine Abkehr von der zwingenden Kategorisierung als Vater oder Mutter gewährleistet werden, die den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich einer „dritten Option“ entsprechen würde.

Recht auf Asyl

Obwohl sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität zumindest im europäischen Asylrecht mittlerweile flächendeckend als Fluchtgrund anerkannt sind, gibt es noch einige gegenläufige Praktiken, die durch das BAMF und durch Verwaltungsgerichte gepflegt werden. Zum Beispiel werden Asylanträge nicht selten mit der Begründung abgelehnt, es werde in den Heimatstaaten der Geflüchteten nicht gezielt nach LGBTQI* Personen gefahndet, weshalb eine dortige strafrechtliche Verfolgung sehr unwahrscheinlich wäre. Dies kommt der Zumutung gleich, im Herkunftsstaat die eigene geschlechtliche Identität oder sexuelle Orientierung, und damit einen Teil der eigenen Identität zu verstecken, um Verfolgung zu vermeiden.

Eine weitere Hürde für Personen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Identität verfolgt wurden, ist die (öffentliche) Angabe ihrer LGBTQI* Zugehörigkeit als Fluchtgrund anzugeben – insbesondere aufgrund der gemeinsamen Unterbringung in Unterkünften mit anderen Geflüchteten, wo ein Outing zu erneuten Anfeindungen führen kann. Das Nicht-Angeben bzw. nachträgliche Ändern des Fluchtgrundes kann allerdings zu erheblichen Problemen im Gerichtsverfahren führen, da es die Aussagen des*der Asylsuchenden für Richter*innen unglaubhaft erscheinen lassen kann.

Eine Reform im Asylverfahren, die sichere Räume für LGBTQI* Geflüchtete schafft und rechtswidrige Praktiken durch das BAMF und Verwaltungsgerichte unterbindet, ist dringend notwendig.

Fazit

Offensichtlich werden durch die Durchsetzung der beschriebenen Forderungen bestehende Ressentiments, Diskriminierungen und Gewalt gegen LGBTQI* nicht mit einem Schlag verschwinden. Gegen Hetze und Hass ist noch viel Aufklärungs- und Präventionsarbeit von Nöten. Dennoch kann Gesetzgebung das Bewusstsein positiv verändern, das ist empirisch messbar. Und auf dem Weg zur gesellschaftlichen Akzeptanz und Gleichstellung ist die vollständige rechtliche Gleichberechtigung ein essenzieller Schritt.

Deshalb fordern wir

  • Die Aufnahme von sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität ins Grundgesetz.
  • Den Ausbau des AGG hinsichtlich sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität.
  • Die Abschaffung von Ausnahmeregelungen im Arbeitsrecht von Religionsgemeinschaften.
  • Das Verbot von Konversionstherapien und die strafrechtliche Verfolgung dieser.
  • Novellierung des Ehe für Alle-Gesetzes mit einer Öffnung für nichtbinäre und inter* Menschen.
  • Die Aufhebung des Transsexuellengesetz und eine grundlegende Neuregelung, die der Menschenwürde von Trans* gerecht wird. Jede*r sollte im Wege einer eindeutigen Erklärung frei über den eigenen Geschlechtseintrag entscheiden können, ohne Atteste vorlegen zu müssen. Den vom Justizministerium vorgelegten Entwurf zur Neuregelung lehnen wir ab.
  • Eine kostenfreie medizinische sowie juristische Geschlechtsangleichung in jedem Fall. Geschlechtsangleichende Operationen dürfen nur bei wirksamer Einwilligung der Person erfolgen, an welcher diese durchgeführt werden. Krankenkassen müssen für die notwendigen Behandlungen aufkommen.
  • Ein kostenloses und barrierefreies Angebot für psychologische Therapie für trans* Menschen.
  • Eine Neuregelung des Abstammungsrechts, sodass dieses gesellschaftliche Realitäten widerspiegelt und die Gleichberechtigung von Regenbogenfamilien garantiert.
  • Die Sicherstellung der Kostenübernahme der ärztlich assistierten Insemination für gleichgeschlechtliche Paare über § 27a SGB V.
  • Eine Reform im Asylverfahren, die sichere Räume für LGBTQI* Geflüchtete schafft und rechtswidrige Praktiken durch das BAMF und Verwaltungsgerichte unterbindet, ist dringend notwendig.

K1 Impulse für starke Kommunalwahlprogramme

29.08.2019

Kommunalwahlen 2020

Im Herbst 2020 stehen in NRW die Kommunalwahlen an. Die SPD wird dabei stark gefordert sein. In vielen Städten und Landkreisen arbeiten Jusos seit vielen Jahren daran eine fortschrittliche Kommunalpolitik zu gestalten. Als NRW Jusos wollen wir dabei Anstöße geben. Bei unserem diesjährigen Kommunal-Camp haben wir uns vier Tage intensiv mit dieser Thematik auseinandergesetzt. Die Landesebene kann keine Kommunalwahlprogramme ausarbeiten. Aber wir können Impulse setzen. Dies ist kein Grundsatz-Antrag zur Kommune der Zukunft – dies ist eine Vorlage, bei der sich Juso-Unterbezirke Ideen für ihr lokales Wahlprogramm holen können, um dann hoffentlich personell und inhaltlich stark in die nächste Wahlperiode gehen zu können.

Wohnen

Wir Jusos wollen eine Kommune, in der Wohnen kein Luxus ist. Es soll keine Stadtteile für Reiche und Stadtteile für Arme geben. Wir wollen eine sozial durchmischte Stadt.

  • Für bezahlbaren Wohnraum braucht es sozialen Wohnungsbau durch kommunale Baugesellschaften oder Genoss*innenschaften.
  • Aktive Stadtplanung: Soziale Durchmischung kann im Stadtrat ermöglicht werden, z.B. über eine Quote für sozialen Wohnraum bei Neubaugebieten. Dazu gehört außerdem eine Berücksichtigung der dezentralen Stadtplanung, die es ermöglicht auch außerhalb der Innenstadt gut leben zu können ohne weite Wege zurücklegen zu müssen, um Erledigungen zu tätigen. Außerdem muss die Quartierspflege allen Vierteln einer Kommune zugutekommen, um dadurch auch das Sicherheitsgefühl zu verbessern und diese nicht verkommen zu lassen durch Verwahrlosung oder beschädigte Gebäude.
  • Mehrgenerationenwohnen bringt die Stärken und Schwächen verschiedener Altersklassen zusammen, sodass alle davon profitieren.
  • Milieuschutzsatzungen können verhindern, dass Viertel gentrifiziert werden, also dass Menschen, die dort schon lange wohnen, aber wenig Geld haben, durch Luxussanierungen o.ä. verdrängt werden.
  • Boden darf nicht mehr privatisiert werden. Denn für sozialen Wohnungsbau braucht es Flächen, auf denen gebaut werden kann. Mit jedem verkauften Quadratmeter nimmt sich eine Kommune Handlungsspielraum. Um das zu lösen müssen Flächen zurückgekauft werden und in Zukunft mit dem Erbbaurecht und Bodenfonds gearbeitet werden.

Infrastruktur und Verkehr

Jede Kommune, ob Stadt oder Land, braucht einen funktionierenden, klimafreundlichen, ticketfreien und barrierefreien öffentlichen Personennahverkehr. In ländlichen Kommunen braucht es massive Investitionen in öffentlichen Verkehr, damit tatsächlich alle Einwohner*innen diesen nutzen können. In städtischen Räumen fordern wir eine Umrüstung von motorisiertem Individualverkehr und möglichst ganzheitliche, emissionsfreie Lösungen. Wir fordern nicht weniger als eine komplette Verkehrswende.

  • Die Fahrzeuge der öffentlichen Hand (Postwagen, Dienstfahrzeuge, Ordnungsamt, Straßenreinigung) sollen auf Elektro- oder Wasserstoff-Hybridfahrzeuge umgerüstet werden.
  • Es braucht massive Investitionen in klimafreundlichen öffentlichen Personennahverkehr und Nachtfahrpläne müssen ausgebaut werden. Die Echtzeitkommunikation zwischen den verkehrsbetreibenden Betrieben und den Kund*innen muss verbessert werden.
  • Verschiedene Verkehrsmittel müssen leichter und kostengünstiger miteinander kombiniert werden.
  • Die einzelnen Verkehrsverbünde müssen Lösungen für einen besseren Übergang zwischen ihren Gebieten anbieten. Außerdem muss der Pendler*innenverkehr stärker berücksichtigt, um auch ein Leben außerhalb der Stadt oder am Stadtrandgebiet attraktiv zu machen und durch eine bessere Anbindung in die Innenstadt, eine Dezentralisierung zu unterstützen.
  • Radwege und Radschnellwege müssen ausgebaut werden.
  • Die Innenstädte müssen von dem massiven Verkehrsaufkommen entlastet werden, der motorisierte Individualverkehr muss zugunsten des ÖPNVs zurückgefahren werden. Ausgenommen sind Lieferverkehre.

Jugend

Gerade Kommunen in strukturschwachen Räumen werden für junge Menschen immer unattraktiver. Eine Politik für die Jugend braucht daher:

  • eine stärkere Beteiligung an städtischen Entscheidungen, denn Jugendpolitik darf nicht ausschließlich von älteren Generationen beschlossen werden.
  • die Förderung und den Ausbau von Jugend- und Freizeitzentren, denn diese schaffen Räume der Kreativität und der Entspannung.

Schule und Bildung

Bildung findet für uns nicht nur in der (Hoch-)Schule statt, sondern geht von der KiTa bis zur Volkshochschule und darüber hinaus.

  • Wir fordern einen massiven Ausbau von KiTa- & KiGa-Plätzen, der kostenlos für alle Kinder ist und nicht nur dort, wo es sich Städte und Kommunen leisten können.
  • Inklusive und ganztägige Gesamtschulen müssen ausgebaut werden.
  • Die Gebäudeinfrastruktur von Bildungsstätten muss von den Toiletten, über die Wärmedämmung bis hin zum Medienraum wo nötig saniert.
  • Auszubildende und Studierende müssen gemeinsam in Berufsbildungszentren lernen können.
  • Kommunen müssen sicherstellen, dass sich Menschen auch im Erwachsenenalter beruflich weiter- und fortbilden können, auch an Berufsschulen
  • Lebenslanges Lernen muss für jede*n ermöglicht werden.

Umwelt und Natur

In der aktuellen Debatte um den Klimawandel fällt vor allem auf: Die meisten Diskussionen drehen sich rund um Grundsatzentscheidungen, die oftmals noch nicht mal auf der Bundesebene gefällt werden können. Denn der Klimawandel ist ein globaler. Trotzdem ist es auch auf kommunaler Ebene möglich einen Teil zu einer geschützten Umwelt und Vielfalt der Natur beizutragen.

  • Kommunen müssen gegen Flächenversieglung vorgehen und diesen Ansatz in die Planungspolitik einbinden.
  • Die Gülleausfuhr auf landwirtschaftlichen Flächen muss aus ökologischen und gesundheitsschädlichen Gründen strikter reglementiert und verringert werden.
  • Wälder müssen aufgeforstet und die natürliche Artenvielfalt erhalten werden. Hierzu gehört auch eine insektenfreundliche Grünflächenplanung, das Ansiedeln von Bienenvölkern und die Einrichtung von Schutzräumen für Fledermäuse, Vögel und Wildinsekten.
  • Stehende Gewässer und Fließgewässer müssen geschützt werden.
  • Öffentliche Beete, Obststräucher und -bäume sollen angeboten werden.
  • Die Dächer von öffentlichen Gebäuden und Bushäuschen müssen wir begrünen oder mit Solaranlagen ausstatten.
  • Bei Planungsvorhaben muss die Schaffung von Grünflächen in Neubaugebieten und neuen Wohnanlagen vorgeschrieben werden.

Verwaltung

Öffentliche Verwaltungen werden gerne mit Bürokratiemonster verglichen. Unsere Vision ist eine bürger*innennahe Verwaltung.

  • Auch in der Verwaltung muss die Digitalisierung Einzug finden, sei es durch einfache Online-Antragstellungen oder bürger*innenfreundliche Web-Präsenzen.
  • Gerade öffentliche Verwaltungen müssen den Querschnitt der Gesellschaft abbilden, also mehr Frauen in führenden Positionen, auch und erst recht in technischen Berufen.
  • Die Spitzenpositionen und leitenden Gremien der kommunalen Töchterunternehmen müssen ebenfalls paritätisch besetzt werden.

Gesundheitsversorgung 

Kommunen und Städte müssen eine wohnortnahe medizinische Grundversorgung sicherstellen.

  • Gerade in ländlichen Räumen dürfen Einwohner*innen nicht von der medizinischen Grundversorgung abgehängt werden. Dazu gehören nicht nur Krankenhäuser, sondern auch Hausärzt*innen und Apotheken.
  • Nach wie vor fordern wir die Rekommunalisierung von Krankenhäusern. In Anbetracht der finanziellen Lagen vieler Kommunen kann dies jedoch nur geschehen, wenn die Kosten von höheren politischen Ebenen getragen werden.

Kultur

Kultur ist mehr als nur Theaterstücke und Kunstgalerien, sondern findet auch innerhalb der Nachbarschaft und auf offener Straße statt.

  • Jede*r muss die Möglichkeit bekommen, am Kulturangebot teilzuhaben, wir fordern mittelfristig kostenlosen Eintritt in Kulturstätten und Museen.
  • Stadtteilzentren und Begegnungsstätten sind Orte des Miteinanders, deren elementarer Bestandteil die verschiedenen Kulturen im Stadtteil sind. Diese müssen finanziell stärker unterstützt werden.
  • Wir fordern Flächen für Graffiti-Projekte und andere Kunst. Sie verleihen Vierteln Attraktivität.

Sport

Sport ist für uns unentbehrlich bei der Integrations- und Bildungsarbeit. Leistungsfähigkeit entwickeln, Selbstbewusstsein stärken und ehrenamtliches Engagement leben – all das ermöglicht der Sport.

  • Bestehende öffentliche Sportstätten müssen dringend erhalten und modernisiert, neue Sportstätten eingerichtet werden.
  • Jede Kommune muss für Vielfalt von Sportangeboten sorgen.
  • Vereine müssen einen barrierearmen Zugang zu öffentlichen Fördergeldern bekommen.
  • Kunstrasenplätze müssen auf Nachhaltigkeit geprüft werden.
  • Gleichstellung ist auch im Sport ein Thema. Viele Vereine bieten trotz potenziell vorhandener Nachfrage keine Mädchen- oder Frauenmannschaften an. Dies muss sich ändern. Denkbar wäre eine Steuerung über die Vergabe der städtischen Mittel.

Demokratisierung und Partizipation

Die Kommune ist die Entscheidungsebene, auf der Bürger*innen lebensnah mit Demokratie und politischen Entscheidungen in Berührung kommen. Einwohner*innen haben Anspruch darauf, an städtischen und kommunalen Entscheidungsprozessen teilzunehmen.

  • Wir fordern eine stärkere Einbeziehung von Bürger*innen in Entscheidungsprozesse.
  • Ehrenamtliches Engagement muss gestärkt und gefördert werden.
  • Die öffentliche Daseinsvorsorge muss in der öffentlichen Hand liegen.
  • Die Unterstützung von Organisationen und Initiativen, die gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit kämpfen, muss deutlich erhöht werden.
  • Partner*innenorganisationen oder lokale Initiativen und Organisationen müssen in Entscheidungsprozesse eingebunden werden, zum Beispiel Gewerkschaftsjugenden in die Planung von Berufsschulen oder Stadtteilinitiativen in die Planung des öffentlichen Platzes.

I3 Einführung eines Feiertages zu Ehren des Grundgesetzes

29.08.2019

Die Landeskonferenz der NRW Jusos möge beschließen, dass der 23. Mai als gesetzlicher Feiertag zu Ehren des Inkrafttretens des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland eingeführt werden soll.

W2 Die Industrie ist tot? Lang lebe die Industriepolitik! – Grundlagen jungsozialistischer Wirtschaftspolitik in Zeiten des Klimawandels

29.08.2019

Wir sehen durch linke Industriepolitik die Chance, in NRW soziale und ökologische Aspekte gemeinsam zu diskutieren und dabei eine proaktive Rolle Nordrhein-Westfalens für die Energiewende herauszustellen. Kaum ein Thema hat im letzten Jahr für solch eine Medienaufmerksamkeit gesorgt wie der Klimawandel. Auch die Bundesregierung hat sich mit dem Thema auseinandergesetzt und verschiedene Konzepte vorgebracht. Der Koalitionsvertrag sieht noch in diesem Jahr eine politische Entscheidung über Lösungskonzepte durch ein neues Klimagesetz vor.

Wir brauchen eine sozial-ökologische Industriepolitik 

Spätestens seit der Finanz- und Wirtschaftskrise hat sich gezeigt, dass die Abgesänge auf den industriellen Sektor verfrüht und falsch waren. Diskussionen über die Relevanz von Industrie und Industriepolitik sind wieder in den Fokus gerückt. Die Krise hat deutlich gezeigt, dass Länder mit einem starken industriellen Sektor weniger von Folgen der Krise betroffen waren, als diejenigen die ihre Zukunft in Dienstleistungen und Finanzwirtschaft sahen. Der industrielle Sektor verursacht aber auch einen beträchtlichen Anteil an den weltweiten CO2-Emissionen und trägt damit im erheblichen Maße zum Klimawandel bei. Angesichts weltweiter Verfehlung der Ziele des Pariser Klimaabkommens, endlicher Ressourcen und begrenzter ökologischer Tragfähigkeit unseres Planeten führen die globalen Umweltveränderungen zur Verschärfung von Verteilungskonflikten. Die ökologische Frage müssen wir vor Allem als Verteilungsfrage begreifen, da gerade Menschen in den wirtschaftlich schwachen Regionen dieser Erde am meisten unter den Auswirkungen des Klimawandels leiden.

Unter diesen Gesichtspunkten muss also zuallererst definiert werden, wie eine gute linke Industriepolitik ausgerichtet werden soll. Festhalten lässt sich zunächst einmal, dass unsere Industriepolitik keine Lobbypolitik für Unternehmen oder deren Eigentümer*Innen sein darf, sondern sich nach den Interessen der Beschäftigten und den Bedürfnissen der Gesellschaft zu richten hat. Unsere Industriepolitik muss strategisch in wirtschaftliche Prozesse eingreifen und sich von der Einstellung verabschieden, dass der Staat keine wirtschaftliche Kompetenz besitzt. Der freie Markt wird die geringste Lösungskompetenz für die Frage besitzen, wie wir z.B. die Interessen der abhängig Beschäftigten absichern, Klimagerechtigkeit im globalen Süden herstellen und ganz grundsätzlich die Grundlagen menschlichen Lebens jetzt und in Zukunft sichern. Wir wollen eine Industriepolitik, die diese Probleme im Ganzen mitdenkt, angeht und löst.

Unsere Vorstellungen zur Frage welche Herausforderungen unsere Vision einer linken Industriepolitik lösen kann, deckt sich auch mit aktuellen Diskussionsthemen der SPD: Digitalisierung, gute Arbeit, sozialer Zusammenhalt, Innovationspolitik und Wirtschaftsförderung. Die Umsetzung einer linken, nachhaltigen Industriepolitik hat des Weiteren auch für die Zukunft der Partei selbst eine hohe Relevanz, denn entgegen vieler anderslautender Vorurteile ist die Kernwähler*innenschaft der SPD auch an Umweltthemen interessiert!

Unsere Industriepolitik muss soziale und ökologische Politik zu einer gemeinsamen Fortschrittserzählung verknüpfen und gemeinsam mit vielen Bündnispartner*innen Alternativen zum aktuellen System aufzeigen. Dabei dürfen wir aber nicht vergessen: Diese linke Industriepolitik ist ein Kampf gegen die bestehenden Machtverhältnisse.

Der Staat als Steuerungsakteur 

Bis dato herrscht eine große Skepsis zu industriepolitischen Eingriffen. Das ordnungspolitische Ideal im ökonomischen Mainstream besitzt eine scheinbar unerschütterliche Vertrauensbasis. Aufgrund der industriepolitischen und ökologischen Herausforderungen stellt sich die rhetorische Frage, ob das ordnungspolitische „Vertrauen“ in die „kreativen Kräfte des Wettbewerbs“ noch berechtigt ist. Viele wegweisende Technologien, wie das Internet, GPS, Nanotechnologie oder einflussreiche Unternehmen wie z.B. IBM hätte es ohne die massive und langfristig angelegte amerikanische staatliche Forschungsförderung nicht in der Form gegeben. Die freie und allein marktwirtschaftliche Entwicklung von privaten Innovationsleistungen ist folglich eher ein Mythos und entspricht nicht der Realität. In Zeiten von großen Herausforderungen brauchen wir ein neues Staatsverständnis, denn in den letzten Jahren hat sich die Politik als wahrnehmbarer industriepolitischer Akteur zu einer Moderatorenrolle zurückgezogen. Wir fordern, dass der Staat wieder eine entscheidende Rolle bei der Ausgestaltung von nachhaltiger Industriepolitik einnimmt. Es ist unwahrscheinlich, dass Transformationsprozesse allein durch den Markt zu nachhaltiger Industrie führen. Anstatt frühzeitig und intensiv in Alternativen für ein auslaufendes Wertschöpfungsmodell zu investieren, setzen die Mechanismen eines freien Marktes eher den Anreiz, so lange Rendite aus alten Technologien zu gewinnen bis diese durch unüberwindbare Hürden, wie effizientere Technologien, Marktsättigung oder gesellschaftlicher Ablehnung endgültig nicht mehr investitionswürdig sind. Entscheidungsträger*innen und Investor*innen sind durch frühzeitige Auslagerung von Risiken meist gut abgesichert, während die Existenz der abhängig Beschäftigten durch Stellenabbau und Restrukturierungsmaßnahmen gefährdet ist. Um sogenannte Pfadwechselprozesse erfolgreich zu meistern, bedarf es einer starken industriepolitischen Planung und dementsprechend eines stärkeren staatlichen Eingriffs in Marktprozesse. Verlässliche politische Leitlinien wären hier bindende Entwicklungsziele, technisch anspruchsvolle Benchmarks, Förderprogramme oder Sanktionen.

Eine aktive Industriepolitik kann nicht nur aus regulativen Maßnahmen bestehen, sondern muss auch auf investiven Elementen fußen. Investition in Infrastruktur müssen eine der wesentlichen Stellschrauben einer industriepolitischen Steuerungsstrategie sein. Denn bereits jetzt findet sich in der Bundesrepublik ein infrastrukturelles Desaster wieder. Meldungen zu maroden Verkehrswegen, dem unzureichenden Ausbau von schnellem Internet und der unzureichenden Bereitstellung von Stromtrassen und Verteilernetzen sind beinahe täglich. Wie wir als Jungsozialist*innen immer wieder betonen, werden diese Investitionsbedarfe nicht aus der staatlichen Portokasse bezahlt, sondern aus großen Investitionstöpfen. Das heißt im Umkehrschluss eine Verabschiedung vom Paradigma der schwarzen Null und ein Umkrempeln des bisherigen Steuersystems, in dem große Teile von Vermögen und Einkommen unberührt bleiben.

In der Debatte um das volkswirtschaftliche Wachstum gibt es grundsätzlich zwei Positionen: Die eine Seite, die ein unendliches Wachstum auf einem endlichen Planeten in Frage stellt (Postwachstum/Degrowth) und die Andere, die glaubt, durch Effizienzsteigerung einen stetigen Zuwachs des BIP gewährleisten zu können (Green-Growth). Dabei zeigt bereits der sog. Rebound Effekt, dass es bei immer effizienterer Stromerzeugung zu steigendem Ressourcenverbrauch kommt. Hier muss Politik mit der Bestimmung von Gesamtmengen und Grenzwerten entgegenwirken, aber auch die ressourcenschonendsten und effizientesten Technologien fördern. Ordnungspolitische Maßnahmen wären die Vorgaben bei Grenzwerten oder Technologieverboten.

Die Europäische Union hat jahrzehntelang einer aktiven europaweiten Industriepolitik eine Absage erteilt. Mit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 geriet der neoliberale Glaubensgrundsatz, dass die EU nur eine moderierende und marginal fördernde Rolle in der Wirtschaft spielen soll in eine tiefe Legitimationskrise. Gleichzeitig konnte beobachtet werden, wie durch massive industriepolitische Interventionen sogenannte Schwellenländer wie z.B. Südkorea oder China in den letzten Jahrzehnten zu starken industriellen Playern in der High-Tech-Industrie und im öko-technologischen Bereich wuchsen. Erst durch starke finanzielle Unterstützung chinesischer Unternehmen konnten internationale Player wie Alibaba oder Huawei entstehen. Erwähnenswert ist, dass seit den Streichungen von staatlichen Subventionen im Solarbereich in Deutschland die Zahl der Arbeitsplätze zwischen 2010 und 2016 von 130.000 auf 30.000 zurückgegangen ist. Daher sollte es erstrebenswert sein, wieder nachhaltige europäische Unternehmen zu fördern, die ohne staatliche Unterstützung nicht bestehen können, ähnlich wie es jahrzehntelang eine staatliche Stützung in der Kohleindustrie gab.

Daher fordern wir: 

  • Eine Trias in der Industriepolitik: Gerechte Verteilung von Wohlstand, Gute Arbeit und ökologische Nachhaltigkeit
  • Ein neues Staatsverständnis in der Industriepolitik: Eine aktive Steuerung von Marktprozessen unter Bedingungen von Guter Arbeit und nachhaltigem Ressourcenverbrauch
  • Starke Industriepolitische Planung von Pfadwechseln durch bindende Entwicklungsziele, technisch anspruchsvolle Benchmarks, Förderprogramme und Sanktionen
  • Ordnungspolitische Maßnahmen wie Grenzwerte, Grenzmengen und Technologieverbote bei umweltschädlichen Produkten
  • Massive Investitionen in Infrastruktur und Forschung
  • Abschaffung der Schuldenbremse und der schwarzen Null zur Erreichung infrastruktureller Ziele
  • Eine Neuausrichtung europäischer Beihilfen sowie eine Regelung der öffentlichen Vergabepolitik und Fördermittelvergabe mit der Wahrung der kollektiven Rechte an der Innovation.

Zukunftsinitiative für NRW 

Die Rolle eines aktiven und steuernden Staates muss in NRW am Beispiel der Transformationsprozesse deutlich werden. Die SPD muss ein nachhaltiges Zukunftskonzept für die Industrie in NRW vorgeben und die Rolle der Industrie in NRW für die Energiewende ausgestalten. Dazu müssen wir das derzeitige Vakuum von großen Zukunftsperspektiven aufbrechen. Durch die Energiewende sind auch junge Menschen betroffen. Statt Hass und Hetze zu propagieren, müssen wir gerade für jüngere Menschen echte Zukunftsperspektiven aufzeigen und Antworten auf zentrale Verteilungsfragen wie die der sozialen Absicherung geben. Die Förderung neuer Arbeitsplätze, zum Beispiel im Rahmen der Energiewende, ist unser Anspruch an eine sozialdemokratische Industrie-, Energie- und Klimapolitik. Wir Jungsozialist*innen möchten Zukunftsperspektiven für Beschäftigte aufzeigen, die über finanzielle Leistungen hinausgehen. Daher fordern wir nicht nur die Bereitstellung einzelner sozialpolitischer Maßnahmen, wie Qualifizierungs- und Weiterbildungsangebote. Wir fordern darüber hinaus die Entwicklung einer Zukunftsvision, die die zukünftige Rolle der Industrie in NRW für die Energiewende aufzeigt.

Wir brauchen ein Gesamtkonzept, dass die Dimensionen der Arbeitsplätze in der Industrie widerspiegelt und zukünftige Entwicklungen aufgreift. Es ist die Aufgabe der Sozialdemokratie die Interessen von sozialer Absicherung und ökologischer Nachhaltigkeit zu vereinen und zukunftsorientierte Arbeitsmarktperspektiven für die Industrie aufzuzeigen. Wir sind überzeugt, dass die Attraktivität der Verkehrs-, Forschungs- und Unternehmensinfrastruktur in NRW einen entscheidenden Beitrag zur Energiewende leisten kann. Die politische Herausforderung liegt darin, diese Rolle gemeinsam mit starken Partner*innen zu definieren und für ihre Ausführung Sorge zu tragen. Die Vorlage eines strategischen Zukunftskonzepts für die Industrie in NRW muss Bedingung für eine tiefergreifende Debatte um die Gestaltung des nationalen Klimaschutzgesetzes sein.

Erste Impulse für die zukünftige Rolle der Industrie in NRW sehen wir in der Vorbereitung der Energiewende, sowie in einer nachhaltigeren Rohstoffverarbeitung und -veredelung. Für die Umsetzung der Energiewende müssen u.a. Produkte wie Windkrafträder, Solarzellen und energieeffiziente Transformatoren erhältlich sein. Industrie, die diese Produkte herstellt und verarbeitet, muss weiterhin und vorzugsweise in NRW bestehen bleiben. Daraus ergibt sich eine Doppelstrategie für die Zukunft der Industrie in Nordrhein-Westfalen:

Für die Zukunft der Energiewende sind erneuerbare Energien eine entscheidende Technologie zur Energiegewinnung und Stromerzeugung. Einige Bundesländer zeigen besonders attraktive Standortfaktoren für die Energiegewinnung durch erneuerbare Energien auf. Dies darf nicht zu einer intranationalen Konkurrenz auf Kosten von Arbeitsplätzen und regionalen Strukturen führen. Vielmehr muss die politische Antwort darin liegen, die individuellen Potentiale in den einzelnen Bundesländern für einen Beitrag zur Energiewende zu nutzen und auszubauen. So kann NRW z.B maßgeblich mit der weiteren Erforschung von Brennstoffzellen am Forschungszentrum Jülich oder der Herstellung von energieeffizienten Transformatoren durch thyssenkrupp Electrical Steel zur Schaffung von grundlegenden Technologien für die Energiewende beitragen. Die Herstellung der Ausgangsprodukte für eine Umsetzung der Energiewende empfinden wir als erstes Standbein einer neuen Zukunftsperspektive für die Industrie in Nordrhein-Westfalen. Für den Erfolg dieser Perspektive ist es besonders relevant, die Produktionsstätten am Standort NRW zu halten. Staatliche Förderungsmodelle müssen einen schnellen und skalierten Ausbau der erneuerbaren Energien absichern und positive Anreize für die Herstellung an strukturschwachen Standorten schaffen.

Gleichzeitig muss es auch Ziel sein langfristig die Rohstoffverarbeitung und Rohstoffveredelung nachhaltiger zu gestalten. Die Industrie stellt die materielle Grundlage für Wohlstand und Beschäftigung im gesamten Bundesland dar. Sie muss erhalten bleiben und ihre Zukunftsfähigkeit muss gesichert werden. Wir sehen in der Aufgabe, die Dekarbonisierung der Industrie voranzubringen, die Sicherung dieser Zukunftsfähigkeit. Eine vermehrte Nachfrage nach nachhaltiger Energie sollte zukünftig durch NRW gedeckt werden können. In der Wende hin zu nachhaltiger Energie muss sich NRW aktiv als relevanter und mit gestaltendem Akteur einbringen. Einige internationale deutsche Konzerne wie Bosch und thyssenkrupp arbeiten bereits an der Umstellung zur klimaneutralen Produktion bzw. Rohstoffgewinnung und signalisieren ihr Interesse und ihre Bereitschaft einer Umstellung. NRW hat hier eine riesige Chance der Zukunftsmotor zu sein.  Die Politik muss diese Chance ergreifen und fördern, u.a. durch breite Investitionen in Forschungsinfrastrukturen.

Daher fordern wir:

  • Die Interessen von sozialer Absicherung und ökologischer Nachhaltigkeit zu vereinen und zukunftsorientierte Arbeitsmarktperspektiven für die Industrie aufzuzeigen
  • Die Abwendung von der Idee der sozialpolitischen Einzelmaßnahmen als Grundstein für den Transformationsprozess
  • Ein Zukunftskonzept für die Industrie in NRW als Grundlage für eine tiefgreifende Debatte um die Gestaltung der nationalen Energiewende
  • Staatliche Förderungsmodelle müssen einen schnellen und skalierten Ausbau der erneuerbaren Energien sichern und positive Anreize für die Herstellung an deutschen Standorten schaffen
  • Die Politik muss die Bereitschaft zur klimaneutralen Produktion fördern, erweitern und durch breite Investitionen in Forschung auf die Industrie in NRW ausweiten

Zukunftskonzept als Diskussionsgrundlage 

Mit dieser Doppelstrategie kann auch die Frage nach der zeitlichen Zukunft der Braunkohle in NRW neu diskutiert werden. Nicht erst seit den Fridays for Future Demonstrationen ist klar, dass eine der wichtigsten politischen Aufgaben die Weiterentwicklung des industriellen Sektors weg von der Abhängigkeit fossiler Energiequellen und hin zu einer nachhaltigen Versorgung ist. Betrachtet man die Industriestruktur in NRW wird deutlich, dass an der Braun- und Steinkohle viele entscheidende Schlüsselindustrien hängen. Daher darf sich der Blick beim anstehenden Strukturwandel nicht nur auf die Arbeitnehmer*innen und Regionen, die ihren Wohlstand hauptsächlich auf der Kohle aufbauen, richten, sondern muss auch auf die dahinter gelagerten Industrien gelenkt sein. Der schnellstmögliche Ausstieg aus der Braunkohle und die Transformation all dieser Industriezweige ist unabdingbar und die Diskussion um ein Ausstiegsdatum nur die Spitze des Eisbergs. Es müssen jetzt alle politischen Handlungsträger*innen, Sozialpartner*innen und Wissenschaftler*innen zusammenkommen, um ein Konzept zu erarbeiten mit dem ein schnellstmöglicher Ausstieg, eine neue Chance bzw. ein Aufbruch für NRW und ganz Deutschland erreicht wird. Wichtig für die Verwirklichung dieses Ziels ist die Weiterentwicklung der Industrien, die für die Energiewende relevant sind. Durch gezielte Förderung und Vernetzung dieser Industrien kann ein neuer Zukunftsmotor entstehen. Dabei können die oben genannten Unternehmen als mögliche Beispiele für den anstehenden Wandel fungieren

Darüber hinaus steht die Versorgungssicherheit energieintensiver Industrien im Vordergrund. Dabei muss NRW vor allem in die Erforschung nachhaltiger Speicherkapazitäten investieren, denn in der Zeit nach der Kohle wird vor allem eine verlässliche Energieversorgung schwierig sein. Für diese Aufgaben braucht es neue Industrien und Ideen. Platz hierfür könnten die Flächen des Tagebaus bieten, da sie teilweise mit ihrer guten Lage zwischen der Metropolregion Köln und dem Forschungsstandort Aachen für eine gewerbliche und industrielle Entwicklung prädestiniert sind. Wenn NRW die ehemals „schmutzigen“ Industrien in die Pflicht für den Umbruch nimmt und die gesellschaftlichen Kosten der Verbrennung von Kohle nicht nur auf die Gemeinschaft, sondern auch auf die Kapitalist*innen abwälzt, gibt es eine echte Chance als Bundesland Vorreiter für einen gelungenen Strukturwandel zu sein. Hierfür braucht es jetzt aber auch Planungssicherheit. Der gefundene Kohlekompromiss wird die Zeit nicht überdauern, denn der gesellschaftliche Widerstand ist viel zu groß. Deshalb muss schnellstmöglich ein neuer Prozess starten, der die Zukunftsvision für die Zeit nach der Kohle von politischer Seite aus klar vorgibt. Es braucht gesellschaftliche Akteure um diesen Prozess zum Erfolg zu führen. Das Ziel bzw. Ausstiegsjahr darf aber nicht Gegenstand einer solchen Verhandlung sein, sondern muss vielmehr als übergeordnetes politische Ziel feststehen.

Daher fordern wir:

  • Die Vernetzung und Förderung für die Energiewende relevanter Industrien
  • Die Erforschung von Speicherkapazitäten in NRW für Versorgungssicherheit in der Zeit nach der Kohle
  • Die Flächen des Tagebaus durch den Staat zu entwickeln
  • Die Einbeziehung der durch Kohleverstromung gemachten Gewinne